Berlin: Weinrich-Prozes: 78. Verhandlungstag
Plädoyers im Wechselspiel
78. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Zwei (der drei) Verteidiger sowie zwei Nebenklagevertreter füllten den Verhandlungstag mit Plädoyers. Zusätzlich wurde aufgrund einiger Anträge die Beweisaufnahme zweimal erneut eröffnet und nach entsprechenden Beschlüssen wieder geschlossen.
Den Auftakt bildete das Plädoyer von Verteidiger Häusler, der sich schwerpunktmäßig mit den BKA-Schriftgutachten auseinandersetzte. Einleitend jedoch beschäftigte sich Häusler mit der von der Staatsanwaltschaft thematisierten Frage nach dem "Sinn des Verfahrens" allgemein. Er bemühte historische wie gegenwärtige Vergleiche um zu belegen, daß sich "dieses Verfahren in einem Spannungsverhältnis von Gewalt und Recht" bewegt. Ohne die Unterstützung durch Staaten, so seine These, gebe es keinen "Terrorismus", wobei Staaten - und dazu zählte er explizit auch die "westlichen Demokratien" - oft selbst Urheber terroristischer Anschläge und Gewaltaktionen seien. Diese "Staatsgewalt" sei in aller Regel jedoch nicht dem Recht unterworfen. Er charakterisierte das Verfahren als "Testversuch eines Prozeß-shoppings" das aufgrund eines Paradigmenwechsels in der europäischen Rechtsauffassung durchgeführt werde. Die Folterandrohung des Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten Daschner gegen einen Beschuldigten sei für ihn ein "gezielter Regelverstoß" im Sinne eines solchen Paradigmenwechsels. Mit Prozeß-shopping umschrieb Häusler die neue europäische Gesetzgebung, die es den beteiligten Ländern zukünftig erlauben werde, Prozesse dort zu führen, wo man im Sinne der Anklage am ehesten "das Gewünschte bekommt". Da beispielsweise die "Aussage" Issawis in Frankreich nicht verwertbar sei, habe man ein Verfahren in Deutschland eröffnet, um sie gerichtlich einzuführen. Dabei sei noch nicht einmal ein formell korrekter Weg eingehalten worden, da auf jordanischer Seite ausschließlich der GID beteiligt gewesen sei. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "Geständniswäsche", die ähnlich wie eine Geldwäsche durch mehrere Länder geschleust wird, um eine möglicherweise durch Folter erlangte Aussage "weichzuspülen". Die französischen Akten seien durch die Staatsanwaltschaft mit Hilfe des BKA "gefiltert" worden und hier nur unvollständig vorhanden. Dies verletze den Grundsatz der Aktenvollständigkeit in einem Verfahren. Häusler erinnerte an "die Machenschaften der Geheimdienste im Schmücker-Verfahren", das über viele Jahre hinweg durch die Unvollständigkeit der Akten geprägt war und so die Manipulationen des Verfassungsschutzes erst möglich gemacht hatte.
Mittlerweile existiere ein "globales Netzwerk der Folter", daß sich scheinbar auch hierzulande schon in juristischen Kommentaren zur Relativierung von Artikel 1 des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") niederschlage.
Und auch bei den Schriftgutachten des BKA sei auffällig, daß Akten fehlten oder schlicht zu "privaten Akten" erklärt worden seien, um sie nicht der Verteidigung zur Einsicht geben zu müssen. Generell bestritt der Verteidiger der Sachverständigen Wagner die Wissenschaftlichkeit ihres Gutachtens. "Zählen ist nicht meine Sache" habe die BKA-Sachverständige hier erläutert. Dabei sei es aber gerade ein Indiz für Wissenschaftlichkeit, daß "gemessen, gewogen und gezählt" werde. Wenn Frau Wagner aufgrund der Untersuchung von Kopien zu einer "leicht überwiegenden Wahrscheinlichkeit" in Hinblick auf Weinrichs angebliche Schrift gekommen sei, habe sie das entscheidende wissenschaftliche Kriterium, die individuelle Feinmotorik, außer acht gelassen. Die hätte aber nur anhand der Druckgebung auf Originalen festgestellt werden können. Auch habe Frau Wagner einen möglichen Schriftwandel zwischen dem "kritischen Material" und dem "Vergleichsmaterial" nicht ausreichend berücksichtigt. Schließlich hätten 15 und 20 Jahre zwischen den einzelnen Proben gelegen. Weiterhin habe sie Vergleichsmaterial (Herkunft gesichert) mit kritischem Material (Herkunft unklar und deshalb zu untersuchen) gleichgesetzt, um damit wiederum kritisches Material zu vergleichen. Mit einer Reihe von Hilfsbeweisanträgen auf Zeugenladungen und Beiziehung fehlender Akten wollte Häusler dies belegen. In Konsequenz seines Plädoyers fordert er einen Freispruch für Weinrich. Da er außerdem noch einen Ablehnungsantrag gegen Frau Wagner aufgrund von Befangenheit stellte, eröffnete die Kammer die Beweisaufnahme erneut, um den Antrag als "unbegründet" abzulehnen.
Im Anschluß an die Mittagspause plädierte Nebenklagevertreter Ehrig. Er verwies noch einmal auf die "zentrale Bedeutung" von Illich Ramirez Sanchez als Zeugen für dieses Verfahren. Die Weigerung der Senatsverwaltung für Justiz berge die "Gefahr einer Prozeßsteuerung durch die Exekutive" und sei "eine Anmaßung". Zur "Bekämpfung des Terrorismus" seinen auch in der Vergangenheit erhöhte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden, insofern sei die Argumentation der Exekutive nicht nachvollziehbar. Hart kritisierte Ehrig die französischen Behörden und nannte "politische Opportunität" als Grund dafür, daß bis heute in Frankreich kein Prozeß in dieser Sache eröffnet worden sei. Die französische Rechtshilfe nannte er "unbefriedigend". Wenn auch die "Mosaiksteine dieses Verfahrens für sich allein nicht beweiskräftig" seien, bestehe doch "in der Gesamtschau kein Zweifel" an der Täterschaft Weinrichs. Auf Einzelheiten wollte RA Ehrig nicht näher eingehen und verwies auf das Plädoyer von RA Maigne, da dieser "öfter anwesend" gewesen sei als er selbst. Ihm sei jedoch wichtig, daß Deutschland im Gegensatz zu den USA oder Frankreich ein "rechtstaatliches Verfahren" durchführe, deshalb dürfe die "Aussage" Issawis keine Rolle spielen. Er forderte, Weinrich - auch unter dem Aspekt der "niederen Beweggründe" als Mordmerkmal - wegen Mittäterschaft zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe zu verurteilen.
Nebenklagevertreter Scheider schloß sich binnen vier Minuten RA Ehrig, RA Maigne und Staatsanwalt Mehlis an und verwies darauf, daß Weinrich "waidgerecht geschossen, nicht nur angeschossen" werden müsse.
Verteidiger Tzschoppe war mit seinem Plädoyer als Nächster an der Reihe. Sein Schwerpunkt waren die MfS-Akten. Einführend erläuterte er, daß er als ehemaliger Bürger der DDR selbst vom MfS überwacht und abgehört worden sei, nachdem er einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Nach dem Fall der Mauer sei er bei der Lektüre seiner Stasi-Akte erstaunt gewesen, "wie Vieles und wie wenig Wahres" er dort gefunden habe. Staatsanwalt Mehlis habe bei anderer Gelegenheit das MfS selbst eine "quasi-kriminelle Vereinigung" genannt, dem könne er nur beipflichten. Die Formulierung von Mehlis, "den Begnadigungsgedanken schon im Keim zu ersticken" nannte Tzschoppe "Teil einer Geschichte, die wir hinter uns haben".
Dann ging er näher auf das Zustandekommen und den Zustand der Akten ein. Er nannte die Methoden zur Erlangung bestimmter Informationen "illegal" und verwies auf die Aussage des MfS-Obersten Voigt, der den Zustand der Akten als "nicht original" bezeichnet hatte. Zudem seien die Akten "erheblich geschrumpft" und lägen meist nur in Kopie vor, was einer Manipulation durch die verschiedenen Dienste Vorschub leiste und nicht ausgeschlossen werden könne. Auch sei nicht mehr zu eruieren, welche Informationen sich in den Akten vermischt hätten. So hätten ehemalige Mitarbeiter des MfS hier als Zeugen ausgesagt, daß sie einige ihrer "Meldungen" eventuell auch aus der West-Presse haben könnten. Die Carlos-Gruppe sei vom ungarischen Staatssicherheitsdienst "als Gegner betrachtet" worden, der mit Hilfe eines gefälschten Interpol-Fahndungsplakates aus dem Land gedrängt werden sollte. Dies zeige, daß seinerzeit auch mit Fälschungen und Desinformation gearbeitet worden ist. Die Kammer selbst habe in einem Beschluß von 1999 (es ging damals um einen erneuten Haftbefehl für Weinrich) dazu geraten, die MfS-Akten "mit äußerster Vorsicht" zu behandeln.
Zum Abschluß trat die Kammer noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um den rechtlichen Hinweis zu geben, daß Weinrich "möglicherweise" auch wegen des Mordmerkmals "niedere Beweggründe" verurteilt werden könnte.
Den kommenden Verhandlungstag wird Verteidiger Elfferding für sein Plädoyer nutzen.
Nächster Termin: 30. 06., 11 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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