Inhalt Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 |
Verhalten von staatlichen Ermittlungsbehörden und Justiz. [2] |
Wurzen-Broschüre. |
Wurzens Polizei verrücktester Freund: Der Innenminister Heinz Eggert. (Hier: In Aktion) |
Die Soko Rex hat bis April 1995 in Wurzen/Muldentalkreis 16 Ermittlungsverfahren eingeleitet, die sich nach Angaben des Sächsischen Innenministers alle gegen rechtsextreme Gewalttäter richten. Andere Straftaten, die politisch motiviert waren, hätte die Soko Rex an die Soko Mulde der Polizeidirektion Grimma abgegeben. (18) In den ersten acht Monaten des Jahres 1996 habe es in Wurzen acht Straftaten gegeben,
(18) 12. Sitzung des Sächs. Landtages, 2. Sitzungsperiode, Seite 20/4 f.
(19) MTZ vom 21.8.1996 |
Wurzens Polizei verrücktester Feind: Der Kommisar »Soko« Rex (Hier: In Aktion) |
Die Soko Rex fungiert als Feigenblatt nach außen hin. Suggeriert werden soll, daß faschistische Ausschreitungen in Sachsen nicht geduldet werden. Diese Arbeitseinstellung äußert sich z.B. bei dem Überfall auf die portugiesischen Bauarbeiter im Oktober 1994, nach dem die Soko Rex die Ermittlungen aufnimmt. In diesem Zusammenhang betont Lothar Hofner, Sprecher des Landeskriminalamtes, vier Tage nach dem Überfall: Die Ermittlungen gehen weiter. Und das, obwohl die Soko Rex zu diesem Zeitpunkt »schon« elf Tatverdächtige (von insgesamt 60) ermitteln konnte. Außerdem führt Hofner aus, daß die angegriffenen Portugiesen völlig legal in Wurzen gearbeitet hätten, sich beim Aufbau Ost beteiligen wollten und deshalb die internationalen Folgen des Angriffes immens seien. (20)
(20) MTZ vom 20.10.1994
(21) MTZ vom 24.1.1995 (22) Offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen der Berichterstattung in überregionalen Medien (wie Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Welt u.a.) und einem härteren Durchgreifen der Polizei ab Anfang/Mitte 1996. |
In einem anderen Fall, nach dem Angriff auf das besetzte Haus in der Dresdner
Straße, lanciert das Landeskriminalamt erst erfolgreich die Lüge,
daß die Auseinandersetzungen von den Linken provoziert wurden, um dann
zwei Tage später die Ermittlungen von der Soko Rex auf die lokale Polizei
zu übertragen. (21)
Unserer Einschätzung nach hat aufgrund des öffentlichen Drucks,
welcher durch Antifa-Aktionen und die Berichterstattung in den Medien (22)
entstanden ist, die Rolle der Soko Rex im Muldentalkreis zugenommen.
Während im April 1995 die Wurzner Polizisten zumindest offiziell von der
Staatsregierung während der Landtagsdebatte in Schutz genommen werden und
der Innenminister auf die erfolgreiche Arbeit der lokalen Sonderkommissionen
verweist, nimmt das LKA knapp 14 Monate später Ermittlungen gegen Wurzner
Polizisten auf, weil sie rechtsradikale Ausschreitungen geduldet hatten. Das
Sächsische Innenministerium ließ - erst nur inoffiziell, später
sogar im Fernsehen und in der Presse - verlauten, daß es sehr unzufrieden
mit der Jugendpolitik der Wurzner Stadtverwaltung und dem Verhalten der Wurzner
Polizei sei.
Treffen der Wiking-Jugend in Mutzschen. |
(23) MTZ vom 4.1.1994
(24) Drucksache 2/1400 des Sächs. Landtages (25) MTZ vom 22.4.1996 (26) MTZ vom 10.5.1996 (27) LVZ vom 14.5.1996 (28) Interessanterweise versucht die Polizei dies in der Presse nicht als schlagkräftiges Vorgehen gegen Rechte ausschlachten, vielmehr wird die Räumung verschwiegen. Das hängt sicherlich damit zusammen, daß die verantwortlichen Stellen sich sehr wohl bewußt sind, daß das Haus nach der ersten Razzia und dem daraufhin erteilten Nutzungsverbot eigentlich gar nicht mehr hätte existieren dürfen. Den geräumten Faschos scheint jedoch ein städtisches Ersatzobjekt in Aussicht zu stehen. |
(29) In einem anderen Bild-Artikel (29.7.1996) wird etwas verwundert festgestellt, daß Wurzen laut Verfassungsschutz zwar das bundesweit wichtigste Zentrum rechter Aktivitäten
sein soll, jedoch in der 95er Soko Rex-Statistik über rechtsorientierte Straftaten auf dem letzten Platz rangiert, währenddessen Städte wie
Görlitz, Bautzen und Plauen die Spitzenplätze einnehmen.
(30) Seite 22 |
Der erste Sächsische Verfassungsschutzbericht umfaßt den Zeitraum
1992/1993. In ihm wird erstmals der Wurzner Volkssturm erwähnt. Von
den insgesamt 600 rechtsextremistischen Skinheads im Freistaat Sachsen hat ein
Teil eine geschlossene rechtsextremistische Ideologie. Nicht selten
gehören solche Skinheads rechtsextremistischen Organisationen an, seien es
extremistische Skinhead-,Organisationen wie der Wurzener Volkssturm
(...). (30) Im 94er-Verfassungschutzbericht werden die folgenden Vorfälle in der
Chronologie aufgelistet:
Als Schwerpunkt für das Auftreten von Skinheads wird der Raum Leipzig
angegeben (was jedoch nicht viel zu sagen hat, weil fast alle
größeren Städte mit ihrer Umgebung als Schwerpunkte
aufgeführt sind).
In der Chronologie der Ereignisse/Dokumentation von gewalttätigen
Aktionen mit extremistischen Hintergrund im Freistaat Sachsen werden zwei
Vorfälle aus dem Muldentalkreis aufgelistet:
Da dies schon lange zurückliegt, läßt es sich nicht mehr sagen,
ob bei dieser Aufzählung Vorfälle unter den Tisch gefallen sind. Das
ist zwar einerseits zu vermuten, andererseits verfügen wir über keine
Informationen über andere gewalttätige Aktionen mit
extremistischen Hintergrund aus diesem Zeitraum.
Wurzen wird in dem Bericht neben fünf anderen Städten/Gebieten als
Schwerpunkt der Skinheadszene in Sachsen benannt. In diesen Zentren sei ein
harter Kern aktiv, welcher der örtlichen Szene Gestalt verleiht und
ebenso überregional in Erscheinung tritt. Dieser Personenkreis ist an
Gewaltaktionen beteiligt. (31)
(31) Seite 28 der Pressefassung
(32) Einziger »Zwischenfall«: Bürgermeister Pausch kündigt nach der Demo an, Strafanzeige zu stellen, da ihm unterstellt worden wäre, die Rechten zu dulden und zu unterstützen. Worauf er sonst immer so stolz ist, wenn er es Jugendarbeit nennen kann, streitet er in diesem Fall ab - um dann doch keine Anzeige zu stellen. |
Der Verfassungschutzbericht von 1995 unterschlägt mindestens 15, zum Teil
bedeutende rechte Vorfälle. Dabei handelt es sich zum größten
Teil um Ereignisse, die dem Verfassungschutz schon allein aufgrund der
Auswertung öffentlich zugänglicher Publikationen bekannt sein
müßten. In den meisten Fällen wurde die Polizei informiert und
Anzeige erstattet. Ein rechtsradikaler Hintergrund der Vorfälle ist
erwiesen.
Das seit Oktober 1995 besetzte Fascho-Haus: Im Verfassungsschutzbericht 1995 kommt es nicht vor. |
In der von der PDS initiierten Landtagsdebatte Rechte Kameradschaften in
Wurzen und Umland - toleriert durch Polizei und kommunale
Verantwortungsträger - lebensbedrohlich für Alternative (April
1995) äußert sich der damalige Innenminister Eggert, daß -
und es ist davon auszugehen, daß er sich dabei auf Informationen des
Verfassungsschutzes stützt - in der Stadt Wurzen und deren
näheren Umgebung (...) eine lose Gruppierung von ca. 30 bis 70
Jugendlichen und Heranwachsenden existiert, die der rechten Szene
zuzuordnen sind. Und weiter führt er entgegen der wirklichen
Erkenntnislage aus: Über feste Organisationsstrukturen, eine
konkrete Gruppenbezeichnung bzw. eine rechte Kameradschaft liegen uns keine
Erkenntnisse vor. Als Treffpunkte dienen Gaststätten und Clubs sowie auch
die sogenannte Villa Kunterbunt (33) (...) Bekannt ist, daß
aus dem Bereich dieser Gruppierung Kontakte zu anderen rechtsgerichteten
Personen bestehen. Es gibt aber keine Kontakte zu organisierten oder
strukturierten Gruppierungen.
(33) Sollte Eggert wirklich der Meinung sein, daß der Rechtsruck der Gesellschaft selbst die Punkszene in der Villa Kuntabunt erfaßt hat? |
Chef der Soko Rex mit einer strigenten Handbewegung, ohne die alles anders wäre. |
Ab Ende des gleichen Jahres leugnet der Verfassungsschutz Kontakte der Wurzner Fascho-Szene zu überregionalen Organisationen und Parteien nicht mehr.
In der Antwort des Sächsischen Innenministeriums (SMI) vom 4. September
1995 auf eine kleine Anfrage des PDS-Landtagsabgeordneten Uwe Adamczyk wird die
Anzahl der Skinheads im Muldentalkreis mit 150 angegeben. Der harte Kern
besteht etwa aus 30 Personen. Er ist stark politisiert, organisert und
teilweise militant. Dieser Personenkreis verfügt auch über
Verbindungen zu ehemaligen Mitgliedern inzwischen verbotener
neonationalsozialistischer Organisationen (...). Kontakte werden zu
Rechtsextremisten im Großraum Leipzig und in andere Länder
unterhalten. Die Wurzner Gruppierungen seien aus den Resten der
verbotenen Wiking Jugend und FAP entstanden, so der
Verfassungsschutzpräsident gegenüber dpa. (34)
In einer Antwort vom 1. Mai 1996 auf eine Anfrage des SPD-Abgeordnet Joachim
Schulmeyer führt das SMI aus, daß die rechtsextremistische Szene in
Wurzen zunehmend unter den Einfluß der NPD geraten ist. Das Haus in der
Käthe-Kollwitz-Straße werde von Skinheads und militanten
Rechtsextremisten zur Durchführung von Veranstaltungen und Treffen
genutzt. In der Regel kommen dabei 20 bis 40, zum Teil namentlich bekannte
Personen zusammen, bei größeren, landesweiten Veranstaltungen bis zu
300. Den Jugendlichen konnte aber bislang nicht die Begehung von Straftaten
aus dem Grundstück heraus nachgewiesen werden. Der
Verfassungsschutz und die Soko Rex beobachten das Treiben im Haus um ggf.
präventiv bzw. repressiv auf bestimmte Entwicklungen einwirken zu
können.
(34) dpa-Meldung vom 13.6.1996
(35) SächsZ vom 29.7.1996 (36) Siehe dazu unsere Einschätzung im vorderen Teil. Marcus Müller als Führer aufzubauen, kann auch das Ziel verfolgen, durch eine Verhaftung des einen, das Problem für gelöst zu erklären. So verkündet der Sächsische Innenminister in einem Radiointerview am 20. August 1996, daß durch die Verhaftung des Wurzner »Führungszentrums« die Naziszene zerschlagen worden wäre. (Tage später werden jedoch alle wichtigen Faschos - inklusive Marcus Müller - auf der Straße in Wurzen gesehen.) Überreste dieser Szene sollten durch Bereitstellung hoher Geldbeträge für Jugendclubs auf die FDGO eingeschworen werden. (LVZ vom 21.8.1996) |
Zu fragen bleibt, warum die Erkenntnisse der Verfassungsschutzes, der widerwillig zugeben muß, daß sich im Muldentalkreis militante rechtsextreme Strukturen breit gemacht und unter den Jugendlichen die kulturell-ideologische Hegemonie gewonnen haben, keinen zwingenden Handlungsbedarf für die Repressionsorgane ergeben.
In einer Verlautbarung vom 28. Juli 1996 schwenkt der Verfassungsschutz mit
seiner Einschätzung über die Fascho-Szene in Wurzen plötzlich
um. Wurzen wird vom neuen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Eckehardt
Dietrich, als das derzeit wohl wichtigste Zentrum der Neonazis in
Deutschland bezeichnet. Es gäbe einen Kern von 30 bis 40
AktivistInnen, die sehr schnell 300 SympathisantInnen aus etwa zehn
eigenständigen Gruppierungen mobilisieren könnten. Unter den
Aktivisten hat der Verfassungsschutz eine Person ausgemacht, die auch
Charisma ausstrahlen und eine Sammlungsbewegung zustande bringen
könnte (gemeint ist Marcus Müller.) Die im Westen
totgesagte NPD versuche in Sachsen eine Sammlungsbewegung
gewaltbereiter RechtsextremistInnen zu organisieren. Der frühere
NPD-Vorsitzende Günter Deckert habe diesbezüglich besonders in Wurzen
sehr unheilvoll gewirkt.
Gleichzeitig lobt Dietrich die Arbeit der Polizei in der Vergangenheit:
Wenn Polizei und Soko Rex da nicht sehr stringent reingehen würden,
würde das ganz anders aussehen. (35) Dieser Meinungswandel
läßt sich unseres Erachtens nach nicht damit erklären,
daß der Verfassungsschutz jetzt ein wirkliches Interesse hätte, gegen die Nazi-Strukturen im
Muldentalkreis vorzugehen.
Vielmehr versucht der Verfassungsschutz, der schon leicht einsetzenden und in
der Zukunft wohl verstärkt vermuteten Kritik zuvorzukommen. Einerseits
soll die Polizei in Schutz genommen werden, gerade jetzt, wo mehrere
Ermittlungsverfahren gegen Wurzner PolizistInnen eingeleitet wurden und
Strafverfahren bei der Leipziger Staatsanwaltschaft zur Zulassung vorliegen.
Andererseits will der Verfassungsschutz sich selbst gegen Vorwürfe
absichern, sie hätten das Problem verharmlost. Kein Wunder, daß der
Verfassungsschutz mit dieser Erklärung weit über das Ziel
hinausschießt und sich in Widersprüche verwickelt. Die Behauptung,
daß Wurzen das wichtigste Zentrum der Neonazis in der BRD sei, deckt sich
weder mit unserer Einschätzung noch mit der Analyse des gerade einen Monat
zuvor präsentierten Verfassungsschutzberichtes. Und das Lob an Polizei und
Soko Rex steht im eklatanten Widerspruch zu den gleichzeitig von Polizeiseite
geäußerten Schuldzuweisung an die regionale Polizei, die nicht
konsequent gegen die Faschos vorgegangen sei, falschen Einschätzungen
nachgehangen hätte und mangelnde Professionalität an den Tag legen
würde. Außerdem geht die Behauptung, die NPD sei für das
Fascho-Problem in Wurzen hauptverantwortlich und Marcus Müller sei der
charismatische Führer, an der Realität vorbei. (36)
Es ist zu befürchten, daß sowohl diese, vom Verfassungsschutz an die
Presse lancierte Meldung, als auch die neuen Runden im Regierungspräsidium
nur der weißen Weste dienen, also als reine PR-Aktionen zu begreifen
sind, und keine Auswirkungen auf die kommunale Politik und das Vorgehen der
Polizei in Wurzen haben werden.
Inhalt Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 |
Wurzen-Broschüre. |