Hamburg: Politische Prozesse gegen Bauwagenleben gehen weiter
Hamburg, den 30.Juli 2004
POLITISCHE PROZESSE GEGEN BAUWAGENLEBEN GEHEN WEITER
Vorletzte Woche wurden die Verhandlungen um eine Einstellung aller Verfahren
gegen die Harkortstraßen-BesetzerInnen abgebrochen, da sich die
Staatsanwaltschaft weigerte, einer Gleichbehandlung aller Betroffenen zuzustimmen.
Im Herbst letzten Jahres wurden die Verhandlungen um einen neuen Platz für den
geräumten Wagenplatz Bambule von dem Senat abgebrochen. Am 27.09.2003 gab es
daraufhin und in Solidarität mit allen WagenbewohnerInnen eine symbolische
Platzbesetzung von ca.100 Menschen in der Altonaer Harkortstraße.
Dieser Platz wurde während der Verhandlungen als Möglichkeit gehandelt, auf die
sich auch die DB als Eigentümerin einlassen wollte. Ziel der Besetzung war es
unter anderem, darauf aufmerksam zu machen, dass es an politischem Willen und
nicht an Platz für Wagenleben in Hamburg fehlt.
Anfangs war die Polizei zwar anwesend, es gab aber keine Kommentare zu dem
Betreten des Platzes. Später wurden die Feiernden auf dem Gelände beim Essen und
Trinken durch immer stärkere Polizeipräsenz bedrängt. Ein Kessel wurde gezogen,
der nicht mehr einfach verlassen werden konnte. Die 84 verbliebenen
BesetzerInnen wurden nach etwa drei Stunden Einkesselung einzeln zur
Identitätsfeststellung weggebracht. Sie wurden, zum Teil mit auf dem Rücken
gefesselten Händen, in HVV-Bussen oder Polizeifahrzeugen quer durch Hamburg in
verschiedene Stadtteile gefahren, wo sie in Gewahrsamszellen gesperrt wurden. Es
handelte sich nach Aussage der Polizei um vorläufige Festnahmen.
Die „zur Identitätsfeststellung durchgeführte Ingewahrsamnahme“ ist zwar gängige
Praxis bei der Polizei, die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme wurde jedoch vom
Amtsgericht festgestellt. Ein Teil der vorläufig Festgenommenen wurden bis zum
nächsten Morgen festgehalten. Es kam auf den Wachen zu etlichen Schikanen: Viele
mussten sich bei der Eigentumsdurchsuchung nackt ausziehen, teilweise wurde
Trinken verweigert. Manche wurden zudem erkennungsdienstlich behandelt, obwohl
diese Maßnahmen eine gewisse Schwere des Vergehens erfordert.
Rund ein halbes Jahr später erhielten die meisten der damals Festgenommen einen
Strafbefehl mit dem Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen Hausfriedensbruches.
Trotz des absolut identischen Vorwurfs schwankte die Höhe des Strafbefehles
zwischen 200-1000 Euro pro Person. Die Strafbefehle und dabei vor allem die
unterschiedliche Höhe wirken im Zusammenhang als überzogene Schikane, stellen
einen weiterer Angriff gegen politisch Unliebsame dar und dienen der
Einschüchterung.
Die Betroffenen nahmen diese Verurteilung nicht hin, sondern legten Widerspruch
gegen die Strafbefehle ein. Infolgedessen kam es am 13.05.2004 zum ersten
Prozess gegen einen der 84 Angeklagten. Trotz Gegenanträge wurden zum Teil
bewaffnete Polizisten als Zeugen vernommen. In den ersten Prozessen stellte sich
folgendes heraus: Die von der Aurilles Management GmbH gestellte Anzeige bezog
sich, ebenso wie die Anklage der Staatsanwaltschaft, ausdrücklich auf Personen
welche sich nach Aufforderung der Polizei nicht vom Gelände entfernt hatten.
Polizeizeugen vor Gericht bestätigten jedoch, dass es solch eine Aufforderung an
die Personen auf dem Gelände nicht gegeben hat. Die angeblich offensichtliche
Umzäunung des Geländes, ein bedeutendes Argument der Staatsanwaltschaft, wurde
ebenfalls relativiert.
Es kam zu einer Unmenge an Formfehlern, so z.B. zu ungenügendem oder falschem
Ausfüllen der Festnahmeformulare (bis hin zur Fälschung der Unterschrift eines
Polizeibeamten). Die Akten der Anklage sind völlig unzureichend und fehlerhaft,
was anfänglich zwar vom Gericht bestätigt wurde, jedoch nicht zu einer
Einstellung der Verfahren führte. Obwohl das Gericht selbst den Strafbestand in
den Hauptpunkten als nicht bewiesen ansah, verurteilte es die Angeklagten zu
Geldstrafen bis zu 900 €.
Das Plenum der Betroffenen hat sich entschlossen, in Berufung zu gehen.
Zeitgleich stehen viele weitere Prozesse in erster Instanz an. Aus dem Plenum
der Betroffenen wurde der Staatsanwaltschaft ein Angebot unterbreitet, dass eine
gemeinschaftliche Einstellung aller Verfahren unter der Bedingung der
Gleichbehandlung aller Betroffenen, also auch der bereits verhandelten
Verfahren, beinhaltet.
Dieser Schritt wurde unternommen, um der Staatsanwaltschaft klar zu machen, dass
sie den Betroffenen und den Gerichten ein völlig überzogenes Prozedere
aufzwingt, wenn sie einzelne Prozesse durchsetzt. Eine gleiche Vereinbarung für
alle hätte die Möglichkeit ergeben, im Einvernehmen keine weiteren Prozesse zu
führen. Die Staatsanwaltschaft hat sich dafür entschieden, die Mindestforderung
nach Gleichbehandlung nicht anzunehmen, so dass wir uns gezwungen sehen, auch
weiterhin die gesamten Verfahren einzeln vor Gericht zu bringen, um unsere
Position durchzusetzen.
Dass sich in Gerichtsurteilen bzw. in Verfahrensabläufen herrschende Politik
manifestiert, ist sicherlich keine neue Erkenntniss. Dass sich noch nicht einmal
die Mühe gemacht wird, das Ganze in eine der bürgerlichen Rechtsprechung
entsprechende Form zu bringen, auch nicht. Immer wieder erschreckend ist es
trotzdem. Proteste auf der Strasse werden im Nachhinein mit Prozessen
überschüttet, die Betroffenen müssen sich mit hohen Kosten für z.B. AnwältInnen
oder zu zahlende Strafen herumschlagen. Das diese Form der Repression
mittlerweile nicht nur sich als radikal verstehende Menschen trifft, sondern an
jegliche Proteste gerichtet ist, zeigen z.B. Strafbefehle gegen StudentInnen der
HWP welche gegen die Umstrukturierung der Uni vor dem Rathaus demonstriert hatten.
Wir solidarisieren uns mit den kriminalisierten StudentInnen an der HWP, den
WagenbewohnerInnen, deren Wohnungen bei der Hafenstraßenaktion beschädigt wurden
und allen anderen Opfern polizeilicher und sonstiger staatlicher Angriffe, die
sich um eine solidarische Gesellschaft bemühen. Der Ende August von der Räumung
bedrohte Bauwagenplatz „Wendebecken“ braucht ein Recht auf selbstbestimmte
Perspektive und hat unsere Solidarität.
DIE ZÄHNE ZEIGT WER DAS MAUL AUFMACHT!
Die weiteren Gerichtstermine sind unter: www.bambule-hamburg.org zu finden
Kontakt zu den Betroffenen gibt es über: Presse.harkortstr@nadir.org
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