Artikel: Der Feind an seinem Tisch - Juristische Probleme im Fall der Auflösung einer "terroristischen Vereinigung" im Paragrafen 129a
Die angebliche Enttarnung von Mitgliedern der »Militanten Gruppe« war ein reines Medienspektakel. Weil die Staatsgegner abhanden gekommen sind, müssen neue gesucht werden.
Du sitzt am Frühstückstisch, knabberst an deinem Marmeladenbrötchen und liest die Zeitung. »Fahnder enttarnen vier Terroristen«, steht da. »Mitglieder der ›militanten gruppe‹ (mg) aber noch nicht festgenommen.« Dazu vier Namen, die Vornamen ausgeschrieben, die Nachnamen abgekürzt, und eine ausführliche Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten der Personen. Ein Vorname, der Anfangsbuchstabe des Nachnamens, Ort und Beruf treffen auf dich zu. »Kann das ein Zufall sein? Oder meinen die etwa mich?« Erschrocken springst du auf. Steht die Polizei schon vor der Tür?
Am Samstag vor zehn Tagen gab der Focus eine seiner berüchtigten Vorabmeldungen heraus. In der Geschichte, um die es geht, schreibt der Autor Josef Hufelschulte, das Bundeskriminalamt (BKA) habe vier Mitglieder der Berliner MG enttarnt, und fragt empört, warum sie immer noch nicht festgenommen seien. Die Meldung verbreitet sich in der ganzen Republik. In den Nachrichten des Info-Radios, in der lokalen Fernsehsendung »Abendschau« und im Tagesspiegel wird die Neuigkeit ungeprüft als Tatsache wiedergegeben.
Besonders tut sich der Berliner Kurier hervor. Die Boulevardzeitung stürzt sich auf die Anekdote, einer der Betroffenen habe vor einem Jahr gemeinsam mit seiner Frau, seinem Kind und seinem Schwiegervater in einem edlen italienischen Restaurant am Nachbartisch von Gerhard und Doris Schröder gesessen. »Unser Kanzler« also gleich neben »einem Terroristen«.
Im zwei Tage später erscheinenden gedruckten Artikel schränkt der Focus ein, »ein Kenner des Falls« habe gesagt: »Uns fehlen noch ein paar hieb- und stichfeste Beweise.« Das heißt auf Deutsch: Es gibt keine Beweise. Auch eine Woche nach der Focus-Meldung fand bei den vier Betroffenen weder eine Hausdurchsuchung statt, noch wurde ein Haftbefehl ausgestellt.
»Das ist alles hochgradig nebulös«, sagt der Anwalt Sven Lindemann, der einen der vier Betroffenen vertritt. »Uns ist kein anderes Beispiel bekannt, bei dem Namen mit solchen Vorwürfen in der Presse genannt werden und nichts passiert.« Dass es »Ermittlungen des BKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft (BAW) wegen der Mitgliedschaft in der MG gegen mehrere Personen gibt«, bestätigt Martina Link, die Pressesprecherin der Fahndungsbehörde, der Jungle World. Doch gegen wen und wie viele Personen sie sich richten, lässt auch sie im Unklaren. Gegenüber der Berliner Zeitung sprach sie davon, dass »noch die entscheidenden Beweise fehlen«.
Auch dass es inzwischen im BKA ein internes Ermittlungsverfahren wegen »Verrats von Dienstgeheimnissen« gibt, will Link nicht bestätigen. Die vier Betroffenen schalteten inzwischen den in Presserechtsfragen versierten Anwalt Johannes Eisenberg ein, um gerichtlich gegen den Focus und den Berliner Kurier vorzugehen. Der Kurier bot sofort einen Vergleich an.
In der Berliner Szene spekuliert man nun über den Hintergrund der Pressemeldung. Konnte ein Fahnder des BKA abends in der Kneipe seinen Mund nicht halten, bekam der Focus-Reporter dies zufällig mit, und sorgte der Konkurrenzdruck zwischen den Medien für den weiteren Ablauf? Wollte das BKA einfach mal schauen, wer auf eine solche Meldung reagiert? Rächen sich frustrierte BKA-Fahnder nach jahrelangen erfolglosen Ermittlungen? Zumindest einem der Betroffenen ist seit über einem Jahr bekannt, dass sein Handy abgehört wird, weil seine Telefongesellschaft ihm fälschlicherweise die Kosten für die Überwachung auf die Rechnung setzte.
Seit Jahren fahndet der Staatsschutz vergeblich nach der MG, die sich für rund 20 Anschläge auf Finanzämter, Justizgebäude und Autohäuser in Berlin und Umgebung verantwortlich erklärte. Bekannt wurde die Gruppe, als sie im Juni 2001 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern Otto Graf Lambsdorff und zwei weiteren herausragenden Vertretern der deutschen Industrie jeweils »persönlich eine scharfe Patronenkugel« zuschickte. »Die Täter von gestern und heute zur Rechenschaft ziehen«, lautete die Parole im mitgeschickten Schreiben.
In der autonomen Szene stieß das Kokettieren mit »dem Einsatz weiter gehender Mittel« als Sachbeschädigung größtenteils auf Ablehnung. Dafür war der Fahndungsapparat alarmiert, dem in den letzten Jahren der Gegner abhanden gekommen war. Den Sicherheitsbehörden macht der von der MG in der Szenezeitschrift Interim betriebene Versuch Sorgen, eine »militante Plattform« aufzubauen. Nach Angaben des Spiegel erwägen sie deshalb, eine Sondersitzung der »Koordinierungsgruppe Terrorismus« einzuberufen, in der unter anderem Polizei, Verfassungsschutz und die BAW vertreten sind.
Überhaupt brauchen diese Behörden neue Betätigungsfelder. Denn die BAW ist im Augenblick mit einem juristischen Problem konfrontiert, das einige ihrer Mitarbeiter arbeitslos machen könnte. 20 Jahre lang haben viele hoch bezahlte Staatsanwälte einen entscheidenden Satz im Paragrafen 129a überlesen. Darin heißt es mit Verweis auf den Paragrafen 129, Absatz 6: »Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern (…) Erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.« Gilt das, sobald die Auflösungserklärung einer Gruppe vorliegt?
Zum ersten Mal spielte die Formulierung im Verfahren gegen drei Männer aus Magdeburg vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg eine Rolle (Jungle World, 43/03). Die drei sollen diverse Brandanschläge verübt und einer terroristischen Vereinigung angehört haben, die jedoch, davon geht die Bundesanwaltschaft schon in ihrer Anklageschrift aus, inzwischen aufgelöst sei. Deshalb stellte das OLG bei einer Haftprüfung die eigene Zuständigkeit in Frage und legte den Fall dem Bundesgerichtshof (BGH) vor. Dieser übergab das Problem zwar wieder dem OLG und beauftragte es festzustellen, ob die Vereinigung wirklich aufgelöst sei. Zwischen den Zeilen gab der BGH aber zu, dass an der Argumentation etwas dran sei.
Sollte sich die Interpretation durchsetzen, dass man wegen der Mitgliedschaft in einer inzwischen aufgelösten terroristischen Vereinigung nicht bestraft werden kann, hätte das weit reichende Folgen. Der Anwalt Sven Lindemann erklärt, dann würde beispielsweise im Prozess gegen die Magdeburger »der Paragraf 129a als Anklagepunkt komplett wegfallen, weshalb dann die BAW nicht mehr zuständig wäre, sondern eine normale Staatsanwaltschaft und ein normales Landgericht«. Die Beschuldigten könnten nur noch wegen konkreter Straftaten angeklagt werden.
Große Bedeutung hätte das auch für die heute noch als Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) Gesuchten. Schließlich liegt seit April 1998 eine »amtliche« Auflösungserklärung der RAF vor.
Im Berliner Verfahren gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) versuchen seit Wochen einige Anwälte, ihre Interpretation diverser Texte der RZ zwischen 1988 und Anfang der neunziger Jahre als faktische Auflösungserklärungen durchzusetzen. Sollten sie erfolgreich sein, müsste das Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129a gegen mehrere Personen, die seit 1988 unter anderem wegen angeblicher Mitgliedschaft in den RZ gesucht werden, ganz eingestellt werden. Übrig blieben Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz. Doch nur damit konfrontiert, könnten sie schon etwas ruhiger das Frühstück genießen.
von christoph villinger
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