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Göttingen: Rechtswidrigkeit von "Gefährderanschreiben" gerichtlich festgestellt


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4.2.2004, Göttingen


Presseerklärung: Rechtswidrigkeit von "Gefährderanschreiben" gerichtlich festgestellt

Das Verwaltungsgericht Göttingen hat am 27. Februar eines der so genannten "Gefährderanschreiben", mit dem die Polizei im Dezember 2001 insgesamt 15 Personen vor der Teilnahme an Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in Brüssel gewarnt hatte, für rechtswidrig erklärt.

Zu diesem Urteil erklärt E. E r l e für den Bundesvorstand der Roten Hilfe:

Die Rote Hilfe begrüßt dieses Urteil als einen Erfolg für die Demonstrations- und Meinungsfreiheit. Mit seiner Einschätzung, dass mit diesen Schreiben in die Freiheit, sich zum Demonstrieren entschließen zu können, und damit in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingegriffen wird, hat das Gericht den repressiven Charakter dieser Maßnahmen deutlich gemacht. Damit wird auch klargestellt, dass die Polizei die Grundrechte der Betroffenen zu respektieren hat.

Das Urteil verweist darüber hinaus auf ein grundsätzlicheres Problem. Das Gericht erklärte in diesem Fall das Gefährderanschreiben für rechtswidrig, weil die Polizei die Einstufung des Klägers als potenziellen Gewalttäter nicht ausreichend habe begründen können. Abgesehen von einer Verurteilung als totaler Kriegsdienstverweigerer (!) im Jahr 1994 sind alle gegen ihn in der Vergangenheit eingeleiteten Ermittlungsverfahren mangels Tatverdacht eingestellt worden. Gleichwohl war der Betroffene in der beim Bundeskriminalamt geführten Datei für so genannte "links motivierte Gewalttäter" ("Limo") gespeichert.

Dies beweist jedoch nur einmal mehr, wie fragwürdig die entsprechenden Dateien - neben "Limo" auch die PIOS-Arbeitsdatei "Landfriedensbruch" - in ihrer Aussagekraft sind und wie wenig die einschlägigen Vorschriften des Polizeirechts, deren eigentliche Aufgabe die Begrenzung exekutiver Befugnisse sein soll, ihre Funktion erfüllen.

So reicht es nach dem maßgeblichen Gesetz über das Bundeskriminalamt aus, in eine Polizeikontrolle im Vorfeld einer Demonstration zu geraten. Ist die Polizei dann der Meinung, es handele sich um einen Gewalttäter, landen die Daten der Betroffenen in dieser Datei. Wer selbst schon einmal erfahren hat, an welchen Äußerlichkeiten Polizisten die Zugehörigkeit zur "gewaltbereiten Szene" festmachen, wird mit der Roten Hilfe übereinstimmen, dass diese Prognosen eher auf Vorurteile als auf "polizeiliches Erfahrungswissen" zurückzuführen sind. Im Ergebnis müssen Menschen nur an den in den Augen der Polizei "falschen" Demonstrationen teilnehmen, um als Gewalttäter polizeilich erfasst zu werden. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt derartiger Annahmen und der Rechtmäßigkeit der auf sie gestützten Maßnahmen verbleiben die Einträge in diesen Dateien und vagabundieren wegen der vielfältigen Übermittlungsmöglichkeiten durch Polizei- und Fahndungscomputer.

Diese Einträge begegnen den Betroffenen dann später in Form von Passbeschränkungen, Ausreiseuntersagungen, Meldeauflagen, Platzverweisen oder Aufenthaltsverboten wieder.

Angesichts der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten in Eilverfahren vor den Verwaltungsgerichten, in denen die Richter/innen zudem oft "im Zweifel für die öffentliche Sicherheit" und damit gegen die Grundrechte der Betroffenen entscheiden, bilden diese Dateien im Zusammenspiel mit den immer stärker erweiterten Eingriffsbefugnissen der Polizei eine flexibles Instrument zur Repression unliebsamer politischer Bewegungen.

Deshalb fordert die Rote Hilfe:


a.. Abschaffung der Dateien "links motivierte Gewalttäter" und "Landfriedensbruch" und Löschung aller in ihnen gespeicherten Daten!
b.. Keine Passbeschränkungen, Ausreiseuntersagungen, Meldeauflagen oder Aufenthaltsverbote gegen linke Aktivist/inn/en!


ROTE HILFE e. V.
Bundesvorstand


 

08.02.2004
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