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Berlin: Weinrich-Prozess: 36. Verhandlungstag

Der 36. Prozeßtag im Weinrich-Prozeß

Der für den heutigen Verhandlungstag geladene Zeuge Jean-Francois Riou, der eine Schlüsselrolle in bezug auf den zweiten Kronzeugen Al Issawi spielt, war nicht erschienen und wurde für einen späteren Termin avisiert.

Dadurch erhielt die Verteidigung Gelegenheit, zu den richtungsweisenden Beschlüssen der Kammer vom 34. Verhandlungstag Stellung (im Juristendeutsch "Gegenvorstellung" genannt) zu nehmen und Anträge zu stellen.

Den Anfang machte Verteidiger Häusler, der in seiner Gegenvorstellung zur Verlesung der Protokolle der ehemaligen ungarischen Geheimdienstmitarbeiter monierte, daß "nicht alle Mittel ausgeschöpft worden seien", um die Zeugen direkt zu vernehmen. Die sachnäheste Beweismöglichkeit (hier die direkte Vernehmung der Zeugen) habe Vorrang vor der Verlesung von Vernehmungsprotokollen. Die ungarischen Zeugen hatten es abgelehnt, vor dem hiesigen Gericht zu erscheinen, waren jedoch mit einer Vernehmung in Budapest einverstanden. Häusler warf der Kammer vor, nicht in Betracht gezogen zu haben, die Zeugen durch einen ungarischen Rechtsanwalt befragen zu lassen (deutschen Anwälten ist es nach ungarischem Recht nicht gestattet, bei einer Vernehmung Fragen zu stellen).

Der Verteidiger beantragte weiterhin, der Verteidigung wegen des Umfanges der Akten ein eigenes Aktenzimmer zur Verfügung zu stellen und argumentierte, daß es unmöglich sei, an jedem Verhandlungstag die erforderliche Menge an Unterlagen zu transportieren. Deshalb sei es oft unmöglich, geladenen Zeugen entsprechende Vorhalte zu machen oder deren Aussagen in den Akten auf Widersprüche zu überprüfen. Als Referenz nannte er andere Verfahren im gleichen Haus, bei denen solche Aktenzimmer für die Verteidigung eingerichtet wurden.

Mit einem zweiten Antrag wollte Häusler erreichen, daß Vertreter der Nebenklage nicht mehr unmittelbar vor den Verteidigern sitzen und so sowohl die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und den Verteidigern, als auch der Verteidiger untereinander mithören könnten, Es gebe im Gerichtssaal ausreichend Platz für die Nebenklagevertreter an anderer Stelle.

Verteidiger Elfferding ging in seiner Gegenvorstellung schwerpunktmäßig auf die Zulassung der "Aussage" Al Issawis durch den Kammerbeschluß vom 34. Verhandlungstag ein.

Eingangs wies er der Kammer zwei Fehler in ihrem Beschluß nach. So werde in jenem Beschluß fälschlicherweise behauptet, die Verteidigung hätte ihren ursprünglichen Antrag auf Nichtzulassung der Aussage "im wesentlichen" damit begründet, daß es "sicher sei", daß der Phantomzeuge Issawi durch den jordanischen GID gefoltert worden ist. Dies ist jedoch in keinem Schriftstück der Verteidigung zu finden. Vielmehr werde dort erklärt, daß der GID nach Berichten von Amnestie international bevorzugt foltere, wenn es um Fälle mit terroristischem Bezug ginge. Indem die Kammer es abgelehnt habe, diese Berichte zur Kenntnis zu nehmen, habe sie es sich erleichtert, das Naheliegende als "fernliegend" zu bezeichnen und den Antrag der Verteidigung abzulehnen.

Weiterhin wies Elfferding nach, daß die Behauptung im Beschluß der Kammer, der DST-Mann Riou habe die "Durchführung der Vernehmung" des angeblichen Zeugen Issawi geschildert, falsch sei, da Riou bekanntlich bei dieser Vernehmung gar nicht anwesend sein durfte und deshalb deren Durchführung auch nicht schildern konnte.

Die seinerzeitige Begründung des GID dafür, daß die französischen Beamten Issawi weder sehen noch sprechen durften, nämlich "die geopolitischen Umstände und die zweite Intifada" sei von der Kammer nie auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft worden. Elfferding belegte in Ausführungen über die politische Lage in Jordanien, daß dies keine schlüssigen Gründe seien und eine solche Begründung den Verdacht der Folter wahrscheinlicher machen. Es sei durch Medienberichte zunehmend bekannt, daß Staaten, in denen Folter nicht erlaubt sei, ihre Gefangenen in Staaten "vernehmen" lassen, in denen solche "speziellen Vernehmungsmethoden" zum Alltag gehören.

Zusätzlich fühle sich die Verteidigung von diesem Beschluß getäuscht, da der Vorsitzende ursprünglich zugesagt hatte, in dieser Angelegenheit nichts zu beschließen, bevor das Rechtshilfeersuchen an Jordanien nicht abgeschlossen sei. Da immer noch unklar sei, ob Issawi noch lebe und eventuell erreichbar sei und das Rechtshilfeersuchen in dieser Angelegenheit noch laufe, habe der Versuch, Issawi zu laden Vorrang vor "Zeugen vom Hörensagen, die wiederum von Zeugen vom Hörensagen über einen unbekannten Zeugen berichten". Gleichzeitig sei erst einmal aufzuklären, ob bei dem angeblichen Zeugen Issawi illegale Vernehmungsmethoden angewandt wurden und ob er über ein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt wurde. Ansonsten würde jene Aussage einem Beweisverbot unterliegen.

Die Aufklärungspflicht des Gerichts gebiete, diese Fragen vor einer Zulassung der Aussage zu klären. Dies sei jedoch bis dato nicht geschehen.

Das "Inkaufnehmen der Möglichkeit, daß Folter im Spiel war" nannte Elfferding eine "neue Qualität" und kündigte an, daß er sich im Falle das dieser Beschluß Bestand habe, darum bemühen werde, zukünftig einen Vertreter von amnesty international als Beobachter bei diesem Prozeß zu haben. Er hoffe, daß sich die Kammer der Tragweite ihres Beschlusses nicht wirklich bewußt war und diesen zurücknehme.

Elfferding beantragte, den Beschluß aufzuheben und einer erneuten Prüfung aller Umstände zu unterziehen.

Sodann beantragte Elfferding die Ladung französischer Kriminalbeamter und Wachmänner, die bezeugen können, daß Magdalena Kopp und Bruno Breguet bei ihrer Festnahme 1982 ein Fahrzeug mit falschem Kennzeichen verwendeten und nicht auf Polizisten geschossen haben. Hintergrund ist die Behauptung des Zeugen Genthial am vergangenen Verhandlungstag, Kopp und Breguet hätten echte Kennzeichen verwendet und bei ihrer Festnahme auf Beamte geschossen. Nach Aktenlage war dies eine Falschaussage.

Weiterhin beantragte der Anwalt, den Hausmeister der Rue Marbeuf Nr. 33 zu laden, der nach Aktenlage gesehen hat, daß das Tatfahrzeug beim Bombenanschlag 1982 ein Pariser Kennzeichen hatte. Alle französischen Ermittler haben bisher bekundet, daß es sich bei dem Kennzeichen des Tatfahrzeuges um ein Wiener Nummernschild gehandelt habe, dessen Spur zu einer Autovermietung nach Jugoslawien geführt habe.

Zusätzlich würde er gerne einmal die polizeiliche Vernehmung dieses Zeugen lesen. In den Akten stehe, daß eine solche Vernehmung stattgefunden habe, allerdings fehle diese bei den hiesigen Akten.

Nächster Termin: 01. 10., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

29.09.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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