Schluß mit Toleranz!
[Ankündigung des Innenstadttags]
Bing. "Sehr geehrte Damen und Herren, wir machen Sie darauf aufmerksam, dass sich zur Zeit organisierte Bettelbanden im Bahnhofsgebäude aufhalten. Wir empfehlen, ihnen kein Geld zu geben. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit." Bong. - regelmäßige Durchsage am Frankfurter Hauptbahnhof -
>> Das diesjährige Camp wird seinen Aktionsradius auf rassistische Ausgrenzungen in und aus städtischen Räumen erweitern. Denn auch die Frankfurter City ist zunehmend zum gegliederten Kontrollraum geworden, in dem Illegalisierte - seien sie gerade angekommen oder hier längst arbeitend/lebend/ausgehend - aufgespürt werden sollen. "Innenstadt" aber auch, weil hier eine Politik der Angst betrieben und das Stigma des "gefährlichen Ausländers" produziert wird.
>> HÜRDENLÄUFE > Diejenigen, die durch die Maschen deutscher »Außengrenzen« geschlüpft sind, sind mit einem ganzen Arsenal weiterer "innerer Grenzen" konfrontiert: Unterbringung in Lagern und Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Asylbewerberleistungsgesetz, befristete Duldung, Meldepflicht oder Illegalität sind nur einige Eckpunkte des diskriminierenden Status, der die Bewegungsfreiheit von MigrantInnen rechtlich wie materiell beschränkt und sie als Nicht-Deutsche markiert. Auf diese Weise werden Menschen, selbst wenn sie über Jahre inmitten des Landes leben, »draußen« gehalten. Der Innenstadttag des diesjährigen Camps richtet sich gegen solche rassistische Grenzen, die legalen wie illegalen MigrantInnen das Leben in den städtischen Zentren schwer bis unmöglich machen.
Wir halten es für wichtig zu sehen, dass städtisches Durcheinander für die ersten und folgenden Schritte von MigrantInnen in Deutschland wichtige Ressourcen bereithält: Hier zieht dunkle Hautfarbe nicht unweigerlich fiese Blicke auf sich und sind soziale und ökonomische Netzwerke aufgebaut. Auch ist die »Weltstadt« Frankfurt auf (Dienst-)Leistungen aller Art angewiesen, die - als Putzkraft oder als Sexarbeiterin - ein dauerhaftes, wenn auch prekäres Leben ermöglichen. Speziell für Illegalisierte bleiben die Bedingungen aber unsicher. So sind sie in ihrer Rechtlosigkeit unternehmerischer und privater Ausbeutung besonders ausgeliefert; der Arbeiterstrich auf der Hanauer Landstrasse ist ein Beispiel, die Schufterei von Dienstmädchen in Privathaushalten ein anderes. Zudem bedeutet die immer umfassender werdende Kontrolle städtischen Lebens ständige Bedrohung: Die massive Präsenz des Bundesgrenzschutz am Hauptbahnhof, die vom Ordnungsamt regelmäßig durchgeführten Razzien in Frankfurter Bordells und Baustellen, die Videoüberwachung auf der Konstablerwache oder die ständigen Passkontrollen in der B-Ebene der Hauptwache - all das sind staatlich-städtische Aktionen, die den jederzeitigen Zugriff auf "Illegale (Handlungen)" ermöglichen. Drohende Demütigungen, Schikane und Gewalt machen es für die Leute im Visier ratsam, die observierten Gegenden zu meiden. Der Alltag wird zum Hindernislauf, Stadtviertel zu No go-Areas.
In der Aufrüstung der Innenstadt überlappen sich Populismus, Wohlstandswahrung, Drogenhysterie, soziale Ausgrenzung - immer jedoch sind Rassismen darin verwoben. So fällt dem deutschen Bürger beim Thema Drogen der nordafrikanische Dealer ein und sorgt man sich vor den osteuropäischen Mafias, die die deutschen Bordellbetreiber im Bahnhofsviertel verdrängen; wer von Jugendgewalt schwadroniert, hat sofort den migrantischen Junghalunken vor Augen und auch ein Graffitisprayer oder Hütchenspieler mit Namen Müller liegt jenseits des Vorstellungsbereichs.
>> SO NICHT > Gerne und viel wird in letzter Zeit von Zivilcourage und Sicherheit gesprochen: Nie ist damit aber ein engagiertes Eingreifen gegen und Schutz vor behördlichen Maßnahmen gemeint. Wer hier redet ist eine Mehrheitsgesellschaft, die gerne wegschaut und sich immer wieder darin bestätigt diejenigen auszudeuten, die hier stören. Gegen die Grenzziehungen hilft auch kein Multi-Kulti-Gerede, das Toleranz predigt, weil "Fremdes bereichert". Denn in Kategorien wie »nützlich«, »hinreichend angepasst« oder »kulturell bereichernd« zu denken und zu sortieren ist keine Kritik an Rassismus, sondern der Modus rassistischer Politik. Deswegen wollen wir all die Initiativen und Praktiken unterstützen, die diese Ordnung durcheinanderbringen. Wir appellieren auch nicht an "Offenheit", wo es um die Verteidigung von Privilegien und Kalkül geht. Denn mit der Produktion von Angst wird Politik und Geschäft gemacht. Politiker beweisen publicityträchtig Härte, Geschäftsleute demonstrieren, dass sie sich um ihre Lieblingskunden sorgen und auch die Strategen der Bahn AG sind bemüht, Ordnungspolitik als Serviceleistung zu verkaufen. Und diejenigen, die Tag für Tag wegschauen, oder denen die momentane Kontrolldichte in der Stadt immer noch nicht ausreicht, haben sich längst für ihre Privilegien entschieden.
>> ANTIRASSISTISCHE STREIFZÜGE > Um gegen all das Zeichen zu setzen, basteln wir für Mittwoch, den 1. August an dem "Innenstadttag". Dieser sieht im Wunschfall so aus: Den ganzen Tag über und dezentral werden innere städtische Grenzen attackiert. An bestimmten Punkten wird sich das Gewusel zu konzentrierten Aktionen verdichten; die CampteilnehmerInnen werden - je nach Situation und Vorhaben mal alleine, mal in Kleingruppen, mal massiv - so organisiert wie nötig und so wenig vorhersehbar wie möglich unterwegs sein; sie werden in der Stadt ihre Spuren hinterlassen und Symbole der Ausgrenzungen auf's Korn nehmen. Grenzziehungen und Grenzziehern sollen Grenzen aufgezeigt und Solidarität demonstriert werden. Und zum Abschluss wird auf einer Kundgebung im Bahnhofsviertel gefeiert.
Denn wir glauben, dass wir den Slogan Gewalt - Sehen - Helfen verstanden haben.
Innenstadt-AG 01
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