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Berlin: Weinrich-Prozess: 38. Verhandlungstag

BKA vorerst nach Hause geschickt

38. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Nach fast vierwöchiger Unterbrechung stand für den heutigen Tag eigentlich die weitere Vernehmung von BKA-Schriftsachverständigen (siehe hierzu 30. Verhandlungstag: "Graphologische und philatelistische Wahrscheinlichkeiten...") auf dem Programm.

Diesmal sollte Frau Wagner vom BKA Auskunft über ihre Erkenntnisse aus dem Vergleich von Schriftproben Weinrichs mit Materialien aus MfS-Akten, bzw. 1995 bei seiner Festnahme beschlagnahmtem Material zum Besten geben.

Über eine kurze Aufzählung der Vergleichsmaterialien, der Beschreibung des teils schlechten Zustandes der Kopien und einer Kurzbewertung, die besagte, daß es sich "mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit" um die gleiche Handschrift handelt, kam sie jedoch erst einmal nicht hinaus. Verteidiger Elfferding widersprach der weiteren Vernehmung der Sachverständigen, da a) nicht klar sei, woher genau das Stasi-Vergleichsmaterial stamme, b) erwähnte "vergleichende Leseabschriften" in den Akten fehlten und c) die Merkmalsprotokolle der Frau Wagner in den Unterlagen ebenfalls nicht zu finden seien. Die Verteidigung könne nicht vernünftig arbeiten, wenn (wieder einmal) Aktenteile nicht zur Verfügung stünden.

Nach halbstündiger Beratung wurde das Anliegen der Verteidigung mit der Begründung zurückgewiesen, der Ex-MfS-Oberst Voigt habe hier bereits erklärt, daß die kopierten Handschriftenproben vom ehemaligen ungarischen Staatssicherheitsdienst stammen und die Leseabschriften am Richtertisch in Augenschein genommen werden könnten.

Dies veranlaßte Elfferding zu der sarkastischen Bemerkung, daß "Akteneinsicht für die Verteidigung scheinbar überflüssig" sei, da sie die Materialien "ja in der Hauptverhandlung einsehen" könne.

Bei einer anschließenden Inaugenscheinnahme am Richtertisch scharten sich gut ein Dutzend Anwälte plus einem Angeklagten um "schlecht lesbare Kopien", die wiederum mit Kopien verglichen wurden. Verteidiger Häusler charakterisierte dies als "Schein-Genauigkeit", die lediglich den Eindruck kritischer Prüfung vorgaukeln solle.

Als Frau Wagner dann anfing, aus Dokumenten mit Zeilenangaben zu zitieren, die niemand außer sie selbst kannte, protestierten sogar Nebenklagevertreter und forderten einen Projektor. Die nächste Pause war fällig.

Überraschend entließ Richter Ehestädt nach der Pause die BKA-Sachverständigen "mit bestem Dank". Entgegen Teilen seines eigenen Beschlusses eine halbe Stunde zuvor verkündete der Vorsitzende nun, daß "Alles", also sämtliche Unterlagen, die zur Erstellung des Gutachtens verwand wurden, beizubringen sind. Zusätzlich solle bei einer erneuten Vernehmung ein Projektor installiert werden.

Sodann hatte Ehestädt noch einige Erklärungen abzugeben und Beschlüsse zu verkünden.

In der Angelegenheit Al Issawi betreffend (siehe hierzu 14. Verhandlungstag: "Geheimdienst-Possen im Weinrich-Prozeß") ließ der Vorsitzende wissen, daß französisches Aktenmaterial über die DNA-Probe Issawis, die seinerzeit dem DST-Mann Riou in Amman übergeben wurde, eingetroffen ist. Das weder in Deutschland noch in Frankreich Vergleichsmaterial zur Verifizierung vorhanden ist, räumte Staatsanwalt Mehlis auf Nachfrage ein.

Verteidiger Elfferding fragte daraufhin den Vorsitzenden, ob "ich das richtig verstehe, daß es immer noch keinen sachlichen Beweis für die Identität der in Amman angeblich vernommenen Person gibt" und bekam von Ehestädt die Antwort: "Das verstehen sie richtig". Im Klartext: Es gibt bis heute keinen Beweis, daß Issawi in Amman vernommen wurde. Gesehen oder gesprochen haben diesen "Zeugen" weder deutsche noch französische Ermittlungsbeamte.

Mehlis' Rettungsversuch, daß die Jordanier ja nicht wußten, das die Franzosen kein Vergleichsmaterial haben und deshalb korrektes Material übergeben haben, ergo die vernommene Person tatsächlich Al Issawi war, sorgte für Kopfschütteln und Gelächter.

In einer Reihe von Beschlüssen wurden die Gegenvorstellungen der Verteidigung vom 36. Verhandlungstag (siehe hierzu 34. und 36. Verhandlungstag) mit Begründungen wie "Vermutungen sind als Antrag unzulässig" zurückgewiesen. In einer der Gegenvorstellungen hatte die Verteidigung Bezug auf ein mündliches Versprechen des Vorsitzenden genommen, keine Entscheidung über die "Aussage" Issawis zu treffen, bis das Rechtshilfeersuchen an Jordanien erledigt sei. Dies bezeichnetet Ehestädt heute als "Wunschdenken", bei dem "die Verteidigung wohl etwas gehört hat, was sie gerne hören wollte".

Speziell diese Äußerung nannte Elfferding "wahrheitswidrig" und eine "bodenlose Unverschämtheit". Jeder hier im Saal habe die besagte Äußerung des Vorsitzenden seinerzeit hören können.

Nächster Termin: 3. 11., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

01.11.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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