Verhandlungen
Nachdem die Chancen ein geeignetes Gelände über einen Pachtvertrag zu bekommen mit knapp werdender Zeit immer unwahrscheinlicher schienen, wurde auf dem letzten Bundesweiten Vorbereitungstreffen die Besetzung des TopFavouritePlace am Rande von Kelsterbach beschlossen. Vermutungen, dass der in der letzten Woche vor dem Camp schlagartig entstehende Gesprächsbedarf seitens des Eigentümers des betreffenden Grundstückes, der Firma Areatis, aber auch von Fraport, verschiedenen Ordnungsämtern, Regierungspräsidium, hess. Innenministerium, verschiedene Polizeibehörden sowie Einsatzleiter, Landratsamt... mit diesem Beschluss zusammenhängen könnte wurden weder bestätigt noch widerlegt. Speziell die Areatis, die sich monatelang in peinliche Ausreden geflüchtet hatte ("wir können nicht an Sie verpachten, weil wir nicht wissen, wem unser Grundstück gehört") und später gar nicht mehr auf Briefe reagierte, hatte es plötzlich sehr eilig einen Pachtvertrag mit dem Grenzcamp abzuschließen. Dabei gab Areatis ganz offen zu, dass sie zu ihrer eigenen Verwunderung von der Polizei darum massiv "gebeten" worden sei. Der Vertragsentwurf trug dann auch die Handschrift der Polizei und der enge Kontakt zwischen Areatis und Polizei während der Verhandlung zwischen Areatis und uns als Anmelder/Verhandlungsgruppe war deutlich spürbar.
Die Polizei verfolgte von Anfang an ein Deeskalationskonzept. Bereits beim ersten Gespräch an dem sie direkt teilnahm, bekundete sie die Absicht, das Camp als ganzes zu einer versammlungsrechtlichen Veranstaltung zu erklären. Darauf einzugehen hieß für uns einerseits, dass sowohl für das Camp selbst als auch für vom Camp ausgehende Aktionen Anmeldungen nötig waren. Demgegenüber bedeutete der versamm-lungsrechtliche Schutz z.B. die Zusage von freier Anreise zum Camp (keine Kontrollen etc.). Eine längere Kontroverse entstand, als die Polizei erklärte, Waffen wie z.B. Knüppel oder ähnliches auf dem Camp keinesfalls tolerieren zu wollen, wir unsererseits darauf beharrten, dass ebendiese wie auch eine organisatorische Struktur zum Schutz vor vielleicht unwahrscheinlichen aber dennoch möglichen Angriffen von Nazis notwendig seien. Dies sei auch die Erfahrung früherer Grenzcamps. Des weiteren sei es mit dem Vertrauen in polizeiliche Schutzzusagen nicht allzu weit hin bei den CampteilnehmerInnen. Die Kontroverse endete mit dem Hinweis behördlicherseits, dass Transparentstangen, Plakathölzer, Feuerholz u.ä. keine Waffen im Sinne des Versammlungsgesetzes darstellen würden. Somit bestünde hier keine Notwendigkeit zu Beschlagnahme etc.
Unserer Einschätzung nach war das Interesse der Polizei zunächst auf eine ordentliche Anmeldung des Camps gerichtet. Eine Platzbesetzung und möglicherweise daraus resultierende Auseinandersetzungen sollten vermieden werden, als erster Schritt hin zum Ziel eines Camps in geregelten Bahnen. Hierbei muss auch die politische Situation unter dem Eindruck der Ereignisse von Genua berücksichtigt werden, die auch das Camp selbst in erheblichem Maße bestimmte. Auffallend war der enorme Aufwand den die Behörden mit diesen Verhandlungen trieben (Einflussnahme auf das Zustandekommen des Pachtvertrages, große Anzahl der an den Verhandlungen mit uns beteiligten Behörden bis hin zum Polizeipsychologischen Dienst und Polizeijuristen... ). Es gab vier Kontaktbeamte, die in einem Auswahlverfahren speziell für das Grenzcamp ausgesucht worden waren. Nach Polizeivorstellung sollten sie rund um die Uhr Kontakt zur Verhandlungsgruppe halten und ansprechbar sein.
Diese KontaktbeamtInnen (u.a. sozialarbeiterischer Sonderpolizist und kritische Polizistin) zeigten sich nahezu das gesamte Camp über die Maßen verständnisvoll, auskunfts- und hilfsbereit. Sie übermittelten von sich aus Infos, die sie für mehr oder weniger relevant hielten. Sie teilten auf Anfrage hin Namen von Festgenommenen oder in Gewahrsam genommenen Leuten und die entsprechenden Begründungen mit, sowie Freilassungszeitpunkt etc. Wenn es die Situation erlaubte, ließen sie kritische Distanz zu bestimmten Polizeimaßnahmen und immer wieder Unverständnis gegenüber dem Verhalten der Fraport erkennen. Mehrfach kümmerten sie sich darum entgegen den Ankündigungen der Polizeiführung stattfindende Kontrollen zu beenden. Auch waren sie nicht so penetrant, wie der beschriebene Aufwand vielleicht vermuten lassen könnte. Beispielsweise war es nur einmal nötig, ihnen zu erklären, dass sie weder in Zivil noch sonst wie innerhalb des Campgeländes erwünscht waren, damit sie sich daran hielten. Dafür hatten sie andererseits kreative Vorschläge parat, wie man angeblich brisante Situationen gemeinsam beruhigen könne.
Überhaupt würde vieles besser laufen, wenn wir nur gemeinsam und vernünftig daran arbeiten würden. "Wir müssen besser miteinander kommunizieren, damit das Camp gut verläuft" hatte einer ihrer Chefs während eines Verhandlungstermins sinngemäß gesagt; und diese Vorgabe umzusetzen waren sie allzeit nach Kräften bemüht. Differenziert wie sie waren hätten sie vermutlich zugegeben, dass hinter den unterschiedlichen Auffassungen, was denn einen guten Verlauf des Camps ausmache mehr steckt als ein Kommunikationsdefizit - wenn mensch es nur ausreichend mit ihnen diskutiert hätte.
Dass sich die Polizei von derart fürsorglicher Belagerung etwas verspricht kann zwar nicht überraschen, soll aber trotzdem anhand von folgendem Beispiel veranschaulicht werden. Als die Abschlussdemo am 4.8. mit etwa 2500-3000 Leuten auf dem Weg zum Tor 3 in der Nähe des Internierungslagers für Flüchtlinge war, stoppte die Polizei die Demo. Ein eskalationswilliger Abschnittsleiter drohte unter Verweis auf rund 150 teils unkenntlich gemachte Leute mit Angriff auf bzw. Auflösung der Demo. (Zitate: "Heute sind wir so bärenstark." Und laut über Mega: "Ich mach' die Demo jetzt platt!") In dieser Situation versuchten die Kontaktbeamten ebenfalls Druck auf Demoleitung bzw. Verhandlungsgruppe auszuüben: "Das ist ein schwarzer Block! So geht's nicht. Gefährden Sie nicht jetzt noch den Erfolg des ganzen Camps". "Passen sie auf. Der Mann ist Hardliner", etc. Und als später der besagte Abschnittsleiter offensichtlich von oben zurückgepfiffen wurde kam wendehalsig: "Die Leute haben sich entmummt. Gegenseitige vertrauensbildende Maßnahme. Die Polizeiketten werden jetzt zurückgezogen". Dieses Beispiel soll ein wenig illustrieren, wie die verschiedenen Arten der Verhandlungsführung ineinander greifen.
Auch wenn das Deeskalationskonzept, das die Polizei von Anfang an verfolgt hatte, im Verlauf des Camps einige Risse bekam (u.a. Knüppeleinsatz an der Hauptwache am Dienstag, Abschlussdemo am 4.8. am Flughafen) und unserer Meinung nach innerhalb der verschiedenen Polizeiebenen nicht unumstritten war und zwischenzeitlich ins Wackeln geriet: Im großen und ganzen wurde es die 10 Camptage über durchgezogen.
Eine anderer Aspekt, den wir aufgreifen möchten ist die Frage, wie wir selbst in diesen Verhandlungen vor und während des Camps agiert und reagiert haben und wie sich dies für uns aus heutiger Sicht darstellt. Hierzu meinen wir, dass mensch sich in solchen Verhandlungen sicherlich immer auf fremden Terrain bewegt, dass es hier aber dennoch oft möglich war offensiv zu agieren. Wir denken nicht, dass es zu Ergebnissen kam, die wir im Nachhinein als falsch bewerten, etwa weil wir uns an die Wand verhandelt gefühlt hätten. Andererseits mussten wir im Nachhinein erkennen, dass z.B. bei der ersten Flughafenaktion am 29.7. die Fraport die zeitgleich zur Aktion laufenden Verhandlungen benutzt hat um Zeit zu schinden. So gelang es ihr die Kundgebung innerhalb des Terminals nach hinten zu schieben. Und als bei der oben beschriebenen Abschlussaktion am 4.8. die Polizei massiv drohte, hätten wir fast den Fehler gemacht, die Demo wieder vor Terminal 1 zu führen. Die Überlegung, dort effektiveren Gegendruck ausüben zu können ließ in den Hintergrund rücken, dass es aus guten Gründen das erklärte Ziel der Demo war, so nah wie möglich an das Internierungslager zu gehen. Erst der Widerspruch zahlreicher Gruppen gegen die vorschnelle Entscheidung machte uns deutlich, dass wir dabei waren uns zu sehr auf die entstandene Dynamik von Druck und Gegendruck einzulassen.
Aus alledem wird vielleicht die Ambivalenz deutlich, mit der wir die Verhandlungen im Nachhinein betrachten.
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