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Thu Mar 14 15:52:35 1996
 

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-falsch verstanden

In den frühen Morgenstunden des 24. Juli zogen in A1zey Studenten der juristischen Fakultät an der Mainzer Universität durch die Straßen. Nicht Kommerslieder, sondern Nazilieder und antisemitische Gemeinheiten waren es, die den noch verschlafenen Alzeyer Bürger weckten

Es ist nicht wichtig, wieviel Studenten diese Lieder gesungen haben. Wichtig ist aber, daß sie gesungen wurden und daß bis jetzt noch nicht bekannt geworden ist, welche Maßnahmen die verantwortliche Leitung der Universität im Zusammenhang mit diesen Vorgängen ergriffen hat.

Nun gibt es wieder einmal Leute, die da sagen, man solle doch wegen einer dummen Saufgeschichte nicht so viel Aufhebens machen. Die jungen Leute hätten über den Durst getrunken und aus diesem Grunde dürfe man doch nicht so sein.

Es hat einmal eine Zeit in Deutschland gegeben - e sind jetzt gerade 100 Jahre her - da sangen die deutschen Studenten, auch wenn sie nicht über den Durst getrunken hatten, Freiheitslieder gegen die Tyrannei der Fürsten und ihrer Knechte. Als sie damals sangen, zeigten sie ihren wahren Charakter und der war demokratisch, freiheitlich und tyrannenfeindlich.

Die Studenten von Alzey zeigten auch ihren wahren Charakter; aber sie sangen Lieder, die uns Deutschen nicht zur Ehre, sondern zur Schande gereichen.

In diesen Tagen hat auf der Mainzei Universität ein internationaler Ferienkursus mit Studenten aus Frankreich und England begonnen. Es ist durchaus möglich, daß unter den deutschen Studenten auch Leute sind, die in Alzey ihren wahren Charakter zeigten. Daran zu denken, ist unerträglich für deutsche Demokraten, die schon vor 1933 für die Völkerverständigung kämpften.

Auch nach 1918 wurde das republikanische Deutschland dadurch verseucht, daß man Erscheinungen wie sie in Alzey zu Tage traten, zu vertuschen suchte und gegen den Willen der demokratischen Öffentlichkeit ungestraft ließ. Die deutsche Arbeiterbewegung war damals viel zu rücksichtsvoll, denn sonst hätte sie es sich tatkräftig verbeten, daß die geistige Versumpfung großer Teile der akademischen Jugend mit Hilfe weichgewordener Professoren zu einer Gefahr für die wirkliche deutsche Intelligenz wurden.

Wir fordern daher die Universitätsbehörden der Mainzer Universität und die für das Erziehungswesen im Staate Rheinland-Pfalz verantwortlichen Stellen auf, rücksichtslos diese neuen Ansätze der Verächtlichmachung einer werdenden deutschen Demokratie auszumerzen. Wildgewordene Akademiker haben durchaus keine Sonderstellung in einem demokratischen Staat. Wenn sie nichts von Politik verstehen, oder verstehen wollen, wenn sie eine vom Nazismus kompromittierte Vergangenheit haben, dann ist das mindeste, was man von ihnen verlangen könnte, größte Bescheidenheit im Auftreten und die Vermeidung all dessen, was uns Deutsche wieder ,in Mißkredit bringen könnte.

Wenn die Herren aber glauben sollten, daß mit diesen unseren Forderungen das ,,eigene Nest beschmutzt'' wird, dann wollen wir ihnen zur Erinnerung folgendes mit auf den Weg gehen:

Als Rathenau, Erzberger und andere große deutsche Demokraten von beschäftigungslos gewordenen Offizieren ermordet wurden, da fand sich auch eine Presse und ein akademischer Berufsstand in Deutschland, der den Protest der aufrechten Republikaner gegen diese feigen Mordtaten mit dem Motto ,,Eigene Nest beschmutzen" zurückwies. Und als sich dann später weite Kreise der Bevölkerung in falschverstandener Vaterlandsliebe durch diese Redensart verleiten ließen, zu jeder nationalistischen und antisemitischen Verseuchung zu schweigen, da war der Weg zum Nationalsozialismus geöffnet.

Aus diesem und keinem anderen Grunde appellieren wir an alle diejenigen - auch an die Mainzer Studenten - und ihre Professoren! -,. denen es um die demokratische Entwicklung einer deutschen Intelligenz ernst ist, dafür zu sorgen, daß sich Vorgänge wie die in Alzey nicht mehr wiederholen können.

Deutschlands Existenz hängt davon ab, ob es uns Deutschen gelingt, so schnell und so rücksichtslos wie möglich all das unerbittlich auszumerzen, was dazu beigetragen hat, uns in das unermeßliche Elend zu stürzen. Dazu gehört die Unschädlichmachung des Ungeistes nationalsozialistischer und antisemitischer Überheblichkeit. Die Tatsache, daß man anständerweise gewissen Leuten die Möglichkeit gab, ihr Studium und ihre Lehrtätigkeit fortzusetzen, ist noch lange kein Freibrief für die Fortsetzung der Schädiung deutscher Gesamtinteressen.

Aus diesem Grunde sind die Vorgänge von Alzey nicht etwa eine ,,Alzeyer Angelegenheit«; oder vielleicht eine ,,Affäre Mainzer Universität". Nein, sie sind die Angelegenheit jedes deutschen Staatsbürgers, der sich darüber im klaren ist, daß , die Leute, die da in Alzey auftraten, in wenigen Jahren als Akademiker großen Einfluß auf das öffentliche Leben nehmen können. Und was daß bedeutet, das haben wir von 1918 bis 1945 kennen gelernt.

Wir danken dafür!

Einige Fragen:
Wer hat für die Veranstaltung in Alzey den Sonderzug zur Verfügung gestellt?
Wer hat dafür gesorgt, daß auf der Veranstaltung in Alzey ausreichend Wein vorhanden war?
Unseres Wissens fehlt es in den Krankenhäusern und Altersheimen sowohl an Kohle wie an Wein.


Aus "Die Freiheit" Nr. 5 vom 8.8.1947

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