Berlin: Weinrich-Prozess: 37. Verhandlungstag
Widersprüche in "Verlockungen" und "Überzeugungen"
37. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Mit einer Ergänzung der Verteidigeranträge vom letzten Verhandlungstag begann der heutige.
RA Elfferding verlangt darin die Verlesung diverser Schriftstücke der Kammer, die belegen, daß Richter Ehestädt ursprünglich keinen Beschluß in Sachen Issawi-Aussage verkünden wollte, solange das Rechtshilfeersuchen an Jordanien nicht abgeschlossen ist. Nebenbei wies der Verteidiger nach, daß Ehestädt mit dem Beschluß vom 34. Verhandlungstag Inhalten seines eigenen Rechtshilfeersuchens vom März 2003 widersprach, denn dort hieß es: "Diese Vorgehensweise wird erforderlich, da nach den maßgeblichen Vorschriften der deutschen Strafprozeßordnung eine Verlesung des dortigen Berichtes über die Vernehmung des Herrn Al-Issawi nicht zulässig ist." Im Weiteren schrieb Ehestädt seinerzeit selbst vom "angeblichen Zeugen Al-Issawi".
Der Zusatz wurde zu Protokoll genommen.
In Fortsetzung seiner Vernehmung vom 32. Verhandlungstag war sodann Michel Desessard als Zeuge erschienen. Desessard war von 1982 bis zu seiner Pensionierung 1990 einer der Hauptermittlungsbeamten in der Angelegenheit Rue Marbeuf.
Der Vorsitzende ging in seiner Befragung auf Widersprüche in den französischen Akten ein, die die Verteidigung herausgearbeitet und in den letzten Tagen in den Prozeß eingeführt hatte. Der Kammer selbst waren diese Widersprüche offensichtlich nicht aufgefallen, sie glänzte bis dato aber auch nicht unbedingt durch Aktenkenntnis.
Richter Ehestädt wollte zuerst jedoch Näheres über das berufliche Verhältnis von Desessard zu Kriminaldirektor Genthial (seihe hierzu 35. Verhandlungstag "Ein überzeugter Polizeichef") erfahren. Desessard referierte, daß er Leiter der "Division anti-terroriste" der Pariser Kriminalpolizei war. Genthial sei als Kripo-Chef von Paris sein Vorgesetzter gewesen, der die diversen ermittelnden Polizeigruppen koordinierte. Dabei hätten die verschiedenen Gruppenleiter "autonom aber nicht unabhängig" ermittelt und dann jeweils Bericht erstattet und die weitere Vorgehensweise mit Genthial besprochen.
Dann ging der Vorsitzende auf die erwähnten Widersprüche ein. Ob denn das Tatfahrzeug nun orange oder rotorange gewesen sei. "Über Farben kann man streiten, da hat jeder andere Ansichten" war die ausweichende Antwort. Und wie das Auto eigentlich als Tatfahrzeug identifiziert worden sei. Über technische Details wisse er nichts, das hätte alles das technische Labor erledigt, man solle in den Akten nachschlagen. Er erinnere sich nur, daß an einer umherliegenden Stoßstange Reste eines Wiener Kennzeichens gefunden wurden, welches die Ermittler zur Autovermietung Hertz in Lubljana/Jugoslawien geführt hätte.
Und wie es denn zu unterschiedlichen Motor- und Fahrgestellnummern in seinem Bericht gegenüber dem Bericht des vor Ort ermittelnden Beamten gekommen sei, wollte Ehestädt wissen. Auch daran konnte sich der Kripo-Mann nicht mehr erinnern, mutmaßte, daß es sich hier möglicherweise um "einen Fehler oder eine Verwechslung" gehandelt habe. Und ob er sich an einen Hausmeister in der Rue Marbeuf erinnern könne, der seinerzeit eben jenes Tatfahrzeug bemerkt hatte, dieses allerdings mit einem Pariser statt mit einem Wiener Kennzeichen beschrieb. Dies sei "ein Aspekt", den er "vergessen habe". "Wahrscheinlich hat das zu keinem Ergebnis geführt".
Die Verteidigung hakte genauer nach und offenbarte neue Widersprüche der bisherigen offiziellen Version der französischen Kripo.
Zuerst ging Verteidiger Elfferding noch einmal auf die unterschiedliche Darstellung der Farbe des Autos ein und wollte wissen, ob Desessard eigentlich zwischen "rot", "orange" und "rotorange" unterscheide. "Ich habe das Gefühl beim Augenarzt zu sein" war die schnippische Antwort. Trotzdem legte er sich auf Nachfrage auf ein "dunkles orange" fest.
An dieser Stelle intervenierte der Vorsitzende und wollte wissen, ob der Zeuge denn je Reste des Fahrzeuges mit Farbspuren gesehen habe. "Möglicherweise" kam prompt zurück.
Elfferding arbeitete in seiner weiteren Befragung heraus, daß in ersten Berichten von "orange" als Farbe des Tatfahrzeuges die Rede war. In einem Fax von Interpol/Wien, welches auf dem Fahrzeugschein basiere, sei dagegen die Farbe "rot" genannt. Erst Desessard habe dann im weiteren Verlauf ein "rotorange" daraus gemacht. So wird verständlich, warum der Zeuge jedesmal unwirsch reagiert, wenn die Farbe des Tatfahrzeuges zur Sprache kommt.
Ob es eine Kopie des Fahrzeugscheines gebe, will Elfferding weiter wissen. "Nein, wir haben nur die Angaben von Interpol/Wien". Ob es eine Kopie des Mietvertrages gebe. "Ja, die ist bei den Akten". Der Verteidiger stellt daraufhin fest, daß sich diese Kopie nicht bei den hiesigen Akten finden lasse. Daran, ob Mitarbeiter der Autovermietung in Lubljana Angaben über Farben genannt haben, kann sich der Zeuge nicht erinnern.
Auch hier stellt Elfferding fest, daß die Protokolle jener Vernehmungen in den Akten fehlen. Und da der Vorsitzende Bitten der Verteidigung um Beiziehung fehlender Aktenteile bereits einmal "lediglich als Anregung verstanden" hatte (und nichts tat), kündigt die Verteidigung umfangreiche Anträge in dieser Richtung an.
Anschließend legt die Verteidigung richtig los: Ob es zwei Nummernschilder des Tatfahrzeuges gegeben habe und wo das zweite denn abgeblieben sei, will sie wissen. Dazu fällt Desessard ein, daß er "nur globale Vorstellungen und Erinnerungen" habe und über Details nichts sagen könne. Man solle da besser den Herrn Genthial fragen (Anm.: Dasselbe hatte Genthial hier über Desessard gesagt).
Und ob der Zeuge wisse, daß direkt vor der Hausnummer Rue Marbeuf 33 ein Renault mit doppelten, übereinander angebrachten Kennzeichen gestanden habe und ob dies nicht sein Interesse geweckt habe "Ich erinnere mich nicht mehr an solche Details" nehmen die Erinnerungslücken des Zeugen erkennbar zu.
Nach einer kurzen Unterbrechung geht die Verteidigung dann detailliert auf die "Spur Christa Fröhlich" ein (siehe hierzu 32. Verhandlungstag "Die Metamorphose einer Autofahrerin").
Im Bericht Desessards ist nachzulesen, daß die Tatsache, daß Fröhlich am 10. April 1982 in Belgrad einen Fiat 128 gemietet und diesen am 13. April in Rom zurückgegeben habe, ein wesentliches Indiz für ihre Täterschaft am 22. April sei. Denn ursprünglich habe der Prozeß gegen Kopp und Breguet (Mitglieder der Carlos-Gruppe) bereits am 15. April beginnen sollen, wurde dann jedoch wegen eines Streiks von Justizangestellten auf den 22. April, dem Tag des Anschlages in der Rue Marbeuf, verschoben. Die französischen Ermittler behaupten bis dato, Frau Fröhlich habe am 12. oder 13. April die Verschiebung des Prozeßbeginns mitbekommen und deshalb den Fiat zurückgegeben. Am 19. April habe sie dann mit einem falschen Paß auf den Namen Stadelmann in Lubljana eben jenes angebliche Tatfahrzeug angemietet und nach Paris gefahren, daß am 22. April in der Rue Marbeuf explodierte. Soweit die "Hypothese".
Elfferding kreist Desessard langsam mit Fragen über Routen und Zeiten ein, um ihn dann zu fragen, ob er denn wisse, wann die Verschiebung des Prozesses in Paris bekannt geworden sei. Wie erwartet, weiß der Zeuge darüber nichts, also klärt die Verteidigung ihn dahingehend auf, daß die Verschiebung erst am 15. April morgens im Gerichtssaal bekannt wurde und somit Frau Fröhlich den Fiat nicht aus besagtem Grund am 13. April abgegeben haben könne, zumal Rom Hunderte von Kilometern südlich einer Route Belgrad-Paris liege.
Desessard sieht sein "Hypothesen"-Gebäude wohl bröckeln, meint, daß man da "spekulieren könne". Er erzählt zum wiederholten male vom Drohschreiben Carlos' an den französischen Innenminister, in dem Carlos Konsequenzen angedroht hatte, falls Kopp und Breguet nicht freigelassen würden. Auch die Zeitgleichheit der Explosion mit dem Prozeßbeginn gegen Kopp und Breguet habe zu seinen "Überzeugungen" beigetragen. Ganz offensichtlich haben sich Desessard und Genthial bereits am ersten Tag der Ermittlungen auf die Carlos-Gruppe festgelegt, da es "so verlockend gewesen sei" (Desessard) und man in der Folge davon "überzeugt" gewesen sei, ohne dies allerdings beweisen zu können.
Die Verteidigung geht weiter auf ihrem Weg und will wissen, ob dem ,Autobahnzeuge', der Frau Fröhlich am 20. April auf einer Autobahn in Südfrankreich im Auto gesehen haben will, jemals Metallreste mit Farbspuren des Tatfahrzeuges vorgelegt wurden. Daran kann sich der Kriminale nicht erinnern. Eine Gegenüberstellung mit jenem Zeugen habe es nach der Festnahme von Fröhlich im Juni 1982 in Italien nicht gegeben.
Nach der Mittagspause will Elfferding dann wissen, ob die im Bericht Desessards behauptete Anwesenheit von Frau Fröhlich im ,Hotel Intercontinental' in Zagreb überprüft worden sei. "Ja, selbstverständlich", so der Zeuge. Daraufhin konfrontiert der Verteidiger den Zeugen mit einer Interpol-Auskunft, die besagt, daß keine Frau Fröhlich (auch nicht unter ihren Aliasnamen Odendahl und Zimmermann) zwischen dem 1. und dem 10. April im Hotel Intercontinental in Zagreb gewohnt habe. Stattdessen sei eine Frau Stadelmann am 18. April im Interconti/Zagreb abgestiegen und dies sei in den französischen Ermittlungsakten vermengt. Das Tatfahrzeug soll dann am 19. April von eben jener Stadelmann in Lubljana angemietet worden sein. "Das weiß ich nicht mehr" gibt Desessard zu erkennen und das Frau Fröhlich jene Frau Stadelmann gewesen sei, habe ja auch nie bewiesen werden können, das stehe auch in seinem letzten Bericht von 1990.
Das genügt der Verteidigung noch nicht, deshalb geht sie auf einen Aspekt jenes Berichtes näher ein. Dort heißt es nämlich, daß es eine "verblüffende Übereinstimmung" zwischen den Reisebewegungen von Frau Fröhlich alias Beatrice Odendahl am 10.-13. April und jener Frau Stadelmann am 18./19. April gegeben habe.
Dem stimmt der Zeuge zu. Nun weist ihm Verteidiger Elfferding anhand französischer Ermittlungsakten (!) nach, daß Fröhlich/Odendahl und Stadelmann nie in den gleichen Städten, geschweige denn Hotels waren. Er meine das nur "allgemein", merkt Desessard kelinlaut an, !sie haben sich eben beide auf dem Balkan aufgehalten". Elfferding kann sich ein spöttisches "Warum nehmen sie nicht gleich ganz Mitteleuropa um ,Übereinstimmungen' festzulegen" nicht verkneifen.
Desessard spricht wieder von seiner "Überzeugung", wobei er zunehmend den Eindruck macht, daß er um jeden Preis überzeugt sein möchte, unabhängig von Spuren, die in andere Richtungen weisen oder deutlichen Widersprüchen in den eigenen Ermittlungen. So wird wiederum verständlich, warum einer der Hauptermittler andere Spuren in diesem Fall "sehr schnell" als "Phantasie" abgetan hat.
Und so wird dann auch verständlich, warum er der ausführlichen Zeugenbeschreibung der Frau Stadelmann durch Angestellte des Hotel Interconti in Zagreb keine große Bedeutung beimaß, als er Christa Fröhlich Ende 1982 in einem italienischen Gefängnis gegenüberstand.
Die Frage danach, ob er sich in letzter Zeit mit Genthial unterhalten habe, bejahte der Zeuge, weigerte sich jedoch, Auskunft über Inhalte dieser Gespräche zu geben, da sie "rein privater Natur waren".
Zum Abschluß der heutigen Vernehmung widersprach die Verteidigung der endgültigen Entlassung des Zeugen aus dem Verfahren, denn es könnten sich aus den noch beizubringenden Aktenteilen weitere Fragen ergeben. Die Verteidigung bat ausdrücklich darum, dies ins Protokoll aufzunehmen und nicht "nur als Anregung" zu verstehen.
Der Vorsitzende verkündete noch zwei Beschlüsse, in denen ein Aktenzimmer für die Verteidigung und die Veränderung der Sitzordnung im Saal abgelehnt wurden.
Nächster Termin: 27. 10., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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