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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

Inhalt
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Verhalten von staatlichen Ermittlungsbehörden und Justiz. [2]

Wurzen-Broschüre.

Landespolizei.


Wurzens Polizei verrücktester Freund: Der Innenminister Heinz Eggert. (Hier: In Aktion)
Die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) wird 1991 gegründet und untersteht dem Sächsischen Landeskriminalamt (LKA). Entgegen dem eigenen Namen ermittelt die Soko Rex schon immer gegen »Rechts- und Linksextremisten«. Ermittlungen in der linken Szene gehen zum Teil so vonstatten, daß die BeamtInnen behaupten, sie würden Interesse an einer guten Zusammenarbeit zwischen Antifa und Polizei haben, schließlich gäbe es ja das gemeinsame Ziel, gegen Rechtsextreme vorzugehen. Mit diesem Trick ist es zum Teil gelungen, daß Antifas zu Aussagen bereit waren. Die Aufklärungsquote der Soko Rex liegt nach eigenen Angaben bei ca. 90%.

Die Soko Rex hat bis April 1995 in Wurzen/Muldentalkreis 16 Ermittlungsverfahren eingeleitet, die sich nach Angaben des Sächsischen Innenministers alle gegen rechtsextreme Gewalttäter richten. Andere Straftaten, die politisch motiviert waren, hätte die Soko Rex an die Soko Mulde der Polizeidirektion Grimma abgegeben. (18) In den ersten acht Monaten des Jahres 1996 habe es in Wurzen acht Straftaten gegeben,
(18) 12. Sitzung des Sächs. Landtages, 2. Sitzungsperiode, Seite 20/4 f.

(19) MTZ vom 21.8.1996

die das Sächsische Innenministerium
als fremdenfeindlich oder rechtsorientiert einstuft. In allen Fällen (schwere Brandstiftung, schwere Körperverletzung, Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) hat die Soko Rex die Ermittlungen aufgenommen, insgesamt werden 17 Tatverdächtige ermittelt und gegen zwei Personen Haftbefehl erlassen. (19)
In der Regel ermittelt die Soko Rex
in besonders schweren Fällen. Gemeinsame Ermittlungen zusammen mit der Polizei vor Ort sind ebenfalls üblich. So ermitteln nach dem Überfall auf drei Italiener vor der Disco Joy die Soko Rex und die Polizeidirektion Grimma vor Ort, können fünf Täter feststellen und führen zwei dem Haftrichter vor. Außerdem führen sie gemeinsam eine Hausdurchsuchung durch.
Ansonsten taucht die Soko Rex meist in Wurzen auf, wenn sie in ganz Sachsen aktiv wird. So führt die Soko Rex im Zuge des FAP
-Verbotes und bei einer landesweiten Aktion gegen Rechtsextreme Hausdurchsuchungen im Muldentalkreis durch.

Wurzens Polizei verrücktester Feind: Der Kommisar »Soko« Rex (Hier: In Aktion)

Die Soko Rex fungiert als Feigenblatt nach außen hin. Suggeriert werden soll, daß faschistische Ausschreitungen in Sachsen nicht geduldet werden. Diese Arbeitseinstellung äußert sich z.B. bei dem Überfall auf die portugiesischen Bauarbeiter im Oktober 1994, nach dem die Soko Rex die Ermittlungen aufnimmt. In diesem Zusammenhang betont Lothar Hofner, Sprecher des Landeskriminalamtes, vier Tage nach dem Überfall: „Die Ermittlungen gehen weiter.“ Und das, obwohl die Soko Rex zu diesem Zeitpunkt »schon« elf Tatverdächtige (von insgesamt 60) ermitteln konnte. Außerdem führt Hofner aus, daß die angegriffenen Portugiesen völlig legal in Wurzen gearbeitet hätten, sich beim Aufbau Ost beteiligen wollten und deshalb die internationalen Folgen des Angriffes immens seien. (20)
(20) MTZ vom 20.10.1994

(21) MTZ vom 24.1.1995

(22) Offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen der Berichterstattung in überregionalen Medien (wie Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Welt u.a.) und einem härteren Durchgreifen der Polizei ab Anfang/Mitte 1996.

In einem anderen Fall, nach dem Angriff auf das besetzte Haus in der Dresdner Straße, lanciert das Landeskriminalamt erst erfolgreich die Lüge, daß die Auseinandersetzungen von den Linken provoziert wurden, um dann zwei Tage später die Ermittlungen von der Soko Rex auf die lokale Polizei zu übertragen. (21)
Unserer Einschätzung nach hat aufgrund des öffentlichen Drucks, welcher durch Antifa-Aktionen und die Berichterstattung in den Medien (22) entstanden ist, die Rolle der Soko Rex im Muldentalkreis zugenommen. Während im April 1995 die Wurzner Polizisten zumindest offiziell von der Staatsregierung während der Landtagsdebatte in Schutz genommen werden und der Innenminister auf die erfolgreiche Arbeit der lokalen Sonderkommissionen verweist, nimmt das LKA
knapp 14 Monate später Ermittlungen gegen Wurzner Polizisten auf, weil sie rechtsradikale Ausschreitungen geduldet hatten. Das Sächsische Innenministerium ließ - erst nur inoffiziell, später sogar im Fernsehen und in der Presse - verlauten, daß es sehr unzufrieden mit der Jugendpolitik der Wurzner Stadtverwaltung und dem Verhalten der Wurzner Polizei sei.

Treffen der Wiking-Jugend in Mutzschen.
Die erhöhte Präsenz der Soko Rex in Wurzen bedeutet aber nicht das Ende organisierter Fascho-Strukturen. Eher im Gegenteil: Der in Parteistrukturen verankerte Clan um Marcus Müller blieb bislang von Polizeiaktionen verschont. Opfer der Hausdurchsuchungen werden meist konkurrierende Kameradschaften
aus den umliegenden Dörfern. Diese taten sich des öfteren durch völlig unsinnige und spontane Aktionen hervor, die auch innerhalb der Fascho-Szene auf Kritik stoßen. Man kann also konstatieren, daß lokale Polizei und Soko Rex dem Säuberungsprozeß der Faschos unterstützen und dabei - ob gewollt oder nicht - auf der Seite derjenigen stehen, die koordiniert vorgehen, funktionierende, überregionale Strukturen aufbauen und Gewalt nur wohlüberlegt und gut vorbereitet anwenden.
Beweis dafür ist, daß Fascho-Veranstaltungen, von denen der Verfassungschutz, die Soko Rex und die lokale Polizei im Vorfeld informiert sind, geschützt werden, selbst wenn die Faschos gegen die Bestimmungen der Sicherheit
spartnerschaft verstoßen.
(23) MTZ vom 4.1.1994

(24) Drucksache 2/1400 des Sächs. Landtages

(25) MTZ vom 22.4.1996

(26) MTZ vom 10.5.1996

(27) LVZ vom 14.5.1996

(28) Interessanterweise versucht die Polizei dies in der Presse nicht als schlagkräftiges Vorgehen gegen Rechte ausschlachten, vielmehr wird die Räumung verschwiegen. Das hängt sicherlich damit zusammen, daß die verantwortlichen Stellen sich sehr wohl bewußt sind, daß das Haus nach der ersten Razzia und dem daraufhin erteilten Nutzungsverbot eigentlich gar nicht mehr hätte existieren dürfen. Den geräumten Faschos scheint jedoch ein städtisches Ersatzobjekt in Aussicht zu stehen.

  1. Das ist zum Wiking-Jugend-Treffen in Mutzschen zu Sylvester 1993 so, als die Polizei nicht einschreitet, obwohl entgegen vorheriger Absprachen außerhalb der Jugendherberge eine Kranzniederlegung und ein Mahnfeuer stattfindet sowie ein Fahnenapell mit verbotenen Uniformen durchgeführt wird. (23)
  2. Ähnlich die Sonnenwendefeier im Juni 1995 in der Nähe von Wurzen, die massiv geschützt wird und wo die Polizei nicht eingreift, obwohl verfassungsfeindliche Symbole gezeigt werden und „antisemitisches und volksverhetzendes“ Propagandamaterial - so das Innenministerium (24) - verteilt wird.
  3. Der als „Geburtstagsfeier für eine Kumpel“ angekündigte Aufmarsch von 200 organiserten Faschos zum Hitlergeburtstag 1996 in Gerichshain bleibt ebenfalls von der Polizei unbehelligt, obwohl eine Bundesstraße zeitweilig blockiert wird und AnwohnerInnen bis zum frühen Morgen massiv belästigt. (25)
  4. Auch das vom harten Kern der Wurzner Fascho-Szene besetzte und festungsartige ausgebaute Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße blieb von ernsthaften Repressalien lange Zeit verschont. Obwohl die verbotene Reichskriegsflagge auf dem Haus wehte, mehrere Gewaltaktionen von dort ausgingen und überregionale Treffen mit bis zu 300 Faschos organisiert wurden, eine Art lokale NPD-Parteizentrale in den Räumen eingerichtet und eine »Sicherheitspartnerschaft« mit der nahegelegenen Tankstelle abgeschlossen wurde, lehnte die Staatsanwaltschaft trotz Antrag der Stadt die Durch führung einer Hausdurchsuchung ab. (26) Als es dann doch zu einer Razzia kommen muß, da das Landratsamt Grimma bei einer Baubegehung Waffen entdeckt hat, kann die Polizei weder Propagandamaterial noch größere Mengen Waffen finden, da die ganze Stadt und die Besetzer natürlich mit als erste schon eine Woche zuvor von der Razzia informiert wurden. (27) „Die rechtsextremen Jugendlichen haben es jetzt schwerer“, so der Präsident des Sächsischen Verfassungsschutzes Reinhard Boos Mitte Juni 1996, einen Monat nach der Razzia im Haus und der angeblichen Schließung. Dabei dürfte selbst dem Verfassungsschutz bekannt geworden sein, daß das Haus nicht geschlossen, sondern lediglich aus baurechtlichen und brandschutztechnischen Gründen ein Nutzungsverbot ausgesprochen wurde, welches die Faschos jedoch nicht einhielten, was die Behörden wiederum über zwei Monate duldeten. Erst am 3. August 1996 wird das besetzte Haus von einem Großaufgebot Polizei erneut geräumt und zugemauert. (28)

Verfassungsschutz.

Die sächsischen VerfassungsschützerInnen beobachten seit einigen Jahren die Aktivitäten der rechten Szene in Wurzen. Über welche Kenntnisse sie verfügen und in welchem Umfang sie observieren, wissen wahrscheinlich nur sie selbst. Interessant ist jedoch, welche Informationen nach draußen dringen. Es handelt sich dabei vor allem um die Verfassungsschutzberichte und Informationen des Sächsischen Innenministeriums, die sich auf Verfassungsschutzinformationen stützen.
Wurzen wird als eines der rechtsextremen Zentren mit überregionaler Bedeutung in Sachsen angesehen, wo „eine seit 1991 kontinuierlich erstarkende rechtsextremistische Szene“ aktiv ist, zu deren Kern 30 Personen aus verbotenen Neonaziorganisationen bzw. der NPD
gehören. Das Umfeld wird vom Verfassungsschutz mit 150-300 Personen beziffert. Allerdings wird in den meisten Verlautbarungen über Wurzen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es ja im Muldentalkreis nicht so schlimm sein kann, weil es in anderen Gegenden noch schlimmer ist.
(29) In einem anderen Bild-Artikel (29.7.1996) wird etwas verwundert festgestellt, daß Wurzen laut Verfassungsschutz zwar das bundesweit wichtigste Zentrum rechter Aktivitäten sein soll, jedoch in der 95er Soko Rex-Statistik über „rechtsorientierte Straftaten“ auf dem letzten Platz rangiert, währenddessen Städte wie Görlitz, Bautzen und Plauen die Spitzenplätze einnehmen.

(30) Seite 22

So berichtet die Bild vom 7. Juni 1996 unter Berufung auf den Verfassungsschutz: „In Wurzen gab es 1995 ’nur’ 13 rechtsextreme Straftaten und eine ausländerfeindliche Tat. Sächsischer ’Spitzenreiter’ ist Görlitz
mit 76 solcher Straftaten und acht Anschlägen auf Ausländer.“ (29)
Und die Dresdner Morgenpost weiß bei der Vorstellung des Sächsischen Verfassungsschutzberichtes von 1995 direkt nach einem Abschnitt über Wurzen zu berichten: „Aber viel massiver sammeln sich Rechtsextreme in Ostsachsen.“ Solche Vergleiche werden immer dann angebracht, wenn es darum geht, das nicht zu vermeidende Eingeständnis einer rechtsextremen Hochburg in Wurzen sogleich wieder zu relativieren. Gern zitiert wird auch die haltlose Behauptung des Verfassungsschutzes, in Wurzen würden sich linke und rechte Jugendliche gegenseitig hochschaukeln und bei der Ausübung von Gewalt anstacheln. Es gibt in Wurzen keine Linken mehr, die ein Gegengewicht zu den Faschos darstellen könnten.

Der erste Sächsische Verfassungsschutzbericht umfaßt den Zeitraum 1992/1993. In ihm wird erstmals der Wurzner Volkssturm erwähnt. „Von den insgesamt 600 rechtsextremistischen Skinheads im Freistaat Sachsen hat ein Teil eine geschlossene rechtsextremistische Ideologie. Nicht selten gehören solche Skinheads rechtsextremistischen Organisationen an, seien es extremistische Skinhead-,Organisationen’ wie der Wurzener Volkssturm (...).“ (30)
Als Schwerpunkt für das Auftreten von Skinheads wird der Raum Leipzig
angegeben (was jedoch nicht viel zu sagen hat, weil fast alle größeren Städte mit ihrer Umgebung als Schwerpunkte aufgeführt sind).
In der „Chronologie der Ereignisse/Dokumentation von gewalttätigen Aktionen mit extremistischen Hintergrund im Freistaat Sachsen“ werden zwei Vorfälle aus dem Muldentalkreis aufgelistet:

  1. 1. Januar 1993: Übergriff auf vermeintliche linke Jugendliche in Leisnig, wobei NS-Parolen gerufen werden
  2. 10. Juli 1993: Überfall von 30 vermummten und mit Knüppeln Bewaffneten auf ein PDS-Treffen in Schildau, wobei zwei BesucherInnen der Veranstaltung leicht verletzt werden.
Da dies schon lange zurückliegt, läßt es sich nicht mehr sagen, ob bei dieser Aufzählung Vorfälle unter den Tisch gefallen sind. Das ist zwar einerseits zu vermuten, andererseits verfügen wir über keine Informationen über andere „gewalttätige Aktionen mit extremistischen Hintergrund“ aus diesem Zeitraum.

Im 94er-Verfassungschutzbericht werden die folgenden Vorfälle in der Chronologie aufgelistet:

  1. Wiking-Jugend-Winterlager in Mutzschen zu Sylvester 1993
  2. Überfall auf Flößberger Jugendclub, März 1994
  3. Brandanschlag auf das Aussiedlerheim in Bennewitz, März 1994
  4. Überfall auf portugiesische Bauarbeiter in Wurzen, Oktober 1994
Verschwiegen werden dabei das geplante Faschokonzert in Threna, rechte Sprühereien in Wurzen (linke Graffiti werden im allgemeinen ausgebreitet im Verfassungsschutzberichten aufgenommen), Angriff auf Portugiesen in Trebsen, Überfall auf die Dresdner Straße, Androhung sowie Ausführung eines Überfalls auf die Villa, Überfall auf ein Auto in Bennewitz. Mit dem Vorfall in Trebsen und dem Angriff auf das besetzte Haus werden sogar zwei größere, eindeutig der organisierten rechten Szene zugeordneten Aktionen weggelassen, obwohl beide langwierige Ermittlungsverfahren nach sich zogen.
Wurzen wird in dem Bericht neben fünf anderen Städten/Gebieten als Schwerpunkt der Skinheadszene in Sachsen benannt. In diesen Zentren sei ein harter Kern aktiv, „welcher der örtlichen Szene Gestalt verleiht und ebenso überregional in Erscheinung tritt. Dieser Personenkreis ist an Gewaltaktionen beteiligt“. (31)
(31) Seite 28 der Pressefassung

(32) Einziger »Zwischenfall«: Bürgermeister Pausch kündigt nach der Demo an, Strafanzeige zu stellen, da ihm unterstellt worden wäre, die Rechten zu dulden und zu unterstützen. Worauf er sonst immer so stolz ist, wenn er es Jugendarbeit nennen kann, streitet er in diesem Fall ab - um dann doch keine Anzeige zu stellen.

Der Verfassungschutzbericht von 1995 unterschlägt mindestens 15, zum Teil bedeutende rechte Vorfälle. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Ereignisse, die dem Verfassungschutz schon allein aufgrund der Auswertung öffentlich zugänglicher Publikationen bekannt sein müßten. In den meisten Fällen wurde die Polizei informiert und Anzeige erstattet. Ein rechtsradikaler Hintergrund der Vorfälle ist erwiesen.

Das seit Oktober 1995 besetzte Fascho-Haus: Im Verfassungsschutzbericht 1995 kommt es nicht vor.
Im Gegenzug wird eine der wenigen Antifa-Aktionen in Wurzen (Plakate-Kleben und leichte Sachbeschädigung an der BB-Baracke
nach Provokation seitens der Faschos) im Verfassungsschutzbericht viermal ausführlich erwähnt und mit allen anderen Aktivitäten willkürlich in einen Zusammenhang gestellt. So wird der Anmelder der Antifaschistischen Demo in Wurzen für diesen Vorfall verantwortlich gemacht. Auch diese Demo wird, obwohl es zu keinerlei Zwischenfällen kam, (32) im 95er-Bericht auf mehreren Seiten abgehandelt.
Im dreiseitigen Hintergrundteil zu Wurzen wird nach der Vorbemerkung, daß sich die Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Jugendlichen zuspitzten, erst auf „Entstehung und Struktur der rechtsextremistischen Szene“ eingegangen: Sie entwickelte sich seit 1991, besteht aus einem ca. 30-köpfigen „Personenkreis mit einer realtiv gefestigten neonationalsozialistischen Weltanschauung“, die aus oder aus dem Umfeld der verbotenen WJ, NF
und FAP kommen, darum gruppiert sich ein „breites Spektrum von Sympathisanten (...) lose unstrukturierte Szene, der bereits 13 - 16jährige Jugendliche angehören (...) Es gelang der rechtsextremistischen Szene, verschiedene allgemeine Jugendtreffpunkte zumindest teilweise zu dominieren. So entstanden ’kontrollierte Bereiche’, aus denen (...) Außenstehende - wenn nötig - mit Gewalt vertrieben wurden. (...) Sie (die rechtsextremistische Szene - Anm.d.A.) ist in der Region fest verankert und umfaßt neben einem harten Kern von Aktivisten ein beachtliches Mobilisierungspotential. Überregionale Kontakte verbanden und verbinden sie mit anderen Neonationalsozialisten.“ Viel ausführlicher jedoch geht der Bericht auf die „linksextremistische Szene“ ein, und da es die in Wurzen nicht gibt, kann nur aus Demoreden und Leipziger Szenezeitschriften zitiert werden, was alles ganz gefährlich klingt. Unter der Überschrift „Aktivitäten“ geht es ausschließlich um linke Aktivitäten, wo mensch immer wieder staunt, was es in Wurzen doch noch so alles gegeben haben soll. Die bekannten rechten Vorfälle werden (mit Ausnahme von zweien, die im Vorwort erwähnt werden) im Hintergrundteil einfach nicht mit genannt.

In der von der PDS initiierten Landtagsdebatte „Rechte Kameradschaften in Wurzen und Umland - toleriert durch Polizei und kommunale Verantwortungsträger - lebensbedrohlich für Alternative“ (April 1995) äußert sich der damalige Innenminister Eggert, daß - und es ist davon auszugehen, daß er sich dabei auf Informationen des Verfassungsschutzes stützt - „in der Stadt Wurzen und deren näheren Umgebung (...) eine lose Gruppierung von ca. 30 bis 70 Jugendlichen und Heranwachsenden“ existiert, die der rechten Szene zuzuordnen sind. Und weiter führt er entgegen der wirklichen Erkenntnislage aus: „Über feste Organisationsstrukturen, eine konkrete Gruppenbezeichnung bzw. eine rechte Kameradschaft liegen uns keine Erkenntnisse vor. Als Treffpunkte dienen Gaststätten und Clubs sowie auch die sogenannte Villa Kunterbunt (33) (...) Bekannt ist, daß aus dem Bereich dieser Gruppierung Kontakte zu anderen rechtsgerichteten Personen bestehen. Es gibt aber keine Kontakte zu organisierten oder strukturierten Gruppierungen.“
(33) Sollte Eggert wirklich der Meinung sein, daß der Rechtsruck der Gesellschaft selbst die Punkszene in der Villa Kuntabunt erfaßt hat?
Im Gegensatz dazu steht die ebenfalls aus dem Frühjahr 1995 stammende, nicht offizielle und indirekte Mitteilung des Verfassungschutzes, daß die bekannt gewordenen Rechercheergebnisse von Antifa-Gruppen nur die Spitze des Eisberges darstellen würden und alles viel schlimmer sei. So würden die Wurzner Faschos an Wehrsportübungen auf einem privaten Grundstück an der Grenze zwischen Hessen
und Thüringen teilnehmen.

Chef der Soko Rex mit einer strigenten Handbewegung, ohne die alles anders wäre.

Ab Ende des gleichen Jahres leugnet der Verfassungsschutz Kontakte der Wurzner Fascho-Szene zu überregionalen Organisationen und Parteien nicht mehr.

In der Antwort des Sächsischen Innenministeriums (SMI) vom 4. September 1995 auf eine kleine Anfrage des PDS-Landtagsabgeordneten Uwe Adamczyk wird die Anzahl der Skinheads im Muldentalkreis mit 150 angegeben. „Der harte Kern besteht etwa aus 30 Personen. Er ist stark politisiert, organisert und teilweise militant. Dieser Personenkreis verfügt auch über Verbindungen zu ehemaligen Mitgliedern inzwischen verbotener neonationalsozialistischer Organisationen (...). Kontakte werden zu Rechtsextremisten im Großraum Leipzig und in andere Länder unterhalten.“ Die Wurzner Gruppierungen seien aus den Resten der verbotenen Wiking Jugend und FAP entstanden, so der Verfassungsschutzpräsident gegenüber dpa. (34)
In einer Antwort vom 1. Mai 1996 auf eine Anfrage des SPD
-Abgeordnet Joachim Schulmeyer führt das SMI aus, daß die rechtsextremistische Szene in Wurzen zunehmend unter den Einfluß der NPD geraten ist. Das Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße werde von Skinheads und militanten Rechtsextremisten zur Durchführung von Veranstaltungen und Treffen genutzt. In der Regel kommen dabei 20 bis 40, zum Teil namentlich bekannte Personen zusammen, bei größeren, landesweiten Veranstaltungen bis zu 300. Den Jugendlichen konnte aber bislang nicht die Begehung von Straftaten „aus dem Grundstück heraus“ nachgewiesen werden. Der Verfassungsschutz und die Soko Rex beobachten das Treiben im Haus „um ggf. präventiv bzw. repressiv auf bestimmte Entwicklungen einwirken zu können.“
(34) dpa-Meldung vom 13.6.1996

(35) SächsZ vom 29.7.1996

(36) Siehe dazu unsere Einschätzung im vorderen Teil. Marcus Müller als Führer aufzubauen, kann auch das Ziel verfolgen, durch eine Verhaftung des einen, das Problem für gelöst zu erklären. So verkündet der Sächsische Innenminister in einem Radiointerview am 20. August 1996, daß durch die Verhaftung des Wurzner »Führungszentrums« die Naziszene zerschlagen worden wäre. (Tage später werden jedoch alle wichtigen Faschos - inklusive Marcus Müller - auf der Straße in Wurzen gesehen.) Überreste dieser Szene sollten durch Bereitstellung hoher Geldbeträge für Jugendclubs auf die FDGO eingeschworen werden. (LVZ vom 21.8.1996)

Zu fragen bleibt, warum die Erkenntnisse der Verfassungsschutzes, der widerwillig zugeben muß, daß sich im Muldentalkreis militante rechtsextreme Strukturen breit gemacht und unter den Jugendlichen die kulturell-ideologische Hegemonie gewonnen haben, keinen zwingenden Handlungsbedarf für die Repressionsorgane ergeben.

In einer Verlautbarung vom 28. Juli 1996 schwenkt der Verfassungsschutz mit seiner Einschätzung über die Fascho-Szene in Wurzen plötzlich um. Wurzen wird vom neuen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Eckehardt Dietrich, als das derzeit „wohl wichtigste Zentrum der Neonazis in Deutschland“ bezeichnet. Es gäbe einen Kern von 30 bis 40 AktivistInnen, die sehr schnell 300 SympathisantInnen aus etwa zehn eigenständigen Gruppierungen mobilisieren könnten. Unter den Aktivisten hat der Verfassungsschutz eine Person ausgemacht, die „auch Charisma ausstrahlen und eine Sammlungsbewegung zustande bringen könnte“ (gemeint ist Marcus Müller.) Die im Westen „totgesagte“ NPD versuche in Sachsen eine Sammlungsbewegung gewaltbereiter RechtsextremistInnen zu organisieren. Der frühere NPD-Vorsitzende Günter Deckert habe diesbezüglich besonders in Wurzen „sehr unheilvoll gewirkt“.
Gleichzeitig lobt Dietrich
die Arbeit der Polizei in der Vergangenheit: „Wenn Polizei und Soko Rex da nicht sehr stringent reingehen würden, würde das ganz anders aussehen.“ (35) Dieser Meinungswandel läßt sich unseres Erachtens nach nicht damit erklären, daß der Verfassungsschutz jetzt ein wirkliches Interesse hätte, gegen die Nazi-Strukturen im Muldentalkreis vorzugehen.
Vielmehr versucht der Verfassungsschutz, der schon leicht einsetzenden und in der Zukunft wohl verstärkt vermuteten Kritik zuvorzukommen. Einerseits soll die Polizei in Schutz genommen werden, gerade jetzt, wo mehrere Ermittlungsverfahren gegen Wurzner PolizistInnen eingeleitet wurden und Strafverfahren bei der Leipzig
er Staatsanwaltschaft zur Zulassung vorliegen. Andererseits will der Verfassungsschutz sich selbst gegen Vorwürfe absichern, sie hätten das Problem verharmlost. Kein Wunder, daß der Verfassungsschutz mit dieser Erklärung weit über das Ziel hinausschießt und sich in Widersprüche verwickelt. Die Behauptung, daß Wurzen das wichtigste Zentrum der Neonazis in der BRD sei, deckt sich weder mit unserer Einschätzung noch mit der Analyse des gerade einen Monat zuvor präsentierten Verfassungsschutzberichtes. Und das Lob an Polizei und Soko Rex steht im eklatanten Widerspruch zu den gleichzeitig von Polizeiseite geäußerten Schuldzuweisung an die regionale Polizei, die nicht konsequent gegen die Faschos vorgegangen sei, falschen Einschätzungen nachgehangen hätte und mangelnde Professionalität an den Tag legen würde. Außerdem geht die Behauptung, die NPD sei für das Fascho-Problem in Wurzen hauptverantwortlich und Marcus Müller sei der charismatische Führer, an der Realität vorbei. (36)
Es ist zu befürchten, daß sowohl diese, vom Verfassungsschutz an die Presse lancierte Meldung, als auch die neuen Runden im Regierungspräsidium nur der weißen Weste dienen, also als reine PR-Aktionen zu begreifen sind, und keine Auswirkungen auf die kommunale Politik und das Vorgehen der Polizei in Wurzen haben werden.


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