Berlin: Weinrich-Prozess: 35. Verhandlungstag
Ein überzeugter Polizeichef
35. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Wer noch Zweifel an der Haltung der Kammer nach dem letzten Verhandlungstag hatte, wurde am heutigen endgültig eines Besseren belehrt.
Erster Tagesordnungspunkt war ein - nach dem Verlauf des letzten Verhandlungstages absehbarer - Befangenheitsantrag der Verteidigung (siehe hierzu: Prozeßbericht 34. Verhandlungstag "Richtungsweisende Beschlüsse"). Zur Begründung der Ablehnung aller drei Richter und der beiden Schöffen wurde angeführt, daß die Kammer in ihrem Beschluß vom letzten Verhandlungstag über die Verlesung der Vernehmungsprotokolle der ehemaligen ungarischen Staatssicherheitsleute Varga, Szecsi und Szabo von "belastenden Aussagen mit hinreichendem Beweiswert" gesprochen hatte. Dies hielt die Verteidigung im Namen des Angeklagten für eine Festlegung hinsichtlich einer möglichen Verurteilung. Zudem hätten die Schöffen scheinbar Akteneinsicht erhalten, denn sonst hätten sie diesen Beschluß nicht mittragen können. Dies sei jedoch nicht zulässig, da Schöffen ihre Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung zu schöpfen haben.
In scharfer Form wies die Kammer den Antrag als "unzulässig" zurück. Das Befangenheitsrecht stünde in diesem Fall "nicht zur Verfügung", da mit dem Antrag offensichtlich "verfahrensfremde Zwecke", nämlich die Ausspionierung des Beratungsgeheimnisses beabsichtigt seien. Mit Hilfe "prozeßwidriger Scheinargumente" versuche die Verteidigung hier eine "Vernebelung".
Verteidiger Elfferding sprach von einer "üblen Diffamierung" und versprach sichtlich erregt: "Wenn sie den Krieg haben wollen, dann können sie ihn bekommen!"
Verteidiger Häußler ging noch einen Schritt weiter und stellte fest, daß "hier rechtsstaatlich problematische Praktiken der Staatsanwalt vernebelt werden sollen" und bezichtigte die Kammer, sich "zum Hampelmann dieser Praktiken zu machen". Häußler weiter: "Ihr bisheriger Talkshow-Tonfall kann eine faire Verhandlungsführung nicht ersetzen."
Beide Verteidiger beantragten, in dieser Angelegenheit vorbereitete Erklärungen noch vor der Vernehmung des für heute geladenen Zeugen abzugeben. Dies wurde vom Vorsitzenden abgelehnt und nach kurzer Unterbrechung durch einen Gerichtsbeschluß bestätigt. Der Vorsitzende wörtlich: "Sie werden nach der Vernehmung des Zeugen Gelegenheit zur Stellungnahme in dieser Sache erhalten". Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand auf der Verteidigerbank, was das bedeuten würde. Verteidiger Häußler monierte, daß inhaltlich zusammengehörige Angelegenheiten vom Vorsitzenden systematisch auseinandergerissen würden. Er wußte nicht, wie recht er behalten sollte.
Bis dahin kam es jedoch erst einmal zur Vernehmung von Jack Genthial, bis zu seiner Pensionierung 1998 Chef der Kriminalpolizei von Frankreich.
Genthial wurde zum Tatkomplex Rue Marbeuf im April 1982 befragt. Er war bis kurz vor dem Anschlag Mitglied der "Division anti-terroriste" der Pariser Kripo und zum Zeitpunkt des Anschlages bei der "Brigade criminale". Er leitete und koordinierte die insgesamt elf Polizeigruppen, die sich mit der Angelegenheit beschäftigten.
Er repetierte erkennbar die Zwischenberichte der französischen Kripo bzw. des DST (französischer Inlands-Geheimdienst), wie sie in diesem Prozeß schon des öfteren zu hören waren. "Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre", so Genthial wörtlich. Erinnerungslücken traten erst bei der Befragung durch die Verteidigung auf.
Seiner "Überzeugung nach" sollten mit diesem Anschlag "zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden". Zum einen "glaube" er ,daß möglichst viele Menschen mit dem Attentat getroffen werden sollten und zum anderen habe er "den Eindruck gewonnen", daß sich der Anschlag gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeitung ,Al Watan Al Arabi' in der Rue Marbeuf richtete.
Genthial redet laut, manchmal zu laut. Er ist von allerlei Dinge "überzeugt", erkennbar vor allem von sich selbst. Fast nebenbei und nur auf Nachfragen räumt er (wesentlich kleinlauter) ein, daß es für all diese "Überzeugungen" in Frankreich "keine Beweise" gibt.
Dies wirft zum wiederholten Male bei Prozeßbeobachtern die Frage auf, warum in tatortfernen Deutschland ein Prozeß geführt wird, während in Frankreich selbst "keine Beweise" für die Thesen der Berliner Staatsanwaltschaft vorhanden sind.
Im März 1984 wechselte der Zeuge dann zu technischen Polizeidiensten und hat nach eigenem Bekunden "kein bezug mehr zu anti-terroristischen Ermittlungen" gehabt. Er habe lediglich ab und zu noch Berichte darüber gelesen.
Auf Nachfragen räumt Genthial ein, daß es 1982 auch Anschläge anderer Gruppen in Frankreich, wie z. B. der armenischen ASALA, der Abu Nidal-Gruppe, der Action direct und korsischer Gruppen gegeben habe. Er halte es aber für "glaubwürdig", daß das Attentat in der Rue Marbeuf von der Carlos-Gruppe verübt worden sei.
Diese "Überzeugung" wird deutlich, als Genthial nach dem Lagerungsort des Sprengstoffes im Tatfahrzeug gefragt wird: "Ich meine, der Sprengstoff war im Kofferraum. Wenn ich mich täusche, kann Herr Weinrich mir das ja sagen!" Dabei deutet der Zeuge auf den Angeklagten und seine Stimme bekommt einen fast haßerfüllten Ton.
Auch die "Metamorphose" von Christa Fröhlich zu Frau Stadelmann (siehe hierzu: Prozeßbericht 32. Verhandlungstag "Die Metamorphose einer Autofahrerin") basiere auf seinem "persönlichen Eindruck". Konkrete Beweise gebe es nicht.
Informationen in- und ausländischer Geheimdienste, die so Genthial, "teilweise manipuliert" waren, deuteten zwar eher auf Täter aus dem israelisch-palästinensischen Konfliktumfeld. Diese Theorien seien jedoch verworfen worden. Auch der Umstand, daß der Mann, der das Tatfahrzeug abgestellt hatte, nach Zeugenaussagen mit arabischem Akzent sprach, änderte daran nichts.
Auf die sichtlich interessierte Nachfrage des Vorsitzenden, wie sich denn die Ermittlungen nach 1990 in Frankreich gestaltet hätten, reagiert Genthial zuerst unsicher, dann unwissend.
Er spricht stattdessen viel von "Vermutungen" und "glaubwürdigen Hypothesen".
Kurz vor der Mittagspause kam dann die Verteidigung dazu, Fragen zu stellen. Ob er denn erklären könne, warum in verschiedenen französischen Polizeiberichten verschiedene Motornummern des Tatfahrzeuges mit verschiedenen Farbangaben vorkommen? Ob es einen Versuch gegeben habe, den ,Autobahnzeugen' Christa Fröhlich gegenüberzustellen?
Bei all diesen Fragen weicht Genthial meist aus, kann sich plötzlich nicht mehr "erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre."
Er könne über Details nicht berichten, sondern nur Allgemeines zum Besten geben. Schließlich sei er nur am Tattag direkt an den Ermittlungen beteiligt gewesen, danach habe er nur noch Berichte erhalten und diese mehr oder weniger zur Kenntnis genommen.
Nach der Mittagspause beschwert sich der Zeuge eingangs, was für Fragen ihm die Verteidigung stellen würde. Davon unberührt möchte diese wissen, welche Geheimdienste unmittelbar in die ersten Ermittlungen involviert waren. Zwei französische Inlands-Geheimdienste, "zu denen wir in solchen Fällen immer Kontakt aufnehmen", lautet die Antwort.
An dieser Stelle unterbrach der Vorsitzende die Vernehmung, fragte den Zeugen, ob er im November noch einmal zur Verfügung stehen würde, da nun ein beisitzender Richter an einer anderen Verhandlung teilnehmen müsse und die Sitzung deshalb für heute geschlossen würde. Genthials Antwort: "Nur wenn es unbedingt nötig ist. Solche Fragen der Verteidigung möchte ich mir nicht noch einmal anhören müssen".
Der Vorsitzende verkündete noch, daß für den kommenden Verhandlungstag ein französischer Zeuge geladen sei, man aber nicht wisse, ob der komme.
Sprachs und die Sitzung war beendet, ohne das die Verteidiger die Vernehmung beenden konnten, geschweige denn ihre Erklärungen zum Befangenheitsantrag abgeben konnten!
Nächster Termin: 29. 09., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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