Frankreich: Erster Erfolg für Kulturstreik
Frankreich:
Vorläufiger Erfolg der streikenden Kulturschaffenden
Auf unspektakuläre Weise stellte sich vergangene Woche einer der größten Erfolge ein, den die sozialen Bewegungen in Frankreich in diesem Jahr zu verzeichnen hatten. Durch ein Schreiben an seine "Sozialpartner" lud der Arbeitgeberverband MEDEF zur Neuaufnahme von Verhandlungen über die soziale Absicherung von Kulturschaffenden ein. Die neue Verhandlungsrunde soll am Donnerstag, 13. November beginnen. Für diesen Tagen haben die prekären Kulturschaffenden (intermittents) nunmehr bereits auf breiter Front zu einem Generalstreik im Kulturbetrieb aufgerufen.
Das am 26. Juni dieses Jahres geschlossene Abkommen zwischen dem MEDEF und drei rechten Minderheitsgewerkschaften, das eine strikte Sparpolitik bei den Sozialkassen erlauben sollte, war vor allem in den Sommermonaten Gegenstand zahlreicher Mobilisierungen gewesen. Denn die prekär beschäftigten Kulturschaffenden - intermittents du spectacle - hatten Grund zu der Befürchtung, dass die darin enthaltene Neuregelung mindestens einem Drittel von ihnen die ökonomische Existenzgrundlage wegnehmen werde.
Die intermittents hatten seit Juni einen sozialen Protestzyklus eröffnet, der sich auch in die letzten Wochen noch fortsetzte. Dabei kombinierten sie Demonstrationen und spektakuläre Aktionen mit einem zähen Rechtsstreit, da das Abkommen einige illegale Punkte zu enthalten schien. Beispielsweise, weil technisch fehlerhafte Passagen offenkundig nachträglich ausgetauscht wurden, ohne sie den Verhandlungspartnern nochmals vorzulegen - der Grund war die hohe Eile, die unter sozialem Druck stehenden Verhandlungen möglichst rasch zum Ende zu bringen und nur bloß keine erneute Diskussion um die Sache mehr zuzulassen. Das Bemühen der Protestierenden war von Erfolg gekrönt: In der Erwartung, dass die Justiz das Abkommen vom 26. Juni alsbald annulliere, ließ der MEDEF es am Ende fallen, um einem Urteil (das unvorteilhaft für ihn ausfiele) zuvorzukommen. Nunmehr werden die Neuverhandlungen unter hohem Rechtfertigungsdruck beginnen. Der Erfolg des Kultur-Generalstreiks am 13. November wird darüber mit entscheiden.
In den Wochen, bevor diese wichtige Neuigkeit eintraf, war - wie wohl kaum zu vermeiden war - freilich ein gewisses Abbröckeln der Beteiligung an den Straßendemonstrationen und Vollversammlungen zu verzeichnen. Eine Mobilisierung auf konstant hohem Niveau lässt sich kaum über 5 Monate hinweg durchhalten, da die Beteiligten ökonomischen Überlebenszwängen ausgesetzt sind - gerade wenn ihre ökonomische Existenz durch die "Reform" auf dem Spiel stand. In Frankreich bestehen in der Regel keine Streikkassen, aus denen die Ausständischen alimentiert würden. Die Vollversammlungen der Koordinationen wurden daher allmählich lichter, und wenn im Hochsommer in Paris gewöhnlich rund 400 Menschen an den Vollversammlungen der Cip (Coordination des intermittents et des précaires) teilnahmen, so bestand sie im Oktober noch aus ein paar Dutzend Aktiven.
Dennoch hatte bereits vor der kleinen "Bombe", die Mitte voriger Woche einschlug, eine Remobilisierung der intermittents-Bewegung stattgefunden. Im Rahmen einer Aktionswoche vom 13. bis zum 18. Oktober demonstrierten immerhin noch 3.OOO Kulturschaffende an einem Donnerstagabend durch Paris. Und am übernächsten Tag (am Samstag, 18. Oktober) gelang es als Höhepunkt der Aktionswoche, eine samstaabendliche Fernsehsendung - Star academie (das französische Pendant zu "Deutschland sucht den Superstar) - glatte zwei Stunden hindurch zu stören. Kurz nach 21 Uhr gelang es einer größeren Zahl von Aktivisten, in das Fernsehstudio einzudringen und den Zuschauern ihr Transparent "Schaltet die Fernseher aus (und fangt an zu denken)" zu zeigen, bevor vom Studio auf einen Spielfilm aus der Dose umgeschaltet wurde. Dabei kam es zu mehreren ernsthaft Verletzten durch den Wachdienst, und mindestens drei Festnahmen. In der Folge mobilisierte der Protest gegen die Repression und ihre gewalttätigen Formen erneut mehrere hundert Menschen spontan in Paris, etwa vor der Fernsehanstalt von TFI am Montag, 20. Oktober.
Nunmehr hat die radikal veränderte Situation in den letzten Tagen zu einer Welle neuer Vollversammlungen der intermittents-Bewegung in zahlreichen französischen Städten und für neuen Elan gesorgt. In Paris finden seit dem Sonntag (09. November) täglich neue, mehr oder minder spektakuläre Aktionen statt. Auf den Fortgang darf man gespannt sein.
Bernard Schmid (Paris)
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