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Pressemitteilung: Demokratie verträgt keine Quarantäne - die Demonstrationsfreiheit gegen weitere Angriffe verteidigen!

Pressemitteilung der Roten Hilfe

Demokratie verträgt keine Quarantäne - die Demonstrationsfreiheit gegen
weitere Angriffe verteidigen!

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. protestiert gegen die vom
Innenministerium geplanten Verschärfungen des Versammlungsrechts
Von Verwaltungsgebühren für Auflagenbescheide bis zum Wasserwerfereinsatz
bei Minusgraden, ob totale Videoüberwachung durch Dokumentationstrupps der
Polizei, Gefährderanschreiben, Meldeauflagen, Schlagstockeinsatz oder
stundenlange Einkesselungen:
Dieses für Castor-GegnerInnen, GlobalisierungskritikerInnen oder
AntifaschistInnen schon bekannte Arsenal an "kleinen" und großen,
juristischen und faktischen Einschränkungs-möglichkeiten der
Demonstrationsfreiheit beweist, dass sich Polizei und Versammlungsbehörden
in der Realität oft genug einen Dreck um die hehren Worte des
Bundesverfassungsgerichts zur "grundlegenden Bedeutung" des
Versammlungsgrundrechts für Demokratie und Freiheit scheren.
Doch das ist für das Bundesinnenministerium offenbar noch nicht genug.
Wie aus den Medien zu erfahren ist, plant es eine Änderung des
Versammlungsgesetzes, wonach an bestimmten Erinnerungsorten von "nationaler
Bedeutung" Demonstrationen grundsätzlich verboten oder beschränkt werden
dürfen. Darüber hinaus sollen die Möglichkeiten für ein konkretes
Demonstrationsverbot erweitert werden.
Hintergrund für die geplanten Bannmeilen um Gedenkstätten sind durch
Beispiele in der Vergangenheit bestätigte Befürchtungen vor Nazi-Aufmärschen
an dem in etwa einem Jahr fertiggebauten Mahnmal für die ermordeten Juden
Europas in Berlin.
Deshalb sollen generelle Versammlungsbeschränkungen und -verbote für Orte
verhängt werden dürfen, die "in eindeutiger Weise an die Opfer einer
organisierten menschen-unwürdigen Behandlung" erinnern und die "als
nationales Symbol für diese Behandlung anzusehen" sind. An diesen Orten
könnte dann eine Versammlung, die geeignet sei "diese menschenunwürdige
Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen" leichter
verboten oder mit Beschränkungen belegt werden.
Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. befürchtet, dass diese Maßnahmen,
die sich nur vorder-gründig gegen die menschenverachtende Hetze von Neonazis
richten, auch zur Repression gegen Linke eingesetzt werden können.
Diese Erfahrung konnte bereits mit der Einführung von Dateien, in denen
vermeintliche politisch motivierte GewalttäterInnen erfasst werden, gemacht
werden. Öffentlichkeitswirksam im kurzen Sommer des "Aufstands der
Anständigen" als Instrument gegen neofaschistische Gewalt verkauft, wurden
gleichzeitig stillschweigend entsprechende Dateien für den Bereich "Links"
und "Ausländerextremismus" geschaffen.
Ähnlich verhielt es sich mit Ausreiseverboten, die zuerst und erneut gegen
Hooligans im Vorfeld von Europa- oder Weltmeisterschaften angewandt wurden,
danach aber auch gegen Globalisierungs-gegnerInnen, um sie an der Teilnahme
von internationalen Anti-Gipfel-Protesten zu hindern.
E v a E r l e vom Bundesvorstand der Roten Hilfe, führt dazu aus:
Einmal angenommen, das "Zentrum gegen Vertreibungen" wird gebaut. Problemlos
lässt es sich bei einem entsprechenden politischen Willen unter diese
Vorschrift subsumieren. Jede antifaschistische Demonstration, die sich gegen
die mit diesem Zentrum geplante Verharmlosung der Nazi-Verbrechen durch die
Gleichsetzung mit dem "deutschen Vertreibungsschicksal" richten würde, liefe
Gefahr, verboten werden zu können. Dadurch lässt sich ein bestimmtes
Geschichtsbild exekutieren und wird der politischen Debatte entzogen. Das
ist nicht hinnehmbar.

Auch die beabsichtigte Erweiterung der Gründe für ein konkretes
Versammlungsverbot geben Anlass zur Sorge.
So sollen Demonstrationen zukünftig auch dann verboten werden können, wenn
mit ihnen angebliche terroristische Vereinigungen oder Terrorakte im In- und
Ausland "in einer Weise verherrlicht oder verharmlost" werden, "die geeignet
ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden", ohne dass dabei wie nach
geltendem Recht die Strafbarkeitsschwelle überschritten werden muss.
Diese Verschärfung soll sich vornehmlich gegen Sympathiedemonstrationen für
"arabische und islamische Organisationen" richten. Jedoch ist auch hier zu
befürchten, dass sich diese Änderung früher oder später gegen Links
instrumentalisieren lässt.
Hierzu E v a E r l e :
Wir haben ja bereits mit der in dem Strafgesetzbuchparagrafen 129b
vorgesehenen Ermächtigung des Bundesjustizministeriums, zu definieren, wer
als ausländische Terrorgruppe einzustufen sei, kennen gelernt, dass sich die
Exekutive anmaßt, zwischen "bösen Terroristen" und "guten
Widerstandskämpfern" zu unterscheiden. Wir wollen hier nicht erneut an
Nelson Mandela erinnern, der im rassistischen Apartheid-Staat Südafrika und
auch für dessen deutsche Freunde als Terrorist galt, bevor er
Nobelpreisträger und Staatspräsident wurde. Die Frage, ob jemand legitimen
Widerstand gegen ein verbrecherisches Regime oder Terrorismus ausübt, darf
nicht durch Demonstrationsverbote der öffentlichen Diskussion entzogen
werden können.

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. protestiert aufs Schärfste gegen den
Versuch, bestimmte Orte und Themen der öffentlichen Debatte zu entziehen,
indem sie quasi unter Quarantäne gestellt werden.
Er fordert deshalb alle Abgeordneten des Bundestages auf, diesem
Gesetzentwurf ihre Zustimmung zu verweigern.
Er ruft alle demokratisch gesinnten Kräfte auf, diesem Angriff auf die
Versammlungsfreiheit aktiv entgegenzutreten und ihn abzuwehren.
Er bekräftigt, dass die Rote Hilfe e.V. durch ihre Unterstützungsarbeit
weiterhin ihren Beitrag dazu leisten wird, die Versammlungsfreiheit zu
verteidigen.


Die Rote Hilfe e.V. ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke
Schutz- und Solidaritätsorganisation.
Sie organisiert nach ihren Möglichkeiten die Solidarität für alle,
unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der
Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung, etwa das
Eintreten für die Ziele der ArbeiterInnenbewegung, den antifaschistischen,
antisexistische, antirassistischen, demokratischen oder gewerkschaftlichen
Kampf oder den Kampf gegen die Kriegsgefahr, verfolgt werden.

Unsere Unterstützung gilt denjenigen, die deswegen ihren Arbeitsplatz
verlieren, Berufsverbot erhalten, vor Gericht gestellt und zu Geld- oder
Gefängnisstrafen verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden.
Darüber hinaus gilt die Solidarität der Roten Hilfe den von der Reaktion
politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde.


 

23.06.2004
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