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Halle: Bericht vom 10. und 11. Prozesstag im 129a-Verfahren gegen drei Magdeburger

Bericht vom 10. Prozeßtag

Was wir schon immer über den Verfassungsschutz wußten, aber erst jetzt
von der BAW bestätigt bekommen


Der heutige Prozeßtag begann mit einer Erklärung von Carstens Anwältin
zur Ablehnung des Antrages auf Hinzuziehung von
Verfassungsschutzunterlagen und zur Vorladung relevanter
VerfassungsschützerInnen die ihre Observationsergebnisse bezüglich des
Magdeburger AZs bekanntgeben sollten (siehe letzter Prozeßbericht), denn
schließlich wurde dieser ausführlich im VS-Bericht erwähnt. Sie
begründete, daß die Einführung der “Erkenntnisse” des
Verfassungsschutzes – anders als vom Gericht bewertet – für das
Verfahren dringend geboten seien.
Nach der üblichen Verhandlungspause erwiderte Staatsanwalt Hornick
überraschenderweise, daß auch eine ausführliche Erwähnung im VS-Bericht
nicht zwingend den Schluß zulasse, daß die beschriebene Gruppe auch
tatsächlich beobachtet wurde. Da man lediglich davon ausgehen kann,
jedoch nicht davon ausgehen muß, daß der AZ vom Verfassungsschutz
observiert wurde, sei dieser Beweisantrag abzulehnen. Konkret bestätigte
die Bundesanwaltschaft damit ganz offiziell, was viele schon vorher
wußten: Verfassungsschutzberichte sind eher das Produkt (recht
schlechter) künstlerischer als geheimdienstlicher Arbeit.
Darüber hinaus wurde von den AnwältInnen beantragt, die Polizistin
erneut zu laden, die das Paket unter dem BGS-Auto gefunden hatte. Sie
sollte bestätigen, daß dieses kein anderer Cop ohne Handschuhe angefaßt
hatte und demzufolge die vielen, nicht mehr kenntlich zu machenden
Fingerabdrücke (siehe 6. Prozeßtag) bereits vor Entdeckung des Pakets
darauf waren, d.h. von vielen anderen (unbekannten) Personen außer
Daniel stammen könnten. Aber auch dieser Antrag wurde vom Senat mit dem
Verweis abgelehnt, daß dieser Schluß möglich aber nicht zwingend
notwendig ist.
Danach wurde der Antrag gestellt auch einen weiteren Polizeizeugen
nocheinmal vorzuladen. Dieser sollte bestätigen, daß ein gefundenes
Dokument vor dem Jahre 2001 verfaßt sein muß, da in diesem u.a. eine
Vokü vor dem Arbeitsamt und ein Treffen im Winterhafen (ehemaliges
linkes Wohnprojekt) erwähnt wurden. Beides, so könne der Cop bestätigen,
müsse sich auf das Jahr 2000 beziehen, da es nur einmal eine Vokü vor
dem Arbeitsamt gab und der Winterhafen kurze Zeit später nicht mehr
existierte. Der Senat meinte jedoch, daß sich die Vokü auch auf weitere
geplante hätte beziehen können, nicht nur auf die stattgefundene und mit
Winterhafen in Magdeburg nicht zwingend das Wohnprojekt gemeint sein
muß. Das ist zwar für jedeN, der/die das einzelnstehende Haus in einer
Parkanlage kennt ziemlich albern aber der Richter sieht und kennt
vielleicht mehr als einE NormalsterblicheR.
Ebenfalls abgelehnt wurde die Vorladung von Cops, die Carsten und Daniel
observierten und bestätigen sollten, daß diese zum Zeitpunkt der
Veröffentlichung der BekennerInnenschreiben sowie der angeblichen
Auflösungserklärung überhaupt keinen Kontakt hatten, denn sie hätten ja
auch heimlich, schriftlich oder telefonisch kommunizieren können.
Als letztes wurde noch beantragt – und diesmal auch genehmigt- einige
Beispielstreffer der Internet-Suchmaschine Google in den Prozeß
einzuführen, die beweisen sollen, daß es nicht ein seltener Fehler
sondern durchaus üblich ist, DaimlerC(h)rysler ohne “h” zu schreiben.
Ein Argument der Anklage ist nämlich, daß auf gefundenen Notizen der
Angeklagten dieser Fehler ebenso vorkommt, wie in einem
BekennerInnenschreiben. Dies lege laut BAW den Schluß nahe, daß die
Angeklagten den Anschlag begangen hätten. Durch die neuen Google-Beweise
müssen nun vielleicht unter anderem die Verwaltung des Bundeslandes
Bremen, die Humboldt-Uni, der Gemeinderat von Schierbach, das Hamburger
Abendblatt und der Junge-Freiheit- ääh Magdeburger-Volksstimme-Autor
Bernd Kaufholz mit Hausdurchsuchungen rechnen.
Im Anschluß daran wurde der Prozeß gegen 13.30 Uhr auf nächste Woche
vertagt (Achtung: am Mittwoch, den 10.12. ist kein Prozeßtermin).

11. Prozesstag – 03.12.2003

Aus dem Märchenbuch einer Staatsanwältin

Der 11. Prozesstag begann, wie schon der 10. mit einer kleinen
Verspätung, da sich einer der Angeklagten aufgrund des schlechten
Wetters um etwa eine Viertelstunde verspätet hatte. Das Auditorium war
zumindest bis zur ersten Pause ziemlich gut besetzt, da sich eine
Schulklasse eingefunden hatte, deren Sozialkundelehrerin den
Schülerinnen und Schülern wohl die Vorzüge des deutschen Rechtssystems
näher bringen wollte. Doch dieses Vorhaben gab sie bereits nach der
ersten halben Stunde auf und besuchte nach der doch etwas verlängerten
„halbstündigen“ Pause von etwa einer Stunde mit ihren SchülerInnen eine
andere offensichtlich spannendere Verhandlung.

Die erste halbe Stunde wurde von einem Anwalt Marcos dazu genutzt einige
Beweisanträge zu stellen, die nach der ersten Pause allerdings durch die
Bank weg vom Senat abgelehnt wurden. Unter anderem wurde beantragt,
einen Artikel aus der „Magdeburger Volksstimme“ zu verlesen, in welchem
der renommierte Autor Bernd Kaufholz nicht in der Lage war, das Wort
„Daimler-Chrysler“ orthographisch korrekt wiederzugeben, was etwa 30 %
der BundesbürgerInnen allerdings ebenso wenig vermögen. Dies sollte in
einer repräsentativen Umfrage durch ein Meinungsforschungsinstitut
bestätigt werden. So wurde dann beantragt, auch den Webmaster von
Daimler-Chrysler in den Zeugenstand zu rufen, damit dieser bestätigen
möge, dass er von seinem Vorgesetzten angehalten wurde, die URL
„www.daimler-crysler.com“ auf „www.daimler-chrysler.com“ weiterleiten zu
lassen, da der Konzern mittlerweile die falsche Schreibweise seines
Namens stillschweigend akzeptiert. Die Inaugenscheinnahme zweier
Schriften und die Suchabfrage der Worte „soziale revolution weltweit“
bei Google, die ca. 17.000 Ergebnisse bringt, als Beweis zu würdigen
wurden als Beweisanträge gestellt.

Nach der einstündigen Pause wurden die Beweisanträge – wie erwartet –
abgelehnt und die Beweisaufnahme geschlossen. Das Staatsanwaltskollektiv
begann dann mit seinem Plädoyer, was zu einer Märchenstunde ausarten
sollte. Zunächst erörterte Dr. Hornick, dass es ihm angeblich nicht
darum ginge, die politisch-ideologische Überzeugung der 3 Angeklagten zu
bestrafen, sondern lediglich „kriminelle Handlungen“ abzuurteilen. Er
führte zunächst die Lebensläufe der Angeklagten aus, bevor er im
Wesentlichen die Anklageschrift wiederkäute. Danach setzte die
Staatsanwältin Rieger mit der Beweiswürdigung ein, wobei sie einer
Zeugin unterstellte, gelogen zu haben, was sie mit einem falsch
wiedergegebenen Zitat der Aussage begründete. Im Allgemeinen scheint die
sinnentstellende Textinterpretation von aus dem Zusammenhang gerissenen
möglichst kurzen Zitaten eine Spezialität der BAW zu sein. So werden
Worte wie „wir“ und „uns“ zu Beweisen für eine „terroristische
Vereinigung“. Allerdings wurde sie von einem eingeschalteten Handy,
eines Pressevertreters, welches die Mikrofonanlage des Saales störte,
unterbrochen, worauf Ri. Hennig die mangelhafte Durchsuchung der
Besucher durch die Justizangestellten rügte und eigentlich eine neue
Durchsuchung der Besucher veranlassen wollte, wovon er dann allerdings
Abstand nahm.

Dann begann Dr. Hornick mit seinen Strafanträgen. Marco solle zu 3
Jahren und 6 Monaten als Rädelsführer und die anderen Angeklagten wegen
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu je 3 Jahren Haft
nach § 129a verurteilt werden, wobei bei Daniel nicht das
Jugendstrafrecht angewandt werden solle. Bei Marco führte er als
mildernde Gründe aus, dass er nicht einschlägig vorbestraft sei, bei den
anderen Angeklagten, dass diese nicht vorbestraft seien.
Strafverschärfend seien jedoch die 2 versuchten und 2 vollendeten
Brandanschläge. Er blieb damit im unteren Drittel, des Strafrahmens von
maximal 10 Jahren, was er für „angemessen“ hielt.

Dann wurden die nächsten Verhandlungstage angesetzt: der 09.12.,
eventuell der 11.12. nach Absprache mit den Verteidigern, der 16.12. und
der 17.12. Damit war dann der 11. Verhandlungstag geschlossen.

--
Freispruch für Marco, Daniel und Carsten!!! Freiheit für alle politischen Gefangenen!!!

Solidarität ist eine Waffe!

Rote Hilfe Magdeburg
Postfach 320115
39040 Magdeburg

Kontakttelefon (leider nur) der Anrufbeantworter mit folgender
Nummer: 0391-408 290 87

Homepage:  http://www.rote-hilfe.de/magdeburg

e-mail:  magdeburg@rote-hilfe.de

Für Spenden im Magdeburger §129a-Verfahren:
Rote Hilfe
Kto.: 37 151 949
BLZ: 810 53 272
Stadtsparkasse Magdeburg
Verwendungszweck: Soligruppe
(Bitte vergeßt an den entsprechenden Stellen das Kennwort nicht!)


 

04.12.2003
Rote Hilfe Magdeburg   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: 129a-Verfahren in Sachsen-Anhalt]  Zurück zur Übersicht

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