nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

Inhalt
Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Verhalten von staatlichen Ermittlungsbehörden und Justiz. [1]

Wurzen-Broschüre.

POLIZEI
VERFASSUNGSSCHUTZ
PROZESSE

Vorbemerkungen.

Besonders nach 1989 wurde bundesweit deutlich, wie der Staat rassistische und nationalistische Propaganda verbreitet, um dann unter dem faschistischem Druck der Straße die Vereinigung zu vollziehen, das Asylrecht abzuschaffen und die Grenzen dicht zu macht, die Vormachtstellung in Europa zu erringen usw. Teil dieses Konzeptes war und ist die verdeckte und zum Teil offene Kumpanei zwischen Faschos und den staatlichen Repressionsorganen. Das umfaßt das lasche Vorgehen der Polizei gegen Faschos (es wird nicht oder zu spät eingeschritten, weil gerade keine Kräfte vor Ort sind), die Umdefinierung der Täter zu Opfern der gesellschaftlichen Umstände, die Entpolitisierung der Taten (Leugnung der politischen Strukturen, die hinter den Anschlägen stehen), die Schaffung einer »akzeptierenden Sozialarbeit« für die Täter, niedrige Strafen oder Freisprüche vor Gericht, die Kriminalisierung von AntifaschistInnen...
(1)Für den Überfall auf das Wurzner Flüchtlingsheim (August 1991) gibt es Ende 1991 das Goldene Tälchen. Nach dem Angriff auf portugiesische Bauarbeiter (Oktober 1994) erhalten die Faschos die BB-Baracke. Nach dem Aufmarsch zum Hitlergeburtstag in Gerichshain (April 1996) wurde den Faschos ein neuer Jugendclub versprochen.

(2)So nach dem Überfall auf die portugiesischen Bauarbeiter (siehe MTZ vom 26.10.1994)

All das läßt sich auch in Wurzen beobachten. Während es jedoch in der BRD fast überall nach der Abschaffung des Asylrechts auf der einen Seite zu einem Abklingen der faschistischen Mobilisierung gekommen ist und zum anderen der Repressionsdruck gegen Rechte aufgrund der kritischen Weltöffentlichkeit zunahm, war in Wurzen das Gegenteil der Fall. Die Faschos konnten in den letzten Jahren kontinuierlich ihren Einfluß ausbauen, ohne daß Polizei und Gerichte adäquat darauf reagiert hätten. Der Bürgermeister bietet den Faschos nach jedem größeren Überfall ein neues Objekt an (1) und gesteht als einzigen Fehler seiner Jugendpolitik ein, daß er die Rechten immer benachteiligt hätte; (2) die Polizei nimmt, wenn überhaupt, die Opfer fest. Diese erzählen der Polizei, wenn diese es versäumt, die Opfer nochmals zu verprügeln, wer zu den Tätern gehört und erstatten Anzeige. An dem Punkt kann die Polizei nicht mehr viel richten, d.h. vertuschen, und überläßt den Rest der Judikative. Diese stellt die Ermittlungen entweder ein oder verhängt unter Anerkennung des hohen Alkoholpegels und des niedrigen Alters lächerlich geringe Bewährungsstrafen.
Im Zusammenhang mit Wurzen über Repression gegen Faschos zu sprechen, geht meilenweit an der Realität vorbei. Vereinzelte Aktionen der Polizei gegen Faschos in Wurzen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Polizei insgesamt die Faschostrukturen mehr geschützt als gestört hat. Eine härtere Gangart der Polizei läßt sich in den meisten Fällen auf den öffentlichen Druck zurückführen. In den meisten Fällen ist der um so stärker, je »deutscher« die Opfer sind.
Außerdem werden die Polizeiaktionen meist von »außen in die Stadt hereingetragen«. Was der Bürgermeister Pausch
immer behauptet, daß nämlich das Problem von außerhalb käme, weil in Wurzen gar keine Rechten leben (und er wahlweise zum Besten gibt, die Rechten kämen von außerhalb, die Medien, die die nicht existente rechte Gefahr in Wurzen herbeischreiben, kämen von außerhalb, bzw. die Linken, die in ihrer antifaschistischen Verblendung normale Wurzner Jugendliche aufmischen, kämen von außerhalb), (3) stimmt - nur in seiner Umkehrung. Die »Lösung« des städtischen Faschoproblemes kommt von außerhalb. Es stimmt für die überregionalen Medien, die Antifas aus anderen Städten oder das Landeskriminalamt, die - wenn auch aus völlig konträren Ansätzen - in Wurzen etwas gegen die Faschos tun.
(3)Von 49 Straftaten in Wurzen, bei denen die Soko Gewalt ermittelte, handelte es sich nur in einem Fall um auswärtige TäterInnen (MTZ vom 23.7.1995).

(4)„Das Verfahren (gegen zwei Wurzner Polizei-Beamte - Anm. d.A.) wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt“, so die Leipziger Staatsanwaltschaft (Reuter vom 26.7.1996).

Die Wurzner PolizistInnen sind mit ihren Faschos verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbunden. Kein Wunder, daß sie gut miteinander klar kommen und während ihrer Arbeit, die sich in Hinsicht der ordnungs- und sicherheitspolitischen Ziele nicht wesentlich voneinander unterscheidet, versuchen, sich nicht sonderlich zu behindern.
Schon anders sieht es da bei den Landesbehörden aus, wie dem Landeskriminalamt (LKA
) mit der Sonderkommission Rechtsextremismus und dem Sächsischischen Verfassungschutz. Aufgrund der räumlichen Distanz kann ihnen ein wie auch immer geartetes Ermittlungs- und zum Teil Verfolgungsinteresse gegen Rechte unterstellt werden. Klar dabei ist, daß sich dies nicht aus einer antifaschistischen Motivation ableiten läßt, sondern viel mehr mit dem Ansehen Sachsens als Freistaat, der extrem genug ist, um politische Extreme nicht zulassen zu müssen, zu tun hat.
Die Unterschiede zwischen lokaler und Landespolizei haben sich im Laufe diesen Jahres soweit verstärkt, daß das LKA
zeitgleich mit einer Razzia gegen Faschos Ermittlungen gegen Wurzner PolizistInnen aufnahm, die ebenjene Faschos nach einem Überfall trotz mehrerer Anzeigen haben laufen lassen, ohne deren Personalien aufzunehmen. (4)

Polizei vor Ort.

Die Polizei in Wurzen konnte oder wollte den Faschos in Wurzen, wie schon oben beschrieben, nie Paroli bieten. Bei vielen Vorfällen kommt die Polizei zu spät, zieht sich kurz vor angekündigten Übergriffen zurück, kann gar nicht erst kommen, nimmt keine Ermittlungen auf, stellt keine Personalien von noch anwesenden Faschos fest oder ermittelt nach dem Übergriff erstmal gegen die Opfer.

Dazu im Folgenden einige Beispiele:

    (5) Siehe dazu auch Anfrage des Abgeordneten Frank Kupfer (CDU) im Sächsischen Landtag vom 13.12.1995, Nr. 2/2280.
  1. Die Angriffe auf das besetzte Haus in der Dresdner Straße (August 1994) und auf die Gaststätte „Forsthaus“ in Schöna (Dezember 1995) (5) sind der Polizei im Vorfeld bekannt. Die Polizei zieht jedoch in beiden Fällen ca. eine Stunde vor dem Fascho-Angriff ihre Kräfte ab und kommt dann trotz telefonischer Information erst mit großer Verspätung. Bei der Dresdner Straße weigert sich eine Polizeifahrzeugbesatzung, zum Tatort zu kommen, da sie keinen Einsatzbefehl hätten und nicht wüßten, wo sich das Haus befindet - die anderen Einsatzfahrzeuge werden entgegen der Sicherheitsabsprachen (Polizei schützt, dafür verzichten die BesetzerInnen auf Gegenwehr) abgezogen, obwohl kurz zuvor eine Bombendrohung gegen das Haus eingegangen ist.


  2. Das Polizeirevier in Wurzen, von der Berggasse aus gesehen. Trotz Sichtkontakt zu dem von »Bunten« bewohnten Haus, kommt die Polizei bei dem Fascho-Überfall zu spät.
    Nach einem Überfall auf ein mit Linken besetztes Auto (November 1994) verweigern die Polizisten bei der Vernehmung der Opfer im Krankenhaus die Entgegennahme einer Anzeige, obwohl die Täter namentlich benannt werden. Auch nach dem Angriff auf das von Linken bewohnte Haus in der Berggasse (Januar 1995) unterläßt es die Polizei, die ziemlich spät kommt, Beweismaterial zu sichern, Anzeigen aufzunehmen oder ZeugInnen zu befragen.

  3. Obwohl im Februar 1995 ca. 30 rechte Jugendliche Ausländer an einer Tankstelle in Bennewitz überfallen, verprügeln und deren Auto zertrümmern, stellt die Polizei wenige Tage später nach einer Hausdurchsuchung und Auswertung des Videomaterials der Tankstelle die Ermittlungen ein, da keine „Hinweise auf eine Straftat wahrgenommen werden können.“ - so die Polizei.

    (6) MTZ vom 20.5.1995, FR 28.5.1996

  4. Zum Himmelfahrtstag 1996 randalieren 20 betrunkene Skinheads auf dem Bennewitzer Sportplatz, auf dem sich verschiedene jugendliche Sportgruppen, zum Teil aus Hessen, aufhielten. Einige Personen wurden dabei schwer verletzt. Die Polizei kommt erst 20 Minuten nach dem telefonischen Notruf. Obwohl die Täter noch vor Ort sind, von ZeugInnen gezeigt werden und in Anwesenheit der Polizei Parolen wie „Hißt die rote Fahne mit dem Hakenkreuz“ und „Wir scheißen auf die Freiheit des Judenstaates“ rufen, sehen die BeamtInnen keinen Grund zum Eingreifen: „Das reicht für eine Festnahme nicht aus.“ Außerdem gäbe es an so einem Tag nie genügend Polizeikräfte. Während die Skinheads bleiben können und die Jugendlichen in eine Turnhalle evakuiert werden, fährt die Polizei wieder weg. Sie wird in dieser Nacht noch zweimal gerufen, unternimmt aber später auch nichts. Lediglich ein Rechter wird abgeführt, da er einem Polizeiauto den Reifen zersticht. (6)
    Erst die Veröffentlichung in der Frankfurter Rundschau
    zwingt übergeordnete Polizeidienststellen zum Handeln: Es wird eine Razzia durchgeführt, einige der Täter vernommen und Ermittlungen gegen Wurzner PolizistInnen eingeleitet.

Werden schon im Vorfeld durch die Polizei Auseinandersetzungen zwischen »Rechten und Linken« vermutet, kommen weitere PolizistInnen aus Grimma,Torgau und Leipzig (u.a. auch Bereitschaftspolizei) zu Hilfe. In solchen Fällen ist dann die ganze Stadt grün, besonders die Zufahrtsstraßen werden gut überwacht und in der Regel passiert dann nicht viel. Aber auch bei stattfindenden Auseinandersetzungen muß die Wurzner Polizei oft Verstärkung aus anderen Städten anfordern, ehe sie sich trauen, einzuschreiten.
(7) 12. Sitzung des Sächsischen Landtages, 2. Sitzungsperiode, Seite 20/4 f
Wegen der Überfälle auf von Linken bewohnte Häuser in der Dresdner Straße
(August 1994) und in der Berggasse (Januar 1995) wird die Sonderkommission Mulde (Soko Mulde) gegründet, die der zuständigen Polizeidirektion in Grimma untersteht. Bis zum April 1995 geht die Soko Mulde 16 Anzeigen in Wurzen nach und leitet diesbezüglich Ermittlungsverfahren ein. (7)
Ein Großteil dieser Ermittlungen dürfte sich jedoch gegen Linke richten. Unbekannt ist, welchen Abschluß die Ermittlungsverfahren fanden.

Polizeikontrolle an einer Zufahrtsstraße
Am 11. Mai 1995 wird eine neue Sonderkomission, die Soko Gewalt
, gegründet. Die Soko Gewalt richtet sich offiziell sowohl gegen Linke als auch gegen Rechte. In einem Interview am 23. Juli 1995 mit der Muldentalzeitung betont der Polizeipräsident Arno Stoy, daß er keine Angaben zu Struktur und Anzahl der BeamtInnen der Soko Gewalt machen möchte. Die Soko Gewalt hat das Ziel, von der normalen Polizei begonnene Ermittlungen fortzuführen und „zusammenhängend“ zu untersuchen. Da nach Aussagen von Arno Stoy die Soko Gewalt bis zum 23. Juli 1995, d.h. schon ca. sechs Wochen nach ihrer Gründung, in 49 Fällen Ermittlungen durchführte, von denen 18 noch in Bearbeitung sind, 21 aufgeklärt und 27 an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden konnten, verfügt die Soko Gewalt entweder über unbeschränkte Personalressourcen (was eher unwahrscheinlich ist) und holt schon in den ersten Tagen ihres Bestehens zum großen Schlag gegen politisch motivierte Straftaten aus, oder aber die Soko Gewalt entstand aus der Soko Mulde und übernimmt die begonnenen Ermittlungsverfahren.
Als offensichtliche Folge der neu gegründeten Sonderkommissionen kommt es im Frühjahr 1995 erstmals zu mehreren Razzien und Hausdurchsuchungen gegen Rechte (siehe Kasten).

Razzien

Razzien von überregionaler Bedeutung, von denen der Muldentalkreis betroffen war:

  • 16. September 1992 (sachsenweit)
  • 24. Februar 1995 (FAP-Verbot)

Razzien mit Bezug auf Straftaten in Wurzen:

Die Häufung der Razzien Anfang 1995 läßt sich eventuell mit der Einrichtung von zwei Sonderkommissionen bei der Polizeidirektion Grimma zu diesem Zeitpunkt erklären.

Die Polizei koordiniert sich schon seit einigen Jahren mit den Behörden im Muldentalkreis. So gibt es regelmäßige Beratungen von GemeindevertreterInnen, des Landratsamtes und der Polizei, „um durch vorbeugende Maßnahmen radikalen Tendenzen und Erscheinungen entgegenzuwirken“ (Sächsischer Innenminister Eggert).

Soviel Polizei ist nur in Wurzen, wenn es gegen Antifas geht.
Schon im November 1994 wird auf Initiative des Landratsamtes der Beirat »Innere Sicherheit
« gegründet. Beim ersten Treffen nehmen die Polizei, VertreterInnen des Landratsamtes, des Kreisjugendringes, der Kirchen und der Schulen teil. Angeregt wird, verschiedene Arbeitsgruppen zu bilden, die Lösungen auf kommunaler Ebene gegen „Extremismus und Kriminalität“ finden sollen. Mit potentiellen TäterInnen solle sich detailiert auseinandergesetzt werden. Die einzelnen Arbeitsgruppen wollen aller vier bis sechs Monate zusammenkommen und ihre Arbeit im Beirat koordinieren. So entsteht der weiterhin beim Landratsamt angesiedelte »Arbeitskreis Rechtsextremismus und Prophylaxe«, der später in den »Kommunalen Rat für Kriminalitätsverhütung« übergeht und sich schwerpunktmäßig mit der „Jugendproblematik in Wurzen“ beschäftigt. Die Polizei nimmt an allen Treffen teil. (8)
(8) 12. Sitzung des Sächs. Landtages, 2. Sitzungsperiode, Seite 23/1; MTZ 26.11.1994

(9) Antwort auf Kleine Anfrage, Az.: 63-0141.5 vom 1.5.1996

(10) Protokoll der Stadtratssitzung in Wurzen vom 8.5.1996

(11) Der Sprecher des LKA, Uwe Pradel: „Es greift zu kurz, nur anlaßbezogen die Soko Rex zu rufen.“
Der stellvertretende Präsident der Polizeidirektion, Dieter Gottschall
, hat als Ursache für die Gewaltbereitschaft die hohe Arbeitslosigkeit und die unzureichende Jugendarbeit ausgemacht, was dazu zwinge, sich mit anderen Behörden an einen Tisch zu setzen (MTZ vom 26.7.1996)

(12) Die Richtung gibt der Landrat Gey vor: „Gewalt ist tabu“, „Wir müssen mit den Jugendlichen sprechen (...) Man darf niemanden ausgrenzen“, Jugendclubs müßten nach 21.00 Uhr geöffnet haben und StreetworkerInnen müßten im Kontakt mit der gewaltbereiten Szene, den SympathisantInnen und MitläuferInnen bleiben. (MTZ vom 2.8.1996)

(13) MTZ vom 15.7.1995

(14) Der SPD Landtagsabgeordnete Joachim Schulmeyer weiß über die Beziehung der Wurzner Polizei zu den Faschos folgendes zu berichten: Die „Gegner (der Bunten) heißen bei manchem lokalen Polizisten einfach die ’anderen’ - Rechte oder gar Rechtsradikale will man sie nicht nennen. Die Burschen seien doch nicht politisch und zur Polizei höflich. Wenn die Musik mal zu laut ist, gehe man einfach hin und sage: Macht mal leiser, und dann macht Ihr bitte auch bald Schluß - wir wollen alle ins Bett. Und die Jungs zeigten sich dann vernünftig: Klar wir trinken nur unser Bier aus. Ja, das hat die örtlichen Polizisten schon beeindruckt, wenn sie zu den Rechten kamen. (...) Alles in bester Ordnung: saubere Aschenbecher, die Luftmatratzen in Reih’ und Glied.“ (SZ vom 20.8.1996)

(15) Die Woche, 10.5.1996, Seite 10 f.

(16) Angeblich hat die Stadt 1000,- DM bereitgestellt, um rechte Parolen an öffentlichen Gebäuden zu entfernen. Linke Sprüche dagegen, die viel schlimmer wären, würden nicht entfernt: „Sonst heißt es nachher noch, wir wären gegen links“, so die Ordnungsamtsleiterin von Wurzen, Dorothee Strekies. (Der Freitag vom 9.8.1996)

(17) Der Sprecher des LKA Sachsen, Uwe Pradel, spricht von „Pannen und falschen Einschätzungen“ aufgrund „fehlender Professionalität in den regionalen Dienststellen“ (jW vom 24.7.1996). Der stellvertretende Direktor des Polizeipräsidiums Leipzig, Dieter Gottschall, wirft der ortsansässigen Polizei vor, „nicht mit der erforderlichen Konsequenz“ gehandelt zu haben. „Deshalb denken wir über personelle Veränderungen nach.“ (LVZ vom 25.7.1996)

Aktivitäten und Ergebnisse dieser wohlklingenden Zusammenkünfte werden nicht bekannt. Es ist jedoch anzunehmen, daß sie in erster Linie dem Informationsaustausch dienen und an zweiter Stelle wechselseitige Beratungsfunktionen erfüllen. So dürften wichtige jugendpolitische Entscheidungen (so die Einrichtung der BB-Baracke
und das Ende der Villa) in diesen Runden besprochen und gefällt worden sein.
Auch bezüglich des seit Okober 1995 besetzten Hauses in der Käthe-Kollwitz-Straße
, welches als rechtsradikales Zentrum fungiert, „erfolgt (...) ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den verantwortlichen kommunalen und polizeilichen Einrichtungen und Behörden.“ (9) Nichtsdestotrotz behauptet der Bürgermeister Pausch, daß es der Stadtverwaltung unbekannt sei, welche verbotenen rechtsradikalen Organisationen in Wurzen aktiv sind. Weder Staatsschutz noch Polizei hätten trotz Nachfragen bestätigen können, ob und das es solche Gruppierungen in Wurzen gäbe. (10)
Nach den Übergriffen auf zwei Spanier und ein Kamerateam (21. und 23. Juli 1996), die durch Presseberichte bundesweit bekannt wurden, startet die Polizei erneut einen Versuch, sich mit den kommunalen Verantwortungsträgern auszutauschen und abzustimmen. (11)
Am 1. August 1996 findet im Regierungspräsidium ein Treffen von Soko Rex
, LKA, Wurzner und Leipziger Polizei, dem Wurzner Bürgermeister Anton Pausch, dem Landrat Gerhard Gey, dem Vizepräsidenten des Regierungspräsidiums (Karl Noltze), dem Sozial-, Kultur- und Jugendamt der Kreisverwaltung, VertreterInnen der Kirchen und der Freien Träger der Jugendarbeit statt. Vollmundig werden im Vorfeld verschiedene Arbeitsgruppen angekündigt. Nach dem Treffen heißt es lediglich, daß ein Kommunaler Rat, der identisch mit dem schon bestehenden Jugendhilfe- und Rechtsordnungsausschuß sein soll, installiert wird. Dieser Rat soll sich intensiv mit den Problemen befassen. (12) Die Räumung des besetzten Fascho-Hauses zwei Tage später könnte jedoch auch ein Ergebnis des Treffens sein.
„Es gibt in Deutschland - Gott sei es gepriesen - keine Sippenhaft“ - so der CDU
-Abgeordnete Leroff während der Landtagsdebatte über das polizeiliche Fehlverhalten in Wurzen zu den PDS-Vorwürfen, daß die Vater-Sohn-Connection der Familie Müller (Sohn Marcus ist der lokale Faschochef, sein Vater bei der Wurzner Polizei) den Faschos nutzen würde und symptomatisch für die Situation in Wurzen sei. Dem Vater wird ebenfalls eine gefestigte deutsch-nationale Einstellung nachgesagt. Eine polizeiinterne Untersuchung, die nach öffentlichen Protesten eingeleitet wurde, bleibt ergebnislos, da beide nicht im selben Haushalt leben würden - so der Polizeisprecher Michael Hille. Der Vater leugnet übrigens gegenüber der Presse, überhaupt einen Sohn zu haben.
Ein anderer Wurzner Polizeibeamter soll gut mit einem Skinhead befreundet sein, beide wurden oft gemeinsam in der Stadt gesehen. Laut einer Pressemeldung sollen Polizisten »Bunte« nach der Räumung der Villa
mit dem Zeigen von »Stinkefingern« und dem Hitlergruß provoziert haben. (13)
Der Polizeisprecher Hille
erklärt die Sympathie für die Rechten und die Antipathie gegenüber den Linken folgendermaßen: „Die Bunten pöbeln uns immer an, das gehört scheinbar zu deren Kultur. Die anderen machen das nicht.“ (14)
Ein ehemaliger Wurzner Polizist bestätigt die Vermutungen über die guten Verbindungen zwischen Faschos und Polizei in Wurzen. Er wurde im Juli 1995 am Kaolinsee
von Skinheads zusammengeschlagen. Er konnte die Täter auf Fotos identifizieren, dies wurde bislang aber noch nicht verhandelt. Der Mann vertraut seinen ehemaligen KollegInnen nicht und meint: „Das soll im Sande verlaufen“ - wie zu DDR-Zeiten, als „Sachen runtergespielt werden mußten, wenn Funktionärs-Kinder beteiligt waren.“ (15)
Und Marcus Müller scheint nicht nur Glück mit seinem Vater zu haben; bei einem Überfall von einigen Faschos auf einen Punk vor der Disco Joy
sieht die Polizei zunächst, ohne einzugreifen, zu. Als der Punk, der durch die Faschos schlimm verprügelt wurde und einen Kopfstreifschuß erlitten hatte, bei der Polizei Schutz sucht, verweigert diese ihm die Zuflucht ins Auto: er würde das Auto mit seinem Blut nur schmutzig machen. Vielmehr unterhalten sich die Polizisten noch eine Weile freundschaftlich mit den Tätern und verabschieden sich mit „Tschüß, Marcus“ von dem ihn bekannten Marcus Müller. Wegen Strafvereitelung im Amt erstattet der Punk später Strafanzeige gegen die Beamten Jäger und Schmidt, da sie weder einschritten noch Personalien aufnahmen. Eine Verurteilung der zwei Polizisten ist sehr unwahrscheinlich, da inzwischen die am Überfall beteiligten Faschos (u.a. die Cousins Marcus und Rocco Müller) freigesprochen wurden.

In Wurzen ist das Entfernen dieser Parolen verboten. (Das Bild erschien am 5. März 1991 in der Muldentalzeitung. Bilduntertitel: „Neuestes Werk umweltbewußter Wandgestalter - der Bahnhof Bennewitz“
Ein weitere Anzeige von einem Linken gegen unbekannte Beamte der Polizei Oschatz
wird wegen Körperverletzung im Amt erstattet, weil diese unter dem Vorwand, den Linken vor den Angriffen der Rechten zu schützen auf einen Parkplatz veschleppen und dort verprügelen.
Wenn es gegen Linke geht, steht die Wurzner Polizei sowieso immer ganz groß da. So schützen sie bei einer Antifa-Aktion an der BB-Baracke
im Sommer 1995 diese mit gezogener Dienstpistole („Ich schieße, ich schieße...“) und leiten danach eine »kleine Großfahndung« nach den Antifas ein. Der Bürgermeister besichtigt nur wenige Stunden später die angerichteten Zerstörungen in seinem Lieblingsjugendprojekt (Leimflecken auf Billiardtafeln und ähnlich Schlimmes) und der Verfassungsschutzbericht 1995 erwähnt den Vorfall ausführlich an vier verschiedenen Stellen.
Nach einer anderen Antifa-Aktion in Wurzen machen sich Faschos und Polizei zeitgleich daran, die geklebten Plakate abzureißen. Besonders erhellend für die Situation in Wurzen ist die Tatsache, daß auf den Plakaten Fotografien der Opfer von Auschwitz zu sehen sind, überschrieben mit „Mythos Auschwitz?“.
Selbst Iremla Adusei Poku, der das Bundesverdienstkreuzes für ihr zehnjähriges Engagement gegen rechte Propaganda im Straßenbild deutscher Städte verliehen wurde, muß ihre Personalien durch die Polizei überprüfen lassen, weil sie beim Übermalen von faschistischen Parolen am Wurzner Bahnhof erwischt wird. Das Übermalen erfülle den gleichen Straftatbestand wie das Anbringen von Losungen - so die Polizei. Rechte, so erfährt sie in Wurzen, müssen sich für ihre Schmierereien nicht verantworten, da sich niemand traut, sie anzuzeigen. (16)
Der ehemalige Innenminister Eggert
nimmt jedoch die Polizei in Wurzen bis ans Ende seiner Dienstzeit in Schutz. So äußert er während der Landtagsdebatte am 28. April 1995: „Auf alle Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, die im Bereich Wurzen bekannt geworden sind, haben Polizei, Verfassungsschutz und kommunale Verantwortungsträger, insbesondere Ordnungsbehörde und Jugendamt, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln konsequent und ohne Ansehen der Person reagiert und die notwendigen sowie gesetzlich geforderten Maßnahmen eingeleitet.“
Erst im Sommer 1996 gerät das Verhalten der Wurzner Polizei auch öffentlich in die Kritik. Verantwortliche Stellen sehen sich daraufhin gezwungen, den Landespolizeibehörden mehr Spielraum in Wurzen einzuräumen, Ermittlungen und Disziplinarverfahren gegen Wurzner PolizistInnen einzuleiten (u.a. wegen Strafvereitelung im Amt) und in aller Öffentlichkeit über „personelle Veränderungen“ nachzudenken sowie Fehler einzugestehen. (17)
Am 2. August wird der Erste Polizeihauptkommissar in Wurzen, Hans-Jürgen Schmidt
, durch Stephan Fritzsche abgelöst. (18) Das Ermittlungsverfahren gegen zwei Beamte (wegen Fascho-Überfall in Bennewitz am 16. und 17. Mai 1996) wird jedoch eingestellt.


Inhalt
Teil 1 | Teil 2 | Teil 3
Wurzen-Broschüre.