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Berlin: Weinrich-Prozess: 60. Verhandlungstag

33 abgelehnte Anträge in 20 Minuten

60. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Die Kammer hatte sich für heute vorgenommen, eine Reihe von Beschlüssen zu verkünden, die es (wieder einmal) in sich hatten (vergleiche inhaltlich hierzu 34. und 58. Verhandlungstag).

Es würde schlicht zu lange dauern, hier alle abgelehnten Anträge im Detail und jeweiligem Zusammenhang zu beschreiben, deshalb seien an dieser Stelle "nur" die wesentlichen Entscheidungen genannt.

a.. Verschiedene Anträge der Verteidigung auf =DCbersetzung französischer Aktenteile: Abgelehnt. Gründe: "Nicht notwendig".
b.. Erneute =DCbersetzung des arabischen Textes der angeblichen Aussage Issawis ins Deutsche: Abgelehnt. Gründe: "Nicht notwendig".
c.. Beiziehung der Notizen des Zeugen Riou: Abgelehnt.
d.. Ladung der Dolmetscher zum Vergleich der einzelnen Widersprüche in den =DCbersetzungen der Versionen des arabischen Textes: Abgelehnt. Gründe: "Ohne Bedeutung, welcher Wortlaut zutrifft".
e.. Ermittlungsrichter Bruguiere als Zeugen laden: Abgelehnt. Gründe: Bruguiere ist "unerreichbar", weil er abgelehnt hat, zu kommen.
f.. Beiziehung des sogenannten zweiten Berichtes der französischen Ermittler in Amman: Abgelehnt.
g.. Beiziehung und =DCbersetzung aller fehlenden Teile des französischen Rechtshilfeersuchens an Jordanien: Abgelehnt.
h.. Verlesung spezieller Schriftstücke: Abgelehnt.
i.. Ladung des DST-Mannes Descomps (der ebenfalls in Amman war): Abgelehnt. Gründe: "Bedeutungslos".
j.. Beiziehung des sogenannten Identifizierungsmaterials (Blut, Speichel, Fingerabdrücke) des angeblich vernommenen Issawi: Abgelehnt. Gründe: Es existiert kein Vergleichsmaterial.
Ein einziger Antrag wurde an diesem Verhandlungstag aber auch positiv beschieden: Ein Antrag von Staatsanwalt Mehlis auf Verlesung der angeblichen Aussage Issawis in der deutschen =DCbersetzung von Dr. Salem. Begründet wurde dies mit der "Aufklärungspflicht der Kammer" und einer BGH-Entscheidung von 1950, wonach eine schriftliche Aussage auch dann in ein Verfahren eingeführt werden darf, wenn die Unterschrift des Vernommenen fehlt und "der Zeuge nicht mehr zur Verfügung steht".

Zu eventuellen "verbotenen Vernehmungsmethoden" bei der Vernehmung des angeblichen Zeugen Issawi verwies die Kammer auf frühere Beschlüsse.

Die Verteidigung widersprach als erstes der Verlesung der =DCbersetzung von Dr. Salem und bat sich sodann zwei Wochen Zeit aus, um detailliert zu den Beschlüssen Stellung nehmen zu können. Ein paar Anmerkungen kamen dann aber doch noch von der Verteidigerbank. So charakterisierte RA Elfferding den Beschluß über die Verlesung der Dr. Salem-=DCbersetzung als "für die Kammer angenehmer", da dort die Widersprüche in den Aussagen Rious zur deutschen =DCbersetzung von Herrn Abdelwahab und der offiziellen französischen =DCbersetzung nicht mehrt auftauchen. Die Frage der Glaubwürdigkeit des DST-Mannes Riou wäre damit an diesem Punkt umschifft.

Elfferding bezeichnet es außerdem als "möglicherweise historischen Tag in der deutschen Rechtsgeschichte", daß die Kammer mit ihren Beschlüssen "Folter bewußt in Kauf nimmt", denn sehr viele Anhaltspunkte würden im "Fall Issawi" für die Anwendung von Folter sprechen, während es keinerlei Anzeichen dagegen gebe.

Verteidiger Häusler hatte sich in der Verhandlungspause das benutzte BGH-Urteil etwas genauer angesehen und stellte fest, daß der seinerzeit entschiedene Fall mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen sei. Denn bei dem 1950 entschiedenen Verfahren ging es um einen Zeugen, der vergessen hatte, seine schriftliche Aussage bei der Polizei zu unterschreiben und bei Prozeßbeginn verstorben war. Die Aussage war allerdings von den vernehmenden Beamten unterschreiben. Häusler wies ebenfalls darauf hin, daß Richter Bruguiere deshalb nicht erscheinen mag, weil er noch Ermittlungen in dieser Angelegenheit in Frankreich leitet und diese Ermittlungen geheim seien, um dann ein weiteres mal zu fragen, warum in Deutschland bereits über Straftaten auf französischen Boden verhandelt wird, während in Frankreich noch Ermittlungen dazu laufen. Dies erkläre dann wohl auch, warum Riou immer wieder darauf verwies, man möge zu wichtigen Punkten Richter Bruguiere befragen. Riou habe gewußt, daß Bruguiere (noch) nicht kommen darf.

Verteidiger Tzschoppe machte deutlich, daß von den 50 französischen Ermittlungsakten zum Tatkomplex Rue Marbeuf lediglich zwei hierzulande vorliegen und Richter Bruguiere durchaus nicht auf Dauer "unerreichbar" ist. Sobald in Frankreich Anklage erhoben würde, wäre er ladungsfähig.

Zum Abschluß vermutete Verteidiger Elfferding "ein Pilotprojekt des europäischen Strafrechts" hinter dem hier stattfindenden Verfahren. Mit der baldigen Einführung der neuen europäischen Richtlinien könne "man sich dann aussuchen, wo man die willfährigsten Richter findet" um genehme Urteile zu erreichen. Die Beschlüsse des heutigen Tages faßte er mit dem Satz zusammen: "So arbeitet man, wenn man weiß, wie man urteilen wird".

Nächster Termin: 08.03., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

01.03.2004
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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