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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

Inhalt
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Antifaschistischer Widerstand in Wurzen. [1]

Wurzen-Broschüre.

KONZEPTE
PROBLEME
ERGEBNISSE

Vorbemerkungen.

Im Gegensatz zur faschistischen Kontinuität im Muldentalkreis fällt es schwer, eine dauerhafte oder besonders erfolgreiche Antifa-Tätigkeit zu resümieren. Dabei gab es im Betrachtungszeitraum neben dem existentiell notwendigen Selbstschutz der sich in dieser Region als Punks bzw. »Bunte« zu erkennen gebenden Jugendlichen, Ansätze von organisierter Gegenwehr, die einem vorher konzipierten und offensiverem Antifa-Verständnis entsprangen.
Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen abstrahieren, von denen die erstere etwas ausführlicher beschrieben werden soll, da daraus die Konsequenzen für die jetzige Antifa-Strategie gezogen wurden.
Woran lag es, daß nach einer von Rechercheanstrengungen, öffentlichen Aktionen, direkten Angriffen auf Nazis und ihre Treffs und dem Schutz der eigenen Projekte geprägten Phase die organisierte antifaschistische Gegenwehr fast vollständig nachließ? Warum versiegte die Unterstützung von Antifas benachbarter Städte, besonders aus der am nächsten gelegenen Metropole, Leipzig
, mit einer halbwegs intakten linken Struktur?
Hat die Antifa in Wurzen für alle Zeit »verloren«, weil Faschos auch nach einer Reihe antifaschistischer Aktivitäten kein bißchen isolierter, ja vielmehr in ihrem Auftreten noch viel gefestigter wirkten?
Lag dies an falschen Konzepten oder deren inkonsequenter Umsetzung, und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Der folgende Versuch, den antifaschistischen Widerstand gegen das Faschozentrum Wurzen mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen nachzuzeichnen, unterliegt einigen Prämissen, die des besseren Verständnisses wegen vorangestellt werden:
  1. Er kann die alltägliche faschistische Gewalt, wie sie gegen Nicht-Deutsche und in der Region lebende »Bunte« wirkt, nicht ausreichend erfassen und auch die damit im Zusammenhang stehenden Aktivitäten zum Selbstschutz nicht vollständig berücksichtigen. Denn er ist eine Betrachtung von »außen«, die nicht auf die individuelle Erfahrung der Lebenssituation innerhalb von »Faschotown« zurückgreifen kann.
  2. Dies ist auch Ergebnis davon, daß es im Muldentalkreis keine funktionierende Antifa-Struktur im Sinne einer dort verankerten Gruppe oder Organisation gibt.
  3. Wurzen wurde als das Zentrum der Nazis angesehen, ist aber nur eine Hochburg innerhalb einer braunen Zone.
    Es läßt sich nicht vermeiden, daß die rückschauende Betrachtung vom heutigen Stand der Analyse der braunen Zone Muldentalkreis ausgeht.
    Hierbei handelt es sich um ein faschistisches Zentrum, wie wir es vorher noch nicht kannten. Es beschränkt sich nicht nur auf einzelne Führungspersönlichkeiten, Objekte, Orte und Organisationen und ist auch nicht in der Bevölkerung wegen dem zu offensichtlichen faschistischem Auftreten mehr oder weniger noch isoliert, sondern breitet sich über eine gesamte Region aus, hat dort die kulturelle Hegemonie inne und kann auf ein riesiges Rekrutierungspotential zurückgreifen.
    Diese Einschätzung ist ein Ergebnis der Beschäftigung mit den Nazi-Aktivitäten und den gescheiterten Antifa-Ansätzen.
  4. In dieser zu spät erkannten Dimension liegen natürlich ebenfalls Ursachen für gemachte Fehler, es wäre aber zu einfach, dies als ausschließlichen Grund anzusehen.
  5. Gerade weil für das »Scheitern« der Antifa mehrere Faktoren verantwortlich sind und die faschistische Entwicklung im Muldentalkreis als herausragend und exemplarisch zumindest für die neuen Bundesländer eingeschätzt wird, müßte sich ein Interesse ergeben, den antifaschistischen Widerstand in seinen Variationen und temporären Erscheinungen nachzuvollziehen.

Antifa heißt Angriff - Wahrnehmung, die Erste.

Anfang 1995 gelangen die Faschoaktivitäten im Muldentalkreis, verkürzenderweise nur mit der Kleinstadt Wurzen verbunden, das erste Mal außerhalb der dort lebenden Opfer in das Bewußtsein einiger Linker. BetreiberInnen des alternativen Projekts Villa Kuntabunt kommen zum Offenen Antifaschistischen Plenum (OAP) nach Leipzig, um sich hier für Hilfe gegen die immer brutaler werdenden Angriffe und für den gemeinsamen Schutz der Villa einzusetzen.
(1) vgl. MTZ vom 29. Juni 1995
Bis zu diesem Zeitpunkt bestehen die Kontakte zwischen Wurzner »Bunten« und auswärtigen Alternativen nur innerhalb einer Punk-Community. Die Villa ist der einzige Ort in Wurzen, wo diese regelmäßig Partys feiern können, welche für ihre Extensivität weit über die Stadt hinaus bekannt sind, Punks und Metaler anziehen. Dies sollte dem Projekt jedoch bald einen Stempel aufdrücken, der für manche ausschließend wirkt. Im Sommer 1993 werden noch voller Enthusiasmus Pläne für das alternative Zentrum geschmiedet, welche auch die lokale Presse mit Sympathie aufnimmt. (1) Neben Proberäumen, Aufnahmestudio und Cafe denken die BetreiberInnen an Ausstellungen, ein regelmäßig erscheinendes Info-Blatt und an Filmvorführungen, die neben den Partys und Konzerten die Villa zu einem alternativen Gesamtprojekt gemacht hätten.
Einiges wird eine Zeitlang verwirklicht, doch das Angebot für diejenigen, welche sich vom rechten Mainstream nicht angezogen fühlen, schränkt sich zu Gunsten der Punk/Party-Fraktion ein. Die Einteilung von Leuten in solche Gruppenbegriffe ist wegen der Abstraktion natürlich mit Vorsicht zu genießen. Aber als Antifas aus anderen Städten im Winter/Frühjahr 1995 beim Schutz der Villa vor Faschoangriffen mithelfen, kommen die NutzerInnen des Projekts überwiegend aus diesem Spektrum.
Das hatte zweierlei Auswirkungen. Zum einen werden diejenigen behindert, welche die Villa auch über die Party hinaus zu einem konti-nuierlich funktionierenden alternativem Anlaufpunkt gestalten wollen. Was nicht unwesentlich dazu beiträgt, daß sich nach »draußen« um Hilfe gewandt wird. An eine halbwegs strukturierte Antifa-Arbeit mit den daran gebundenen Zwängen (z.B. Abstinenz von Alkohol bei Aktionen) und Verbindlichkeiten (regelmäßige Plena) ist im Alternativhaus nicht zu denken. Zum anderen zeigen sich Antifas aus anderen Städten von der vorgefundenen Situation abgeschreckt. Es ist keine Seltenheit, daß bei drohenden Angriffen die potentiellen VerteidigerInnen von außerhalb nach ein paar Stunden des Wartens zu den ganz wenigen Nüchternen oder überhaupt Anwesenden gehören. Der sich hier abzeichnende Konflikt kann aber nicht vorbehaltlos den Punks und Party-Peopels in die Schuhe geschoben werden. Die andere Seite der Medaille ist, daß die Antifas aus anderen Städten im Umland von Wurzen sich nach der Entschärfung der konkreten Angriffsbedrohung wieder verziehen. Außerdem sind es auch vorwiegend Punks, die der alltäglichen Gewalt der Faschos ausgesetzt sind und die sich dagegen wehren.
Hinzu kommt, daß sie spätestens nach der Veranstaltung von Open-Airs mit mehreren hundert BesucherInnen dem Bannfluch der spießigen Wurzner Normalbevölkerung anheim fallen. Und sie sind es auch, welche die meisten direkten Angriffe auf Nazis starten oder nicht selten bei Aktionen die große »Masse« stellen. Jedoch ist es unmöglich, vor den Auswirkungen jener Splittung des linken Potentials, die aus Zusammenhängen in anderen Städten all zu gut bekannt sind, die Augen zu verschließen. Daß am 12. Juli 1995 die Villa ersatzlos geschlossen werden kann, liegt eben auch daran, daß kein tragfähiges BetreiberInnenkonzept durchgesetzt wird, auf dem ein Widerstand gegen die Stadtpolitik und gegen die Naziangriffe hätte aufbauen können. Nach dieser Charakterisierung der Situation innerhalb der Wurzner Linken und der Konflikte mit den UnterstützerInnen, ist es vielleicht recht hilfreich zu beschreiben, an wen sich da um Hilfe gewendet wurde :
Das OAP
in Leipzig ist ein für alle zugängliches antifaschistisches Forum. Hier werden Infos über Fascho-Aktivitäten weitergegeben und (legale) Antifa-Aktionen vorbereitet. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung repräsentiert es nicht die »Leipziger Antifa«. Will man von einer solchen überhaupt sprechen, gehören andere Projekte, Personen und Aktionsformen mit hinzugezählt. Wobei der Schein der Aufzählung trügt. Es existiert zwar der Mythos »Leipziger Antifa« oder als Synonym »Connewitzer Autonome« (nach dem Leipziger Szene-Stadtteil), die Realität ist aber eher durch wenige Aktive und Interessierte gekennzeichnet.
(2) vgl. „Leipzig ganz Rechts“, Hg. Antifaschistisches AutorInnenkollektiv Leipzig, bes. S. 38 ff.
Die Präsenz des Mythos hat ihre Ursachen größtenteils in der Vergangenheit. In Leipzig
gelang es einer Antifa mit autonomen Selbstverständnis, die sich im Kontext von HausbesetzerInnenbewegung (im Osten lag deren Höhepunkt kurz nach der Wende) und Hardcore-Subkultur verortete, sehr erfolgreich, die Faschos zurückzuschlagen. Das Ziel der Nazis, Leipzig zu einer von Zecken und AusländerInnen befreiten Zone zu machen, (2) konnte verhindert werden. Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme der Wurzner Antifas mit dem OAP gehört diese erfolgreiche Phase aber in mehrfacher Hinsicht der Vergangenheit an.
Die ehemals aktive und politisierte Szene dümpelt vor sich hin, HC löste sich von seiner linksradikalen Codierung und verabschiedete sich von seiner Rolle als kultureller Background der Autonomen. Für viele gibt es kein Faschoproblem mehr, da die Angriffe auf Linke und alternative Projekte in der Stadt spürbar nachließen. Die Szene richtete sich ein, fühlt sich im Kiez sicher, flüchtet in die bekannte alternative Selbstbefindlichkeit und schmolz im Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
In diese Situation »platzen« die Leute aus Wurzen, und es empfängt sie eine, von den noch aktiven Antifas ausgehende, Stimmung aus unterschwelliger Resignation, Nostalgie und Distanz. Letztere rührt aus den Erfahrungen und Erfolgen, die sich die »Alten« auf die Fahnen schreiben.
Zwar sollte sich bald darauf auch manchmal gemeinsamer Enthusiasmus entwickeln, aber während der gesamten Zusammenarbeit sorgt die beschriebene Stimmung fürKommunikationsschwierigkeiten.

Exkurs: Wurzen vor Leipzig.

Die Gegenwehr gegen Faschos in Wurzen beginnt nicht erst mit der Problematisierung im Leipziger Plenum.
Spätestens nach der Vereinigung Deutschlands müssen sich die Linken der Region mit einem massiven Fascho-Problem auseinandersetzen. Die Versuche, der scheinbar ausweglosen Situation zu entgehen bzw. das ungleiche Kräfteverhältnis auszugleichen, bringen dabei äußerst diffuse Aktionen hervor. Um der »permanenten gewaltätigen Links-Rechts-Auseinandersetzung« zu entgehen, besetzen rechte und alternative Jugendliche im Mai 1991 gemeinsam ein Haus, um fortan zusammen für eine bessere Jugendpolitik einzutreten. Doch es kommt, was kommen muß. Den Faschos sind die Punks »zu unordentlich«, also werden sie aus dem, für das Haus von der Stadt erhaltenem Ersatzojekt Goldenes Tälchen
herausgedrängt. Aus dieser Erfahrung resultiert ein mehr Erfolg versprechender Ansatz. Einige »Bunte« gründen die IG Rock, erwirken 1992 einen Mietvertrag für die Villa Kuntabunt und schaffen damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für linke Jugendkultur - einen Freiraum.
Ein solcher muß als integraler Bestandteil antifaschistischer Strategien begriffen werden, auchwenn in Wurzen seiner Beschaffung nicht großartige theoretische Überlegungen vorausgingen.
Wer heute mit offenen Augen durch den Muldentalkreis blickt, kann die Bedeutung eines Alternativ-Hauses gar nicht genug schätzen, ist es doch die einzige Möglichkeit, einen beständigen Keil
in die Hegemonie rechter Jugendlicher zu treiben. Der Erfolg zeige sich damals sehr schnell. Mehrere Bands proben in den Räumen, Konzerte wurden organisiert und bei den Punk-Festivals wurde neben der Bevölkerung auch den ortsansässigen Faschos das Fürchten gelehrt. Auch die Besetzung des Hauses in der Dresdener Straße im August 1994 durch (ausschließlich) Alternative in Wurzen, um ein Wohnprojekt durchzusetzen, ist eine Verwirklichung des Freiraumprinzips und somit Antifa.
Die Praxis erwies bald, daß diese Aktivitäten nicht ausreichen. Die Zeiten von alternativen Projekten, von »Bunten« besetzter Häuser, gar einer halbwegs sicheren Alternativ-WG gehören in Wurzen der Vergangenheit an. Die Beschränkung auf den Schutz der eigenen Nischen als defensiv zu bewerten, darf aber nicht die besondere Situation in Wurzen vergessen lassen.
Linke Intentionen von Jugendlichen haben hier nicht nur militante Faschos und die »normalen« Schwierigkeiten bei der Etablierung von alternativen Projekten zum Feind. Die Spießermentalität von BürgerInnen der Kleinstadtidylle und die Verschränkung von Polizei und Städtischen Behörden isolieren die eher linken Jugendlichen in immer stärkerem Maße, unterstützt die Nazis und deren Treffs dafür um so mehr.
Das Fehlen eines Unterstützungspotentials, wie es in anderen Städten vor allem der westlichen Bundesländer bei Grünen und bürgerlichen Linken zu finden ist, und Abstinenz auch nur eines Hauchs von Zivilcourage bei der Mehrheit der Wurzner Normalbevölkerung lassen die Alternativen kaum aus ihrer Nische heraustreten. Tun sie es doch, reicht schon der kleinste Regelverstoß und die ganze Stadt keift, stigmatisiert sie als Chaoten, Drogenabhängige, Schmierer und Ruhestörer.

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