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Tue Dec 17 21:59:29 1996
 

Interview mit den antifaschistischen GrenzgängerInnen

(aus: Antifa Jugendinfo Berlin, Nr. 13)

In diesem Interview befragen wir einige ostdeutsche AntifaschistInnen, die ansonsten eher im Verborgenen arbeiten. Und dies aus gutem Grund, denn was sie tun, ruft sofort die staatlichen Stellen auf den Plan. Diese Menschen unterstützen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen wollen, indem sie ihnen über die Grenze helfen. Sie sind "Fluchthelfer" und tun dies aus Solidarität mit den Hilfesuchenden.

Wie sieht Eure Arbeit konkret aus, wer seid Ihr?

Wir sind ein paar Leute, die sich vor einiger Zeit entschlossen haben, etwas anderes zu machen als bisher. Zum Teil kommen wir aus der Antifa, andere von uns waren vorher noch gar nicht organisiert. Wir sind so zwischen 20 und 50 Jahre alt. Was uns aber gemeinsam verbindet ist die Ansicht, daß hier viel über Flüchtlinge und andere Ausländer geredet wird, aber kaum was getan wird. Das geht auch als Kritik an die Linke, die die Ausländer oft zu Propagandazwecken benutzt, um gegen den Rassismus vorzugehen. Aber dieses Benutzen ist auch eine Form von Rassismus.

Unsere Arbeit sieht konkret so aus, daß wir Kontakt zu Flüchtlingen im Ausland haben und denen helfen, über die Grenze nach Deutschland zu kommen. Das heißt, wir kennen günstige Stellen und machen dann mit den betreffenden Leuten oder Gruppen aus, wann sie dort rüberkönnen. Während der ganzen Zeit betreuen wir sie auch und sind auch mit ihnen zusammen. Einige von uns sichern die Gegend, um möglichst sicher zu sein, daß keine Bullenstreife vorbeikommt.

Und was passiert danach?

Die GrenzgängerInnen hinterlassen den BGS-BeamtInnen standesgemäß ein paar Kleidungsstücke. Das erhöht die Erfolgsquote auf beiden Seiten. Die einen finden mehr, die anderen haben für eine kurze Zeit Ruhe vor dem BGS

Wenn die Flüchtlinge über die Grenze sind, werden sie noch soweit ins Land gebracht, daß sie nicht mehr automatisch für Illegale gehalten werden, wenn man sie auf der Straße trifft. Man gibt ihnen Hilfe, ihren Weg weiterzuverfolgen. Entweder sagt man ihnen, wie sie hier Asyl beantragen können oder wie sie weiterkommen, falls sie Deutschland nur durchqueren wollen, um zum Beispiel nach Frankreich oder ein anderes Land zu kommen. Allerdings trennen wir uns meistens schon wenige Stunden nach der Flucht und können auch keine weitere Betreuung dieser Menschen leisten. Aber sie bekommen von uns Kontaktadressen und etwas Geld für Verpflegung und die Weiterfahrt.

Welche Schwierigkeiten gibt es denn in der konkreten Organisierung solch einer Flucht?

Wir können hier nicht allzu viel dazu sagen, weil es sonst den Bullen zuviel Einblick gewährt. Aber grundsätzlich natürlich: jede Flucht ist anders, muß neu organisiert werden. Manche Probleme kennst Du natürlich schon und kannst sie umschiffen, aber man muß auch sehr flexibel sein. Was zum Beispiel schon ein Problem ist, ist das Abchecken der Gegend. An der gesamten Grenze zu Polen und Tschechien hat der BGS in der Bevölkerung Stimmung gegen die Flüchtlinge gemacht, die dort rübermachen. So gibt es teilweise zivile Streifen von Bürgern, die einfach auf Jagd gehen. Ehrenamtliche Schergen sozusagen, die jagen dann diejenigen, die über die Grenze gekommen sind und versuchen, sich irgendwie ins Landesinnere zu schlagen.

Und man muß sich natürlich auch vor den Grenzbullen selbst in acht nehmen, auf beiden Seiten der Grenze. Wenn die erstmal was gerochen haben, ist es besser, in der Gegend die Finger weg zu lassen und es woanders zu probieren.

Wie läuft denn die Überwachung des BGS?

Neben dem Versuch, eine Bürgerwehr gegen die Flüchtlinge anzuregen, gehen die Bullen sonst selbst auf Jagd. Nach Polen gibt es die beiden Grenzflüsse Oder und Neiße. Auf der Oder patroullieren sie mit Motorbooten, auch langsam und leise und ohnen Licht, damit man sie nicht zu früh bemerkt. An der Neiße, aber auch an der Oder, verstecken sie sich in der Nähe von Stellen, an denen schon öfter Menschen rübergemacht haben. Dann stehen sie hinterm Busch und beobachten das andere Flußufer. Sie wissen ja, die Menschen müssen durch den Fluß. Und sie fahren auch durch den Wald und die Felder in der Gegend und kucken, ob Leute nasse Klamotten anhaben. Nach Tschechien hin sind ja hauptsächlich Berge, da sind sie teilweise mit Pferden unterwegs, gerade im Wald. Aber dort ist oft sehr einfach für die Bullen, weils da streckenweise nur bestimmte Wege gibt und ansonsten Wände, über die niemand kommen kann.

Und sie arbeiten auch mit elektronischen Mitteln, zum Beispiel Infrarot-Radar, um so mitzukriegen, wenn an einer bestimmten Stelle ein Lebewesen langkommt. Aber man kennt natürlich die Stellen, an denen die Teile sind.

Habt Ihr denn schon mal konkrete Konfrontationen mit dem BGS gehabt?

Dazu mochten wir nichts sagen. Nur soviel: Wie beim Grenzübertritt selber ist auch der gesamte Ablauf davon abhängig, daß wenig dem Zufall überlassen wird und es eine möglichst gute Vorbereitung gibt.

Warum macht Ihr das eigentlich? Es stellt ja immerhin schon auch eine eigene Gefährdung dar.

Das stimmt, zumal wir wissen, daß manche Grenzbullen auch mit der Knarre schnell zur Hand sind. Aber dem steht ja die Aktion selbst gegenüber. Und dies machen wir, weil wir nicht wollen, daß Menschen teilweise wochen- und monatelang auf der Flucht aus ihren Land sind, bei ns vor die Tür gewiesen werden. Die deutsche Regierung hat beschlossen, dieses Land dichtzumachen, zumindest in Richtung Flüchtlinge. Doch wir wissen, daß viele derjenigen, die hier Asyl suchen, vor den Zuständen fliehen, für die die Bundesrepublik zumindest mitverantwortlich ist. Die Politik und die Wirtschaft der BRD produzieren weltweit Flüchtlinge, indem sie die Länder ausbeutet und dann dafür sorgt, daß diese Menschen ruhig gehalten werden. So verdienst man erst an den billigen Rohstoffen und Arbeitskräften und danch noch an die Ausrüstung für Polizei und Militär.

Für uns stellte sich die Frage, ob wir hauptsächlich politisch dazu arbeiten wollen, zum Beispiel mit Öffentlichkeit schaffen oder Rüstungsexporteure benennen. Aber das machen teilweise andere Gruppen und außerdem gibt es demgegenüber eine breite Ignoranz in der Bevölkerung. Deshalb wollen wir lieber etwas tun, was den Hilfesuchenden direkt hilft und sind wir eben auf die Idee mit der Fluchthilfe gekommten. Das finden wir auch deshalb ganz gut, weil vielen Flüchtlingen von kommerziellen Organisationen eine Menge Geld abgeknöpft wird, damit sie über die Grenze gebracht werden. Aber diesen Fluchthelfern sind die Menschen selber völlig egal, notfalls lassen sie sie auch im Stich, wenn es brenzlig wird.

Wir nehmen von den Flüchtlingen selbstverständlich kein Geld oder anderes. Die ganze Sache hat für uns an erster Stelle einen humanitären Charakter.

Und wie finanziert Ihr Euch, das alles kostet doch sicher auch einiges? Wie kann man Euch unterstützen?

Es stimmt, daß da eine Menge an Kosten zusammenkommt, mehr als man im ersten Moment glaubt. Aber das gehört eben mit dazu. Andere müssen ihre Arbeit ja auch selber finanzieren, zum Beispiel wenn sie Beratung machen, Plakate drucken usw. So geht es auch. Eine finanzielle Unterstützung wäre zwar nicht schlecht, aber dafür sehen wir keinen Weg. Wir haben keine Möglichkeiten über irgendwelche legalen Kanäle an Geld zu kommen, aber das ist auch nicht unser größtes Problem.

Wir fänden es besser, wenn einige Gruppen dazu übergehen würden, sich mehr in die Richtung zu engagieren. Also nicht unbedingt aktive Fluchthilfe, aber zum Beispiel in den Grenzregionen eine gezieltere Öffentlichkeitsarbeit zu machen, die der rassistischen BGS-Hetze was entgegensetzt. Sie könnten den Menschen klarmachen, weswegen andere ihre Heimat verlassen müssen und daß diese unterstützt werden müssen und nicht gejagt.

Dann muß auch überall im Land die Unterbringung und Verpflegung von illegalen oder untergetauchten Flüchtlingen organisiert werden. Man kann auch die Fahndungsmaschine des BGS etwas durcheinanderbringen. Eigentlich gibt es ziemlich viele Möglichkeiten, da einzugreifen. Also Leute, laßt die Flüchtlinge nicht allein, sie haben mehr mit uns zu tun, als viele oft glauben!


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