Berlin: Weinrich-Prozess: 47. Verhandlungstag
Kriminelle, Fremdenlegionäre, Rechtsextreme und Todesschwadrone
47. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Inspektor Helfrich war zur Fortsetzung seiner Vernehmung vom letzten Verhandlungstag geladen. Die Befragung durch die Verteidigung gestaltete sich äußerst zäh. Dies hatte seine Gründe einerseits in den Vorschriften der Strafprozeßordnung und andererseits in der ausgeprägten "Erinnerungsschwäche" des Zeugen.
Die StPO gebietet, einen Zeugen zuerst nach seinen unmittelbaren Erinnerungen in einer Sache zu fragen. Hier konnte sich Helfrich meist nicht erinnern. Dann hält die Verteidigung aus Akten vor und fragt, ob die Erinnerung dadurch zurück kommt. Aber auch dann konnte der Zeuge oft nur noch mit einem: "Das weiß ich nicht mehr antworten".
Detailschritt für Detailschritt wurden so Inhalte nur durch die Vorhalte der Verteidigung offenbar.
Zuerst kam auf diese Art und Weise ans (Gerichtssaal-)Tageslicht, daß mindestens zwei Zeugen des Anschlages auf den Bahnhof von Marseille, die möglicherweise den Attentäter gesehen hatten, keine Bilder von Verdächtigen vorgelegt worden waren.
Als der Verteidigung bei Durchsicht der Akten aufgefallen war, daß eine verletzte Zeugin des Anschlages auf den TGV eine mögliche Verdächtige als eine Frau beschrieben hatte, deren "unterer Gesichtsteil wie der von Carlos aussieht", kommentierte das Helfrich mit dem Satz: "Wahrscheinlich hat man in diese Richtung gefragt". Damit war es mit den "Auskünften" aber auch schon wieder vorbei.
Laut französischer Akten hatte sich ein Gefangener mit Namen Justat nach den Anschlägen in Marseille und bei Tain l'Hermitage bei den Behörden gemeldet und denen mitgeteilt, daß er zwei Wochen vor den Anschlägen von einem gewissen Patrick Salameh, genannt "der Libanese", angesprochen wurde und der ihn aufforderte, eine größere Menge Sprengstoff zu besorgen. Salameh war den französischen Behörden als Fremdenlegionär mit kriminellem Hintergrund bekannt. Helfrich wußte nicht mehr genau zu sagen, warum in dieser Richtung nicht ermittelt wurde.
Weiterhin behauptet Helfrich in seinem Abschlußbericht, der Zeuge Dablanc (vergl. Letzter Verhandlungstag) habe den Verdächtigen Talbi mit "großer Ähnlichkeit" als den möglichen Attentäter beschrieben. In Wahrheit konnte Dablanc Talbi nicht als Täter identifizieren. Eine Erklärung dafür hat Helfrich nicht.
Auch schreibt Helfrich in seinem Bericht von der "autonomen baskischen Bewegung", wenn er beschreibt, das diese nach Talbis Angaben Druck auf die französische Regierung ausüben wollte. Tatsächlich steckt hinter den "autonomen Basken" jedoch die GAL, eine Organisation, die in Kooperation mit der Guardia Civil das Ziel verfolgte, eben jene autonomen Basken (ETA) zu töten. Talbi war Mitglied eben jener GAL. Und er hatte bereits einen Monat vor den Anschlägen mehrere mündliche und schriftliche Hinweise an die Polizei in Biarritz gegeben, daß von dieser Seite Bombenanschläge gegen einen Bahnhof und einen TGV geplant wurden. Dabei hatte Talbi auch konkrete Namen genannt. Die Polizei in Biarritz befand dies seinerzeit als "außerordentlich beunruhigend" und hat die Information, daß französische Rechtsextremisten zusammen mit spanischen Mitgliedern dieser Todesschwadron (GAL) Anschläge planten, weitergegeben. Davon weiß Helfrich nichts mehr, obwohl die entsprechenden Unterlagen in den Akten enthalten sind, die er bearbeitete. Mehr als zwei Jahre sei die Kripo Lyon ("anfangs mit 5-6, später mit 2-3 Beamten") der "Spur Talbi" nachgegangen. Darüber weiß Helfrich nichts mehr zu sagen.
Der Vorsitzende nennt die Erinnerungsprobleme "ein grundsätzliches Problem in diesem Prozeß" und die Verteidigung sieht hier wenig Sinn, weiter zu fragen. Nach einer Pause einigen sich die Prozeßbeteiligten darauf, dem Zeugen noch einige Fragen zu stellen und ansonsten die entsprechenden Schriftstücke demnächst zu verlesen.
Durch einen Nebenklagevertreter befragt, kommt die Erinnerung des Zeugen nun wieder zurück. Der will wissen, was es denn für Indizien dafür gegeben habe, daß beide Anschläge ein und derselben Organisation zuzurechnen seien. Merkwürdigerweise ist niemand im Saal überrascht (außer Heidi), als Helfrich antwortet: "Wegen der Aussage von Talbi!"
Nächster Termin: 10.12., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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