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Berlin: 153. Prozesstag | Ermüdende Macht-Spielchen des Senats

Da will jemand zum Ende kommen – koste es was es wolle. Der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin unter Vorsitz der ehrwürdigen Richterin Gisela Hennig machte heute erneut kurzen Prozess mit den Beweisanträgen der Verteidigung. Aber Vorsicht, wer jetzt meint, es habe mal wieder nur einen kurzen Prozesstag gegeben, der/die liegt total daneben.

Bevor der Senat zur Tat schritt, kam wie gewohnt die Bundesanwaltschaft (BAW) mit sachdienlichen Hinweisen zum Zuge. Der Antrag der Verteidigung von Harald G. vom letzten Verhandlungstag auf Ladung von BKA-Beamten, die bestätigen würden, dass die BAW zeitnah über die Ermittlungsergebnissen zu der angeblichen konspirativen Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße unterrichtet worden sei, sei zurück zuweisen. (vgl. 144.Prozesstag) Bei dem Antrag handele es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Nachzugehen die Aufklärungspflicht nicht gebiete. Neben dieser Standardformulierung beschied die BAW dem Antrag zudem, er sei aus der Luft gegriffen, bloße Mutmaßung und ohne tatsächlichen Anhaltspunkt. Kein Wunder: Waren den übrigen Prozessbeteiligten doch diese Ermittlungen erst im März 2003 bekannt gemacht worden. An einem erneuter Nachweis der massiven Aktenmanipulation kann der BAW wahrlich nicht gelegen sein, also galt das Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.

Auch die Gegendarstellung zu einem Gerichtsbeschluss vom 4. September und dem damit verbundenen Antrag der Anwältinnen von Harald G. auf Ladung der Verfassungsschützer, die zwischen April und September 2000 Gespräche mit Tarek Mousli geführt haben, fand keine Gnade in den Augen der Bundesanwälte Bruns und Wallenta. Die Verteidigung hatte erneut das Gericht aufgefordert, nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlins (vgl. Extra-Meldung vom 18.8.2003) die Protokolle dieser Gespräche anzufordern. Zusammen mit den zu ladenden VS-Zeugen sollte damit nachgewiesen werden, wie der Kronzeuge mit Informationen gefüttert wurde, die er dann bei Vernehmungen durch das BKA bereitwillig wiederkäute. Das Urteil der BAW: "Die unter Beweis gestellten Tatsachen sind für die Schuld- und Straffrage ohne Bedeutung." Ob Mousli "Erinnerungshilfen" erhalten habe, sei "für dieses Verfahren" nicht von Belang.

So kundig gemacht, schritt der Senat zur Verkündigung seiner Beschlüsse. Anlass, seinen Beschluss vom 4. September zu korrigieren, sah das Gericht nicht, da das VG-Urteil nicht rechtskräftig sei. Das Verwaltungsgericht hatte im August die so genannte Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums (BMI) für rechtswidrig erklärt, durch die weite Teile der Gesprächsprotokolle lediglich geschwärzt herausgegeben worden waren. Das BMI hat bislang keine Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt, was zwar nicht so recht zur Begründung des Senats passt, aber ihn nicht weiter stört. Die VS-Männer erklärte das Gericht kurzer Hand zu unerreichbaren Zeugen; dass deren Namen genannte werden würde, sei nicht zu erwarten. Außerdem sei die Aufklärung der Frage, ob der Kronzeuge präpariert worden sei, "aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung", denn - so die Mannen um Frau Hennig – entspricht es der allgemeinen Erfahrung, dass Erinnerungen wiederkehren.

Dass Mousli sich in seinem Prozess im Dezember 2001 darauf festgelegt habe, dass eine konspirative Wohnung der RZ von Wolfgang B. in der Oranienstraße 7 oder 9 zur Verfügung gestellt worden sei, so der Senat, sei "eine aufs gerade wohl ins Blaue gestellte Behauptung" , deshalb: Antrag abgelehnt. Und von Aktenmanipulation bzw. -zurückhaltung könne keine Rede sein, denn "maßgeblich ist allein, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse dem Gericht vorgelegt hat". Was macht da schon eine "Verzögerung" von zwei Jahren.

Doch die Verteidigung lässt sich nicht entmutigen. Die Anwältinnen von Harald G. legten gleich mit zwei weiteren Beweisanträgen nach. In dem einen wurde beantragt, die Ermittlungsakten zum so genannten Koordinierungsausschuss bei zuziehen. Laut Mousli soll dieser Ausschuss seinen Sitz im Mehringhof gehabt haben und sei zuständig gewesen für die Verteilung von Geldern an aktive und untergetauchte Mitglieder der Revolutionären Zellen. Diese Aussage fand Eingang in den Haftbefehl für Axel H. und in den Beschluss zur Durchsuchung des Mehringhof im Dezember 1999. Später wurde Mousli vom VS der Tipp gegeben, sich vielleicht nicht so sehr auf das Alternativzentrum in Kreuzberg, sondern besser auf eine WG in der Skalitzer Straße im selben Bezirk zu kaprizieren. Eingang in das Verfahren hat dieser Umstand bislang nicht gefunden; da die Ermittlungen andauerten, wurden entsprechende Akten nicht überreicht. In den Augen der Verteidigung ein weiterer Beweis, dass "mit Kalkül die Angeklagten entlastende Ermittlungen in Strukturakten abgelehnt" wurden.

Der zweite Antrag handelte mal wieder von dem Sprengstoff, der in Mouslis Keller eine Woche gelagert gewesen sein soll, bevor er von zwei Kleinkriminellen 1995 geklaut wurde. (vgl. 59. Prozesstag) 1998 wurden durch entsprechende Wischproben aus dem Keller Rückstände von gewerblichen Sprengstoff nachgewiesen. Ob hier alles mit rechten Dingen zu ging, will die Verteidigung in Erfahrung bringen, zumal es in den Jahren 1995 und 1996 zu Überschwemmungen durch Rohrbruch in den Keller gekommen ist. Nach der Überschwemmung des Kellers dürften, so die Verteidigung, allerdings schwerlich im Jahr 1998 aus einer einwöchigen Lagerung im Jahr 1995 Rückstände nachweisbar gewesen sein.

An dieser Stelle wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Ein Blick auf Uhr verriet, es war 10.29 Uhr. Weiter gehen sollte es um 15 Uhr. Der Senat hoffte, dass die BAW dann ihre Stellungnahmen zu den beiden Anträgen abgegeben könnte. Diese hatte aber schon mal vorsorglich angedeutet, bei ihr könne es länger dauern, werde ihr doch zum wiederholten Male doppelte und dreifache Aktenführung vorgeworfen und deshalb müsse man erst mal in die Akten schauen. Aber das Gericht wollte nicht hören, sondern sich die Freude machen, die Angeklagten ein bisschen zu schikanieren. Also ging es um 15 Uhr weiter. Der Senat erklärte sich flugs für sachkundig genug, um die Frage beurteilen zu können, ob nach drei Jahren, zwei Überschwemmung und bei einwöchiger Lagerung von Sprengstoff in einer Tasche, die auf Kisten abgelegt war, Bestandteile von gewerblichem Sprengstoff auf dem Kellerboden nachgewiesen werden kann. Bei dem zweiten Antrag wurde des Senat von der BAW allerdings im Stich gelassen. Sie hatte die entsprechende Fundstelle in den Akten auch nicht herausbekommen. Also erfolgte um 15.14 Uhr eine erneute Unterbrechung der Hauptverhandlung. Erst gegen 16.30 Uhr sah sich der Senat gemüßigt, der Sache ein Ende zu setzen. Nachdem die BAW zugesichert hatte, sie könne die Akten bis morgen um 11 Uhr beschaffen, vertagte sich das Gericht. Es war 16.32 Uhr. Verhandlungsdauer brutto: sieben Stunden, netto: 56 Minuten. Und da sage noch einer, dieses Gericht lege sich nicht ins Zeug.

Der Prozess wird morgen, Freitag, 21. November, um 11 Uhr fortgesetzt.


 

20.11.2003
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