Halle: 7. und 8. Prozessbericht vom 129a Verfahren gegen drei Magdeburger
129a-Verfahren gegen die 3 Magdeburger Linken Marco, Daniel und Carsten
7. Prozesstag
ein Zeuge erhielt vorerst 1 Woche Beugehaft wegen Aussageverweigerung
Der 7. Prozesstag war ein sehr langer und schwieriger Tag, der allen
ZeugInnen, BesucherInnen und auch den drei Gefangenen ziemlich ´an die
Nieren ging`.
Diesmal waren viele ZeugInnen aus der Szene und Bekannte von Daniel,
Marco oder Carsten vorgeladen, die sich nicht auf Paragraphen beziehen
konnten, um die Aussage zu verweigern.
Die ZeugInnenvernehmungen füllten im Prinzip den ganzen Verhandlungstag.
Hauptsächlich stellte der Richter Hennig jeder/jedem ungefähr 7
Grundfragen, die relativ harmlos schienen:
in welcher Form von Bekanntschaft die ZeugInnen zu den Angeklagten
stehen (vom sehen, oder freundschaftlich ...)
- ob sie etwas über die Brandanschläge gehört hätten und wenn ja, woher
(die meisten antworteten darauf: aus der Presse)
- ob sie die ´Täter` der Brandanschläge kennen würden (aber niemand
kannte die Täter)
- ob sie die BekennerInnenschreiben kannten und wenn ja, woher sie sie
kannten (die meisten kannten diese jedoch nicht und hatten nur entfernt
etwas davon gehört)
- ob sie etwas zur Einstellung der Angeklagten zu Militanz sagen könnten
(aber dazu wußte niemand etwas)
- ob sie schon einmal mit den Angeklagten über Militanz geredet,
diskutiert hatten (die meisten konnten sich nicht erinnern solche
Gespräche geführt zu haben)
- ob ihnen AZ etwas sagt, und wenn ja, was sie dazu sagen könnten (einige
kannten den AZ und wußten, dass es eine linke Gruppe in Magdeburg ist,
die öfter Kundgebungen oder Voküs u.ä. veranstaltet)
Zu den Grundfragen kamen vereinzelt bei der einen oder dem anderen noch
spezifische Fragen zu abgehörten Telefonaten hinzu. Oft fiel der Satz
„das wolle man jetzt nicht am Telefon bereden“, wozu der Richter dann
noch fragte, worum es da ging (aber die Befragten konnten sich daran
nicht erinnern).
Sehr mysteriös war, dass der Staatsanwalt wiederum sehr zurückhaltend
blieb und insgesamt nur 2 oder 3 Nachfragen hatte.
Alle ZeugInnen wurden unvereidigt entlassen.
Einer der Zeugen gab lediglich seine persönlichen Daten zu Protokoll und
verweigerte anschließend die Aussage. Richter Hennig sprach ihm ins
Gewissen, dass er damit nur seinen Freunden (den Angeklagten) schaden
und den ganzen Prozess aufschieben würde und klärte ihn über die
Möglichkeit von Zwangsmitteln auf.
Er solle sich dies noch mal gründlich mit seinem
Zeugenbeistand/Rechtsanwalt überlegen und schickte ihn vor die Tür.
Kurze Zeit später kam er wieder mit seinem Anwalt rein und blieb
konsequent bei seiner Aussageverweigerung. Daraufhin verkündete Richter
Hennig, dass er auch ´gerne` 1 Woche Beugehaft verhängen könnte, was er
dann auch tat. Der Zeuge wurde in Handschellen abgeführt, wobei die
Hälfte des Saals, ihn unterstützend, klatschte.
Nun platzte Richter Hennig wieder der Kragen, er wollte den ganzen Saal
räumen lassen, worauf heftige Proteste von den BesucherInnen kamen,
schließlich hätten auch gar nicht alle geklatscht. Außerdem kündigte der
Richter an, dass diejenigen welche zum zweiten Mal rausgeschmissen
wurden, ein gesamtes Verfahrensverbot bekommen würden. Es gab eine
längere Unterbrechung. Viele BesucherInnen fertigten eine
eidesstattliche Erklärung an, dass sie nicht geklatscht haben und kamen
später wieder in den Gerichtssaal.
Es wurde eine weitere Zeugin vernommen und danach war eine längere
Mittagspause angesetzt, in der schließlich für die Gefangenen Pizzen
geholt wurden.
Beim Warten auf den weiteren Verhandlungsverlauf lagen die Nerven aller
BesucherInnen und noch anstehenden ZeugInnen blank.
Leute, die zuvor draußen gewartet hatten, weil sie nicht mehr in den
Saal gepasst hatten, kamen nach der Pause 14 Uhr noch zu den
ZuschauerInnenbänken und diese waren dann zu dreivierteln wieder besetzt.
Gleich wurde wieder die nächste Zeugin aufgerufen. Sie gab lediglich
ihre persönlichen Daten zu Protokoll und wollte sich im weiteren zu
keinen Fragen äußern und bezog sich dabei auf den §55 (wonach ZeugInnen
die Aussage verweigern können, wenn sie sich dabei selbst belasten
würden). Ihr Zeugenbeistand/ Rechtsanwalt erläuterte, dass dies
schließlich ein §129a-Verfahren sei und es um Organisationszusammenhänge
gehe. Seine Mandantin war selbst von einer Hausdurchsuchung betroffen
gewesen (ihr Mitbewohner ist einer der weiteren Beschuldigten) und es
seien auch Sachen von ihr beschlagnahmt worden.
Richter Hennig sah mehr oder weniger den §55 an, drängte jedoch darauf,
dass sie ihm wenigstens die Frage beantworte, ob sie von den
Brandanschlägen gelesen hätte.
Da die Zeugin sich auch weigerte diese Frage zu beantworten, verhängte
er ein Ordnungsgeld von 50 Euro.
Nach ihr wurde der Nächste in den ZeugInnenstand berufen. Auch er bezog
sich auf den §55 bei seiner Aussageverweigerung – er war Mitbewohner von
Carsten und auch von den Hausdurchsuchungen betroffen gewesen. Der
Richter erkannte dies nun ohne Umschweife an und entließ ihn aus dem
ZeugInnenstand.
Unter den folgenden ZeugInnen war auch eine dabei, die aussagte, dass
sie Daniel bis spät in die Nacht vom 17. März 2001 zum 18. März gesehen
hätte (was einen entlastenden Tatbestand darstellte, da ihm ja
insbesondere die direkte Beteiligung an dem Brandanschlag in der selben
Nacht auf einen BGS-Transporter in Magdeburg vorgeworfen wurde).
Daniel hätte von seiner Mutter aus angerufen und gemeint, dass er
unbedingt von der dortigen Familienfeier weg müsse, er hielte es dort
nicht mehr aus. Da sie auch in Quedlinburg wohnte, kam er bei ihr
spätabends vorbei und trank mit ihr und einem weiteren Kumpel ein paar
Bier. Sie blieb bis ca. 2 oder 2.30 Uhr auf und ging dann ins Bett, da
sie am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Die anderen 2 blieben noch
in der Küche, Daniel sei auch ziemlich angetrunken gewesen. Sie wisse
nicht mehr, wann er dann gegangen sei, jedenfalls war er dann am
nächsten Morgen nicht mehr da. Auf die Frage wie er denn zu ihr gekommen
sei, meinte sie, dass sie es nicht genau wüßte, aber sie denkt er war
entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Ihr sei nicht bekannt, dass er ein
Auto besaß.
Auch hier zeigte Bundesstaatsanwalt Dr. Hornick keinerlei Ambitionen und
hatte keine Fragen an die Zeugin. Nachfragen gab es ebenso von Richter
Hennig nicht und er entließ die Zeugin unvereidigt.
Gegen 15.30 Uhr waren dann schließlich noch 2 Beamtinnen des BKA aus
Meckenheim und ein Beamter des LKA-Magdeburg vorgeladen, die zu den
Hausdurchsuchungen befragt wurden. Dies war der Part der Anwälte, die
die BKA-Beamtinnen ausgiebig (jede ungefähr 45 Minuten) zu ihrem Einsatz
verhörten. Besonders interessiert waren sie daran, wann genau denn die
Beamtinnen den Einsatzbefehl erhalten haben, durch wen und wo sie
eingewiesen wurden usw. Schließlich suchten sie nach Anhaltspunkten, die
belegen würden, dass keine Gefahr im Verzuge bei den Verhaftungen und
Durchsuchungen damals bestand. Aber die beiden jungen Frauen konnten
sich nicht erinnern, wann sie in Magdeburg angekommen sind und wann sie
in den Fall eingewiesen wurden. Eine der Beiden war für die Anwälte
außerdem interessant, weil sie das Personalblatt bei dem Verhör des
weiteren Beschuldigten B. ausgefüllt hat, auf dem auch eine schriftlich
Belehrung steht. Sie wollte dazu zunächst nichts sagen und musste extra
telefonisch eine Vollmacht von ihrer Dienststelle einholen. Später sagte
sie aus, dass sie nur das Blatt mit den persönlichen Daten ausgefüllt
hatte und das erst nach dem das Verhör schon eine ganze Weile lief.
8. Prozeßtag 19.11.02
Ordnungsgemäße Lesezeichen, die nicht machen können was sie wollen
Abschließende Beweisführung und immer noch Haft für Nichts
!Beugehäftling abends wieder entlassen!
Richter Hennig begann nicht mit Verwarnungen, Bestrafungen weil wieder
irgendwer ungebührlich war. Nein, ZeugInnen wurden vernommen und den
Auftakt machten die Mitbewohner von Daniel die die Fragen des
Fragenkataloges vom Vortag beantworten sollten und taten; Brandanschläge
nur aus der Presse bekannt, Bekennerschreiben kennen sie nicht, nicht
mal aus der Presse, über Militanz haben sie sich nie unterhalten und das
AZ (Autonomer Zusammenschlusz) ist eine linke Gruppierung in Magdeburg.
Das wußten wir jaauch alles schon.
Der dritte Zeuge berief sich auf §55 StPO (bei möglicher Selbstbelastung
darf geschwiegen werden), was das Gericht umstandslos akzeptierte.
Ein weiterer Bekannter Daniels konnte auch nur wie die anderen auf die
Standardfragen antworten.
Frau Moll vom BKA bekam einen zweiten Versuch, diesmal mit Genehmigung
der entsprechenden Dienststelle. Sie hatte die Hausdurchsuchung bei
Carsten am 01.04.03 geleitet und war auf "versteckte" handgeschriebene
Zettel in Carstens Bücher gestoßen. Als Lesezeichen benutzt, hätten die
Zettel "ordnungsgemäß aus den Büchern herausragen" müssen!
Sie ließ einen ganzen Beutel voll mit Zetteln und die schon mal erwähnte
Funkliste zum eventuellen Einsatz des Abhörens ihrer Kollegen in den
Streifenwagen beschlagnahmen und asservieren Was bewies...?
Der Polizist Damm vom BKA der ebenfalls an der Hausdurchsuchung bei
Carsten beteiligt war und schon vorher an der am 27.11.02 in
Quedlinburg, wo Daniel nach wie vor ein Zimmer in der Wohnung seiner
Mutter hat, teilnahm, brachte uns auch nicht weiter in der Beweislage
für eine terroristische Vereinigung und die vorgeworfenen Anschläge.
Vom LKA Magdeburg kam zum zweiten mal Herr Schulze, der sich freiwillig
noch mal zu Wort melden wollte, da er bei der ersten Aussage etwas
verwirrt war, bezüglich der Autokennzeichen eines Wagens der am Tag nach
dem Brandanschlag auf das LKA vorfuhr und aus dem eine Person ausstieg
die den Tatort fotografierte. Er hatte die Nichtweiterverfolgung dieser
Spur bei der ersten Zeugenvernehmung damit begründet, daß dieses
Fahrzeug bereits bei Demos aufgefallen war. Zwar korrigierte er diesmal
das Kennzeichen, doch der Fakt, daß diese Spur nicht weiter verfolgt
wurde, blieb derselbe. Auf die Frage nach dem "Warum" sagte Herr
Schulze, daß der Leiter der Abteilung, Herr Hörnlein, das nicht
veranlaßt hatte und bei ihnen in der Dienststelle "kann
ja nicht jeder machen, was er will".
Hätte das BKA, an die der Fall übergeben wurden an dieser Stelle
weiterermittelt, hätte er als Ansprechpartner für Herrn Brockmüller
(BKA)davon Kenntnis erhalten.
Mit Herrn Schulze wurde dann die (erdrückende) Beweisaufnahme geschlossen.
Der Richter fragte Staatsanwaltschaft und Verteidigung ob Herr H. noch
als Zeuge gebraucht werden würde. Es wurde verneint, wobei die
Verteidigung darauf hinwies, daß sie ohnehin den Herrn H. nicht
gebraucht hätten. Richter Hennig hob damit die Beugehaft auf und
verordnete 3 Tage Ordnungshaft. Somit ist die Aussageverweigerung von H.
als „ungebührliches Verhalten“ zu werten. Inzwischen ist H. tatsächlich
wieder auf freiem Fuß. Er wurde noch am Abend des 19.11. aus der
Beugehaft entlassen.
Ob er dennoch die 3 Tage Ordnungshaft später noch absitzen muss, bleibt
abzuwarten.
Der Staatsanwalt Dr. Hornick kündigte an, keine Beweisanträge stellen zu
wollen, überlegte es sich dann aber anders, was er etwa eineinhalb
Stunden später bekannt gab. Und zwar wollte er nun doch das
beschlagnahmte Gedächtnisprotokoll des Beschuldigten B. zu seinem Verhör
mit in das Verfahren einbringen – wobei der Richter zuvor noch verkündet
hatte, es nicht mehr verlesen zu lassen.
Vorher verlas der Richter die Eintragungen im Zentralregister von
Daniel, Carsten und Marco. Bei Daniel und Carsten war nichts zu finden,
ein wenig anders bei Marco, allerdings jeweils eingestellte Verfahren
gegen geringfügige Arbeitsstunden.
Da das Gericht nach wie vor keine Entscheidung zu dem Antrag von
Carstens Verteidigung , den Haftbefehl gegen Carsten außer Kraft zu
setzen, gefunden hatte, stellte die Verteidigung aller drei Angeklagten
Beweisanträge, u.a.:
-Anhören der Protokolle der Telefonüberwachung, die Gespräche zwischen
Marco und Carsten, sowie zwischen Daniel und Carsten beinhalten.
- Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Sachsen Anhalt
sowie Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) über
Observierung Carstens, Vernehmung der entsprechenden Präsidenten zur
Observierung
Womit bewiesen werden soll, daß ein so intensiver Kontakt zwischen
Carsten und Daniel und Marco, wie die Bundesanwaltschaft (BAW) es
darstellt nicht existiert hat.
Desweiteren sollen alle Observationsprotokolle des LKA in die
Beweisaufnahme und die Beamten die observierten in den Zeugenstand, um
eine Anwesenheit der Angeklagten an den jeweiligen Tatorten auszuschließen.
Die Präsidenten des LfV´s Sachsen-Anhalt und des BfV´s sowie die
dazugehörigen Leiter der Abteilung "Linksextremismus" sollen vernommen
werden, da laut ihrer Erkenntnis der Analyse der Bekennerschreiben nicht
davon auszugehen sei, daß es sich bei den verschiedenen Anschlägen um
denselben Täterkreis handelt.
Der Staatsanwalt lehnte die Anträge ab. Das Gericht wird darüber erst
noch entscheiden.
Nach den Beweisanträgen bekam die Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe,
die rausfinden sollte, ob Daniel noch nach Jugendstrafrecht zu behandeln
sei das Wort.
Sie beschrieb eine enge Beziehung zwischen Daniel und seiner Mutter,
einen normalen Werdegang von Daniel und erkannte gar "einen gewissen
Grad an Intelligenz". Nach ihrer Einschätzung ist Daniel noch nicht so
reif, wie es vielleicht den Anschein hat und würde für ihn das
Jugendstrafrecht empfehlen. Die Sozialprognose, sagte sie, wäre positiv.
Dann ging es in die Mittagspause für eine Stunde.
Die Verteidigung von Carsten hatte erwartet, daß sich der Senat während
der Pause zu einer Entscheidung zu Carstens Haft durchringen konnte,
aber dem war nicht so und erbat deshalb eine weitere Unterbrechung um
endlich einen Beschluß dazu zu hören. Die Unterbrechung gab es für ca.
45 Minuten, nur den Beschluß gab es nicht. Da die Verteidigung kein
Verständnis aufbringen konnte, meinte Richter Hennig er lasse sich nicht
unter Druck setzen. (Der Druck von 15 Tagen seit Antragstellung!!!). Bis
spätestens nächsten Dienstag (26.11.03) würden sie es schaffen.
Da die Beweisaufnahme seitens des Gerichts abgeschlossen war und sie
schlicht nichts gebracht hatte gegen die Angeklagten, stellte auch die
Verteidigung von Marco und Daniel den Antrag auf Aufhebung der
Haftbefehle gegen ihre Mandanten und "äußerst Hilfsweise" wenigstens
Haftverschonung bis zum Ende des Verfahrens. Was der Staatsanwalt
ablehnte, denn er sieht die Beweislage "dezidiert" anders. (Wir warten
auf die Joker die er aus dem Ärmel zaubert.)
Auch darüber soll am 26.11.03 dem nächsten Verhandlungstag entschieden
werden.
die Prozessgruppe
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