Zwangsarbeit ausgezahlt?
Unter dem Motto »Zwangsarbeit ausgezahlt?« fand im Rahmen des 4. Antirassistischen Grenzcamps am Montag, dem 30.7.2001, im Café KOZ eine Veranstaltung mit Elisabeth Timm (Historikerin) und Peter Gingold (Auschwitz-Komitee) statt. Eine ehemalige Zwangsarbeiterin aus dem Daimler-Benz-Werk bei Genshagen/Berlin, die angereist war, konnte leider nicht sprechen, da ihr das heisse Wetter zu sehr auf den Kreislauf geschlagen war.
Die Geschichte des Zusammenhangs von Arbeit und Migration sollte hier in den Fokus gerückt werden. Dass der Kern deutscher Ausländerpolitik selbst Arbeitsmarkspolitik ist, bei der Zwangsarbeit als Beute unverhohlener denn je für die Menschen das Ende von Handlungsfreiheit und den Raub von Arbeit, Gesundheit und Lohn bedeutete, wird mit einem Blick in die Geschichte ebenso deutlich, wie die Tatsache, daß ökonomische Interessen schon zu dieser Zeit mit ideologisch-rassistischen Interessen massiv kollidierten.
Die Veranstaltung sollte sowohl der Information dienen als auch den am nächsten Tag folgenden Aktionstag einleiten und den Boden für - erhoffte - weitere Initiativen in anderen Städten ebnen. Wir begannen nach der Einleitung mit einer kritischen Reflexion. Als Punkte benannten wir zum Beispiel, das sich unterdessen kaum noch mit NS-Geschichte und deren Konsequenzen/Kontinuitäten bis heute auseinandergesetzt bzw. dies nicht als Feld für praktische Interventionen begriffen werde. Ebenso läge häufig ein reduziertes Politikverständnis vor, z.B. wenn in der antirassistischen Bewegung ausschließlich auf Aktionen gegen Abschiebungen fokussiert wird, aber weitere gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht wahrgenommen werden.
Elisabeth Timm stellte in ihrem Beitrag die historische Kontinuität der Arbeitsmigration von Kaiserzeit/Weimar über Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus bis zur aktuellen »Ausländerbeschäftigung« dar. Sie arbeitete die existentielle Bedeutung der Zwangsarbeit für die Kriegsführung der Nazis heraus und unterstrich für die jeweiligen historischen Phasen die unterschiedlichen Bedingungen, mit denen Männern und Frauen aus ost- und westeuropäischen Ländern konfrontiert waren. Ihr Beitrag ist im Internet von den Camp-Seiten downzuloaden.
Peter Gingold, ehemaliges Mitglied der Resistance und bis heute im Auschwitz-Komitee aktiv, umriss die Position von VVN und Auschwitz-Komitee zu den Verhandlungen um die Entschädigungszahlungen. Die Verhandlungsführung von Bundesregierung und deutscher Wirtschaft unterstreicht einmal mehr, dass die Verhandlungen nur aufgrund des Druckes durch die in den USA laufenden Verfahren zustande kamen. Die Arroganz und das Machtbewußtsein der Bundesrepublik vor allem auch gegenüber den osteuropäischen Ländern wurden durch die Beschränkung der GeldempfängerInnen deutlich - viele ehemalige ZwangsarbeiterInnen werden durch die Bestimmungen von den Entschädigungszahlungen ausgeschlossen bleiben - auch durch die Festlegung, zunächst nur eine erste Rate auszuzahlen und bis zum Eingang sämtlicher Anträge bis 31.12.2001 abzuwarten, wieviel Geld überhaupt für eine zweite Rate übrig bleibt.
Peter Gingold wie Elisabeth Timm betonten, dass man diese Fragen - Auszahlung der zweiten Rate wie Erweiterung des EmpfängerInnenkreises der Gelder - nach wie vor energisch thematisieren müsse. In einer lebendigen Diskussion wurde zu regionalen Initiativen aufgefordert: Ehemalige ZwangsarbeiterInnen sollten in die Städte/ an die Orte, in denen sie Zwangsarbeit leisten mussten, eingeladen und ihnen damit vermittelt werden, dass man ihr Leben und das von ihnen Erlittene würdigt. Zudem könnte ihnen eventuell geholfen werden, noch fehlende Dokumente zum Nachweis ihrer Zwangsarbeit zu beschaffen.
Es waren trotz des bestechend schönen Wetters ca. 150-200 Menschen anwesend. Das hat alle VeranstalterInnen positiv überrascht angesichts der Tatsache, dass sich die Linke bislang so wenig zum Thema Zwangsarbeit und Entschädigungszahlungen verhalten hat und parallel andere Veranstaltungen und Diskussionen im Camp liefen.
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