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Tue Dec 17 21:59:28 1996
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Geschichte der Abschottungspolitik
In den 50er bis in die 70er Jahre kamen die meisten EinwanderInnen in die BRD
aus südeuropäischen Ländern und der Türkei. Als billige
Arbeitskräfte im Inland ermöglichten sie den wirtschaftlichen
Aufschwung im Nachkriegsdeutschland. Sie stellten die ideale Ergänzung zu
den neokolonialen Weltwirtschaftsverhältnissen dar, durch die die BRD von
billigen Arbeitskräften und Rohstoffen im Trikont profitiert(e). 1973
erließ die BRD jedoch einen Anwerberstopp. Es hatte sich herausgestellt,
daß die ArbeitsmigrantInnen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch
ihre Familie, Kultur und Probleme mitbrachten und nicht gehen wollten, sobald
ihre Arbeitskraft nicht mehr zu verwerten war. Außerdem schien der
deutsche Arbeitsmarkt ausreichend mit ausländischen Kräften versorgt
zu sein; aufkommende neofaschistische Organisationen weckten das "gesunde",
rassistische Volksempfinden gegen die "Eindringlinge". Im Laufe der Jahrzehnte
verabschiedete die BRD ungezählte und stets strengere Verordnungen gegen
die EinwanderInnen und neue Variationen des Ausländergesetzes.
Ende der 70er Jahre kam es erstmals in einigen europäischen Ländern
zu verstärkter Einreise von Flüchtlingen aus dem Trikont. Diese
Länder reagierten mit restriktiveren Einreisebestimmungen, wie z.B. dem
Visumzwang. Auf die Dauer schaffte dies aber keine Abhilfe. Anfang der 80er
verständigten sich die europäischen Länder erstmals über
eine gemeinsame Abschottungspolitik. Diese Überlegungen verliefen parallel
zur Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, der Handels- und
Reisebeschränkungen aufheben sollte. Da die Länder in der EG sich
aufgrund unterschiedlicher AusländerInnen- und Asylgesetze bzw. wegen
Kompetenzschwierigkeiten nicht schnell einigen konnten, wurden erst
zwischenstaatliche Abkommen angestrebt. Das wichtigste an EG-Gremien vorbei
vereinbarte Abkommen stellt das von Schengen dar, welches ursprünglich von
den "Kernländern" Deutschland, Frankreich und den Benelux-Länder
vereinbart wurde und als Wegbereiter sowie Versuchsmodell für EG-weite
Vereinbarungen fungiert. (siehe Abschnitt Schengen).
Trotz dieser zwischenstaatlicher Vereinbarungen blieben die EG-Gremien
bezüglich der Abschottungspolitik nicht untätig. So gründeten
die europäischer Innen- und JustizministerInnen den Zusammenschluß
TREVI (=Terrorism, Radicalism, Extremism, Violence International), welcher ohne
jegliche parlamentarische Kontrolle agiert. Die vierte TREVI-Arbeitsgruppe
sollte sich mit den "Sicherheitsdefiziten" beschäftigen, die durch die
Öffnung der Binnengrenzen entstehen würden. Wichtiges Thema dieser
Arbeitsgruppe, TREVI 92 genannt, war das "Problem" der Einwanderung. Nach
Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages im November 1993 wurde die TREVI 92
Ad-hoc Arbeitsgruppe Einwanderung in die offiziellen Strukturen
überführt und heißt seitdem "K4, Steering Komitee I". Diese
halbjährlichen Treffen der MinisterInnen und die ständigen Beratungen
der Fachleute dienten der Schaffung eines gemeinsamen, restriktiven Asyl- und
Einwanderungsrechtes für Europa. Die dazu notwendigen Anpassungen der
nationalen Gesetze wurden in den jeweiligen Land mit der "Harmonisierung" der
eigenen, angeblich so großzügigen Gesetze an den EG-Standard
erklärt und durchgesetzt. Besonders die BRD tat sich dabei hervor. So bat
die Bundesregierung inoffiziell andere Länder, von außen
öffentlichen Druck auf die BRD auszuüben, damit die deutschen
Asylgesetze verändert werden konnten.
Ergebnis dieser gesamteuropäischen Bestrebungen war die Dubliner
Konvention, die 1990 von den EG-Ländern unterzeichnet wurde. Sie legt
fest, daß ein Flüchtling nur in einem Land der EU einen Asylantrag
stellen kann - und zwar in dem Land, in dem der Flüchtling als erstes
einreist. Die Entscheidung eines Staates gilt dann für alle
EU-Mitgliedsländer. Ende 1992 beschlossen die Justiz- und
InnenminsterInnen in London das Modell der "sicheren Drittstaaten". Vortan wird
zuallererst geprüft, ob ein Flüchtling aus einem als sicher
definierten Drittstaat kommt. Wenn ja, wird er umgehend dahin
zurückgeschoben, weil in diesen Ländern ein Asylverfahren
möglich sei. Wenn nicht, wird geschaut, ob er über ein EU-Land
eingereist ist. Gleichzeitig wurde beschlossen, in Zukunft "sichere
Herkunftsländer" zu benennen, in denen kein ernstzunehmendes
Verfolgungsrisiko besteht. Flüchtlinge aus diesen Ländern, deren
Asylgesuche "offensichtlich unbegründet" sind, sollen nur ein sehr
verkürztes Verfahren durchlaufen. Welche Länder als sicher gelten
entscheidet das CIREA (Zentrum für Information, Diskussion und Austausch
über Asyl), welches vorallem von den auswärtigen Vertretungen der
EU-Länder mit Informationen beliefert wird.
Ausweitung der Maßnahmen gen Osten
Im Oktober 1991 fand in Berlin eine Konferenz statt, auf der erstmals 27
Länder West-, Mittel- und Osteuropas über Migration diskutierten. Im
Anschluß daran erarbeitete eine von Deutschland und Österreich
dominierte Arbeitsgruppe für die Budapester Konferenz im Februar 1993
einen Maßnahmenkatolog, der sich vor allem gegen SchleuserInnen richtet.
Die KonferenzteilnehmerInnen aus 34 europäischen Ländern sowie Kanada
und Argentinien verabschiedeten Empfehlungen, die u.a. beinhalten, spezielle
Anti-Schleuser-Einheiten zu bilden. Die juristischen und polizeilichen Mittel
gegen SchleuserInnen sollen den Möglichkeiten im Kampf gegen die
"Organisierte Kriminalität" gleichgestellt werden, z.B. die
Möglichkeit zur Beschlagnahme des Eigentums, strenge Verurteilungen. Die
so zum Schwerverbrechen erklärte Schleppertätigkeit legitimiere auch
das unbeschränkte Austauschen personenbezogener Daten und allgemeiner
Informationen über Migrationsbewegungen. Außerdem wurden gemeinsame
Ausbildungskurse der Grenztruppen verabredet.
Im Juni 1993 verabschiedete die europäische Ministerkonferenz in
Kopenhagen Richtlinien zur Entfernung von Flüchtlingen aus dem eigenen
Land. So sollen illegal Eingereiste abgeschoben werden, sowie abgelehnte
AsylbewerberInnen, illegale ArbeiterInnen und Flüchtlinge, die die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden. Auszuweisen sind
ferner alle ausländischen BürgerInnen, die bei der illegalen
Einreise, Beschäftigung oder Unterbringung von Flüchtlingen beteiligt
waren. Damit soll die Entsolidarisierung zwischen den "Legalen" und den
Illegalisierten weiter vorangetrieben werden.
In fast allen Ländern schliffen die Regierungen unter dem Druck der von
ihnen selbst erzeugten europäischen Bestimmungen die jeweiligen Asyl- und
Einwanderungsgesetze. Besonders kraß lief dies in der BRD ab. Bis zur
Änderung des Art. 16 GG entfachten die Medien und PolitikerInnen der
Koalition und zum Teil auch der Opposition eine bis dahin ungekannte Hetze
gegen AusländerInnen, die nicht mehr als menschliche Subjekte in der
Debatte vorkamen, sondern nur noch als "Wellen", "Fluten" und "Ströme",
die die "Dämme" zum Einbruch bringen. Neonazisitische Übergriffe, die
vor Mord nicht zurückschreckten, und rassistische Pogrome waren die Folge.
Diese wurden auch, wie in Rostock, von breiten Teilen der Bevökerung
unterstützt und von der Polizei geduldet, um anschließend den
PolitikerInnen als Begründung für einen konsequenten Kampf gegen
weitere Zuwanderung zu dienen. Gleichzeitig zogen die rechtsextremen Akteure
ihre Legitimation aus der Anti-Asyl-Kampagne in Medien und Parlament.
Schließlich drohte Kohl mit der Verhängung des Staatsnotstandes, die
SPD kippte und am 26.5.1993 wurde der neue Art. 16a GG im Bundestag
verabschiedet. Er enthält genau jene schon oben beschriebene
Instrumentarien, wie die "Drittstaaten"- und "sichere
Herkunftsländer"-Regelung. Der "Erfolg" ließ nicht lange auf sich
warten: Die Zahl der AsylbewerberInnen ging um 70% zurück.
Die anderen europäischen Länder änderten ebenfalls in den
letzten Jahren, teilweise im Sog der Entwicklungen in der BRD, ihre Gesetze.
Das Vorgehen an den Grenzen und im Land wird immer brutaler. Italien setzte
sein Militär gegen albanische Bootsflüchtlinge ein, Österreich
stationierte an der Ostgrenze das Bundesherr und die Spanische Marine macht
Jagd auf Fischereiboote aus Afrika - um nur einige Beispiele zu nennen.[1]
Mit der Verschärfung der nationalen Asyl- und AusländerInnengesetze
und den neuen europäischen Instrumentarien ist diese Entwicklung
keineswegs beendet. Die Mauern um Europa werden kontiunierlich weiter gebaut.
So lehnte das Europäische Parlament Mitte Oktober 1995 die Verabschiedung
von Mindeststandards bei der Zurückweisung von Flüchtlingen ab. Die
Mindeststandards hätten einen Schutz vor Abschiebung in einen Drittstaat,
der nicht sicher ein Asylverfahren durchführen kann, gewährleistet,
Regeln gegen Kettenabschiebungen beinhaltet und einige Datenschutzbestimmungen
garantiert.[2]
Die Ablehnung dieser Initiative bedeutet, daß die BRD z.B. KurdInnen aus
dem Irak nach Rumänien abschieben kann, wo es für sie kein
Asylverfahren gibt, dafür einen von rumänischen Behörden
angeordneten Weiterflug in die Türkei. Die türkischen Behörden
schaffen die KurdInnen dann über die Grenze in den Irak - und die
jeweiligen Länder erhalten von der BRD personenbezogene Daten, wer da
warum und wie kommt.
1985 vereinbarten 5 europäische Länder (Frankreich, BRD, Benelux) in
Schengen die Öffnung der Binnengrenzen bis zum 1.1.1992 und den Aufbau
einer gut funktionierenden Sicherung der Außengrenzen. Die Vereinbarungen
von Schengen sollen solange gelten, bis die entsprechenden Beschlüsse der
Dubliner Asylrechtskonvention europaweit Anwendung finden. Die Umsetzung des
Schengener Abkommens wurde immer wieder verschoben. Zuerst wegen der fehlenden
Durchführungsbestimmungen und Problemen mit dem gemeinsamen
Datenaustauschsystem (Schengener Informations-System = SIS). Später
herrschten Meinungsverscheidenheiten über die jeweilige Polizeihoheit im
eigenen Land bei Fragen, wie dem gemeinsamen Zugriff auf alle Daten oder der
Nacheile, d.h. der Verfolgung von Verdächtigen oder StraftäterInnen
über die Grenze hinweg. Getreu dem Ausspruch des ehemaligen Innenminsters
Wolfgang Schäuble "Der Schlagbaum ist kein besonders intelligentes
Fahndungsinstrument" (1991) geht die schrittweise Abschafffung der Innengrenzen
einher mit der Einführung eines "intelligenten Fahndungsinstrumentes", der
Computertechnik, die auch bei der Abschottung der Außengrenzen zur
Anwendung kommen soll. Für 129 Länder führte das Schengengebiet
die gemeinsame Visumpflicht ein. Nur 25 Länder der Welt sind in keinem der
Schengen-Länder visumpflichtig.
Der SIS-Computer
Alle am Schengen-Abkommem beteiligten Länder speisen in den zentralen
Computer des SIS alle Personen ein, die
- zur Festnahme gesucht werden
- als ZeugInnen oder Beschuldigte vor Gericht erscheinen müssen
- polizeilich beobachtet werden
- die gesucht werden (zum "eigenem Schutz", wie abgehaune Kids)
- AusländerInnen und Flüchtlinge
- sowie aufzuspürende Sachen.
Der Computer wurde bis jetzt mit 3,4 Mio Fahndungsdaten gefüttert.
Über 2,3 Mio stammen aus der BRD, die 9000 SIS-Terminals im Land
eingerichtet hat. Davon befinden sich 1.070 beim BGS. Alle Informationen der
nationalen BKA-Datei INPOL werden an den SIS-Computer weitergeleitet. Nicht
verwunderlich, daß sich da die Gewerkschaft der Polizei beschwerte,
daß andere Länder nicht dem Abkommen entsprechend alle Daten zur
Verfügung stellen würden. So hat Spanien "nur" ca.10.000 Daten
übermittelt. 1/4 der deutschen Fahndungsdaten betreffen Personen, denen
lediglich die Einreise verweigert werden soll, wie abgeschobenen
Flüchtlingen.
Da weder EU-Behörden noch die nationalen Regierungen für Schengen
direkt verantwortlich sind, kann niemand gegen Entscheidungen im Rahmen des
Schengener Abkommens klagen. Wenn mensch z.B. ausversehen in der Fahndungsdatei
des SIS landet und nun europaweit gesucht wird. Dies betrifft vor allem in
Deutschland abgelehnte und dann untergetauchte AsylbewerberInnen, die - zum
Teil schon seit Jahren - in anderen Schengenländern einen Aufenthaltstitel
besitzen - laut Computer also illegal sind und abgeschoben werden müssen,
in Wirklichkeit aber frei herum reisen dürfen.[3]
Im März 1995 trat das Schengener Abkommen in Kraft. Theoretisch wird an
den Binnengrenzen nicht mehr kontrolliert. Praktisch tut jedes Land das, was es
für die eigene Sicherheit für richtig hält. So läßt
Frankreich weiterhin an den Binnengrenzen kontrollieren, da dem konservativen
Innenminister das SIS nicht genügend Sicherheit bietet und ihm die
Kontrolle der Außengrenzen zu lasch erscheint. Vorallem der in den
Niederlanden legalisierte Rauschgifthandel und das angeblich leichtfertige
Visum-Ausstellen einiger Länder, welches zur "unerwünschten illegalen
Einwanderung" führt, bereitet den französischen Behörden
Kopfzerbrechen. Eine dreimonatige Schengen-Testphase von Frankreich wurde um
weitere 6 Monate verlängert. Mit der Angst vor islamistischen Terrorakten
wurde die massive Verstärkung der Grenzsicherung in den letzten Monaten
begründet. Frankreich kündigte an, solange zu kontrollieren, bis sich
die Sicherung durch SIS als ausreichend herausstellt.[4] Entgegen offiziellen, deutschen Verlautbarungen
- die den Sonderweg Frankreichs scharf kritisieren - verhält sich die BRD
jedoch ähnlich, wenn auch geschickter. Zusätzliche BGS-Truppen wurden
mit Sonderauftrag an die Westgrenze verlegt (siehe Abschnitt Kontrolle an den
Westgrenzen).
Zu den alten Schengen-Ländern sind folgende neu hinzugekommen: Italien
(1990), Spanien und Portugal (1991), Griechenland (1992). Italien und
Griechenland sind zwar Mitglied, beteiligen sich aber aufgrund technischer
Schwierigkeiten noch nicht am SIS und der Abschaffung der Grenzen.
Dänemark verhandelt zur Zeit und Österreich hat einen
Beobachterstatus. Schengen übt einen großen Druck auf die anderen
europäischen Länder aus. Zum einen fürchten sie, jetzt
verstärkt Ziel der Migration zu werden, zum anderen degradiert Schengen
alle europäischen Nichtmitgliedsstaaten zu Sicherheitsrisiken. Sollte z.B.
Dänemark Teil des Schengengebietes werden, muß es Reisende aus den
skandinavischen Ländern, die zur Zeit freizügig ein- und ausreisen
können, streng kontrollieren. Bedenken äußerten neben den
skandinavischen Ländern auch England und Irland. Mit der Schweiz, bald
eine Enklave im Schengengebiet, sind Sonderabkommen geplant, damit eigene
Regelungen zur Grenzsicherung erhalten bleiben können.
Auf den Flughäfen ergibt sich seit März die groteske Situation,
daß sie gleichzeitig Innen- und Außengrenzen darstellen. Die
Umbaumaßnahmen kosteten den deutschen Flughäfen über 267 Mio
DM. Drei verschiedene Flugarten bzw. -Passagiere werden unterschiedlich
abgefertig. Flüge innerhalb des Schengen-Gebietes sind sogenannte
Binnenflüge: keine Kontrolle, Reisepaß bleibt jedoch Pflicht. Bei
Flügen außerhalb des Schengengebietes wird zwischen EU-Leuten
("gemeinschaftliche Begünstigte"), die "Mindeskontrollen" unterliegen, und
DrittausländerInnen unterschieden. Letztere, die "Non-EU-Nationals"
benötigen ein Schengen-Visum für 3 Monate. Wenn die
DrittausländerInnen im SIS-Computer zur Fahndung ausgeschrieben sind, in
einem der Schengen-Staaten als unerwünscht gelten oder nicht ausreichende
Zahlungsmittel vorweisen können, dürfen sie überhaupt nicht
einreisen.
In Zukunft soll die Kontrollintensität von der innenpolitischen Situation
im Herkunftsland abhängig gemacht werden. Menschen aus
Bürgerkriegsgebieten oder islamistischen Ländern werden dann genauer
untersucht als Menschen aus befriedeten Gebieten. Die Sicherheitsbehörden
erhalten die Anweisung, "Erhebungen über die von Drittstaasten ausgehenden
Risiko- und Gefährdungseinwirkungen vornehmen (zu) lassen."
Angeblich hat sich dank SIS die Zahl der Aufgegriffenen seit März 1995 um
bis zu 30% erhöht.[5]
Um die Regelungen über die Sicheren Herkunftsländer und den
Drittstaaten in die Praxis umsetzen zu können, müssen mit den
jeweiligen Ländern Verträge über die Abschiebemodalitäten
abgeschlossen werden. In jenen von Flüchtlingsorganisationen zu recht als
Deportationsverträgen bezeichneten Abkommen wird bestimmt,
- wie Flüchtlinge aus dem einen Land bzw. dem Schengengebiet in ein sicheres Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurücktransportiert werden
- wie lange das nach Grenzübertritt möglich ist (meist 1 Jahr)
- wieviele Flüchtlinge in welchen Zeitabständen zurückgeschafft werden
- wie die Paßprobleme gelöst werden
- wer die Überwachnung übernimmt
- welche Daten zum Zwecke der Abschiebung ausgetauscht werden sollen u.v.m.
Bei dem Aushandeln von sogenannten Rücknahmeverträgen tat sich
besonders die BRD hervor. Im Alleingang erpreßte sie die
osteuropäischen Ländern zu den Verträgen, obwohl für das
gesamte Schengengebiet Verträge abgeschlossen werden sollten. Das dauerte
der Bundesregierung aber zu lange. Verständlicherweise wehrten sich
anfangs die osteuropäischen Länder, die fast nur als
Transitländer dienten, Flüchtlinge aus der BRD zurückzunehmen.
Mit diplomatischen Druck, dem Kürzen der Entwicklungshilfe, großen
Geldtransfern für die Grenzsicherung bzw. eine repressive
Flüchtlingspolitik der jeweiligen Länder sowie unverhohlenen
Drohungen, die Länder würden nicht in die EG aufgenommen werden oder
die Visumfreiheit verlieren, schaffte es jedoch die Regierung der BRD mit
folgenden Ländern Rückführungsverträge zu unterzeichnen:
- Juli 1991:
- CSFR (nicht von den beiden Nachfolgestaaten übernommen)
- 1991:
- Polen-Schengen (für polnische StaatsbürgerInnen, im Gegenzug erhalten sie die Visafreiheit für die BRD, Assozierungsvertrag der EG mit Polen)
- September 1992:
- Rumänien (28-30 Mio DM "Belohnung")
- Mai 1993:
- Polen (für alle über Polen eingereisten Flüchtlinge, 120 Mio DM "Belohnung")
- Dezember 1993:
- Schweiz (ersetzt ein altes, nicht so umfassendes aus den 50er Jahren)
- September 1994:
- Bulgarien (30 Mio DM "Belohnung" für Ausbildungsprojekte)
- April 1994:
- Kroation und Mazedonien
- November 1994:
- Tschechische Republik (60 Mio DM "Belohnung")
- Januar 1995:
- Vietnam (jährlich 100 Mio DM Entwicklunghilfe, Hermes-Bürgschaften, Handelsvertrag mit der EG)
- in Verhandlung:
- Algerien, Estland, Litauen, Lettland, Restjugoslawien
- geplant:
- Rußland, Ukraine, Pakistan, Indien, Sri Lanka, einige afrikanische Länder, Sicherheitsgewährungsabkommen mit der Türkei
Ein/e Vietnamese/in = 2.000 DM
Während den Verhandlungen zum Rücknahmeabkommen mit Vietnam wurde
nochmal deutlich, wie skrupellos die BRD dabei vorgeht. Weil die Regierung die
"40.000 illegalen VietnamesInnen" los haben wollte - die fast alle in Besitz
einer Duldung oder, als ehemalige VertragsarbeiterInnen der DDR, einer
Aufenthaltsbefugnis sind - strich das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit im Einverständnis mit dem Innenministerium
kurzerhand die versprochene Entwicklungshilfe über 100 Mio DM
jährlich, fror Hermes-Bürgschaften in der Höhe von 100 Mio DM
ein und blockierte einen Handelsvertrag der EG mit Vietnam.
Bei den seit 1994 laufenden Verhandlungen mit Rumänien und Algerien wurde
ebenfalls mit dem Stopp der Entwicklungshilfe gedroht. Im April 1995 reiste
Kinkel extra nach Estland, Lettland und Litauen, um dort einen
Rücknahmevertrag auszuhandeln. Die drei baltischen Länder zeigten
sich willig. Laut Kinkel ist die Weigerung einzelner Länder, die
StaatsbürgerInnen zurückzunehmen, ein eindeutiger Verstoß gegen
das Völkerrecht. Auf die Frage hin, ob denn die Deportation von Menschen,
in ein Land, in das sie nicht zurück wollen oder können, nicht ebenso
gegen das Völkerrrecht verstoßen würde, antwortete Kinkel: "Auf
die Meinung der Betroffenen kommt es nicht an." Nicht verwunderlich, daß
im Vertrag mit Vietnam, dann auch eine Passage über die
völkerrechtliche Verpflichtung Vietnams zur Zurücknahme auftaucht.[6] Denn im Durchsetzen von Völkerrecht waren
die Deutschen schon immer federführend - am liebsten weltweit!
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Fußnoten
1Abschreckung, S.58 ff und S. 72 ff; Domino, S. 8; jw vom 19.7.1995; Boot, S. 55 ff; Fadenkreuz, S. 24
2SZ vom 11.10.1995
3SZ vom 28.3.1995 und vom 4.4.1995; jw vom 21.3.1995, 7.8.1995 und 25.3.1995; taz vom 25.3.1995; BMI, Sept. 95
4jw vom 12.9.1995, SZ vom 30.6.1995; F.A.Z. vom 30.6.1995
5FR vom 24.3.1995; jw vom 22.6.1995; ak, Nr. 383
6taz vom 24.1.1995