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Faschistische Strukturen. [1]

Wurzen-Broschüre.

PERSONEN
VERBINDUNGEN
ENTWICKLUNGEN

Enstehung.

Bereits zu Beginn der 90er Jahre geraten die Stadt Wurzen und der Muldentalkreis in die Schlagzeilen. Am 20. April 1991 werden in Leipzig sieben Faschos aus Wurzen bei Ausschreitungen zum Hitlergeburtstag festgenommen. In Wurzen und umliegenden Gemeinden wird an diesem Tag ein Großaufgebot der Polizei zusammengezogen, da Gerüchten zufolge mit rechtsradikalen Ausschreitungen in Wurzen zu rechnen ist.
Schon zwei Monate vorher, in der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1991 wird das Flüchtlingsheim in Leisnig
überfallen und die BewohnerInnen zusammengeschlagen.
Dieser Überfall ist einer der ersten Überfälle in den neuen Ländern, lange vor der später einsetzenden Pogromwelle nach Hoyerswerda.
Im Mai 1991 besetzen rechte und linke Jugendliche gemeinsam ein Haus in Wurzen. Ziel soll sein, sich gemeinsam für die Jugendpolitik einzusetzen.
Im August 1991 greift eine größere Gruppe Faschos das Flüchtlingsheim in Wurzen an. Die Faschos gehen mit Pistolen, Schlagringen und Baseballschlägern gegen die BewohnerInnen los und verletzen mehrere schwer. Diese Aktion ist offensichtlich gut vorbereitet. So wird z.B. für den Überfall ein Bus angemietet und Wachposten aufgestellt, die mittels Leuchtspurmunition die Angreifer vor dem Anrücken der Polizei warnen.
Daraufhin geschieht das, was sich später wiederholen soll: im Sinne von »aktzeptierender Jugendarbeit« erhalten die Wurzner nach Verhandlungen am sogenannten Runden Tisch im Austausch mit dem besetzten Haus den Jugendclub Goldenes Tälchen
.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist eben der Überfall auf jenes Flüchtlingsheim. Die linken Jugendlichen werden später aus dem Haus hinausgedrängt.
Die Fronten zwischen Faschos und linken Jugendlichen verschärfen sich immer mehr, spätestens seit dem Angriff von Faschos auf eine Wohnung in der Külzstraße am 31. Oktober 1991, in der sich mehrere Jugendliche befinden.

Wermelskirchen.

(1) Marcus selbst wird bei der NF als NS-Spinner geführt. Nicht verwunderlich, da er sich für einen „nationalen Anarchisten“ hält, weil er und die Anarchisten die Abneigung gegen den Staat gemeinsam hätten.
Im Juni 1990 ziehen die Wurzner Faschos Marcus Müller, Peer Matzeit
und Oliver Androsch nach Wermelskirchen bei Wuppertal, um ihr Glück im Westen zu suchen. Bereits kurz nach ihrer Ankunft fallen sie immer wieder durch HJ-ähnliche Uniformen, Reichskriegsfahne und ständige Bewaffnung auf und übernehmen bald eine führende Rolle in der dortigen Faschoszene. Bereits im Juli 1990 durchsucht die Polizei das Übersiedlerheim, in welchem die drei wohnen, und stellt Waffen und Propagandamaterial der Nationalistischen Front (NF) sicher. Müller hatte während seiner Wermelskirchener Zeit das Material bestellt.
In der folgenden Zeit eskaliert auch der Faschoterror in Wermelskirchen
und Umgebung. Neben ständigen Übergriffen auf der Straße kommt es am 18. Januar 1991 zum Angriff auf das Alternative Jugendzentrum (AJZ) in Wermelskirchen, welcher von Müller angeführt wird. Bei diesem Angriff ist auch Matzeit dabei.
Ebenfalls im Januar 1991 findet ein Prozeß gegen Marcus Müller vor dem Amtsgericht in Wermelskirchen statt. Müller hat Anfang 1990 an einer Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen DVU
in Passau teilgenommen. Dort wird er wegen des Mitführens eines Küchenmessers und eines Schlagrings zu einer Geldstrafe von 200 DM und der Auflage, das Tagebuch der Anne Frank zu lesen, verurteilt. In der Wermelskirchener Zeit soll Müller nach Angaben dortiger Antifas auch an mehreren Schulungen der NF teilgenommen haben. (1)
Im Sommer 91 ziehen die Faschos wieder zurück nach Wurzen, was zu einer weiteren Verschärfung der dortigen bereits gespannten Lage führt.

Wurzen.


oben: 21. März in Leipzig
unten: Wiking-Jugend-Treffen in Mutzschen
Mit der Rückkehr übernimmt Marcus Müller auch wieder eine führende Stellung in Wurzen und sammelt die etwas älteren Faschos um sich. Damals gibt es in Wurzen allerdings außer dem Kreis um Müller noch die sogenannte Schroth-Clique um die Faschos Thomas Schroth, Thomas Henjes und Silvio Kupzok aus Wurzen.
Auch der Aufbau des sogenannten Jungsturm
s beginnt. Gezielt werden für jüngere Faschos Partys veranstaltet, um Nachwuchs zu rekrutieren.
Auch die Kontakte zu Neonazi-Parteien und zu anderen Faschos im Muldentalkreis und darüber hinaus werden intensiviert.
Am 21. März 1992 findet ein bundesweiter Faschoaufmarsch in Leipzig
statt.
Organisiert wird der Aufmarsch von der Nationalen Offensive (NO
) Deutschen Alternative und der Nationalen Liste". Auf dieser Kundgebung, auf der führende Faschokader wie z.B. Christian Worch (NL) und Michael Swierczek (NO) sprehen, stehen Wurzner als Fahnenträger in der ersten Reihe. Im April 1992 wird ein Landesverband Sachsen der Nationalen Offensive gegründet.
Einer von sechs Kreisverbänden ist damals der Kreisverband Grimma
(Muldentalkreis).
Zu den Einheitsfeiern am 3. Oktober 1992 ruft die NO
zu einer Aktion in Wurzen auf, die aber wegen massiver Polizeipräsenz nicht stattfindet. Im Dezember wird die NO vom Bundesministerium des Innern verboten.
Auch die anderen einschlägig bekannten Nazi-Organisationen sind im Muldentalkreis aktiv. Im Dezember 1993 tritt die Wiking-Jugend (WJ) öffentlich mit Propagandamaterial an Mittelschulen in Wurzen auf. Im Kreis Torgau
wird die WJ von Wurzen aus geleitet. Zum Jahreswechsel 1993/94 findet in Mutzschen (Muldentalkreis) ein Treffen der WJ in der dortigen Jugendherberge statt, an dem ca. 100 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen. Schon im Vorfeld gibt es organisatorische Absprachen mit der Polizei und dem Landratsamt.
Zugesagt wird, daß seitens der WJ keine Veranstaltungen außerhalb der Jugendherberge durchgeführt werden. Obwohl die WJ sich nicht an die Absprachen hält, sieht die Polizei keinen Grund zum eingreifen. Die WJ führt mehrere Veranstaltungen außerhalb der Jugendherberge durch, wie z.B. ein »Mahnfeuer« und eine Kranzniederlegung. Auf dem Gelände findet ein Fahnenappell in Uniformen statt. An dem Treffen nimmt auch der damalige Bundesführer der WJ, Wolfram Nahrath
, teil.
Der damalige Führer der WJ/Gau Sachsen ist Frank Kaden
aus Dresden, der auch Kontakte zu Marcus Müller hat. Kaden ist zu dieser Zeit Mitarbeiter des Kolping-Bildungswerkes in Dresden.

Ingo Krause

Dirk Amende
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD
) hat damals ebenfalls einen Kreisverband in Grimma. Leiter dieses Kreisverbandes ist Henrik Hampel aus Colditz. Hampel hat bereits 1992 Kontakte zur Nationalistischen Front und wird dort als »Aktivist« betrachtet. Ebenfalls aus Colditz kommt Ingo Krause, der 1992 einen Mitgliedsantrag an die NF stellte und der im Förderkreis Junges Deutschland (FJD) ist. Die Aufgabe des FJD innerhalb der NF ist es, die politische Arbeit der NF zu finanzieren und zu unterstützen, ohne im Rampenlicht zu stehen.
Zu den Leipziger Kadern der Freiheitlichen Deutschen Arbeiter Partei (FAP
) haben damals schon die Wurzner Faschos gute Kontakte. So feiern Wurzner Faschos am 5. September 1993 auch mit auf der Geburtstagsfeier von Dirk Amende.
Amende ist zu dieser Zeit der stellvertretene Landesvorsitzende der FAP
Sachsen. Auf dieser Geburtstagsfete, die in der Gartensparte am Möckernschen Weg in Leipzig stattfindet, spielen auch die Faschobands Kroizfoier (Zwenkau), Oithanasie (Gera) und Oistar Proper (Leipzig). Die Kontakte zu Amende, der von den Wurznern mit dem Spitznamen Ami angeredet wird, bestehen bis heute.
Als die FAP im Februar 1995 verboten wird, wird eine Wohnung in Bennewitz
bei Wurzen durchsucht. Dabei wird bei Daniel Kufner rechtsradikales Propagandamaterial beschlagnahmt.
Eine Woche vorher, am 18. Februar 1995, nehmen Faschos aus Wurzen und dem Muldentalkreis noch an einem Treffen in Schenkenberg bei Delitzsch
teil. Die von der FAP organisierte »Informationsveranstaltung für den Großraum Mitteldeutschland« wird von Lars Burmeister aus Berlin geleitet.

Kameradschaften und die „Aktion Neue Rechte Muldentalkreis“.

(2) SächsZ vom 29.7.1996
Neben diesen Verbindungen zu Fascho-Parteien und Organisationen hat sich jedoch eine eigene Struktur von Kameradschaften
herausgebildet.
Kameradschaften
existieren in Wurzen, Grimma, Oschatz, Gerichshain, Torgau, Trebsen, Colditz, Döbeln, Thammenhain und anderen Städten und Dörfern. Der Verfassungsschutz spricht von 10 Kameradschaften. (2) Eine Kameradschaft stellt eine lose Gruppierung dar, die sich oft um ein paar Anführer herum bildet. Die Anführer sind in der Regel älter als 20 und halten sich bei Aktionen oft zurück; sie sind für die Kontakte zur Stadt und - soweit diese bestehen - zu faschistischen Parteien und Organisationen verantwortlich bzw. selbst Mitglieder.
Die normalen »Kameraden« werden vor allem aus der Masse der 18 bis 20jährigen rekrutiert und gelten als die gefährlichsten. Der Jungsturm
(14-17 Jahre) darf zwar an Aktionen teilnehmen, ist aber meist in die Strukturen noch nicht eingebunden. Die Kameradschaften entstehen in den einzelnen Dörfern und Städten kaum mit dem Ziel, politische Aktion durchzuführen, vielmehr entwickeln sie sich aus bestehenden Jugendcliquen, die auf persönlichen Freundschaften beruhen. Die Politisierung setzt erst später ein, wird dann aber neben der gemeinsamen »Freizeitgestaltung« zu einem wichtigen Moment des Zusammenhalts.

Im Vordergrund:
Alexander S. (voller Name bekannt)
(3) Die Bewaffnung der Wurzner besteht vor allem aus Schlagringen und Baseballkeulen. Die Gerichshainer haben sich auf zum Teil aufgebohrte Schreckschußpistolen spezialisiert.
Hierarchien, funktionierende Strukturen, Sanktionsmöglichkeiten und verbindliche Absprachen spielen bei den Kameradschaften
eine wichtigere Rolle als bei normalen Jugendcliquen, sind aber nicht so stark wie bei rechten Parteien herausgebildet. Die verschiedenen Kameradschaften unterscheiden sich in Bezug auf Politisierungsgrad, Aktions- und Gewaltbereitschaft, Auftreten in der Öffentlichkeit, Treffpunkte, Offenheit gegenüber Neuen, Struktur, Größe und Ausrüstung (3) zum Teil erheblich voneinander. So bleiben Auseinandersetzung zwischen den Kameradschaften nicht aus.
Exemplarisch dafür ist der Konflikt zwischen Gerichshainern und Wurznern. Während der Kreis um Marcus Müller versucht, im Februar 1995 Ruhe in die Stadt zu bringen, um einen eigenen Treffpunkt durchzusetzen, scheren die Gerichshainer aus und starten mehrere Übergriffe.
Die Kameradschaften halten persönliche und informelle Kontakte untereinander.
1994/95 entsteht die Aktion Neue Rechte
Muldentalkreis (ANR). Dies ist eine Selbstbezeichnung des harten Kerns, der ca. 30 Personen umfaßt. In dieser Gruppe sind hauptsächlich die älteren Faschos aus Wurzen, u.a. Jörg Jokisch, Heiko Schubert, Daniel Rau, Ronny Schräpler, Matthias Skor, Michael Böhme, David Reichelt, Juhasz Androsch, Mirko Schmidt, Marko Böhland, Steffen Rohr, Rigo Seidel, Rocco und Marcus Müller, aber auch aus dem Umland, wie z.B. der Kameradschaftsführer aus Grimma, Thomas Jurisch, die Schlägerglatze Steffen Rink aus Grethen und Eric Apitz aus Bennewitz.
Im Oktober 1994 überfällt eine größere Gruppe Rechtsradikaler die Wohncontainer portugiesischer Bauarbeiter in Wurzen.
Wie schon einmal ruft die Stadtverwaltung zu einem Gespräch mit den Faschos auf. In diesem Gespräch tun sich vor allem Müller
und Jurisch hervor und erklären, daß sie sich von der Stadt vernachlässigt fühlen.
Bürgermeister Pausch
sagt Unterstützung zu, und die Faschos erhalten sozusagen als Dank die BB-Baracke als neuen Treffpunkt. Diese Baracke wird hauptsächlich vom sogenannten Jungsturm frequentiert. Aber die älteren Faschos kümmeren sich um »ihren« Nachwuchs. Besonders tut sich dabei Heiko Schubert (ANR) hervor. Doch wenn es darum geht, gemeinsam Randale zu machen, arbeiten die älteren mit den jüngeren zusammen.
In der Nacht vom 21. zum 22. Januar 1995 greifen ca. 40 Faschos ein von Linken bewohntes Haus in der Berggasse
an, bei dem mehrere Personen zusammengeschlagen werden. Mehrere Angreifer werden bei diesem Überfall von den Opfern erkannt. Neben Mitgliedern der ANR, z.B. Ronny Schräpler, Matthias Skor, sind auch Faschos vom Jungsturm beteiligt, wie z.B. Marko Jung, Alexander S. (voller Name bekannt), Marko Kunath und Daniel Rau.
Nach diesem Überfall, der von der bekannten Faschodisko Joy
ausgeht, dankt Marcus Müller den Angreifern über Mikrofon im Joy. Im späteren Prozeß (April 96) sagt Daniel Rau aus, daß er mit Müller in dessen Auto zu diesem Überfall gefahren sei. Mit dabei sei auch der Cousin von M. Müller, Rocco Müller, gewesen. Trotz dieser Aussage läuft kein Verfahren gegen Müller.
Auch die Mitglieder der Kameradschaft Gerichshain
sind immer wieder an Überfällen beteiligt.

Peer Matzeit
(4) Die Razzia richtet sich gegen Ronny Pietsch und Heiko Forwerg, dessen VW Golf, der von den Gerichshainer Faschos für ihre Aktionen genutzt wurde, wegen Führens falscher Nummernschilder beschlagnahmt wird.
Am 5. November 1994 überfallen die »Kameraden« Heiko Forwerk (Kameradschaftsführer), Cambach
, Erik Schmölling, Peter Grünberg und Ronny Pietzsch ein Auto von Jugendlichen an der Tankstelle in Bennewitz und schlagen einen der Insassen bewußtlos. Die Polizei führt daraufhin im Mai 1995 eine Razzia auf zwei Bauernhöfen in Gerichshain durch und beschlagnahmt Waffen und einen PKW. (4) Ronny Pietzsch aus Machern (Nachbargemeinde von Gerichshain) ist ebenfalls in dieser Kameradschaft und später auch an dem genannten Überfall auf die Berggasse beteiligt, wofür er eine Bewährungsstrafe erhält.
Anfang Herbst 1995 finden zwei Gerichtsverhandlungen gegen Wurzener Faschos statt. Dabei geht es um die Überfälle auf die portugiesischen Bauarbeiter im Jahr 1994 und auf die drei Italiener, die vor der Disko Joy
zusammengeschlagen wurden.
Für den Überfall auf die Portugiesen erhält Peer Matzeit
eine Gefängnisstrafe, da er bereits vorbestraft ist. Die Faschos Eckart, Konrad, Hettwer und Patrick Findeisen erhalten jeweils Bewährungsstrafen.
Ende Oktober findet eine Gerichtsverhandlung gegen Marco Brandt
, Marko Cambach und Udo Jahrmarkt statt. Ihnen wird die Beteiligung am Überfall auf die Italiener vorgeworfen. Jahrmarkt ist vor Gericht kein unbeschriebenes Blatt mehr. Bereits 1994 muß er für am Hitlergeburtstag gezeigte Hitler-Grüße und Sieg-Heil-Gebrülle eine Verwarnung von 500 DM zahlen.

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