Gipfelinfo: Genua
Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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Hier noch ein sehr ausführlicher Bericht zu den Verfahren gegen Angehörige der
italienischen Polizei wegen der Übergriffe in Genua 2001. Er ist verfasst von
Alessandro Mantovani, der darüber in der Zeitung �il manifesto� berichtete.
Der Bericht ist vor allem für Betroffene interessant. Viele werden als ZeugInnen
für die Prozesse geladen. Allein wegen des Verfahrens zu Bolzaneto wollen die
StaatsanwältInnen 200 ZeugInnen laden, darunter viele aus Deutschland. Wann die
Prozesse stattfinden ist noch nicht klar.
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Prozess gegen die Polizei in Genua
Es habe sich nicht um �korrupte Elemente� und um keine �einzelnen Missbräuche
gehandelt und deshalb, so ein Justizbeamter, �sollen es die Generäle sein, die
dafür bezahlen, und nicht die Soldaten�. Als letzte Akt bevor der Strafantrag
wegen der Gewalttaten in den Schulen Diaz bzw. Pascoli und im Bolzanetto
gestellt wird, wurden gestern von der Staatsanwaltschaft von Genua an 73
Polizeibeamte die Mitteilung über den Abschluss der Ermittlungen versandt.
Francesco Gratteri, der Gianni De Grennaro sehr nahe steht, wird sich wegen
Fälschung, schwerer Verleumdung und wegen Amtsmissbrauch verantworten müssen.
Die Folgen jener �Durchsuchung� in der Nacht des 21. Juli vor zwei Jahren, die
in einem Massaker endete waren 61 Verletzte, 93 willkürlich Verhaftete, zwei
untergeschobene Molotowcocktails, eine erfundene Messerstecherei und Protokolle,
die von �heftigem Widerstand� sprachen und von Zimmermannswerkzeugen, die als
�waffenähnliche Gegenstände� benutzt worden seien. Dieselben schwerwiegenden
Anklagen werden auch gegen Gianni Luperi und Lorenzo Murgolo erhoben. Sie werden
als jene bezeichnet, welche die Operation zusammen mit Gratteri und dem
verstorbenen Arnaldo Barbera, damals Leiter der Antiterroreinheiten, leiteten.
Für die Staatsanwaltschaft handelten sie �mit dem Ziel, ein Konstrukt von
Beweisen zu Lasten der Verhafteten zu erbauen und begingen in der Folge die
Verleumdungen und den Amtsmissbrauch, um damit die angewendete Gewalt zu
rechtfertigen.� �Sie spielten, aufgrund ihrer Stellung und wegen des
hierarchischen Bezugssystems, sowie den damit verbundenen Möglichkeiten, ihre
Macht aus, wohl wissend was in Wahrheit vorgefallen war. Sie bewirkten und
veranlassten Polizeiagenten sowie Beamte der Gerichtspolizei zu Falschaussagen:
-Widerstand angetroffen zu haben
-dass die im Institut aufgefunden Sachen (Vorschlaghammer, Stöcke, Spitzhacken,
Bretter, Stangen) als Waffen, auch um Widerstandshandlungen zu begehen, benutzt
worden seinen
-dass zwei entzündbare Flaschen gefunden wurden
-dass ein Angriff zu Schaden eines Polizisten, durch einen heftigen Messerstich
auf Höhe des Brustkorbes, ausgeübt wurde�.
Und weiter: �Jeder der vorher genannten Beamten beschuldigte wissentlich
Unschuldige. Wegen den ihnen zugeschrieben Delikte (kriminelle Vereinigung mit
dem Ziel der Zerstörung und Plünderung, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Besitz explosiver Materialien und waffenähnlicher Gegenstände) wurde gegen sie
ermittelt. Ermittelt wurde auch gegen Unbekannt, jedoch innerhalb von ihnen
ausmachbar, wegen versuchten Mordes �.
Gleich schwer wiegen auch die Taten der 10 Beamten des mittleren Kaders, dazu
noch Vizepolizeipräsidenten, welche die Protokolle schrieben oder
unterschrieben: Gilberto Caldarozzi (Vize von Gratteri), Spartaco Mortola
(ex-Chef der DIGOS von Genua), Nando Dominici (ex-Chef der Mobilen Einheit von
La Spezia), Massimiliano Di Bernardini (Chef der Einsatztruppe zur Bekämpfung
von Überfällen von Rom) Fabio Ciccimarra (mehrfach dekorierter des
Einsatzkommandos von Neapel), Carlo di Sarro (ex-DIGOS van Genua), Massimo
Mazzoni (Inspektor des Zentralen Operationsdienstes SCO), Davide De Novi e Renzo
Cerchi (vom Einsatzkommando La Spezia). Laut der Staatsanwälte schrieben
Ciccimarra, Ferri und Di Bernardini das Verhaftungsprotokoll. Die Durchsuchung
und die Beschlagnahmung wurde hingegen von Mazzoni protokolliert, der Gratteri
direkt unterstellt war.
Der Truppe wird kein Prozess gemacht werden. Das Massaker haben die Chefs der
Mobilen Einheit von Rom und der Siebten Einheit zur Eindämmung von
Massenaufständen, die extra für den G8 gebildet wurde, zu verantworten. Die
Straftat von Vincenzo Canterini ist �Beteiligung beim Zufügen schwerer
Verletzungen�. Er ist zudem ebenfalls der Fälschung und des Amtsmissbrauchs
angeklagt, wie auch sein Stellvertreter, Michelangelo Fournier und 8
Gruppenleiter (Fabrizio Basili, Ciro Tuco, Carlo Lucaroni, Emiliano Zaccaria,
Angelo Cenni, Fabrizio Ledoti, Pietro Stranieri und Vincenzo Compagnone). Die
Staatsanwälte schreiben, dass jene �zusammen mit anderen anwesenden Beamten und
Polizeiagenten, den Personen, sich im Gebäude aufhielten verschiedene, auch
schwere, Verletzungen mit dem Polizeiknüppel oder durch andere Gewalttaten
zufügten oder sie auf alle Fälle nicht verhinderten. Die Polizeiagenten und
Beamten überschritten bei weitem die Grenze des legitimen Gebrauchs von
körperlichem Zwang (�) , indem sie mit Gewalt auf die vorher genannten Personen,
alle in offenkundigem Verhalten des Nichtangriffes und der Kapitulation,
schlugen und in einigen Fällen grausam gegen solche, die schon am Boden lagen,
vorgingen�. Und es folgt eine Aufzählung von Verletzungen: Frakturen des
Schädels und der Arme, eine Milzruptur, ein gequetschter Hoden�. Es retteten
sich die 70 Polizisten der �Truppe�, die das Gesicht vermummt hatten. Es
schlugen auch noch viele andere zu, in Zivil, in Uniform. Sie wurden jedoch
nicht identifiziert. Laut der Staatsanwaltschaft nahmen über 200 einfache
Polizeibeamte der Staatspolizei teil. Eine so lange Liste erreichte den
Staatsanwalt jedoch nie. Es erschienen weder Pietro Troiani, der
Vizepolizeipräsident, der die Molotowcocktails in die Schule bringen liess, noch
sein Assistent Michele Burgio, der zugab, diese dorthin gebracht zu haben, um
danach angewidert aus der Polizei auszutreten: angeklagt sind auch diese beiden.
Für den angeblich mit dem Messer gestochenen Massimo Nucera und für den
Inspektor Maurizio Panzieri, der dessen Version bestätigte, lauten die Anklagen
auf Fälschung und danach Verleumdung und Amtsmissbrauch.
Die 3 Beamten, die die Durchsuchung auf das Institut Pascoli gegenüber der Diaz
ausweiteten, riskieren ebenfalls einen Prozess. Dies sind Salvatore Gava, Leiter
der Mobilen Einheit von Nuoro, Alfredo Fabbroncini von Neapel und Luigi Fazio,
der römischen Mobilen Einheit, der auch wegen Schlägen gegen einen jungen
Deutschen angeklagt ist. In die Pascoli seien sie �aus Versehen� hinein,
Gratteri übernahm die Verantwortung dafür, zerstörten die Computer des
Medien-Centers sowie jene der Anwälte: willkürliche Durchsuchung, Nötigung,
Zerstörung sowie Amtsveruntreuung, weil sie die Harddisk mitnahmen, wird ihnen
zur Last gelegt.
�Unmenschliches und erniedrigendes�
Bolzaneto. Es sind 30 für die Diaz und 43 von Bolzaneto angezeigt. Aber von
diesen sind nur fünf als Protagonisten spezifischer Gewalttaten, Drohungen und
Meineide wieder erkannt worden. Die anderen waren Verantwortliche der Kaserne,
welche in ein Polizeigefängnis umgewandelt worden war. Unter denen ist auch
Giacomo Toccafondi, der Gefängnisarzt im Tarnanzug: Amtsmissbrauch; Übertretung
einer ganzen Liste von Regeln des Gefängnisreglements; Machtmissbrauch gegenüber
den Verhafteten; Verletzung des von der Verfassung vorgesehenen Rechts auf
Gesundheit; unterlassene Hilfeleistung; Verletzung der fundamentalen
Menschenrechte. Die Anklage des Polizisten Massimo Luigi, der einem jungen Mann
die Hand brach, lautet gleich.
Alessandro Perugini, Nummer zwei der DIGOS von Genua, war der Chef der
Staatspolizei, jener der einem Jungen von Ostia einen Tritt ins Gesicht
versetzte. Er wird sich dafür verantworten müssen, dass er �toleriert oder
zumindest nicht eingegriffen habe, als die Personen gezwungen waren, sich einer
unmenschlichen Behandlung zu unterziehen, welche die Würde des Menschen nicht
respektierte und folglich demütigend, unmenschlich und erniedrigend war�. Denn
im Bolzanetto, so erinnern die Staatsanwälte, �waren die Personen in den Zellen
gezwungen, über lange Zeit demütigende Stellungen einzuhalten. Während sie von
einem Raum in den nächsten gebracht wurden, wurden sie im Gang vom Personal, das
sich spalierartig formiert hatte, geschlagen und bedroht�. Und weiter erhielten
sie �Beleidigungen und Anschuldigungen in Bezug auf ihre politische Meinung
(�kommunistische Zecken`, kommunistische Bastarde`, �rufe jetzt Bertinotti`,
�jetzt zeig ich dir mal Che Guevara e Manu Chao`, �Che Guevara, du Hurensohn`,
�Bombenleger`), ihre Persönlichkeitssphäre und sexuelle Freiheit
(�Scheißschwuchtel`), sowie ihre Glaubensausrichtung (�Scheißjuden`) wurden
verletzt �und sie waren gezwungen� sich faschistische Ausdrücke anzuhören (zum
Beispiel mussten sie sich den Klingelton des Mobiltelefons, das aus dem
faschistischen Lied �Faccetta nera bellla abessina� [schwarzes Gesichtchen,
schöne Abessinierin] bestand anhören und den Reim: �uno due tre, viva Pinochet,
quatro cinque, sei, morte agli ebrei� [eins, zwei drei, es lebe Pinochet, vier,
fünf, sechs, Tod den Juden]). Weiter gab es �Hiebe, Drohungen, Spucken,
Spottgelächter�.
Die Staatsanwaltschaft ist gespalten. Die Anklageschrift unterschrieben sechs
zweite Staatsanwälte: Francesco Cardona Albini, Vittorio Ranieri Miniati, Monica
Parentini, Patrizia Petruzziello, Francesco Pinto und Enrico Zucca. Es fehlen
die Chefs: der Chefstaatsanwalt Francesco Lalla und sein Assessor Giancarlo
Pellegrini haben sich vor allem für Anfragen über die Demonstranten
interessiert, sowie für die Verhaftungen und die Eröffnung der Verfahren gegen
die 26 Angeklagten wegen Zerstörung und Plünderung.
Pisanu stellt sich hinter die Polizei. Sofort kam der Kommentar des
Innenministers: �Es ist nur ein notwendiger Akt� sagte Beppe Pisanu, �die
italienische Polizei ist so gesund, dass sie ruhig jegliches Urteil entgegen
nehmen kann und, falls es nötig werden wird, ruhig die administrativen
Entscheide treffen wird, welche ein eventuelles Gerichtsurteil opportun werden
lassen�.
Alle angeklagten Polizisten des G8 wurden befördert.
In 2 Jahren wurde keiner bestraft - außer wenn jemand versuchte über die
Vorfälle zu ermitteln oder die Wahrheit sagen wollte.
Viele der Beamten, die wegen des G8 vor Gericht gehen werden müssen, sind
befördert worden oder für prestigeträchtige Aufgaben eingesetzt. Dies ist auch
bei Francesco Gratteri, dem Zögling von Gianni De Gennaro, der Fall. Gerade
wurde er an der Spitze der Antiterroreinheit (ex Ucigos) eingesetzt, nachdem er
die Zentrale Operative Einheit SCO der Kriminalpolizei geleitet hatte. Diese
Nominierung ist speziell, da Gratteri, Protagonist der Antimafiazeit in der
Mitte der 80er Jahre sich nie um die Politik, sondern nur um die Kriminalität im
grossen Ausmasss kümmerte. Tatsächlich hat er schon angekündigt, bei seinen
neuen �Klienten� die an der �Cosa Nostra� ausprobierten Methoden anzuwenden.
Eine Stufe unter ihm befindet sich sein Mitangeklagter Lorenzo Murgolo, bereits
die Nr.2 des Polizeipräsidiums von Bologna. Gianni Luperi, Direktor der Einheit
allgemeine Untersuchungen vervollständigt die politische Polizei von De Gennaro:
auch Luperi hat Ärger wegen der Diaz. Ein Film zeigt alle im Korridor der Schule
rund und einen Sack mit den untergeschobenen Molotowcocktails.
Die Vizepräsidenten und Chefkommissare der DIGOS und der mobilen Einheiten sind
an ihrer Stelle geblieben: so Filippo Ferri in La Spezia und in Nuoro Salvatore
Gava. Fabio Ciccimarra wurde hingegen in ein unwichtiges römisches Büro
versetzt, nachdem er die Fakten in der napoletanischen Kaserne Raniere angeklagt
hatte. Die Genuesen sind in Genua geblieben: der ex-Chef der DIGOS Spartaco
Mortola leitet heute die Polizei für Post und Telematik, sein ex- Vize
Allessandro Perugini ist heute Personalchef des Polizeipräsidiums, obwohl wenn
er wegen Bolzanetto und auch wegen eines kaltblütigen heftigen Trittes gegen
einen immobilisierten Minderjährigen beschuldigt wird. Unnötig Vincenzo
Catterini zu erwähnen, der auch von der Polizeigewerkschaft Consap geschützt
wird, welche ihn in ihr Sekretariat gewählt hat: Das Einsatzkommando der Polizei
ist immer noch sein Reich.
Sofort nach dem G8 sandte der Polizeichef drei weitere Beamte nach Genua um eine
eilige interne Untersuchung einzuleiten. Pippo Micalizio, betraut mit der
Affaire Diaz, machte sich nicht schlecht: obwohl er die gefälschten Molotows
ignorierte, schlug er acht Disziplinarverfahren bei gleich vielen Beamten vor,
unter ihnen der unberührbare Gratteri, und verlangte im Falle Canterini dessen
Ausschluss aus der Polizei. Der Einzige, der bis heute Konsequenzen spüren
musste, war gerade Micalizio. Er steht heute ohne jegliche Beförderung oder
interessante Aufgabe da. De Gennaro enthob hingegen ihrer Stellen den damaligen
Polizeipräsidenten von Genua, Francesco Colucci (Schuldig vieler Dinge, vor
allem aber, dass er die Verantwortung den Leitern, die von Rom kamen übergeben
hat), den damaligen Chef des Antiterrorismus, Arnaldo La Barbera und die
Vorgängige Nummer Zwei der Polizei, Ansoino Andreassi. Collucci wurde einige
Jahre ins Abseits gestellt und ist nun als Polizeichef von Trento aus der
Versenkung wieder aufgetaucht. La Barbera, der am G8 eine obskure Rolle
innehatte, zu welcher er jedoch keine Fragen mehr beantworten kann, da er 2002
verstarb, wurde zum Nachrichtendienst gesandt. Auch Andreassi endete dort.
Genauer gesagt beim zivilen Nachrichtendienst SISDE als Stellvertreter von Mario
Mori, der General der Carabinieri, der den zivilen Geheimdienst leitet. Für
Andreassi ist dies wirklich eine Strafe. Und das war nur logisch: am G8 richtete
Andreassi in der Tat weniger Schaden als andere an. Nach der Ankunft von La
Barbera (am Nachmittag vom Samstag, 21.) zog er sich zurück und nahm weder an
den Vorbereitungen zur Durchsuchung der Diaz teil, noch zeigte er sich an Ort.
Im Rahmen der Ermittlungen war er zusammen mit Micalizio der einzige, der nicht
einen total schlechten Eindruck hinterliess. Beide wurden sie als Zeugen
angehört, beide bemühten sich, nicht zu den Denunzianten zu gehören, den
�Schuften�, wie sonst im Zusammenhang mit Straftaten. Aber Micalizio bestätigte,
dass Beamte in die Geschehnisse jener Tage vom August 2001 involviert waren und
Andreassi half den Justizbeamten den Nachmittag zu rekonstruieren, wo die Jagd
gegen die GlobalisierungsgegnerInnen in der Diaz endete.
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