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Berlin: 157. Prozesstag | Pausenclown: Plädoyer der Bundesanwaltschaft hat begonnen

Erneut wurden von der Verteidigung Beweisanträge gestellt und Gegendarstellungen abgegeben, die - nach einer Pause (9.40-11.10 Uhr) - von der Bundesanwaltschaft negativ kommentiert und - nach einer Pause (11.20-11.40 Uhr) - entsprechend vom Senat abgelehnt wurden (so auch alle vom gestrigen Prozesstag); keine einzige beantragte Zeugenbefragung wurde zugelassen.

Nach einer Pause (11.45-12.05 Uhr) beschloss die Vorsitzende Richterin, Hennig, die Mittagspause eintreten zu lassen (bis 13.00 Uhr), nicht jedoch, ohne mitzuteilen, dass sie danach noch einige Dokumente zu verlesen und dann die Beweisaufnahme zu schließen gedenke; sodann solle die Bundesanwaltschaft (BAW) mit ihrem Plädoyer beginnen.

Bundesanwalt Bruns, der darauf verwies, sein Plädoyer würde "netto sechs Stunden" umfassen, und er würde "lieber erst am kommenden Donnerstag" plädieren, hatte angesichts der Widerworte der Vorsitzenden Richterin aber "keinen Arsch in der Hose", wie ihm ein Anwalt zuwarf.

So wurde die Sitzung um 13.10 Uhr mit der Verlesung von Dokumenten zur Mitgliedschaft des Angeklagten Rudolf S., zwei Anwesenheitslisten von Genossenschaftssitzungen sowie - nach einer Pause (13.35-13.45) - den Strafregisterauszügen aller Angeklagten wieder aufgenommen, worauf der Bundesanwalt nun doch noch heute den Pausenclown geben musste.

"Hohes Gericht, meine Damen und Herren, der Mythos der terroristischen Organisation ‚Revolutionäre Zellen’ ist verblasst, die RZ ist weitgehend von selbst dahingeschieden", mit diesen Worten begann Bundesanwalt Bruns sein Plädoyer. Das Ende der RZ habe zum einen an "der personeller Überalterung", vor allem aber daran gelegen, dass "die RZ ihren Auftrag, viele Revolutionäre Zellen zu schaffen und massenhaft Widerstand zu organisieren", nicht habe umsetzen können; sie habe es nicht geschafft, "Nachwuchs rekrutieren" zu können. Das zeige sich bereits bei Tarek Mousli, dieser habe auch nichts mit "der Plattitüde vom Verrat" zu tun, sondern sei vielmehr das "Symbol für das Versagen der Stadtguerilla."

In den verbleibenden etwa 30 Minuten beschwerte sich Bruns sodann über die fehlende Bereitschaft der Angeklagten, (mit ihm) über die politischen Überzeugungen und die ideologische Aufarbeitung der RZ zu diskutieren. Statt "das Wagnis der historischen Aufarbeitung einzugehen", hätten sich die Angeklagten mit Unterstützung ihrer Anwälte "wie eine Autoschieberbande verhalten" und lediglich "opportunistisch taktiert."

Umfangreich und zustimmend zitierte Bruns sodann aus dem im Internet dokumentierten Papier des, so Bruns, "in Sachen Terrorismus ja nicht gerade unerfahrenen Klaus Viehmann", der richtig geschrieben habe, dass die Angeklagten "auf eine politische Dimension" in diesem Verfahren verzichtet hätten. Wenn es sich aber, so der Bundesanwalt, "bei den RZ um mehr als um eine Erscheinungsform von Organisierter Kriminalität gehandelt haben soll", dann hätte es politischer Erklärungen bedurft.

Dafür seien auch die Voraussetzungen angesichts "einer - nennen wir es mal - politisch interessierten Öffentlichkeit" gegeben gewesen und "angesichts von anwesenden Bundestagsabgeordneten und Vertretern internationaler Menschenrechtsorganisationen" habe es ja durchaus "auch ein Forum" gegeben. Doch, so Bruns, "selbst denjenigen Angeklagten, die Einlassungen gemacht haben, war nicht daran gelegen, über empfangene Huldigungen der interessierten Öffentlichkeit hinaus, Stellung zu beziehen." Aus ihrer "bürgerlichen Idylle", in der sie sich eingerichtet hätten, wollten sie nicht mehr hinaus; so haben die Einlassungen der Angeklagten zu ihren Taten (bei ihm) nicht einmal den Eindruck "einer Jugendsünde", sondern lediglich den Eindruck eines "peinlichen Irrtums" hinterlassen.

Sodann setzte Bruns sich mit der - offenbar wieder von einer interessierten Öffentlichkeit kolportierten - "Losung vom Terroristenprozess" und dem "Senat als willfährigem Erfüllungsgehilfen der Bundesanwaltschaft" auseinander. Diese Haltung der Angeklagten haben sich die Anwälte, so Bruns, teilweise zu Eigen gemacht und dabei "mit zum Teil unerträglichen Anwürfen gegen den Senat" gearbeitet. Von der Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und dem "Anwurf rechtsstaatswidriger Anklagen" werde "nichts übrig" bleiben; wenn von Verteidigung und Angeklagten trotzdem an dieser Formulierung und Haltung festgehalten wird, dann sei der Grund dafür, "die mögliche Verurteilung der Angeklagten als Willkürurteil darstellen zu können."

Zwar habe es Fehler und Pannen auf allen Seiten gegeben, "auch auf Seiten der Bundesanwaltschaft", so Bruns, "das ist einzugestehen". Von absichtsvollen Unterschlagungen und dergleichen mehr könne aber keine Rede sein. Der "seitens der interessierten Öffentlichkeit" gemachte Vorwurf des "unbedingten Verfolgungswillens" der Bundesanwaltschaft liege "nicht nahe"; vielmehr sei Strafverfolgung bei Schusswaffengebrauch und Sprengstoff - unabhängig von politischen Richtungen - notwendig.

Abschließend wandte sich Bruns der "Kronzeugenproblematik" zu, die zwar "formal keine Anwendung fand." Es sei "aber nicht zu verkennen, dass für Tarek Mousli ein starkes Motiv bestand, ein Geständnis abzulegen." Die Aussage sei "aber daher nicht als unverwertbar anzusehen", vielmehr sei die Aussage für Mousli mit vielen biographischen Brüchen verbunden und stelle bedeutende Einschnitte für sein weiteres Leben dar. "Angesichts einer Alimentierung auf Sozialhilfeniveau" sei von finanziellen Anreizen nicht auszugehen. Gleichwohl seien seine Vorwürfe mit besonderer Sorgfalt geprüft worden, und die Aussagen von Tarek Mousli hätten sich in wesentlichen Punkten bestätigt. Es gehe darum, dass von den Angeklagten kriminelles Unrecht begangen wurde, "und sie werden sich dafür zu verantworten haben."

Zusammengefasst: Bundesanwalt Bruns vermisst die politische und ideologische Auseinandersetzung sowie Aufarbeitung der Geschichte der RZ, ist offensichtlich einer Meinung mit Klaus Viehmann und offenbar auch für die Erhöhung der Sozialhilfe auf 2.400 DM (ca. 1.200 Euro) monatlich plus Pkw und regelmäßig bezahlter Telefonrechnung. In Sachen Beweisausführungen wird es in der nächsten Woche kleinlauter zugehen.

Bruns bat hier, seine wegweisenden Ausführungen vorerst beenden zu dürfen; der Prozess wird mit der weiteren Verlesung des Plädoyers durch die Bundesanwaltschaft am kommenden

Donnerstag, 11. Dezember 2003 um 9.15 Uhr fortgesetzt.

Eine (noch längere) Langfassung entfällt.

 

05.12.2003
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