Graz: Mobilität fördern, Migration ermöglichen | Bericht von der 1. internationalen Schleusertagung in Graz/Austria
Mobilität fördern, Migration ermöglichen
Bericht von der 1. internationalen Schleusertagung in Graz/Austria
Das Gewerbe des undokumentierten Reiseverkehrs prosperiert. Ein Wachstumsmarkt der Zukunft, in dem neue
Arbeitsplätze entstehen. Soviel steht fest, aber das ist nur eines der Ergebnisse der 1. internationalen
Schleusertagung, die vom 21.-23. November 2003 in Graz stattgefunden hat. Die TeilnehmerInnen aus
unterschiedlichen europäischen Ländern konnten sich mit Filmen , Vorträgen, Ausstellungen und Lesungen über
die verschiedenen Facetten undokumentierter Migration informieren und Interventionsmöglichkeiten zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Mobilität diskutieren.
Bei dem Vortrag von Andreas Beisbart, Aktivist der Büren-Gruppe Paderborn ( http://www.aha-bueren.de) ging es um die
Situation von Papierlosen in Deutschland und die verschiedenen (über-)Lebensstrategien von prekären MigrantInn en. Dargestellt wurden auch die umfangreichen Mechanismen der Migrationskontrolle und des Migrationsmanagements. Die
Bestrebungen der Europäischen Union zur Eindämmung von (irregulärer) Migration und zur Bekämpfung des
sogenannten "Menschenhandels" führten in der Praxis zu immer höheren Preisen und Risiken bei der Einreise.
Zugleich solle an die Stelle des kriminellen Menschenhandels eine legale, staatlich geförderte Form des Menschenhandels treten: potentielle ArbeiterInnen sollen gesichtet, selektiert und je nach Bedarf verschoben werden, als Manövriermasse des Kapitals. Wie dem zu begegnen ist, konnte nicht abschließend beantwortet werden. Wichtig sei jedenfalls, die Kontrolle von Wanderungsbewegungen und die weltweiten Angriffe auf die unteren Schichten im Zusammenhang zu betrachten, als Antwort auf die globalen Krisenerscheinungen des Kapitalismus.
Rosina Henning von Dona Carmen aus Frankfurt/M. ( http://www.donacarmen.de) nahm insbesondere die Migration in Prostitution unter die Lupe und stellte den Zusammenhang von Prostitution und Frauenhandel in Frage. Der Kampf gegen Frauenhandel diene in erster Linie staatlichen Interessen, die damit Abschottung, Razzien und Abschiebungen rechtfertigen könnten. Demgegenüber stellt sie ihre eigenen empirischen Untersuchungen und ihre langjährige Erfahrung in der Beratung von Prostituierten. Demnach sind die allermeisten Frauen freiwillig migriert und haben
sich bewusst für die Arbeit im Sexgewerbe entschieden. Gewalt gegen und Ausbeutung von Frauen komme zwar vor, aber nicht häufiger als an anderen Arbeitsplätzen auch. Sie kritisierte zudem die Zusammenarbeit anderer
Beratungsstellen mit der Polizei. Diese Zusammenarbeit sei von den betroffenen Frauen nicht gewünscht und
ignoriere deren Interessen.
Verschieden KünstlerInnen hatten am Sonntag Gelegenheit, ihre Arbeiten im /mit dem Grenzraum vorzustellen. Die dreiköpfige Gruppe schleuser.net ( http://www.schleuser.net ), eine Lobbyorganisation für Unternehmen des undokumentierten Reiseverkehrs und Ausrichter der Tagung, berichtete über verschiedene Ausstellungen und Projekte. Die Aufgabe des Verbandes besteht einerseits darin, die Interessen seiner Mitglieder zu bündeln und gegenüber Institutionen und Medien zu vertreten, andererseits die Richtigstellung der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit voranzutreiben. schleuser.net entstand 1998 aus dem Bedürfnis heraus, systematisch Entwicklungen globalisierter Mobilität zu diskutieren; als performativer Ort, über Migration nach zudenken und grundlegende wie aktuelle Entwicklungen auf ihren symbolischen Gehalt zu überprüfen, um daraus eine Praxis des Handelns zu entwickeln, die
in dieses Zeichensystem eingreift.
Der Tatbestand der "Schlepperei" wurde in dem Projekt Dienstleistung Fluchthilfe von Martin Krenn
( http://www.martinkrenn.net ) und Oliver Ressler - im Gegensatz zu weitverbreiteten Darstellungsmustern - nicht als kriminelle Ausbeutung von Flüchtlingen dargestellt, sondern der Dienstleistungscharakter dieses aufgrund der EUropäischen Abschottungspolitiken notwendig gewordenen Gewerbes hervorgehoben. Das Projekt wurde in unterschiedlichen Medien realisiert, z.B. als Postwurfsendung oder als Video, die gemeinsam mit weiteren Informationsbereichen eine Ausstellung im Kunstraum Lüneburg bildeten und nun in Graz noch einmal präsentiert wurden.
Alex Gerbaulet stellte ihr Video über Land vor, in dem sie einen Fluchthelfer dazu befragt, was "Fluchthilfe"
für ihn bedeutet, wie das vor sich geht und welche Motivationen dahinter stehen. Ihr ist an einer positiven Umwertung des negativ konnotierten Wortes "Schlepperei" in das positiv konnotierte Wort Fluchthilfe gelegen. Als
weiteren Beitrag hielt sie einen fragmentarischen Vortrag, der Zeitungsartikel nach Spuren und Fluchtlinien dieser
Praktiken durch von uns illegalisierte Menschen untersucht. Was können wir uns erfinden, dem Ausschluss etwas entgegen zu setzen, lernen von... Durch die geschickte Montage verschiedener ineinander verwobener oder nebeneinander stehender Geschichten entstanden Bilder des versteckten Alltags in oft verblüffender Klarheit.
Zuletzt stellte Tanja Ostojic (http:/www.kultur.at/howl/tanja ), Künstlerin aus Jugoslawien, wohnhaft in Berlin
verschiedene Projekte vor, u.a. "Looking fo r a husband with EU passport". Innerhalb dieses Projektes, das 2000
begann und drei Jahre andauerte, erhielt und beantwortete sie über 500 sehr vers chiedene Briefe, die sie als Reaktion auf ihre Anfrage im Internet erreichten. Nach einer sechsmonatigen Korrespondenz mit dem deutschen Künstler Klemens Golf, der ebenfalls auf die Anzeige im Netz reagierte, trafen sich di e beiden zum ersten Mal. Tanja Ostojic organisierte das Treffen als 60-minütige life-performance, die ins Netz übertragen wurde. Am 9. Januar 2002 heirateten die beiden offiziell in Belgrad, womit Ostojic nun einen Antrag auf EU-Aufenthaltspapiere stellen konnte. Weitere (Foto-)Projekte wurden ebenfalls vorgestellt, so das integration project oder border crossings 2000-2002.
Durch die Vielfalt der Beiträge entstand ein facettenreiches Bild undokum entierter Migration und der Rolle von Fluchthilfe. Klar wurde, dass MigrantInnen immer mehr auf professionelle Organisationen und Unternehmen in diesem Gewerbe angewiesen sind, um ihr Migrationsprojekt verwirklichen zu können. Zugleich wurde festgestellt, dass es noch viel Energie und Zeit bedarf, das negative Image dieser Unternehmen in der Öffentlichkeit zu verbessern und auf diese Weise neue Migrationswege zu öffnen. Die Tagung war nur ein, wenngleich sehr gelungener Schritt auf diesem Weg.
Andreas Beisbart
http://www.aha-bueren.de
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