Dresden: Dresdner Staatsschutz ermittelt gegen DRESDEN.UMSONST | Sozialer Protest wird kriminalisiert
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Dresden, den 21. Januar 2004
Dresdner Staatsschutz ermittelt gegen DRESDEN.UMSONST
Sozialer Protest wird kriminalisiert
Seit einigen Monaten ermittelt der Dresdner Staatsschutz wegen schweren
Hausfriedensbruchs gegen die Kampagne DRESDEN.UMSONST, die sich mit
künstlerischen Ausdrucks- und Interventionsformen gegen räumliche und
soziale
Ausgrenzung wendet. Heute morgen wurden drei Beschuldigte von
Polizeibeamten
zuhause abgeholt und unter Zwang zur erkennungsdienstlichen Behandlung
auf die Schießgasse verbracht. Damit erreicht eine massive
Kriminalisierungskampagne gegen sozialen Protest in Dresden einen
weiteren Höhepunkt.
Angefangen hatte alles mit einer Aktion in der Altmarkt-Galerie, die
untersuchen sollte,
inwieweit Handlungen, die im öffentlichen Raum früher selbstverständlich
waren, wie
Tanzen, Betteln, musizieren, Karten spielen, Auf-den-Boden-sitzen und
das Trinken von
Alkohol, in angeblich multifunktionalen Einkaufszentren noch möglich
sind. Mit dieser Aktion sollte gegen die räumliche Ausgrenzung von
"abweichenden" Verhaltensweisen protestiert werden.
Am 14. September gingen dann AktivistInnen der Kampagne DRESDEN.UMSONST
im
städtischen Arnhold-Bad schwimmen. Mit Luftballons, Handzetteln, Musik,
UMSONST und ohne zu bezahlen. Ein paar Wochen später fand eine weitere
Aktion statt: BUS UND BAHN FREI. Offen und in Gruppen wurde Straßenbahn
gefahren. Nicht schwarz, sondern UMSONST. Im November dann führte
DRESDEN.UMSONST einen szenischen Dialog im Theater Junge Generation vor
ca. 350 Jugendlichen auf, in dem die Schließung von sozialen und
kulturellen Einrichtungen thematisiert wurde.
Die Kampagne DRESDEN.UMSONST will mit ihren symbolischen Aneignungen
deutlich
machen, dass bestimmte soziale Bedürfnisse keinen Luxus darstellen, der
zur Disposition gestellt werden kann, sondern zum Leben dazugehören.
DRESDEN.UMSONST will dabei neue Wege beschreiten, um politische Inhalte
mit künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden.
Diese Form des politischen Protestes wird jetzt kriminalisiert.
Nach der 15 minütigen Aktion "Heute FREIbaden" wurden vier Personen von
Polizeibeamten festgehalten, ihre Personalien aufgenommen und
Fotomaterial
beschlagnahmt. Was sich anfangs als polizeiliches Routinehandeln
ausnahm, stellte sich im Nachhinein als Ermittlungsmaßnahme der
Abteilung des Staatsschutzes der Dresdner Polizei dar. Und die wollen es
ganz genau wissen. Mittlerweile wird nicht nur gegen die vier
Festgenommenen wegen schweren Hausfriedensbruchs ein Verfahren geführt,
sondern auch gegen MitarbeiterInnen und KünstlerInnen des Kunstprojektes
DRESDENPostplatz.
Ende des Jahres schickte der Staatsschutz an alle Beschuldigten eine
Vorladung zur
Vernehmung heraus, in der auch eine erkennungsdienstliche Behandlung
angedroht wurde, die das Anfertigen von Portraitfotos und die Abnahme
von Fingerabdrücken beinhaltet. Die Ermittlungsmaßnahmen des
Staatsschutzes machen aber nicht bei den Beschuldigten halt, sondern
erstrecken sich auf alle und alles, was sie mit DRESDEN.UMSONST in
Verbindung bringen. So wurde die Kuratorin des Kunstprojektes
DRESDENPostplatz, die aus dem Schwimmbad als Journalistin berichtete,
von Beamten des Staatsschutzes über drei Stunden lang verhört. Ebenso
wurden an den Redakteur der Radiosendung, der über die Aktion
berichtete, und den Lizenznehmer des Veranstaltungs- und Kunstsenders
Zeugenvorladungen verschickt. Im Vorfeld wurde bereits per Telefon damit
gedroht, die Beschuldigten zuhause aufzusuchen, um sie zwangsweise für
eine erkennungsdienstliche
Behandlung vorzuführen. Heute morgen wurde mit einem massiven
Polizeiaufgebot die
Drohung wahrgemacht. Wir müssen zugeben, dass wir über den Umfang der
staatlichen Repression überrascht sind. Was sich anfangs lediglich als
eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für tätigkeitslose StaatsschützerI=
nnen
darstellte, entpuppt sich als gezielte Kriminalisierung sozialen
Protestes. Sie meinen es wirklich ernst. Das bedeutet aber auch, dass
wir mit unseren Aktionen den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Der
Umfang des Abbaus sozialer und kultureller Leistungen und die damit
verbundene Ausschließung von Teilen der Bevölkerung macht sich nicht nur
an der Gesundheitsreform, den Hartz- und Rürup-Gesetzen deutlich,
sondern auch an dem geplanten Sparhaushalt der Stadt Dresden. Proteste
dagegen werden als so gefährlich angesehen, dass der STAATSSCHUTZ
ermittelt. Dabei stellen symbolische Aneignungen und temporäre
Besetzungen keinesfalls Interventionsformen dar,
die ungewöhnlich oder kriminell sind, sondern gehören schon immer zum
Repertoire
politischen Protestes und künstlerischer Auseinandersetzung, wie die
derzeitigen Aktionen der Studierenden in Hamburg, Berlin und Sachsen
deutlich machen.
Besondere Brisanz erfahren die Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes
aber nicht nur dadurch, dass die Anfertigung von Lichtbildern und die
Abnahme von Fingerabdrücken als geeignete und verhältnismäßige Ma=
ßnahmen
wegen 15minütigen UMSONSTBadens angesehen werden, sondern dass auch
versucht wird, Journalistinnen und Journalisten, die ihrer
Berichtspflicht nachkommen, in die Nähe von Mitwissern zu drängen. Oder
wurde schon mal der Sendeleiter des MDR von der Polizei vorgeladen, weil
er von Besetzungsaktionen Leipziger Studierender berichtet hat? Damit
wird deutlich, dass es nicht darum geht, Informationen für einen
etwaigen Prozess zu sammeln, sondern Menschen mit eigenen Ideen und ihr
soziales Umfeld auszuforschen.
Wir sehen diese Ermittlungen des Dresdner Staatsschutzes nicht nur als
Maßnahmen
gegen DRESDEN.UMSONST, sondern gegen alle, die sich gegen den
zunehmenden
Sozialabbau gewehrt haben und auch weiterhin wehren wollen. Mit der
Anfang des Jahres in Kraft getretenen AGENDA 2010 und den anstehenden
Kürzungen im Kultur- und Sozialhaushalt der Stadt Dresden nehmen der
Unmut und die Unzufriedenheit weiter zu.Welcher Ausdrucks- und
Interventionsformen sich dabei bedient werden kann, ist noch offen. Wenn
es dem Dresdner Staatsschutz gelingt, symbolische Aneignungen zu
kriminalisieren, werden Formen zivilen Ungehorsams kaum noch möglich
sein. Es geht also nicht nur um DRESDEN.UMSONST, sondern um die Zukunft
des sozialen Protestes und Widerstandes und die möglichen Formen
politischer Auseinandersetzung. Daher rufen wir alle auf, sich mit der
Kampagne DRESDEN.UMSONST zu solidarisieren und sich gegen die
Kriminalisierung durch den Dresdner Staatsschutz zu wenden.
Karen Pietscher
DRESDEN.UMSONST
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