Die Pressegruppe
Effektive Dienstleistungs- oder politische Kadertruppe
Die Idee einer personell starken, gut vorbereiteten Pressegruppe für das Camp 01 entstand aus den Erfahrungen der früheren Grenzcamps, bei denen jeweils nur einige wenige "Kader" für den Kontakt zu den Medien zuständig waren und dabei gleichzeitig oft auch diejenigen waren, die mit Polizei und Behörden verhandelten und manchmal "schnelle Entscheidungen" treffen mußten.
Diesmal sollte es etwas anders angegangen werden: eine große Gruppe (mehr als zehn) wollte sich thematisch und praktisch auf die Darstellung des Camps und der von ihm ausgehenden Aktivitäten vorbereiten, was auch bei mehreren Treffen u.a. zu den Themen "Warum campen wir?", "Staats-Antifa", "Einwanderungsdebatte", "Verbot von Nazi-Organisationen" halbwegs durchgeführt wurde. In Bezug auf die Frage "wer traut sich was?" gegenüber den Medien wurde eine grobe Arbeitsteilung vereinbart - einige waren zu TV- und Radio-Interviews bereit, andere wollten lieber Presseerklärungen schreiben.
Um allen den Auftritt in der Medien-Öffentlichkeit in einer gewissen Anonymität zu ermöglichen und um die Eigenschaft der JournalistInnen zu unterlaufen, auf bestimmte Personen abzufahren, wurden die Pseudonyme "Carl und Rosa Kemper" erfunden, erkennbar immer an der leuchtendroten Schildkappe.
Ein erster Test dieser Namen bei der Pressekonferenz in der Woche vor dem Camp in Kelsterbach gelang recht gut. Und überhaupt erwies sich die Idee dieser Pressekonferenz - übernommen aus dem vorjährigen Camp bei Forst - als überaus nützlich, wie die darauffolgenden Berichte der dabeigewesenen ReporterInnen bewiesen. Deren brennendste Fragen galten nämlich der - gleichsam von Genua herüberschwappenden - möglichen Gewalt der CampteilnehmerInnen, die wir zwar etwas holprig, aber erfolgreich umschifften, indem wir auf die Gewaltförmigkeit von Abschiebungen und rassistischer Ausgrenzung verwiesen. (Die nächste Pressegruppe sollte dazu ein Seminar abhalten.) Witzig die Frage des FAZ-Mannes, ob auch "die Autonomen" erwartet würden? Antwort: "Wir sind die Autonomen". Nachfrage: "Ich meine, kommen auch gewaltbereite Autonome?"
Der Alltag der Pressegruppe im Camp begann mit einem gemeinsamen Frühstück um 9 Uhr, bei dem die Aufgaben des Tages verteilt wurden: wer begleitet welche Aktionen und ist dort für die Medien ansprechbar, wer schreibt die tägliche(n) Presseerklärung(en) und wer faxt und mailt sie, wer bleibt im Camp und "betreut" die dort zwecks "atmosphärischer" Stimmungsbilder auftauchenden Medienleute, wer lotst die Presse zu den nicht öffentlich angekündigten Aktionen, wer geht zum "Deli-Plenum", ...? Es stellte sich schnell heraus, daß die dafür angesetzte eine Stunde kaum ausreichte, alle Aufgaben zu verteilen, die bereits erschienenen Zeitungsberichte zu lesen und die Erfahrungen und Informationen des Vortags, geschweige denn über den Tag hinausreichende Einschätzungen zu besprechen.
Zudem haperte es an der Technik: da die bei Telekom beantragte ISDN-Leitung nicht installiert war, konnte vom Camp aus nichts gefaxt werden, so daß fast sämtliche Pressestatements erst nach ca. 1 Stunde Fahrt in einer Privatwohnung verfaxt wurden. Und das dauerte immer länger, da es von Tag zu Tag mehr zu verbreiten gab: so wurden allein am 2.8. sechs Erklärungen an ca. 100 Medienadressen gefaxt und gemailt.
Während die Begleitung der Aktionen und die eigene argumentative Präsenz bis zum Freitag in den Medien immer gewährleistet war, "zerfledderte" der Zusammenhang der Pressegruppe doch immer mehr, so daß sich bei einigen Unzufriedenheit ausbreitete. Und gegen Ende des Camps und danach fand praktisch keine Pressearbeit mehr statt.
Die sehr positive Darstellung der Pressearbeit durch die Leipziger Grenzcamp-AG (siehe Text am Anfang dieser Doku) fand denn auch keine ungeteilte Zustimmung in der Pressegruppe selbst. Zwar wurde die enorme Außenwirkung - nachlesbar anhand der 200 Seiten starken Artikelsammlung - ebenso gesehen. Jedoch gab es zahlreiche (Selbst-) Kritikpunkte, die bis zur nachträglich geäußerten Meinung einiger führten, die Gruppe hätte sich spätestens am Mittwoch (dem Innenstadt-Aktionstag) auflösen müssen. Auch war von "politischer Niederlage" (der Pressegruppe, nicht des Camps) die Rede.
Die zentrale Kritik lautete, daß die zeitweise bis zu 15 Personen starke Gruppe zu sehr von der Entscheidungsstruktur des Camps abgekoppelt gewesen sei bzw. die Darstellung der politischen Ziele nach außen ohne Rücksprache und Diskussion erfolgte. Obwohl immer eine Rosa oder ein Carl bei den Delegiertentreffen anwesend war, sei dort kaum etwas hineingetragen worden. Auch wenn das "Deli-Plenum" von den Delegierten kaum für die politische Auseinandersetzung genutzt wurde, so hätte doch vonseiten der PressegruppenvertreterInnen eine Diskussion über Pressearbeit, politische Zielsetzungen und eine Bewertung der täglichen Aktivitäten eingefordert werden müssen.
So habe die Pressegruppe faktisch als die politische Kadergruppe agiert und sich - abgehoben von selbstbestimmten Entscheidungsstrukturen -- ganz oben in der Hierarchie der Camp-Organisation bewegt, neben der informellen Camp-Hierarchieebene, die sich die verschiedenen Stufen im Umgang mit der Fraport überlegte.
Andere Mitglieder der Pressegruppe sahen dies bei der Nachbesprechung nicht so dramatisch. Gegen die Entkoppelung wurde als Argument angeführt, daß die Pressegruppe morgens für alle zu erreichen und offen war. Die Frühstückstreffen seinen transparent gewesen und auf den Plena bekanntgegeben worden. "Das Camp" sei bis auf wenige Ausnahmen mit der Arbeit der "Kempers" zufrieden gewesen. Die Pressegruppe habe den vom Camp an sie gestellten Ansprüchen genügt.
Problematisiert wurde auch, daß die eigenen Verlautbarungen zu sehr vom "Schön- und Erfolgssprechen" bestimmt gewesen seien. Immer alle Aktionen - z.B. die Flughafen-Abschlußdemo am 4.8. - als "Erfolg" darzustellen und in einfache Formeln zu verpacken, obwohl die politischen Verhältnisse doch komplexer sind, sollte nicht Ziel einer linken Pressearbeit sein. Weiter sei zu hinterfragen, ob wir durch eine solche Form der Medienarbeit nicht bereits ein Teil des bürgerlichen Regimes geworden sind. Mehr Authentizität und Ehrlichkeit seien wichtig, Widersprüche sollten zugelassen werden.
Dem wurde entgegengehalten, daß zu den bürgerlichen Medien ein taktisches Verhältnis bestehe und entsprechend auch der Umgang mit ihnen sein müsse. Und eine noch differenziertere und von allen in der Pressegruppe diskutierte Presse-Vermittlung hätte uns überfordert. Mit der bürgerlichen Presse solle weiter taktisch umgegangen werden, "interne" Probleme gingen diese nichts an, selbstkritischer aber mit den linken Medien; dies sei in vielen Fällen auch geschehen.
Hier blieb es beim Widerspruch, denn - so die KritikerInnen - dies gehöre gerade zum "Funktionieren" im Sinne der bürgerlichen Gesellschaft, zum Unehrlich-Sein und zum "Erfolgssprech".
Dieser Widerspruch zog sich auch durch weitere Bewertungen der Pressearbeit, so traf die Aussage, ausführliche Diskussionen seien während der Frühstücksstunde nicht möglich gewesen, auf die Forderung, daß die politische Auseinandersetzung vor allem anderen Priorität hätte haben müssen.
Letztlich bleibt jedoch stehen, daß eine zukünftige Pressegruppe bei Grenzcamps und ähnlichen Groß-Events der internen politischen Diskussion mehr Raum geben muß, ebenso wie der Vermittlung von und zu den Delegierten-Treffen und Plenen.
Und wichtig ist vor allem die direkte Vermittlung nach außen durch die eigenen Medien, tagesaktuell durch das Internet, was beim Camp01 leider nur mangelhaft funktioniert hat.
M., AG3F Hanau
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