Berlin: Weinrich-Prozess: 76. Verhandlungstag
Plädoyer der Staatsanwaltschaft
76. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Bevor Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis heute sein relativ bescheidenes Plädoyer vortrug, verlas Verteidiger Häusler noch eine Gegenvorstellung zu einem früheren Beschluß der Kammer.
Häusler verwies auf eine Konferenz mit prominenter juristischer Beteiligung, in der Bundesanwalt Griesbaum zum Thema Folter erklärte, daß schon der leiseste Verdacht genüge, um eine Zeugenaussage als nicht verwertbar zu charakterisieren. In Bezug auf die angebliche "Aussage" Issawis könne dies nur ein Verwertungsverbot bedeuten, so Häusler. Der Kammervorsitzende Ehestädt kommentierte dies ein weiteres mal mit dem Hinweis, daß diese Angelegenheit eine Frage der Beweiswürdigung, nicht der Beweiserhebung sei.
Mehlis stellte eingangs seines Plädoyers die Frage, ob dieser Prozeß notwendig gewesen sei, da Weinrich bereits zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er bejahte diese Frage mit der Erklärung, daß ein eventueller "Begnadigungsgedanke schon im Keim erstickt" werden müsse. In der Folge sprach er viel über "furchtbare Anschläge", "Opfer" und "Genugtuung durch die Strafverfolgung". Die Erklärung dafür, warum er dann den in der Anklageschrift zwar erwähnten und dort der Carlos-Gruppe zugeschriebenen Anschlag auf den TGV "Le Capitol" mit immerhin fünf Toten nicht zur Anklage brachte, blieb er allerdings schuldig.
Die Bedenken der Verteidigung gegenüber der angeblichen Aussage Issawis bezeichnete er als "nicht begründet". Die Kritik der Verteidigung an französischen Ermittlern nannte er "eine Verunglimpfung ausländischer Strafbehörden" und unterstellte der Verteidigung, "keine Argumente" in diesem Prozeß eingebracht zu haben. Bei den hier noch angeklagten drei Taten komme es weniger darauf an, ob "der Angeklagte selbst" die Bomben gezündet habe. Vielmehr sei er als "Verantwortlicher der Carlos-Bande für Anschläge in Westeuropa" schuldig. Mitunter hatten aufmerksame Beobachter den Eindruck, dem Oberstaatsanwalt müsse der Inhalt der Beweisaufnahme entgangen sein, denn Mehlis zitierte Zeugen wie Helmut Voigt (der nichts Relevantes ausgesagt hatte) und Handschriftengutachten des BKA (die eine Wahrscheinlichkeit für Weinrichs Schrift auf der untersten Ebene der Wahrscheinlichkeit angesiedelt haben) als "Beweismittel".
Zwei lupenreine Eigentore in einem Satz schoß Mehlis, als er erklärte, die Berichtsform des GID-Berichtes sei schon deshalb statthaft, weil diese Praxis auch in den USA üblich sei. Eigentore deshalb, weil erstens die Protokollform in den USA üblich, die Berichtsform eher die Ausnahme darstellt und zweitens, weil die Vereinigten Staaten von Amerika derzeit wohl kaum das geeignete Vorbild für den "rechtstaatlichen" Umgang mit Gefangenen im Ausland sind.
Für seine teils etwas pathetisch klingenden Ausführungen brauchte der Oberstaatsanwalt nach 15 Monaten Verhandlungsdauer gerade einmal 20 Minuten, wobei er es vermied, all die Ungereimtheiten und Entlastungsmomente, die sich im Laufe der Beweisaufnahme ergeben hatten, auch nur am Rande zu erwähnen. Er forderte, nicht zuletzt deshalb, weil "diese Bande in jüngster Zeit traurige Nachahmer gefunden" habe eine lebenslange Freiheitsstrafe "mit besonderer Schwere der Schuld".
In den kommenden Verhandlungstagen sind noch Anträge der Verteidigung, die Plädoyers der Nebenklage, sowie die Plädoyers der Verteidigung und ein eventuelles Schlußwort des Angeklagten zu erwarten. Die Kammer möchte den Prozeß erkennbar noch vor der Sommerpause abgeschlossen haben.
Nächster Termin: 21.06., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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