Der erwartete Ansturm: polnische AsylbewerberInnen...
Die Öffnung der Grenzen und die Reisefreiheit für den Osten hatten
sich die westdeutschen PolitikerInnen vor der Wende auf die Fahnen geschrieben.
Zwar wurde schon 1986, nach dem vorallem Menschen aus Sri Lanka über
Berlin-Schönefeld nach Westberlin einreisten, lauthals von der
DDR-Regierung gefordert, das Loch in der Berliner Mauer zu stopfen. Doch
richtig deutlich entlarvte sich die hohle Phrase von den eingesperrten
BürgerInnen der sozialistischen Staaten erst, als es keine Löcher in
der Mauer zu stopfen galt, sondern die Mauer als solche nicht mehr existierte.
Solange nur die Ossis in den Westen wahrlich strömten, war alles in Butter
& Banane und die nationale Orgie wiedersehenstränengetränkt.. Als
dann aber PolInnen anfingen, auf den Straßen von Berlin Handel zu
treiben, hatte die Freude über Grenzöffnungen ein abruptes Ende und
ernüchtert stellte die Noch-DDR-Regierung fest, daß dies nun aber
nicht ginge. Die Westregierung pflichtete ihr bei und gemeinsam wurde
darüber nachgedacht, was sie gegen den erwarteten Ansturm machen
könnten.
Der Multi-Kulti-Rassismus an der Grenze
Während dann im großen Rahmen die europäische
Abschottungspolitik durchgesetzt wurde, sollten die Grenzregionen als
Modellgebiete der europäischen Einigung herhalten. Hier würden sich
die Menschen begegnen, sich verstehen und befreunden. Auch an der Grenze zu
Polen und der tschechischen Republik. Flugs wurden mit EU-Geldern Projekte aus
dem Boden gestampft, die angeblich der Völkerverständigung dienen und
in Wirklichkeit ständig zur präsentierende, reine Prestigeobjekt
darstellen, wie z.B. zweisprachige Kindergärten & Schulen, gemeinsame
Sportveranstaltungen - mit dem Sportverein der lokalen Polizei - und
Umweltprojekte, polnische SchriftstellerInnenlesungen in der BRD und
andersherum. Jedoch kranken die Bildungseinrichtungen daran, daß die
arroganten Deutschen kein Polnisch lernen wollen und schon gar nicht mit
PolInnen zusammen. Die Fußballspiele sind eher geeignet,
Auseinandersetzungen zu provozieren als "Völkerverständigung" zu
erzeugen. Der Export deutscher Umwelttechnologie hinkt dem deutschen
Müllexport um Längen hinterher. Und zu den
SchriftstellerInnenlesungen kommt sowieso nur aufgeklärtes Publikum,
welches schon immer von der ach so harmonischen multikulturellen Gesellschaft
träumt.
Am symbolträchtigsten ist wohl folgende Grenzregionveranstaltung: Jedes
Jahr marschieren deutsche, tschechische und polnische Soldaten, 1995 waren es
90 an der Zahl, gemeinsam an der Grenze entlang. Die Wanderung steht unter dem
Motto: "Grenzen verbinden - sie trennen nicht." Der ihr unterstellte
"völkerverbindende Effekt" verhindert aber nicht, daß die Soldaten
am nächsten Tag wieder zur Grenzsicherung eingesetzt werden.[1]
Aber auch die nicht staatlich verordneten oder initiierten Projekte, die in
ihrer konkreten Arbeit sehr wohl der Verständigung dienen können,
verschleiern die Funktion der Grenze als Wohlstandsbarriere und
Flüchtlingsabwehr. Obwohl es eine Selbstverständlichkeit sein sollte,
daß Menschen sich aus benachbarten Städten befreunden, besuchen,
miteinander Handel treiben und füreinander interessieren, lenkt die
Beschäftigung mit sogenannten "multikulturellen" Themen in der
Öffentlichkeit davon ab, daß die Menschen aus Polen und der
Tschechischen Republik aufgrund von BGS-Schikanen, der relativen Armut,
rassistischen Übergriffen u.v.m. nie gleichberechtigte PartnerInnen sein
können - auch wenn einzelne gerade durch derartige Veranstaltungen
für diese Problematik sensibilisiert werden.
Deutsche Wirtschaftsflüchtlingsströme
Die vermeintliche europäische Modellregion entpuppt sich als ziemlich
praktisches Membran. Die Grenze ist nur in die eine Richtung durchlässig,
jene, die aus der BRD herausführt. Für die Einreise in das
Schengengebiet gelten rassistische und wirtschaftliche Selektionskriterien.
Die Deutschen nutzen ausgiebig ihre unbegrenzte Reisefreiheit, um massenhaft billig einkaufen und tanken zu gehen, Urlaub in Wäldern zu machen, die noch diesen Namen verdienen, und um mit den fetten Autos und der stabilen D-Mark zu protzen. Deutsche Männer profitieren privat von der preisgünstige Alternative zum Thailandurlaub. Der Sex- und Heiratstourismus an der tschechischen und polnischen Grenze boomt. Und als deutsche Manager kennen sie die geschäftlichen Vorteile eines Billiglohnlandes, welches nicht in Südostasien liegt, sondern vor der Haustür. Große Unternehmen, wie Maschinenbau- und Textilbetriebe, lagern Teile der arbeitsintensiven Produktion nach Polen aus.
... und die Realität: Stau deutscher 'Wirtschaftsflüchtlinge'
In die 17.000-EinwohnerInner-Stadt Slubice (gegenüber Frankfurt/Oder)
marschieren täglich 35.000 deutsche Wirtschaftsflüchtlinge aus dem
gesamten Bundesgebiet ein.[2]
In einigen deutschen Grenzdörfern gründeten sich schon
Bürgerinitiativen gegen die ständige Autoflut, die sich durch den Ort
im Schritttempo wälzt. Von den Märkten auf polnischer Seite, wo
jährlich über 10 Millionen Deutsche vom echten deutschen Gartenzwerg
über Käse aus den Niederlanden bis hin zu in Südostasien
gefertigten Markenjeans-Imitaten alles kaufen können, profitieren in den
seltensten Fällen die PolInnen, da die meisten Märkte von deutschen
Firmen organisiert werden, die schon aufgrund der niedrigen Arbeitslöhne
auch deutsche Produkte viel billiger verkaufen können. Die PolInnen
dürfen sich dann höchsten als AutoscheibenputzerInnen auf den
Parkplätzen ein paar Mark dazuverdienen.
Arbeitsteilung: Vertriebenenverbände kaufen Land in Polen...
...offiziell: Modell für Völkerverständigung - praktisch: Membran mit rassistischen Durchlaßkriterien
Wenn aber im Gegenzug die polnischen und tschechischen BürgerInnen vom kleinen Grenzverkehr, Gebrauch machen, werden sie häufig von organisierten Faschos, pöbelndem Volk, verächtlich dreinschauenden Lichterkettengutmenschen oder rassistischen PolizistInnen empfangen.
...Neonazis 'schützen' das eigene vor PolInnen
In Frankfurt/Oder liefen zwischen Mai 1992 und September 1994 120
Ermittlungsverfahren gegen PolizistInnen, die rassistischer Übergriffe auf
AusländerInnen verdächtigt wurden.[3]
Und bis Ende 1993 wurden über 100 polnische StaatsbürgerInnen auf der
deutschen Seiten in der Grenzregion angegriffen. So z.B. im Oktober 1993
polnische StudentInnen, die in Frankfurt/Oder an so einem typischen
"Völkerversöhnungsprojekt" mit dem hochtrabenden Namen
"Europäische Universität" studierten und von einer Horde Skinheads
zusammengeschlagen wurden. Es wurden mehrere Fälle bekannt, wo der BGS bei
Pöbeleien oder Angriffen von Skins nicht eingriff, die Annahme einer
Anzeige verweigerte und PolInnen, die eine Anzeige erstatten wollen, die
Einreise verbot. Die an den Grenzübergängen stationierten
BGS-BeamtInnen arbeiten mit Autokennzeichenlisten, die schlicht mit "Zig-Mafia"
überschrieben sind,und genießen den Ruf, am laufenden Band PolInnen
grundlos zu verhaften, zu schlagen, extrem lange in U-Haft zu stecken und deren
Autos zu beschlagnahmen - so Witold Kaminksi vom Polnischen Sozialrat in
Berlin. Eine Anzeige gegen die BeamtInnen zieht automatisch eine Gegenanzeige
"Widerstand gegen die Staatsgewalt" nach sich.[4]
Ab März 1995 - Schengen läßt grüßen - sollten
eigentlich an der Grenze unterschiedliche Spuren zur differenzierten
Autoabfertigung eingerichtet werden. Autos aus den Schengenländern werden
schnell abgefertigt, Autos im kleinen Grenzverkehr mittelschnell und die
anderen unterliegen aufwendigen Kontrollen nach Visa, Gültigkeit und
Echtheit der Papiere, Fahndungseinträgen im SIS-Computer und im
Ausländerzentralregister, ausreichenden Geldmitteln, gefragt wird
außerdem nach Zweck und Ziel der Reise. Da dies nicht wie geplant
funktioniert - u.a weigert sich Polen, getrennte Spuren einzurichten, da dies
die eigene Bevölkerung diskriminiert -, unterliegen die vom kleinen
Grenzverkehr eigentlich begünstigten PolInnen (aus der Grenzregion) und
TschechInnen (aus dem ganzen Land, sofern sie sich nur 7 Tage im deutschen
Grenzbereich aufhalten) inzwischen wieder den aufwendigen Kontrollen bzw.
zumindest den langen Wartezeiten.[5]
Am Grenzübergang in Görlitz mußten alle PolInnen seit dem 26.3.1995 für jeden Aufenthaltstag in der BRD 50 DM vorweisen. Die GrenzbeamtInnen stellten diese Schikane erst nach Protesten und Aktionen ein. Polnische MusikerInnen, die in Görlitz auftreten wollen, sind jedoch weiterhin gezwungen, sich jedesmal alle mitgebrachten Musikinstrumente beim Auftritt, der Ein- und Ausreise quittieren zu lassen, um nachzuweisen, daß sie nichts geklaut haben. Nutzen die nicht-deutschen Menschen der Grenzregion das Preis- und Lohngefälle, wie die Deutschen es täglich zu tausenden tun, ist das Geschrei groß.
So muß sich eine aus Polen kommende Bäckerin in Frankfurt/Oder, die
ihre Waren aus Polen bezieht und dementsprechend billig verkaufen kann,
Pöbelein von Skinheads und die Litaneien der Handwerkskammer anhören.
"Schmuggelbrötchen aus Polen - Nein Danke" kleben die einen an ihre
Ladenfenster, "Wir wehren uns nur dagegen, daß mit polnischen Billigwaren
deutsche Arbeitsplätze kaputt gemacht werden." schimpfen die anderen. Die
BäckerInnen der Stadt argumentieren mit den deutschen Hungerjahren nach
1945 ("Bäckerhandwerk [...] für die Sicherung der Volksernährung
eingesetzt."), deutschen Hygienebestimmungen und deutscher Standortpolitik
gegen die polnischen Brötchen.
Arbeitsmigration: "illegale" und...
Am Beispiel der Arbeitsmigration wird die Membranfunktion der Grenze besonders
deutlich. Sowohl die illegale als auch die legale Beschäftigung von
AusländerInnen spielen ihre Rolle bei der deutschen Standortpolitik. Die
größten Profite lassen sich natürlich mit illegalisierten
Flüchtlingen bzw. in illegalen Arbeitsverhältnissen erzielen.
Grenzkontrollen und Razzien erzeugen den nötigen Druck, um die Preise
niedrig zu halten sowie die Arbeitskräfte flexibel, risikobereit, mobil
und beugsam. Nur manchmal zerstört der BGS seinen selbst geschaffenen
Mythos vom menschenfreundlichen Sklavenbefreier, der unwürdige Behandlung
von unterbezahlten ausländischen ArbeiterInnen aufdeckt - um sie dann
abzuschieben:
Ende Juni 1995 nahmen BGS-BeamtInnen, unterstützt von
Ausländerbehörde und Arbeitsamt, nach einer Razzia 250 bis 300
PolInnen in eine Lagerhalle mit und hielten sie dort in brütender Hitze
ohne Getränke, Telefon und Toilette bis zu 24 Stunden fest. Viele fielen
deswegen in Ohnmacht - weder durfte ärztliche Hilfe geholt werden noch die
Fenster zur Lüftung geöffnet. Die polnischen BürgerInnen kamen
aufgrund einer Stellenanzeige nach Markendorf (bei Frankfurt/Oder), um
Zeitungen auszutragen. Die Spitz Verlag GmbH, die die Leute angeworben hatte,
erklärte, sich um die Arbeitsgenehmigungen zu kümmern, und nahm
deswegen auch die Pässe ab. Deshalb mußten die PolInnen davon
ausgehen, daß sie einer legalen Arbeit nachgehen. Der BGS wußte von
diesem Sachverhalt. Anstatt also die Verantwortlichen der Firma zu verhaften -
das geschah erst drei Tage später -, drangsalierte der BGS die PolInnen,
vorallem Kinder und Jugendliche, mit Schlägen, Gewehren und Hunden,
beschlagnahmte deren Autos, filmte alle, nahm Fingerabdrücke ab und die
Staatsanwaltschaft leitete über 200 Ermittlungsverfahren wegen illegale
Arbeitsaufnahme ein. Letztendlich wurden 4 Personen zu Geldstrafen verurteilt,
188 Verfahren eingestellt, die restlichen endeten mit Freisprüchen. "Eine
schwangere Frau bekam Schläge mit dem Gummiknüppel auf die Niere",
"Die deutschen Funktionäre warfen Stöcke in die polnische Menge, nach
denen Hunde ohne Maulkorb sprangen" - lauteten nur zwei der vielen
Vorwürfe von ZeugInnen an den BGS. Der deutschen Ordnung halber bekamen
alle Betroffenen plombierte Plastikarmbänder mit einer Nummer angelegt,
einige mußten sich nackt ausziehen und wurden mit Gummihandschuhen
abgetastet. Das dürfte eine polnische Zeitung zu der Schlagzeile
"Auschwitz an der Oder" verleitet haben. Am Ende stempelte der BGS in die
Pässe ein Einreiseverbot und schob sie nach Polen ab - an einen weit
abgelegenen Grenzübergang, der zu einem 7 km langen Fußmarsch zwang.
Während polnische Behörden, die trotz der vielen polizeilichen
Kooperationsverträge während der ganzen Aktion nicht informiert
wurden, sich hinterher über den völlig überzogenen Einsatz
beschwerten, erteilten deutsche Stellen dem BGS die Absolution. "In Zeiten
großer Arbeitslosigkeit sind Kontrollen an der Grenze dringend notwendig"
- so ein CDU-Abgeordneter. PDS und Gewerkschaften konnten dem nur zustimmen,
schließlich wäre alles nach Gesetz abgelaufen und der Kampf gegen
die Schwarzarbeit ist nur mit dem BGS zu gewinnen.
Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich schon im Juli 1992. Damals nahmen
BeamtInnen von BGS und Zoll 35 polnischer SchülerInnen und 2 LehrerInnen
fest, die - fast alle ohne Arbeitserlaubnis - in einem landwirtschaftlichen
Betrieb gearbeitet hatten. Mit Kampfhunden, unter Androhung von Gewalt und in
Handschellen wurden die Jugendlichen zur Grenzschutzstelle Neuhardenberg
gebracht und mußten dort eine Nacht verbringen. Erst auf Intervention des
polnischen Konsulats kamen sie wieder frei.[6]
... "legale"
Der rigerose Kampf gegen die Schwarzarbeit, denn Gewerkschaften und Regierung
um die Wette führen, kann nicht ausschließlich mit der
nationalistisch geprägten Angst vor dem Verlust von deutschen
Arbeitsplätzen erklärt werden. Denn verschiedene Gesetze räumen
den deutschen Firmen sehr wohl Möglichkeiten ein, billige
Arbeitskräfte aus dem Osten zu beschäftigen, jedoch nur unter
strenger Kontrolle und Einflußnahme der deutschen
(Ausländer-)Behörden, die die Migration nach volkswirtschaftlichen
Interessen zu steuern wissen. So kam es 1991 erstmals seit dem Anwerbestopp von
1973 zur Anwerbung saisonaler Arbeitskräfte, die in unattraktiven Branchen
für einige Monate eingesetzt werden. Noch beliebter sind
Regierungsabkommen mit osteuropäischen Ländern, die es für die
Unternehmen ermöglichen, Werkverträge abzuschließen. Vorteil
dieser ist, daß die ausländischen ArbeitnehmerInnen in der BRD kein
individuelles Beschäftigungsverhältnis eingehen, sondern von in
Osteuropa ansässigen (zum Teil deutschen Briefkasten-) Subunternehmen
angestellt werden und somit der tariflichen Kontrolle der Arbeitsämter
entzogen sind.
Grenzüberschreitende "Kriminalitätsbekämpfung"
So wird deutschen Sextouristen kurz vor der Grenze klargemacht, wie billig die Reinhaltung des 'deutschen Volkskörpers' sein kann |
Auf der "Mitteleuropäischen Polizeiakademie" diskutierten Anfang 1995 in
Basdorf bei Berlin PolizistInnen aus sieben Ländern über
grenzüberschreitende Kriminalität. Gemeinsame Konferenzsprache war
Deutsch und die PolizistInnen, die dort drei Monate lang persönliche
Freundschaften schließen konnten, verkündeten, daß es auch
ohne gesetzliche Grundlage kein Problem wäre, die polizeiliche Kooperation
an der Grenze auszubauen, quasi auf Privatbasis ("Ein Anruf genügt...")
und unter Umgehung der offiziellen Wege, z.B. Anfrage bei INTERPOL, die nur zu
lange dauern.
Im Herbst 1995 vereinbarten die Ministerpräsidenten der an Polen
grenzenden Bundesländer, sich auf Ministerebene ein mal im Jahr mit der
polnischen Seite zu treffen. Neben besseren Verkehrsverbindungen und
wirtschaftlichen Impulsen für die "strukturschwache Region" soll es
vorallem um eine weitere Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit gegen
die "wachsende Grenzkriminalität" gehen. Der sächsische
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf plädierte dabei auch für eine
deutsche Unterstützung bei der Sicherung der polnischen Ostgrenze, die
Beschränkung auf die polnische Westgrenze reiche nicht aus.[7]
Bürgerwehren
Getreu dieser Logik "Grenze = Kriminalität" organisieren sich auch Teile
der Bevölkerung. Jedoch nicht gemeinsam mit der polnischen und
tschechischen, sondern gegen diese.
Eingeritzter Bürgerwille: 'Wir wollen eine Mauer' |
In Seifhennersdorf, Kreis Zittau, sicherten die Leute ihre Grundstücke zum Teil mit blanken 220 V-Stromdrähten am Haus und Detonationseinrichtungen im Garten. ABM-Kräfte zogen an der Grenze im Dreiländereck auf Staatskosten einen Grenzgraben, der jedoch, so die Klage der BewohnerInnen, zu schmal wäre, um die Einbrecher abzuhalten. Die gleichen ABM-Kräfte rodeten Bäume und Sträucher, um dem BGS ein besseres Sichtfeld zu verschaffen. Außerdem legte die Polizei auf Feld- und Waldwegen, die über die grüne Grenze führen, neue Grenzanlagen an, wie z.B. Betonplatten und Metallzäune, die den Autoverkehr verhindern sollen.
Im Grenzort Ostritz konnten sich 1994 die BürgerInnen nicht so recht einigen: die einen sammelten Unterschriften gegen den geplanten Grenzübergang, die anderen setzten sich vehement für ihn ein. Es ist nämlich nicht klar, ob nun der Vorteil vom billigem Einkauf die angeblich steigende Grenzkriminalität wettmacht oder eben nicht.
Der innenpolitische Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Volker Bandmann, forderte den Bund auf, den GrenzbewohnerInnen "einen Ausgleich für den höhreren Aufwand an Sicherungsmaßnahmen - Türen, Fenster - zu zahlen." Das lehnte Eduard Lintner vom Bonner Innenministerium jedoch ab, denn Kriminalitätsprävention sei Aufgabe der Länder. Bandmann hält entgegen, daß "die Verantwortung für die Außengrenzen beim Bund" liegt. Gestritten wird also nicht, ob ein Sicherheitszuschuß zu zahlen sei, sondern wer die Kosten tragen soll.Die Bürgerwehren wurden im Allgemeinen von Polizei und BGS geduldet. Die Zusammenarbeit sah z.B. folgendermaßen aus: Die Bürgerwehr überläßt großzügigerweise ihre "Fänge" dem BGS, der im Gegenzug von einer Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und unerlaubten Waffenbesitz absieht.
Der Einfluß der Bürgerwehren ist nach unseren Vermutungen in den letzten Jahren zurückgegangen, da zum einem der BGS und die örtliche Polizei - ständig finanziell und personell aufgerüstet - mittlerweile den "Schutz" der BürgerInnen weitaus besser als früher gewährleisten können und da zum anderen Teile der WehrbürgerInnen als Grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte ihrer Arbeit einem bezahlten und legalem Status verleihen konnten. Die anderen werden inzwischen eingesehen haben, daß mensch den Fernseher am besten vor Diebstahl schützt, indem mensch davor sitzt. Und da seit 1993 die rassistische Hetze gegen Flüchtlinge im Fernsehen & BILD nachgelassen hat, begnügen sich die Übereifrigen nach ein paar aufregenden und den Dorfverband zusammenschweißenden nächtlichen Streifzügen mit der telefonischen Durchgabe des Gebells des Hundes an den BGS. Wie viele der Bürgerwehren die Zeit überdauert haben (allein in Neugersdorf existierten 1993 3 verschiedene und die Bürgerwehr in Seifhennersdorf erlangte bundesweite Bekanntheit), läßt sich also nicht sagen.[9]