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Tue Dec 17 21:59:28 1996
 

Zivi- und Psychobullen

Bild rechts: Herr Heinemann (links) und die beiden
Stummen im Hintergrund vor dem BGS-Wohnheim bei Rothenburg

Interesse an der Fahrradtour bekundete dagegen der BGS. Eine Beamtin und ein Beamter in Zivil bekannten sich zwar nicht zu ihrem Auftraggeber, wollten sich aber unserer Tour anschließen. Ein politisches Motiv hätten sie nicht, nur Langeweile, und wir wären da genau das Richtige. Leider konnten wir ihren Wunsch nicht erfüllen und so folgten sie uns mit ihren “getarnten” Dienstfahrrädern in gehörigem Abstand und hielten Kontakt zu den Zivilfahrzeugen, die uns von jetzt ab ganz offensichtlich und ständig begleiteten.

Mit der amtlichen Begleitung konnte jetzt auch die längste Etappe nach Bad Muskau in Angriff genommen werden. Einen Zwischenstopp legten wir in Rothenburg ein. Etwas außerhalb der Stadt ist die Polizeifachhochschule gelegen, zu der ein Teil der Gruppe einen Abstecher machte: Der Neubaublock war frei zugänglich, kurz dahinter liegen Wohngebäude des BGS. Von dort wurde unser Besuch an der Fachhochschule schon mißtrauisch durch den Feldstecher beobachtet. Als wir an den drei Grünröcken vorbeikamen, wurden wir sofort in ein Gespräch verwickelt. Eine Redeerlaubnis hatte von den drei anwesenden Offizieren offensichtlich nur einer: Einemann, seit 20 Jahren dabei, Einsätze u.a. in Gorleben und ganz eindeutig ein “Psychobulle”. Einemann hat die nötigen rhetorischen Fähigkeiten und eine Schulung in Staatsbürgerkunde erfolgreich absolviert, so daß er als Kontaktbulle für unsere Tour eingesetzt wurde. Besonders befähigt ihn aber seine Diplomarbeit über Migrationsströme.

Er erzählt uns in der Tat alles, was zu erwarten war: "Der BGS hat laut §2 BGS-Aufgabengesetz den Schutz der Sicherheit der Grenze zu gewährleisten", rasselt er herunter. Was aber kann die Sicherheit einer Grenze in Friedenszeiten gefährden? Illegale Einreise, das ist jede Einreise, die nicht über einen Grenzübergang erfolgt, weil so Straftäter ins Land gelangen könnten. Da Flüchtlinge erstmal keine Straftat begangen haben, ist das Asylbegehren von Menschen, die aus einem "sicheren Drittstaat" einreisen, eine Straftat. Auch Heinemann ist nicht mit allem einverstanden, was in der Asylgesetzgebung passiert, aber die Demokratie und außerdem habe er sich nun einmal für den BGS entschieden. Irgend jemand muß es ja machen. Aber das heißt nicht, daß er keine kritische Meinung habe, schließlich sei er auch in einer Partei! Und dann gibt es schließlich noch uns, ganz toll, daß wir solche Aktionen machen. Unseren Vorwürfen, der BGS würde Flüchtlinge mißhandeln, hält Heinemann entgegen, daß die BeamtInnen den aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten am Wochenende nicht versorgten Flüchtlingen aus eigener Tasche Wasser bezahlen und sogar mit ihnen ihr Pausenbrot teilen. Und für die kleinen Flüchtlingskinder sei der Kühlschrank sogar mit Aléte-Babybrei gefüllt. Daß solche Menschen, die sich im Interesse der Flüchtlinge gegen die geldgierigen SchlepperInnen engagieren, Flüchtlinge mißhandeln, kann sich doch wahrlich niemand vorstellen. Und selbst wenn, so was müßte unbedingt angezeigt werden...

Blieb nur noch zu klären, wie das denn mit der Befragung der Flüchtlinge sei, bei der nicht nach Asyl gefragt wird. Da müßten wir wohl eine falsche Information haben. Zum Beweis wird einer der Stummen losgeschickt, ein Formular zu holen. Als er wenig später wiederkommt, stellt der Chef nach einem längeren (suchenden) Blick auf das Formular fest, es sei das falsche. Ein richtiges ist leider doch nicht zur Hand, aber der Chef des Grenzschutzamtes, Herr Popp, wird eins bereit halten. In Frankfurt dann ist es zwar auch das "falsche", nämlich ohne die Frage nach dem Asylbegehren, aber da dem BGS langsam klar sein dürfte, daß wir dem Schwindel nicht mehr glauben, wird es uns beim zweiten Versuch überreicht.

Nachtwanderung

In Bad Muskau wurden wir von der Mitarbeiterin des Jugendkulturzentrums empfangen. Später machten einige eine kleine Nachtwanderung am Ufer der Neiße entlang. Ihre Eindrücke:

"Die Landschaft ist recht idyllisch, aber in jedem Garten ein Hund und jeder dritte Hund völlig zur Bestie mutiert. Einer heulte in ohrenbetäubender Lautstärke mindestens eine halbe Stunde hinter uns her. Mitten in der Nacht! Vom BGS ist abseits der Straßen nichts zu sehen. Nachdem die Enttäuschung verarbeitet und das Team neu eingeschworen ist, wählten wir die Straße für den Rückweg. An einer Kreuzung taucht plötzlich ein dunkelgrüner VW-Bus aus der Nacht auf und verreckt in der Kurve. Unterdessen geben wir uns im Schatten eines Zaunes betont unauffällig. Als der Motor wieder heult und der Fahrer das Fahrzeug auf unsere Höhe gesteuert hat, hört man aus dem Fenster: "Wassn hier los!"

Wir verlassen den Ort des Geschehens schnellen Schrittes, bleiben aber wenig später hinter einem Bauwagen stehen. Unter Fluchen verlassen zwei Männer, zumindest mit Taschenlampen das dunkelgrüne Auto und laufen langsam in unsere Richtung, drehen aber kurz darauf wieder ab. Wenig später kommt ein zweiter Bus. Die beiden verschwinden im angrenzenden Waldstück, welches daraufhin in Hundegebell versinkt. Wir beenden unsere Pause und setzen den Rückweg fort.

Nach einer Weile taucht hinter uns wieder ein dunkelgrüner Bus auf. Dann tut er etwas unerwartetes. Er bleibt, lange bevor er uns erreicht hat, stehen und schaltet auf der nicht gerade kleinen Straße das Licht ab. Wir setzen unseren Weg unbeeindruckt fort. Plötzlich rast das dunkelgrüne Gefährt mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei, wendet weiter unten und kommt jetzt direkt auf uns zu. Als es uns erreicht, springen zwei Männer raus, rennen auf uns zu, blenden uns mit Taschenlampen und brüllen: "Ausweis!" Wir verstehen nichts, bleiben aber trotz der bedrohlichen Situation erst mal ganz ruhig. Die schreien weiter das Wort Ausweis in verschiedenen Sprachen und werfen uns Nationalitäten zu. Das Ganze ist äußerst verwirrend, da der eine immerzu sagt: "Die nehmen wir mit, ganz klar, die nehmen wir mit!" Dazu kommt noch, daß sie unsere Schuhe anfassen. Faschos? Schuhräuber? Es stellt sich heraus, wir sind in eine Grenzkontrolle des BGS geraten und als sie herausbekommen, daß wir Deutsche sind, sind sie ziemlich sauer. Was uns nach alledem überrascht, sie sind in der Lage, vollständige Sätze zu sprechen.

Wir werden aufgeklärt, daß es unsere Pflicht gewesen wäre, unsere Ausweise, die einer langwierigen Funküberprüfung unterzogen werden, sofort zu zeigen. Was bleibt uns, als zu versichern, daß wir Touristen mit den örtlichen Gepflogenheiten nicht so vertraut seien und wenigstens den Ruf "BGS!" erwartet hätten. Wir wüßten gar nicht, was hier los sei! "Die gehen doch alle stiften, während ich 'BGS' rufe." Im unsachlichen Teil der Unterhaltung wird uns "undeutsches Aussehen" attestiert, sonst wäre das alles gar nicht passiert, wir kontern damit, die Beamten hätten gut Faschos sein können, was ein müdes Lachen hervorruft. Fazit: Mit Leuten wie uns macht der Job als Grenzer keinen Spaß! - "Ach! Mit was für Leuten macht's denn Spaß?" - (Schluckt die Illegalen runter.) "Na mit Leuten, die mit uns kooperieren!"

Der Rest des Heimwegs verläuft, abgesehen von einer auf polnischer Seite gezündeten Leuchtspur und den unvermeidlichen Hunden, friedlich."

Am nächsten Morgen wälzte sich eine nicht abreißen wollende Menschenschlange über die Brücke am Grenzübergang, die in der Nacht so verlassen gewesen war. Wer sich vom Strom der SchnäppchenjägerInnen mitreisen ließ, konnte am anderen Ufer das Ziel der Begierden besichtigen. Ein teilweise völlig überdachter Markt für Lebensmittel, Gartenzwerge, Kleidung, röhrende Hirsche, Volksmusik und dergleichen mehr. Kaum eineR der GrenzgängerInnen verirrt sich hinter den Markt. Eine Situation, wie sie typisch ist entlang der Grenze. Unterdessen gab die Straßentheatergruppe unserer Tour Szenen zur Grenze, zur Bürokratie und zum BGS zum Besten. Doch die Blicke derer, die ihren eben erworbenen Gartenzwerg in Sicherheit bringen wollten, blieben starr geradeaus gerichtet. Persönlich angesprochen, ob sie nicht vielleicht ein paar Informationen zu der Grenze wollten, die sie gerade so selbstverständlich passierten, antworteten die meisten mit einem knappen "Nein!"

Zu den Kontrollen von im Grenzgebiet lebenden AusländerInnen

Normalität!?

Am 17.5.1995 wurde ich auf der Friedrich-List-Straße in Löbau vom Bundesgrenzschutz kontrolliert. Obwohl ich meinen Ausweis bei mir hatte, wurden mitr die Hände mit Gewalt auf den Rücken gefesselt. Dann wurde ich nach Ebersbach gebracht, um meine Papiere genauer zu überprüfen. Nach einer dreistündigen Kontrolle wurde ich freigelassen. Die Überprüfungen hatten ergeben, daß eine Ausländerbehörde meine Personalien nicht in das Ausländerzentraltregister eingespeist hatte. Der Bundesgrenzschutz sagte mir am Ende der Überprüfung in Ebersbach, daß ich mich allein kümmern muß, wie ich nach Löbau zurückkomme. Auf meinen Hinweis, daß ich kein Geld hätte und der BGS mich mit dem Dienstauto zurück nach Löbau, zum Ort der Festnahme, fahren oder die Grenzpolizei mir Geld für eine Fahrkarte geben muß, reagierte die Polizei mit Ablehnung und erklärte mir, daß dies gesetzlich nicht möglich sei. Der Bundesgtreznschutz informierte die Ausländerbehörde, aber auch diese beteuerte, daß der Ausländer die Kosten für doe Rückreise selbst zu tragen hätte.
Bei meine Rückfahrt mit der Bundesbahn wurde ich kontrolliert und berkam eine Zahlungsaufforderung von 3,60 DM Fahrpreis und 60,00 DM "Strafgebühr". Wie soll ich dies von meinen 80 DM Bargeld im Monat bezahlen?
Ich verstehe, daß im Grenzgebiet verstärkte Kontrollen stattfinden. Ich wurde jedochj in den Grenzlandkreis zugewiesen und konnte mir mein vorläufiges Asyl nicht aussuchen"
Gerechtigkeit beginnt für mich, wenn Polizeikontrollen menschenwürdig ablaugfen, wenn man sich auch für die Fehler von Behörden eonmal entschuldigen würde und wenn ich nicht von meinen geringen Geld für Sachen bezahlen muß, die nicht gesetzlich geregelt sind.
So aber fühle ich mich sehr oft als Mensch zweiter Klasse. Vielleicht liegt es an meiner schwarzen Hautfarbe?

Andre Francisco Neto

Forst - Tod in der Neiße

Bild: Forst - wirtschaftliche Grenzidylle

Die nächste Station war Forst. Auf dem Weg dorthin begleiteten uns die Zivis sogar über Feldwege, und auch die Präsenz uniformierter Kräfte wurde stärker. In Forst selber fand eine kurze Kundgebung mit Redebeiträgen zu unserer Tour und den 1994 bei Forst in der Neiße ertrunkenen Flüchtlingen statt. Die Flüchtlinge aus Sri Lanka und Pakistan waren bei dem Versuch, ans deutsche Ufer zu kommen, von der Strömung erfaßt worden. Obwohl Grenzposten sie gesehen haben müssen, wurde ihnen nicht geholfen. Später versuchte der BGS, die ganze Sache zu vertuschen. Nur durch die Hinweise polnischer Behörden bei einer Vermißtenrecherche der Antirassistischen Initiative Berlin kam die ganze Sache an die Öffentlichkeit. Einer der Ertrunkenen, ein tamilischer Flüchtling, wollte sich zu seinem Vater nach Nordrhein-Westfalen durchschlagen, wo er aufgrund der politischen Situation in Sri Lanka eine Duldung erhalten hätte. Zu den Ereignissen gibt es eine sehr bewegende SFB-Fernsehdokumentation "Tod in der Neiße" von Andrea Everwien und Elke Sasse. Die Forster Bevölkerung zeigte kaum Interesse. Auch nicht als die Theatergruppe zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte, mit ihrem Straßentheater eine andere Art von Kommunikation aufzubauen.

Bild: Forst-City
Eigentlich sollte in Forst an diesem Tag am Brückenkopf eines ehemaligen Übergangs über die Neiße noch eine Gedenktafel für die Ertrunkenen angebracht werden. Aber der Stadtrat hatte dies untersagt, weil erst noch die Eigentumsverhältnisse der zerstörten Brücke geklärt werden müßten. Als wir zu dem Bestimmungsort der Tafel kamen, war dort schon jede Menge BGS. Während sie die Autos in ca. hundert Meter Entfernung parkten, stellten sich vier BGSler, unter ihnen der Kontaktbulle Einemann, die Arroganz ihrer Macht demonstrierend, auf den Brückenkopf.

Es sind Fälle bekannt, in denen Grenzstreifen des BGS Flüchtlinge mit den Worten, "Ihr könnt hier nicht raus!", zurück in den Fluß schickten. In der lokalen Presse gab es darüber hinaus Berichte über Gemeinden, in denen Ertrunkene mit Bohnenstangen in den Fluß zurückgestoßen wurden, damit man nicht für die Beerdigungskosten aufkommen mußte. Die Zahl der in den Grenzflüssen Ertrunkenen dürfte damit um einiges die offiziellen Statistiken übertreffen.

Guben

Bis zu unserem Nachtquartier etwas außerhalb von Forst und weiterhin am nächhsten Tag folgten uns die uniformierten Polizeischergen. Mit großem Aufwand wurden wir bis zum nächsten Mittag offensiv observiert. Schätzen die Ordnungskräfte die Situation an der Grenze als so brisant ein, daß unabhängige Beobachtungen verhindert, die Beobachtenden aber zumindest eingeschüchtert werden sollen? Nachdem wir von Guben aus die Einsatzleitung verständigten, daß wir uns durch die Polizeipräsenz belästigt fühlten, hielten die Bullen etwas mehr Abstand, verfolgten uns aber weiter. Kein Waldweg war zu holprig, keine Situation zu blöd: Selbst beim Baden wachte das Auge des Gesetzes über uns. Die Begründung war zuerst die Verkehrssicherheit und als das zu abstrus wurde, gaben sie vor, uns vor militanten Rechten zu schützen.

In Guben widmeten wir uns der Vorbereitung der in den nächsten Tagen geplanten Aktivitäten und besuchten in dem uns beherbergenden Kulturzentrum das Konzert einer polnischen Rockband.

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