Hamburg: Pressemitteilung | Verurteilung eines Radioredakteurs
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Pressemitteilung
Hamburg, 31. Januar 2005
Zensur wegen misslungener Selbstdarstellung
Radioredakteur verurteilt, weil Richter Polizeipressesprecher nicht
stottern hören will
Am vergangenen Freitag wurde der ehrenamtliche FSK-Redakteur Werner P. zu
einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Ein extrem hohes Strafmaß,
wenn man bedenkt, dass vor einigen Wochen an demselben Gericht 80
Tagessätze für fahrlässige Tötung verhängt worden sind. Umso absurder
erscheint diese hohe Strafe, wenn man sich die Hintergründe des Prozesses
ansieht.
Am 18. und 19. Oktober 2003 führte Werner P. zwei Interviews mit dem
Polizeipressesprecher Ralf Kunz. Er stellte sich mit seinem vollen Namen,
als Mitarbeiter des Hamburger Freien Radios FSK vor und fragte nach den
zahlreichen Festnahmen auf der nachmittäglichen Bambule-Demonstration zur
Verteidigung von Bauwagenplätzen und des Demonstrationsrechts. Zentrales
Thema der Gespräche waren zwei Demonstrationsteilnehmer, die während ihrer
Festnahme schwer verletzt worden waren und in ein Krankenhaus eingeliefert
werden mussten. Da diese Vorfälle in keiner offiziellen Stellungnahme der
Polizei auftauchten, wollte der Redakteur des Freien Sender Kombinats
Details erfahren. Vergeblich, wie Werner P. zusammenfasst: "In den
Interviews mit Kunz war offensichtlich, dass die Polizeipressestelle
entweder intern falsch informiert worden war oder die Öffentlichkeit
uninformiert lassen wollte." Einige Tage später sendete FSK Teile dieser
Gespräche.
Dass Polizeipressesprecher Kunz dabei keine gut informierte,
professionelle Figur abgegeben hat, scheint auch er selbst zu glauben.
Etwa vier Wochen später, am 25. November 2003, führten Polizei und
Staatsanwaltschaft in den Studio- und Redaktionsräumen des
nichtkommerziellen Radiosenders eine martialisch inszenierte Razzia durch.
Die Begründung des amtsrichterlichen Durchsuchungsbeschlusses:
Polizeipressesprecher Kunz habe die Gespräche nicht explizit freigegeben.
Dazu Werner P.: "Ich hatte keinen Zweifel, dass die Interviews gesendet
werden durften, schließlich hatte ich keinen Beamten privat nach seiner
Meinung gefragt, sondern offizielle Gespräche mit der Pressestelle
geführt."
Zum Zeitpunkt der Razzia lag den Behörden ein Mitschnitt der im Radio
ausgestrahlten Interviewteile vor. Gesucht wurde nun angeblich die
Originalaufzeichnung der Interviews. Die Maßnahmen der BeamtInnen hatten
mit dem Anlass der Durchsuchung allerdings nichts zu tun: Die gesamte
Studiotechnik wurde abfotografiert, von sämtlichen Räumlichkeiten wurden
Grundrissskizzen angefertigt und mehrere Ordner mit Adressen und
Redaktionsunterlagen wurden beschlagnahmt. Darüber hinaus übten die
BeamtInnen Zensur und untersagten den Sendenden jegliche Erwähnung der
Hausdurchsuchung über den Äther.
Als Staatsanwaltschaft und Polizei das Gesuchte nach stundenlanger
Inspektion nicht gefunden hatten, zogen sie in die Privatwohnung des
Redakteurs weiter. Ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss verletzten
sie seine Privatsphäre und machten Fotografien, von denen das Amtsgericht
inzwischen festgestellt hat, dass sie strafrechtlich irrelevant und
rechtwidrig waren.
Doch auch diese unrechtmäßige Razzia brachte nicht die gewünschten
Ergebnisse. Die Originalaufnahme der Gespräche wurde nicht gefunden.
Stattdessen beschlagnahmten die BeamtInnen ein älteres, nie gesendetes
Interview mit der Polizeipressestelle, in dem es um eine vermisste
Polizeiwaffe während eines Neonazi-Aufmarsches ging.
Als Werner P. letzten Freitag das Gerichtsgebäude betrat, wurden ihm zwei
Vergehen vorgeworfen. Nach § 201 StGB habe er die "Vertraulichkeit des
Wortes" verletzt, und zwar
1. durch das Aufzeichnen des nicht gesendeten Interviews mit
Polizeipressestelle; und
2. durch das Aufzeichnen und Senden der Interviews mit
Polizeipressesprecher Kunz.
Zu Beginn der Verhandlung wurde der erste Anklagepunkt eingestellt, da
auch das Gericht einräumen musste, dass die Polizeiermittlungen, während
denen der Mitschnitt des Interviews beschlagnahmt worden war,
verfassungsrechtlich fragwürdig sind.
Bei der Verhandlung des zweiten Anklagepunktes führte Verteidiger Ralf
Ritter aus, dass der Vertrauensschutz in der täglichen Arbeit von
Pressesprechern nicht gelte, sofern nicht ausdrücklich Vertraulichkeit
vereinbart worden ist: "Hier geht es nicht um die Privatsphäre von Herrn
Kunz, sondern um die, wenn vielleicht auch missglückte, offizielle
Selbstdarstellung der Polizei. Inhaltlich bestand ein berechtigtes
Interesse der Öffentlichkeit an den Vorfällen, um die es in den Interviews
ging."
Das Interesse der Öffentlichkeit scheint nicht das Interesse der
Staatsanwaltschaft zu sein. Der durch den FSK-Redakteur beschrittene Weg
würde, so das Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft, das
Vertrauensverhältnis von JournalistInnen und Polizei stören. Wenn ein
Journalist sich nicht jedes Gespräch ausdrücklich zur Veröffentlichung
freigeben lässt, könne die Polizei sich nicht darauf verlassen, dass
"geheime", nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen
vertraulich behandelt werden würden.
In der Logik der Staatsanwaltschaft liegt der Schutz der Pressefreiheit
also im Schutz der Pressearbeit der Polizei. Dabei war der ursprüngliche
Anlass der Telefoninterviews doch gerade der Verdacht, dass die
Polizeipressestelle die genaueren Umstände der Festnahmen auf der
Demonstration zu verschleiern suchte.
Dass es bei den Gesprächen am 18. und 19. Oktober 2003 sowieso nicht um
vertrauliche Informationen ging, bestätigte auf Nachfrage des Verteidigers
auch Polizeipressesprecher Kunz: "Nein, ich habe keine Geheimnisse
mitgeteilt. Ich konnte inhaltlich so gut wie nichts mitteilen."
Der bedenklichen staatsanwaltschaftlichen Vorstellung von Pressefreiheit
schloss sich Amtsrichter Thomas Semprich nicht an. Die Inhalte des
Gesprächs, so urteilte er, waren eindeutig von öffentlichem Interesse.
Dennoch verhängte er das von der Staatsanwaltschaft geforderte, hohe
Strafmaß. Denn auch ein Pressesprecher habe ein Recht auf seine Stimme.
"Es ist ein Unterschied", so Semprich, "in welcher Art und Weise man ein
Gespräch führt und ob dann jedes peinliche Ääh oder Stottern gesendet
wird."
Es sind also Stimme und Sprechweise, die mit diesem Urteil geschützt
werden. Für diesen Fall jedoch kann Ralf Kunz beruhigt werden: Die
regelmäßige Hörerin Freien Radios ist an Füllwörter und stockendes
Sprechen gewöhnt!
Bei Rückfragen, auch zu den von FSK eingereichten Verfassungsbeschwerden,
bei denen festgestellt werden soll, dass die Hausdurchsuchung
unverhältnismäßig und rechtswidrig war, wendet Euch/ wenden Sie sich bitte
an: 0162 1927542 oder fsk-oeff@gmx.net
Zudem ist das Projekt auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Wir danken
für alle Arten von Spenden auf das Prozesskostensolikonto!
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