Freie Radios
off air, aber nicht sprachlos
Ein Bericht von freien Radios auf dem Grenzcamp
Die Idee - ausgeheckt beim freien Radiocamp am Bodensee zu Pfingsten - war gut: Die freien Radios sind vor Ort, rund um den Ü-Wagen von Radio Unerhört als Anlaufstelle für alle, die was über'n Sender zusagen haben, versammelt und berichten direkt vom Grenzcamp, via ISDN mit Liveschaltungen und via Internet mit aktuellen Berichten nach draußen. Selbst Debatten werden möglich, direkt übertragen vom Ü-Wagen aus, schließlich sind sie hier versammelt, die ExpertInnen der autonomen antirassistischen Bewegung. Flugs Presseerklärungen raus, gezielt an bürgerliche und solidarische Presse und der Grenzcamp-Sommer kann kommen...
Doch mit dem Telekommunikationsdesaster und der Hitze hatte niemand gerechnet...
Auf Kelsterbachs grüner Mainaue campierten Leute aus freien Radios von coloRadio Dresden, fsk Hamburg, Wüste Welle Tübingen, Querfunk Karlsruhe, Radio Unerhört Marburg ..?.., nur: wo waren - wie abgesprochen - die 2 Resistenzradio-Leute aus dem Nahbereich, die sowohl auf den UKW-Wellen von Radio X in Frankfurt und RaDar in Darmstadt antirassistisches Programm machen wollten?
Und: wo war die bei der Telekom beantragte, so notwendige ISDN-Leitung? Jedenfalls nicht verlegt. Damit begann der Telekommunikationsmarathon, der fünf(!) 25-DM-Guthaben-Mobilfunkkarten verschluckte und desaströs endete: bis zum Schluß blieben indymedia und freie Radios ohne ISDN und damit auch ohne Internet. Die Boys in den Call-Centern sind zwar durchaus hilfsbereit, aber ohne Kompetenz ausgestattet. Erfolgloses Anrufen bundesweit, weiterverbunden von Callcenter zu Callcenter. Nur dort, wo die Verantwortlichen sitzen, die den Auftrag bearbeiten müßten, ausgerechnet dort erreicht mensch niemanden.
Am Montag dann: Wir zu zweit direkt ins Telekom-Bürohochhaus. Hätte unsere Beharrlichkeit nicht über der der Pförtnerin gesiegt, wir wären sofort abgespeist worden. So wurden wir das mit einem durchaus freundlichen, uns hoffnungsfroh stimmenden, aber im Nachhinein absolut nichts nutzenden Gespräch mit einer nach stundenlangem Warten erscheinenden Telekom-Mitarbeiterin: abgespeist. Das war es dann mit der ISDN. Ergebnis: keine Liveschaltungen, kein Internet, viel Frust, viel verplempertes Geld - Freie Radios off air.
Konsequenz: ISDN niemals als Privatkunde (der Antrag wurde - wegen Ortskenntnissen - privat beantragt), immer als Geschäftskunde beantragen!
Off air zwar, aber trotzdem: so gut wie jede Aktion und jede Veranstaltung wurde von munteren RadiomacherInnen begleitet, mitgeschnitten, kurz bearbeitet und auf Tonträgern in die Radios gebracht (irgendwer kam oder ging immer) und dort ins Internet (www.freie-radios.net) gestellt. Per Telefoninterviews waren auch Liveberichte möglich. Rohmaterial zu schneiden und Programme ästhetisch zu gestalten, dieser Herausforderung hielten nur wenige stand: locker mal schweißtreibende 40 Grad und mehr in Ü-Wagen und VW-Bus...
Sehr elegant die Hamburger Lösung: eine solidarische WG mit ISDN-Leitung in der Stadt aufgetan, dort das Musik-Taxi (macht Liveschaltungen zum Studio möglich) aufgebaut und jeden Abend eine Livesendung ohne viel Geschnibbel und journalistisches Getue rauf nach Hamburg ausgestrahlt. Hut ab vor den spontanen Improvisationsfähigkeiten der Frauen!
Vom großen Polizeiflopp haben auch die Freien RadiomacherInnen profitiert: Der Aufstand der bürgerlichen Medien aufgrund der hochnotpeinlichen Festnahme der 2 ReporterInnen am Montag oder Dienstag öffnete der Presse daraufhin jede Tür und jedes Tor. Selbst wir, die freien RadiomacherInnen mit unseren Presseausweis-Nachbauten kamen plötzlich in den Genuß der Anbiederung an die sogenannte vierte Gewalt im Staat. Bis dahin ging es unseren ReporterInnen wie den Bürgerlichsten: kein Zutritt, keine Informationen, Gefahrenstufe 2.
Zwischen den anwesenden freien RadiomacherInnen klappte die Zusammenarbeit bestens: meist morgens und abends Treffen, Verabredungen, wer wann wo welche Aktion begleitet, wer wann welche InterviewpartnerInnen organisiert, wer wann wie die fertigen Programme auf Tonträgern gespeichert in welches Radio schafft... Mit den abwesenden RadiomacherInnen, mit den beiden FrankfurterInnen hingegen waren Verabredungen nicht machbar, was morgens noch mit gegenseitigem Einverständnis verhandelt wurde, hatte gegen Abend seine Realität eingebüßt. Der Versuch, Campradio zu machen, nämlich Radio vom Camp hörbar auf dem Camp (legal nur auf der Frequenz vom nichtkommerziellen Lokalradio Radio X Frankfurt möglich) scheiterte inhaltlich, aber zuallererst organisatorisch. Den Äther im Raum Frankfurt haben wir dann aufgegeben, uns hat's viel Nerven und Zeit gekostet.
Betrachten wir das ganze mal unter dem Aspekt "was lernen wir daraus?" dann gibt es 2 Möglichkeiten für Radiophonie von Grenzcamps der Zukunft:
- spontanes nicht aufwendiges Improvisieren, also keine Verbesserungen nötig,
- eine insgesamt altbewährte Methode, deren Ergebnis immer von der jeweiligen Situation und dem Engagement der jeweilige Leute abhängt,
oder
- professionelleres Herangehen: ein Radio beantragt als Geschäftskunde die ISDN-Leitung, freie Radios und andere Presse-/Informationsgruppen und -initiativen (indymedia, Pressegruppe, Infogruppe, Trojan TV etc.) campen in einem Eck mit eigener Stromversorgung und vernetzen sich, v.a. was den Austausch darüber angeht, was wie wo passiert, CampteilnehmerInnen nutzen das "Medienzentrum" als Anlaufstelle...
- ein Herangehen, das evt. mehr "Erfolge" zeitigen könnte, aber nicht unbedingt jeder und jedem liegt, wahrscheinlich auch der improvisierten Campsituation nicht angemessen ist.
Belassen wir es mal dabei, zumal es keine gemeinsam diskutierte Auswertung gab. Zum Grenzcamp entstandene Audio-Beiträge findet ihr im Internet unter www.freie-radios.net, Hörbar Archiv mit Stichwortsuche.
Beate, Radio Unerhört Marburg, RUM/Bundesverband Freier Radio
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