Bremen: Kundgebung am Abschiebeknast am 31.1.
Am 31.1. 2004 findet in vielen europäischen Ländern ein Aktionstag statt -
unter
dem Motto: "Legalisierung aller Papierlosen - Abschaffung von Lagern". In
Bremen
wird (mindestens) eine Kundgebung vor dem Abschiebeknast in der neuen Vahr
stattfinden.
Am 31.1. 2004 findet in vielen europäischen Ländern ein Aktionstag statt -
unter
dem Motto: "Legalisierung aller Papierlosen - Abschaffung von Lagern". Der
Aktionstag richtet sich insbesondere gegen die derzeitige Flucht- und
Migrationspolitik der EU. Denn nicht zuletzt die reichen Industrieländer der
EU
scheuen keine Mühe, die aus ihrer Sicht zügellosen Flucht- und
Migrationsbewegungen aus den Armuts-, Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt
unter Kontrolle zu bringen. Sie versuchen mittels Migrationspolitik,
MigrantInnen und
Flüchtlinge gemäß ökonomischer Verwertungslogik aufzuspalten: Auf der einen
Seite
stehen die, deren billige, flexible und gewerkschaftlich unorganisierte
Arbeitskraft
erwünscht ist. Manche von ihnen verdingen sich als qualifizierte ExpertInnen
- z.B. in
der Computerindustrie. Die Mehrheit hingegen arbeitet im Niedriglohnsektor,
nicht
selten ohne Papiere: als Feld- und BauarbeiterInnen, als Textil-, Haus- und
SexarbeiterInnen, als Reinigungskräfte, als Küchenpersonal oder
DienstbotInnen. Sie
sind Teil des globalen Arbeitsmarktes, der je nach Bedarf insbesondere die
reichen
Industrieländer mit zusätzlicher Arbeitskraft versorgt. Auf der anderen
Seite stehen
die Unerwünschten, für die es keine Verwendung gibt, aus denen kein Profit
geschlagen werden kann. Sie sollen nach Möglichkeit gar nicht erst in die
reichen
Industrieländer einreisen. Schaffen sie es doch, so werden sie schikaniert,
in Lager
gesperrt oder abgeschoben. Zum Prinzip ökonomischer Verwertungslogik gehört,
dass Flüchtlinge und MigrantInnen jederzeit von der einen in die andere
Gruppe
geraten können, auch ohne eigenes Zutun.
Die InitiatorInnen des auf dem Europäischen Sozialforum in Paris
beschlossenen
Aktionstages fordern deshalb unter anderem:
- Bedingungslose Legalisierung aller papierlosen Menschen,
- Verwirklichung des Rechtes auf Bewegungsfreiheit für alle,
- Sofortige Schließung aller Abschiebelager und Abschiebeknäste.
In Bremen veranstalten wir am 31.1. eine Kundgebung vor dem Abschiebeknast
in
der neuen Vahr. Abschiebeknäste und Abschiebungen sind die zugespitzeste
Form
sozialer Entrechtung: Allein in Deutschland sind jährlich bis zu 20.000
Menschen von
Abschiebehaft betroffen - häufig bis zu 6 Monaten, in Ausnahmefällen bis zu
18
Monaten. Mensch muss sich das vorstellen: 1 1/2 Jahre Gefängnis, aus keinem
anderen Grund, als schlicht und ergreifend hier in Europa bzw. Deutschland
anwesend zu sein. Immer wieder versuchen Gefangene in Abschiebeknästen,
durch
Revolten und Hungerstreiks auf ihre Situation aufmerksam zu machen und gegen
die
zermürbende Ungewissheit zu protestieren. Doch häufig geht die Abschiebehaft
mit
weniger sichtbaren Begleiterscheinungen einher: Suizidversuche, Depression,
Angstzustände oder Schlaflosigkeit gehören zum Alltag in Abschiebeknästen.
Seit
1993 haben sich über 45 Menschen in der Abschiebehaft das Leben genommen.
Abschiebehaft ist ein massiver Eingriff in die Freiheitsrechte und die
Integrität von
Menschen. Sie stellt eine eklatante Menschenrechtsverletzung dar und muss
genauso
wie Abschiebungen ersatzlos abgeschafft werden.
Solange Abschiebeknäste noch Wirklichkeit sind, dürfen wir jedoch die realen
Verhältnisse innerhalb der Mauern nicht aus den Augen verlieren. Zu diesen
Verhältnissen gehört auch sexualisierte Polizeigewalt gegen inhaftierte
Frauen. So
sind in Bremen mindestens 4 Frauen Ende der 90er Jahre in der Abschiebehaft
von
Polizeibeamten vergewaltigt worden. Eine der Frauen meldete das Verbrechen
gegenüber der Polizei, die Ermittlungen wurden jedoch nach kurzer Zeit
eingestellt.
Alle Frauen, die der sexualisierten Gewalt durch die Polizisten ausgesetzt
waren,
wurden danach abgeschoben. Der Täter blieb jahrelang an gleicher Stelle im
Dienst.
Nur durch Zufall sind die sexualisierten Übergriffe gegen die Frauen aus
Osteuropa
und aus Afrika überhaupt bekannt geworden. Der Täter war sich bei seiner Tat
in
seiner Funktion als diensthabender Polizeibeamter so sicher, dass er seine
Vergewaltigungen auf Fotos festgehalten hat. Diese Fotos fielen der Polizei
im Juli
2003 bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in die Hände. Erst einige Monate
später, im November, kam die Presse hinter den Skandal. Die verantwortlichen
Politiker, wie Innensenator Röwekamp, und die Polizeiführung üben sich
seitdem in
politischer Schadensbegrenzung: Der Täter wurde vom Dienst suspendiert und
ein
unabhängiger Ermittler, ein pensionierter Verwaltungsrichter, eingesetzt. Um
die
Sache klein zu halten, ist es ihnen vor allen Dingen wichtig zu behaupten,
es handele
sich um einen Einzeltäter und Gewalt sei weder bei der Bremer Polizei noch
in der
Abschiebehaft an der Tagesordnung.
In unserer Gesellschaft, die von Gewalt und Unterdrückung durchzogen ist,
ist
sexualisierte Gewalt kein Einzelfall - zahllose Frauen, Mädchen und Jungen
sind
dieser Gewalt täglich ausgesetzt. Die wenigsten Täter werden jedoch zur
Rechenschaft gezogen. Täter leugnen ihre Taten in den allermeisten Fällen
und fast
immer wird ihnen mehr geglaubt als den Opfern. Täter besorgen sich ein
Alibi, den
›besseren‹, also skrupelloseren Rechtsanwalt (Stichwort: ‚Toros-Prozess')
oder
setzen ihr Opfer unter Druck zu schweigen. Zudem ist es für viele Menschen,
die
sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, sehr schwer, über diese
Traumatisierungen
zu sprechen. Die Ermittlungen von Polizei und Justiz sind für die Opfer eine
schmerzhafte Prozedur und gehen oft mit einer Retraumatisierung einher. Die
meist
männlichen Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten, es gibt
keine
Ausnahmen - auch nicht bei Polizisten.
Neben dem sexistischen Gewaltpotential innerhalb der Polizei hat diese zudem
die
Order, Flüchtlingen und MigrantInnen mit einer systematischen, nämlich
rassistischen
Voreingenommenheit zu begegnen. Was die weiße deutsche »Normalbevölkerung«
meist gar nicht bemerkt: die Polizei führt ständig bei Personen, die als
nicht deutsch
wahrgenommen werden, Ausweiskontrollen durch, insbesondere bei
dunkelhäutigen
Menschen. Dabei kommt es allzu häufig zu rassistischen Beleidigungen, tiefen
Demütigungen, willkürlichen Festnahmen und oftmals auch zu körperlichen
Misshandlungen. Gegen solche Mißhandlungen durch die Polizei rechtlich
vorzugehen, erweist sich in der Praxis jedoch meist als Ding der
Unmöglichkeit. Die
Polizei antwortet auf eine Anzeige gegen sie meist mit einer Gegenanzeige.
Dabei
werden mehrere Beamte als Zeugen eingesetzt, wohingegen das Opfer alleine
auf der
Wache malträtiert wurde und für die polizeiliche Gewalttat keine Zeugen hat.
Der
Corpsgeist innerhalb der Polizei führt dazu, dass in der Regel kein Beamter
gegen
einen Kollegen aussagt - wer es dennoch tun sollte, wird fertiggemacht.
Rassistischen
wie auch sexistischen Mißhandlungen durch die Polizei sind so Tür und Tor
geöffnet.
Abschiebegefängnisse sind der ideale Ort für diese Gewalttaten. Während die
Gefangenen sich damit konfrontiert sehen, in Krieg oder Armut oder gar in
die
Hände der Folterknechte, vor denen sie geflohen sind, zurückgeschickt zu
werden,
sind sie im abgeschotteten Raum der Abschiebeknäste den sie bewachenden
Polizeibeamten ausgeliefert. Und die Polizisten wissen, dass die Gefangenen
nur
noch kurze Zeit im Lande und oft von der Außenwelt abgeschnitten sind und
deshalb
keine Handhabe gegen sie haben.
Wir gehen aus all diesen Gründen nicht davon aus, daß es sich bei den
sexuellen
Mißhandlungen im Abschiebeknast um einen Einzelfall handelt, sondern um
einen
Vorgang, der an einem solchen Ort des Schreckens jederzeit möglich ist,
solange
Kollegen und Polizeiführung sich schützend vor die Täter stellen, wie es von
der
Aufdeckung des konkreten Falles im Juli 2003 bis zur Veröffentlichung durch
die
Presse im November geschehen ist.
Was den bekannt gewordenen »Einzeltäter« von anderen unterscheiden mag, ist
seine Dreistheit, seine Verbrechen auf Fotos festhalten zu lassen und so die
Beweise
zu liefern, die andere Polizei-Täter zu vertuschen wissen.
Eine lückenlose und konsequente Aufklärung halten wir für dringend geboten.
Externe Ermittlungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wir glauben
jedoch
nicht, daß der jetzt benannte Ermittler alleine dazu in der Lage sein wird,
den
Corpsgeist zu brechen. Und der benannte Verwaltungsrichter a.D. verfügt mit
Sicherheit nicht über die nötige Kompetenz im Umgang mit den Themen
‚sexualisierte Gewalt' und ‚Abschiebehaft'.
Wir fordern deshalb weiterhin (so wie bereits im Dezember) die Einrichtung
einer
unabhängigen Untersuchungskomission. In dieser müssen Personen mit
einschlägigen
Kompetenzen (zu sexualisierter Gewalt und daraus entstehenden
Traumatisierungen,
zu Flucht und Migration sowie zu Menschenrechtsverletzungen und Folter)
vertreten
sein. Darüberhinaus fordern wir den derzeitigen Ermittler Hasso Kliese auf,
in einer
Pressekonferenz die Öffentlichkeit über den aktuellen Untersuchungsstand zu
unterrichten. Schließlich fordern wir auch, dass die betroffenen Frauen nach
Deutschland zurückkehren können und ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten.
Kundgebung: 31. Januar, 12 Uhr, Polizeipräsidium/Vahr, Treffpunkt:
Straßenbahnhaltestelle
--
gr.appa Bremen
St.-Pauli-Str. 10/12
28203 Bremen
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mail: gr.appa@gmx.de
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