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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

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Antifaschistischer Widerstand in Wurzen. [2]

Wurzen-Broschüre.

Konzepte und mehr.

Soviel zur Situation vor dem Zusammentreffen von Wurzner und Leipziger Antifas.
Bei den ersten Gesprächen besteht auf Seiten der LeipzigerInnen natürlich ein riesiges Informationsdefizit. Nur nach und nach kann sich ein halbwegs realistisches Bild von den Verhältnissen in Wurzen gemacht werden. Im Laufe der regelmäßigen Treffen wird klar, daß das antifaschistische Feuerwehrprinzip zu kurz greift und auf die Dauer der Zeit auch gar nicht durchhaltbar ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Hilfe von außen, die zu dieser Zeit schon läuft, also vor und parallel zu den konzeptionellen Überlegungen stattfindet.
Die Probleme beim Schutz der Wurzner Villa
durch auswärtige Antifas liegen auf der Hand. Es sind nicht genügend Fahrzeuge da, um bei Alarm schnell am potentiellen Angriffsort zu sein. Dazu kommt, daß sich widersprechende und panikartige Gerüchte über Anzahl und Absichten der Faschos auf die Dauer nicht motivationserhöhend wirken. Die praktischen Erfahrungen vor Ort tragen ebenfalls nicht dazu bei. Wie vorhin schon erwähnt, sind viele SchützerInnen nach ein paar Stunden besoffen oder nicht mal mehr körperlich anwesend und das zu der erfahrungsgemäß gefährlichsten Zeit, wenn Diskotheken, in denen sich die Faschos treffen, schließen und von denen aus es nur ein Sprung zur Villa ist.
Zudem sind die auswärtigen HelferInnen selbst in Projekte eingebunden. So fällt die Entscheidung, ob mensch sich in eine andere Stadt zwischen scheinbar ahnungslose, dafür aber um so längere Knüppel schwingende Partypeopels begibt und sich die Nacht höchstwahrscheinlich »umsonst« um die Ohren schlägt, oft schwer. Daß für viele um Unterstützung gebetene der bequeme Alltag den Vorzug erhält, ist eine andere Geschichte.
Für einen kurzen Zeitraum kann wenigstens an Wochenenden, an denen die Gefahr für die Villa
am größten eingeschätzt wird, ein regelmäßig wechselnder Städteschutz organisiert werden.
Wer nicht kommt, sind die Nazis. Und dies wird nicht unbedingt als positiv eingeschätzt. Denn die Antifas bauen auf Erfahrungen in anderen Städten, welche gezeigt hatten, daß die erfolgreiche militante Verteidigung, die Faschos Beulen, blaue Augen und PKW-Schrott einbringt, eine abschrekkende Langzeit-Wirkung erzielen kann. Warum die Villa
in dieser Zeit nicht Ziel eines größeren Angriffs wird, bleibt spekulativ. Die Faschos fahren zwar oft provokativ Streife, aber mehr nicht. (3)
(3) Bei einem Brand, der damals ein Nebengebäude auf dem Gelände der Villa vernichtet, ist ein rechter Brandanschlag zwar nicht auszuschließen, es deutet aber auch vieles auf einen technischen Defekt hin. Die Tatsache, daß die Polizei die Untersuchungsergebnisse darüber nie bekannt gibt, läßt die erste These nicht gerade unwahrscheinlicher werden.

(4) Siehe Chronik, Frühjahr/Sommer 95

Es könnte sein, daß die Faschos von der Verstärkung abgeschreckt sind, denn sie bekommen sehr schnell Wind von den Verbindungen unter den Antifas. Genausogut kann aber auch die verstärkte Präsenz der Polizei, welche ebenfalls von der auswärtigen Unterstützung unterrichtet sind und neben den Einfahrtsstrassen nach Wurzen und der Villa auch bekannte Treffpunkte der Nazis observieren, die Angriffe verhindern. Generell kommen diese aber nicht zum Erliegen, sie geschehen nur außerhalb des relativ sicheren Alternativ-Projektes. (4) Im selben Zeitraum sind die internen Probleme betreffs eines BetreiberInnenkonzepts für die Villa
Kuntabunt bereits akut. Da die Villa jetzt auch theoretisch als wichtigster Ausgangspunkt für weitergehende Antifa-Aktivitäten angesehen wird, versuchen die TeilnehmerInnen des OAP die WurzenerInnen, die den Weg nach Leipzig gefunden haben, davon zu überzeugen, die Villa in ihre Hände zu nehmen, die Party-Fraktion zurückzudrängen und eine funktionierende, auch für andere attraktive Struktur zu gewährleisten. Die LeipzigerInnen predigen regelrecht praktische Schritte, wie zum Beispiel ein regelmäßig stattfindendes Plenum in der Villa, da sie in Leipziger-Antifa-Kreisen als Voraussetzungen angesehen werden, den eigenenen Erfahrungen entspringen.
Jedoch gehen sie an den realen Verhälnissen in der Wurzner Villa vorbei und praktisch in die Hose. Die eher »autonome« oder »problembewußtere« Fraktion kann sich nicht durchsetzen, verliert Lust und Energie und zieht in einigen Fällen die Konsequenz, die Stadt zu verlassen.
(5) Müller-Clan, Thomas Jurich

(6) Wermelskirchen, Leipzig, Delitzsch... vgl. Artikel zu Strukturen

(7) siehe Artikel zu Stadtpolitik

(8) siehe Artikel zu Verhalten von Staat und Justiz

(9) Dazu der sächsische Verfassungsschutzbericht 1995: „Daß sich die autonomen Szenezeitschriften ‘FRENTE’, ‘KlaroFix’ und ‘CeeIeh’ in den vergangenen Monaten öfter mit den Ereignissen in Wurzen beschäftigten, zeigt, daß die Leipziger autonome Szene auf die Jugendlichen in Wurzen einen großen Einfluß ausübt.“

Wohl in dieser Zeit beginnt auch eine Antifa-Recherche. Klar ist, daß die Faschos aus ihrer Anonymität gerissen werden müssen, ihre eventuelle organisatorische Einbindung, ihre Kontakte zu anderen Nazi-Zentren aufgespürt gehören. Erste Ergebnisse offenbaren schnell lokale Integrations- und Führungsfiguren (5) und ihre Verbindungen in andere Städte. (6) Mit den ersten stichhaltigen Informationen über die Nazis, aber auch über ihre Hofierung durch städtische Jugendpolitik (7) und Bullenpraxis (8) sowie mit dem Interesse, die nicht abreissenden Übergriffe auf AusländerInnen und Linke zu dokumentieren, setzt auch eine »publizistische Offensive« in den Leipziger Szene-Blättern ein. Im März 1995 berichten das KlaroFix, das antifaschistische Jugendinfo Frente und der Cee Ieh-Newsflyer ausführlich über die Situation in Wurzen, machen somit erstmalig einen größeren Kreis von Menschen auf die Problematik aufmerksam. (9) Dies ist ein Zeichen dafür, daß »Terrortown« Wurzen die lokale Antifa-Politik bestimmt.
Leider dringen die Rechercheergebnisse selten nach außen. Oft kursieren unbestätigte Gerüchte durch Antifa-Kreise, deren Urheber zweifelhafte InformantInnen aus dem Dunstkreis der Rechten sind. Dies betrifft sowohl bevorstehende Angriffe als auch Angaben über die organisatorische Verankerung und Verbindungen der Faschos.
Der Informationsfluß funktioniert leider auch nicht, wie anzunehmen wäre, in nur eine Richtung.
So erfahren die Nazis schnell von der auswärtigen Unterstützung und der Urheberschaft einiger Aktionen. In einer Kleinstadt wie Wurzen ist aber letztendlich ein gewisser free flow of information nicht vermeidbar. Hier und in den umliegenden Dörfern kennt jede/r jede/n von der Schule, der gemeinsamen Lehre oder aus der Disco etc.
Dies hat Vor- und Nachteile. Für Außenstehende ist dieser Kontakt jedenfalls nur schwer nachvollziehbar. Zumal die persönlichen Kontakte trotz der eskalierten Lage aufrecht erhalten werden. Und was noch viel schwerer wiegt, die Faschos nutzen ihr Kräftepotential und erzwingen regelrecht gefährliche Zugeständnisse der Linken aus Wurzen.
Im Februar 1995 finden gemeinsame Gesprächsrunden von Faschos, »Bunten« und StadtpolitikerInnen statt. Die Nazis drohen den »Bunten« mit „sonst gibt’s am Wochenende Tote“, falls sich letztere nicht an den „Friedensverhandlungen“ beteiligen würden.
(10) ebenfalls eine Kleinstadt in der Nähe von Leipzig

(11) Die Faschos treffen sich damals in der BB-Baracke, deren Schließung schon abzusehen ist.

(12) Papier des Delitzscher Treffens vom 18.2.95

(13) z.B. Tilo Finger

Bei einem Vernetzungstreffen von Antifas in Delitzsch
(10) wird dieser Praxis eine klare Absage erteilt, ist es doch offensichtlich, daß der »Waffenstillstand« nur den Rechten nützen würde.
Sie brauchen die Ruhepause, „um ihre Forderungen nach einem größeren Ersatzobjekt (11) in aller Ruhe planen und durchsetzen zu können.“ (12) Desweiteren würden mit jedem Treffen automatisch Informationen preisgegeben, so die Einschätzung der in Delitzsch
Anwesenden. Im Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen den Fronten spielen Personen eine zwielichtige Rolle, die sich abwechselnd Linken und Rechten als Lobbyisten anboten. (13)
Neben Schutz und der Sammlung von Informationen ist ein offensiveres Vorgehen gegen die FaschistInnen Teil des Antifa-Konzeptes. Dies beinhaltet neben den direkten Angriffen auf die Nazis, die Besetzung des öffentlichen Raumes vor Ort, die Präsenz auf der Straße.
Es soll erreicht werden, daß die Bevölkerung sich nicht mehr hinter ihrer (angeblichen) Ahnungslosigkeit verstecken kann, ihr Stillschweigen und ihre Ignoranz sollte angegriffen werden.
Hierzu gibt es unterschiedliche Positionen. Einige Antifas halten eine Konzentration auf aufklärerische Aspekte für sinnlos und falsch, toleriert die Mehrheit der Wurzner Bevölkerung doch seit Jahren rassistische und faschistische Übergriffe und nimmt die Täter, ihre Kinder, Freunde und Bekannten in Schutz - so die Argumentation.
Geeinigt wird sich jedenfalls darauf, daß diejenigen, die aus Unwissenheit oder wissentlich die Nazis unterstützen, mit einem linksradikalen Problem konfrontiert werden müssen. Die Ruhe in Wurzen soll von Links gestört werden.
Dies bedeutet in den Überlegungen der Antifas, die Aufzeigung eines militanten antifaschistischen Potentials, das Abbilden der Konterfeis bekannter Nazis auf Plakaten, also das Aufheben ihrer Anonymität, die Bekanntmachung von Verbindungen und organisierten Strukturen und das Anprangern der ständigen Übergriffe.
Praktisch sieht das dann so aus:
An einigen Wochentagen im Mai/ Juni 1995 fahren Antifas aus mehreren Städten nach Wurzen. Zusammen kleben sie Plakate in der Wurzener Innenstadt, verteilen Flugblätter (14) und bringen Transparente an Plätzen und Straßen an.
(14) Der genaue Inhalt der Flugblätter ist leider nicht mehr rekonstruierbar, da wohl nur noch Polizei und Faschos Exemplare besitzen, was auf ein Manko der hiesigen Antifa Arbeit - keine lückenlose Archivierung eigener Aktionen - hinweist. Der einzige Hinweis auf die Flugblatt-Aktion, der sich fand, stammt aus einem Beitrag des CEE IEH (Nr. 13). Das folgende Zitat beschreibt auch die konzeptionellen Ambivalenzen der Aktion:
„Da vermutet wurde, daß erstens ein Teil der BürgerInnen nicht um die Dimension der rechten Realitäten ihrer Stadt wissen (weil politisch Verantwortliche jene ständig herunterspielen) und zweitens viele Jugendliche eher Mitläufer in der rechten Szene sind, die im Gegensatz zum Kern der Neonazis, deren Ideologie noch nicht vollständig verinnerlicht haben, aber durch Äußerlichkeiten und ‘Eindruck schaffende Taten’, diese symbolisieren und die Akzeptanz dafür zum Ausdruck bringen, wurden zwei Flugblätter entworfen und verteilt, die auf diese Umstände eingehen und daraus folgend versuchen klarzustellen:
1. Wer von den BürgerInnen Wurzens weiterhin das rechtsradikale Problem nicht sehen will, bzw. dieses verschweigt und verharmlost, macht sich mitschuldig an den bereits erfolgten und leider höchstwahrscheinlich noch folgenden Übergriffen der Faschos auf MigrantInnen, Linke und all diejenigen, die sich gegen die rechte Realität stellen.
Sie sollen sich nicht wundern, wenn Wurzen bald in einem Atemzug mit Städten, wie Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und Magdeburg genannt wird.
2. Wer von den Jugendlichen sein Mitläufertum nicht überdenkt und weiterhin im regionalen rechten Mainstream mitschwimmt, muß die Konsequenzen sehen, die daraus folgen können.
Leider gibt es in Wurzen nur einen Ansatz einer Alternative - die Villa -, welche von der Stadt nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar behindert wird.
Aber selbst bei Nichtakzeptanz dieses Ansatzes, bleibt die Möglichkeit, eigene, von den Nazis unabhängige Wege zu suchen.“

(15) Sächsischer Verfassungsschutzbericht 1995, S.15

(16) KlaroFix, Juni 95

(17) siehe Chronologie: 20.4.1996 Gerichshain; 6.4.1996 Wurzen

(18) KlaroFix, Juni 95

(19) Cee Ieh, Juni 95

Die Faschos beobachten die Aktionen durch vorbeifahrende Späher, sammeln sich an ihrem damaligen Treffpunkt BB-Baracke
, entschließen sich aber nicht zu einem Angriff. Im Gegenteil. Zweimal flüchten sie, als die Antifas auch die Baracke mit Plakaten eindecken. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht liest sich das »Drumherum« solcher Antifa-Aktionen z.B. so: „17.6.1995 Landfriedensbruch. Ca. 40 vermummte Linksextremisten greifen den Skin-Treff ,Baracke’ an. Mehrere Personen versuchen, das Lokal zu stürmen. Sie zerschlagen Fensterscheiben, vergießen Tapetenleim und beschädigen das Mobiliar. Flüchtende Skins werden mit Steinen und Leuchtspurmunition beschossen.“ (15)

Bürgermeister Pausch in MTZ vom 14.7.1995
Was hier wie ein geplanter Angriff dargestellt wird, ist in Wirklichkeit nur eine Reaktion auf den sich sammelnden Faschomob, der die Antifas angreifen will. Sie sind mit Basekeulen und Pyroabschußteilen bewaffnet und wollen die Plakatierung der Baracke verhindern.
Zusammen übrigens mit der Besatzung eines Streifenwagens, welche die Antifas sogar mit gezogener Dienstpistole bedroht.
Der Höhepunkt jener offensiven Aktionsperiode ist die Demo am 20. Mai 1995. Unter dem Motto »Wurzen und Umland nicht in Nazihand - Kein Fußbreit den Faschisten« beteiligen sich größtenteils nur Linke aus der Region an der Demo, obwohl diese eigentlich als »bundesweite« deklariert wird. Wer die sonst in ostdeutschen Städten stattfindenden Demos kennt, muß aber zumindest eingestehen, daß jene konsequent und powerfull ist. Die Leipzig
er Zeitschrift KlaroFix schreibt: „überhaupt war den Leuten die Entschlossenheit anzumerken. Die Demo war die ganze Zeit von Sprechchören begleitet, es gab kaum peinliche ‘Schweigeminuten’. (16) Als Faschoansammlungen am Rande des Demozuges provozieren, wird die Polizei gezwungen, diese aufzulösen, da alles darauf hindeutet, daß dies sonst - trotz des Bullenspaliers - die Antifas erledigen.
Und trotzdem, die TeilnehmerInnenzahl von 300 Personen ist für eine bundesweite Demo ziemlich peinlich. Muß ja auch davon ausgegangen werden, daß die Faschos daraus Schlüsse über das Kräfteverhältnis ziehen. Sie benötigen für ihre Auftritte von 200-300 Kameraden keine Aufrufe, Plakate und Vernetzungstreffen. (17) Ein solches Potential schütteln sie sich im Muldentalkreis locker aus dem Ärmel. So ist es natürlich ein Irrtum, daß viele Involvierte des antifaschistischen Widerstandes in Wurzen während und noch einige Zeit nach der Demo das Gefühl hatten, inmitten einer erfolgreichen Antifa-Periode zu stecken.
Zum Abschluß eines Redebeitrages der Wurzner Demo postulieren »Antifaschisten aus Sachsen und anderswo« zukunftsorientierte Schritte: „Diese Demo ist nur der Anfang. Diverse Recherchegruppen werden solange weiterarbeiten, bis auch der letzte kleine Fascho aus seiner Anonymität gerissen und damit angreifbar geworden ist. Faschos, eure besten Zeiten hier sind vorbei, jetzt wird die Rechnung aufgemacht. Eure Tage sind gezählt.“ (18) Im selben perspektivischen Duktus ist eine am Ende der Demo skandierte Parole: „Heute ist nicht alle Tage - Wir kommen wieder keine Frage!“ (19) Die Antifas von außerhalb kommen aber nicht mehr lange wieder. Letzte größere Aktion ist der ungeplante Angriff auf die Baracke am 17.6.95.
Die offensiven Aktionen in Wurzen hören auf. Die Villa
Kuntabunt wird ersatzlos geräumt. »Bunte« in Wurzen können sich nur noch in einigen WG’s, normalen Kneipen und anderen ungeschützten Plätzen treffen. Einige AntifaschistInnen aus Wurzen verlassen die Stadt, für andere sind die Differenzen mit den auswärtigen Antifas zu groß, sie kommen nur noch selten zu gemeinsamen Treffen.
Manche entpolitisieren sich, andere werden von den Faschos als »Einheimische« in Ruhe gelassen. Diejenigen, die als »bekennende« Antifas in Wurzen bleiben, müssen sich im wahrsten Sinne des Wortes »durchschlagen«. Fast ein dreiviertel Jahr gibt es keine großartig organisierten Antifa- Tätigkeiten und auch aus den Leipziger Szene-Zeitschriften verschwand die Thematik »Wurzen«. Im Herbst 1995 wurde im Leipziger OAP
mit „Wurzen abgeschlossen“ (O-Ton).

Das Ende der Antifa? Warum?

Die Ursachen für diesen resignierenden und vor allem die Entwicklung der Wurzner Fascho-Szene ignoriernden Abschluß sind vielfältig.
Eines der hauptsächlichen Argumente ist, daß mit dem Wegfall der Villa
die wichtigste Grundlage für eine antifaschistische Perspektive in Wurzen abhanden gekommen ist.
Den Nazis kann ihr sehr junges Rekrutierungspotential nicht mehr streitig gemacht werden. Jugendkultur, Freizeit, Spaß, Action, Party sind nun in Wurzen vollständig von rechts okkupiert.
(20) siehe Artikel zu Jugendpolitik
Daß die Villa
so sang-und klanglos eingehen kann, rechnen viele AntifaschistInnen neben der Stadtpolitik (20) auch den Wurzner Linken an. Gerade diejenigen, die im Kontakt zu den UnterstützerInnen von außerhalb stehen, sehen sich von diesen mit den Vorwürfen konfrontiert, kein tragfähiges Konzept erarbeitet und sich nicht genügend gegenüber der Punk/Party-Fraktion durchgesetzt zu haben.
Die bereits schon weiter oben angedeuteten Differenzen mit den Punks tragen natürlich nicht unerheblich zu der Kapitulation vor den »Wurzener Verhältnissen« bei. Einige »spektakuläre« Aktionen wirken für Antifas von außerhalb regelrecht motivationshemmend. So schießt zum Beispiel ein ebenfalls auswärtiger Punk mit dem Luftgewehr zum Spaß auf einen Antifa aus Leipzig
, und besoffene Typen verletzen sich beim Schutz der Villa mit ihren Mega-Knüppeln bei Gaudi-Kloppe-reien. Ähnliche Distanz herscht von Seiten der Wurzner Punks gegenüber den eher »autonomen« Antifas. Ihnen wird vorgeworfen, daß sie nur sporadisch auftauchen, ihr »Ding« durchziehen und wieder verschwinden und die Linken aus Wurzen mit den Folgeproblemen alleine lassen. Und dies entspricht der Realität. Eine Konsequenz wäre, nach Wurzen zu ziehen. Dazu hat keine/r Lust.
Die Differenzen begünstigen die ausbrechende Konzeptionslosigkeit so sehr, daß Leipzig
er Antifas überlegen, wie das offensive Antifakonzept auch ohne die einheimischen Alternativen durchzusetzen wäre. Doch die Präsenz von Antifas auf der Straße, eingeschlossen dem direkten Angriff auf die Nazis, erscheint aus einer anderen Perspektive ebenfalls fragwürdig.
Es zeigt sich, daß die Nazis nach jedem Angriff fester zusammen rücken. Gab es vorher oft Informationen über interne Differenzen innerhalb des Faschomobs, entwikkelt sich im Zuge der Antifa-Offensive bei den Faschos ein Anti-Antifa-Konsens. Der erhält wiederum, zumindest subtil, die Unterstützung der Wurzener Bevölkerung, der lokalen Presse und der Bullen. Alle sind sich einig: „Die Gewalt ging von den Linken aus.“ (21) Die Faschos nutzen ihren Background clever aus.So verteilen sie zum Beispiel als Reaktion auf die Antifa-Aktionen ein Flugblatt, in dem sie sich als „ganz normale Kinder und Jugendliche die keine Drogen nehmen“ darstellen und den Bürgermeister Pausch
bitten, „gegegen dieses sogenannte Antifa-Bündnis vorzugehen.“
(21) Überschrift eines Artikels in der MTZ vom 24.1.95 und O-Ton des Landeskriminalamtes Sachsen nach dem Überfall von Faschos auf Mietwohnungen von Linken in der Berggasse.

(22) zit. nach dem Flugblatt der Faschos vom 16.6.95 (Rechtschreibung original)

(23) es gab zwei der legendären Punkerknacker-Festivals

Sehr deutlich wird, wie sie sich ihr Verhältnis zur Bevölkerung vorstellen und wie es auch in der Realität aussieht: „Bürger von Wurzen! Wir wollen keine Gewalt auf unseren Straßen! Wir wollen friedlich mit-und untereinander leben! Wir, das sind Jugendliche aus Wurzen! Wir das sind die sogenannten Faschos! Wir melden uns wieder!!!!“. (22)
Die Besonderheiten, die solch ein Meinungsklima für antifaschistische Gegenwehr erfordert, werden damals von vielen Linken oft ignoriert. Als in der Villa
wieder ein Punk-Open-Air veranstaltet werden soll, (23) ist diese bereits akut von einer Räumung bedroht, es gibt kein perspektivisches BetreiberInnenkonzept und die Villa hat auch keine starke Lobby in der Stadt.
Bei einer solchen Konstellation muß das Festival, auch wenn es als Manifestation für den Erhalt der Villa gedacht ist, bei der »kleinsten Erregung öffentlichen Ärgernisses« nach hinten losgehen. Dies ist dann auch der Fall.
Der lapidare Anlaß für einer erneuten Stimmungsmache gegen das Alternativprojekt ist die Plünderung eines Eiswagens vor einer Kneipe, die Folge letztendlich auch die Räumung der Villa Kuntabunt. Viele auswärtige AntifaschistInnen sind unter diesen Bedingungen gegen das Konzert, können sich aber mit ihren Vorbehalten nicht durchsetzen. Irgendwie finden es ja auch alle gut, wenn die Faschos in Wurzen mal ein Wochenende nichts gebacken, vielleicht sogar die Fresse voll kriegen. Trotzdem ist die Auseinandersetzung um das Festival äußerer Ausdruck für die verschiedenen Umgangsweisen mit dem Wurzner Faschoproblem.
Bei den meisten Antifas festigt sich der Eindruck, daß die Konzeption des Widerstandes mit der Villa im Zentrum durch die Praxis unterlaufen wird und somit auswärtiges Engagement zweifelhaft erscheint. Neben jenen Problemen gibt es noch ein weiteres Manko der Antifa-Tätigkeit.
Es findet keine kontinuierliche Pressearbeit statt. Aus der Analyse des rechten Konsens in Wurzen, der sich in der Lokalpresse meist widerspiegelt, wird der Schluß gezogen, die eigenen Aktionen sowieso nicht vermitteln zu können. Wenn also Pressearbeit, dann soll sich auf überregionale Medien konzentriert werden. Theoretisch wird die Notwendigkeit für eine Berichterstattung etablierter Blätter folgendermaßen begründet:
(24) Cee Ieh, Nr. 13, Sommer 95

(25) Ausnahme waren einige Artikel in der jungen Welt, z.B. am 1.2.95, 29.3.95.

„Vor allem geht es jetzt neben der antifaschistischen Präsenz vor Ort, um eine breite Öffentlichmachung... Dies umfaßt auch das links-bürgerliche Spektrum von TAZ und Spiegel bis zur Frankfurter Rundschau und ausländische Medien. Nur, wenn auf Wurzen von allen Seiten „mit dem Finger gezeigt wird“, wenn die Idylle der Kleinstadt von der Anprangerung der faschistischen Realität übertüncht wird und die regierende CDU
um die Attraktivität ihrer Gemeinde für Investitionen bangen muß, hat antifaschistisches Engagement die notwendige Aussicht auf Erfolg.“ (24) Praktisch gibt es die anvisierte Pressearbeit bis zum April 1996 nie. (25)
Zur Not läßt sich dieses Versäumnis damals auch noch taktisch legitimieren.
Die Antifa will der Stadt Wurzen einen Gegenpol, ein »linksradikales Problem« verschaffen, vertraut implizit zu sehr auf die eigenen Kräfte und wertet deshalb auch noch den schlechtesten Artikel in der Muldentalzeitung als »Erfolg«. Die Gratwanderung zwischen dem linksradikalen Antifa-Ansatz und dessen Vermittlung gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit ist zwar schon immer ein Problem der Antifa, findet aber in Wurzen keine gleichgewichtige, geschweige denn, den Verhältnissen entsprechende Funktionalisierung. Über- schätzen die antifaschistischen Kräfte auf der einen Seite ihr Potential, tun sie andererseits nicht genügend, um ihre Wirksamkeit durch Vernetzungen und Bündnisse im linken Spektrum zu verstärken. Zwar gibt es die Vernetzung innerhalb der regionalen Antifa-Zusammenhänge, diese lassen sich allerdings an einer Hand abzählen und stecken alle in den gleichen Schwierigkeiten.
Es lassen sich immer weniger Leute für regelmäßige Antifa-Arbeit und Aktionen interessieren. Daß nicht darüber hinaus die Kommunikation mit Antifagruppen gesucht wird, zeigt sich dann deutlich bei der Demo vom 20. Mai 1995.
Da es im Vorfeld nicht gelingt, die Thematik »Fascho-Zentrum-Wurzen« als exemplarisch und besonders gefährlich im bundesweiten Maßstab darzustellen, werden die Aufrufe für die Demo, über die üblichen Infoläden und Antifa-Gruppen-Verteiler verbreitet, außerhalb des sächsischen Raum’s praktisch ignoriert. Was auch nicht wundert. Leider ist es ja heutzutage so, daß in jedem Ort Deutschlands eine Demo gegen Rassismus und Neofaschismus einer Grundlage nicht entbehrt. Jede Antifa-Gruppe setzt ihre Prioritäten und unterstützt nur bei besonderen Anlässen Aktionen außerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes. Voraussetzung ist die Einsicht in die Wichtigkeit und dafür wiederum eine konzentrierte inhaltliche Vorbereitung mit Vor-bereitungstreffen, Infotouren, Artikeln in Zeitschriften, ansprechenden Plakaten usw.
Die schlechte Zusammenarbeit mit überregionalen Antifa-Zusammenhängen zeigt sich in einer anderen Situation noch viel deutlicher.
Als am Osterwochenende 1996 in dem von den Faschos besetzten Haus in Wurzen ein größeres Nazitreffen stattfindet, in dessen Verlauf eine Wohnung von »Bunten« mit Pyros fast in Brand gesetzt wird und zwei Punks, die zu einer Gruppe gehören, die nach dem Fascho-Angriff verstärkt Streife fahren, vor dem Nazi-Treff schwer zusammengeschlagen werden, rufen Antifas kurzfristig zu einer bundesweiten Spontandemonstration auf.
Die AntifaschistInnen befürchten, daß die Nazis ihre Stärke zu weiteren Angriffen nutzen, wollen ihnen deshalb sofort Paroli bieten und zeigen, daß sie immer noch sehr schnell in der Lage sind, auf Übergriffe zu reagieren.
Im Verlauf der kurzfristigen Mobilisierung (24h) treten grundlegende Mißstände der Antifa-Tätigkeiten deutlich zu Tage. Es kursieren krude Fehlinformationen über zwei Punks, die als von den Faschos entführt und im Fascho-Haus festgehalten gelten und die unbestätigt zur bundesweiten Mobilisierung genutzt werden. Einige aus weit entfernten Städten des Bundesgebietes angereiste Antifa-Gruppen sehen sich von der Situation vor den Kopf gestoßen. In einem Kritik-Papier Hamburger AntifaschistInnen heißt es zum Beispiel:
„Wieso gab es über die Situation in Wurzen, Bullen und Faschos betreffend, nur Gerüchte. (...) Warum fühlte sich keiner der Antifas verantwortlich, eine Koordination zu übernehmen. (...) Was versprecht ihr euch von einer bundesweiten Mobilisierung binnen einer Nacht, ohne zuvor Grundlagen dafür geschaffen zu haben...“
Doch die Kritik an den Antifas, die sich mit Wurzen beschäftigten und wieder beschäftigen, geht noch weiter. So wird ihnen (nicht aus Hamburg) Arroganz und das Zurückhalten von Informationen vorgeworfen. Hier wieder eine gemeinsame Vertrauensbasis zu schaffen, muß eine der wichtigsten Aufgaben für eine neue antifaschistische Offensive sein.
Auch in Punkto Bündnisse werden die Möglichkeiten, die in den neuen Bundesländern begrenzter als in den alten sind, nicht ausgeschöpft. Bietet sich einerseits die PDS
oder zumindest einzelne Mitglieder der Partei als PartnerInnen für die Antifa an, ist ein links-liberales und grün-alternatives Spektrum kaum ausgeprägt oder scheidet aufgrund eines ostdeutschen Politikprofils (89’er statt 68’er) aus.
Aber Ausnahmen bestätigen eben die Regel. Als im August 1994 in Leipzig ein Antifa-Wochenende als lokale Gegenaktion zu den Aufmärschen der Nazis während der Rudolf Hess-Aktionswoche stattfindet, lassen sich die klassischen AnsprechpartnerInnen von der IG-Metall über Bündnis 90/Die Grünen und christliche Kreise zumindest zu einer pro-Forma-Unterstützung überreden.
(26) vgl. Jugendpolitik, Parteien
Diese positive Erfahrung wird in Bezug auf Wurzen nicht genutzt. Die Parteien in Wurzen scheiden als AnsprechpartnerInnen aus, weil ihre jugendpolitischen Aussagen sie disqualifizieren. (26) Aber auf Landesebene oder in der nahegelegenen Metropole Leipzig
hätte vielleicht Unterstützung gefunden werden können. Schon die gemeinsame Herausgabe eines Flugblattes oder die Unterschrift einer etablierter Organisation unter dem Demo-Aufruf hätte die Diffamierung der Antifas erschwert.

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Wurzen-Broschüre.