Siamo tutti clandestini!
Offener Brief aus dem 4. Antirassistischen Grenzcamp in Frankfurt/M. an die "Antiglobalisierungsbewegung"
Um es gleich zu sagen: Wir denken, Genua war ein Erfolg für die GegnerInnen des G8-Gipfels. Durch die seit vielen Jahren größte internationale Mobilisierung ist es gelungen, die Repräsentanten der G8-Staaten in die Defensive zu drängen und unter heftigen Legitimationsdruck für ihre pompösen Schaugipfel zu setzen. Entsprechend fallen jetzt die Versuche, die Protestbewegung durch Spaltung zu schwächen, besonders massiv aus.
Doch bereits bevor der G8-Gipfel in Genua begonnen hatte, wurde von der bürgerlichen Presse und den Staatspolitikern versucht, die "Antiglobalisierungsbewegung" in Gut und Böse zu spalten. Die Guten, das sollten die "Gewaltfreien" sein, die Bösen die "Gewalttäter". In der BRD wurde dafür eigens der Begriff des "Polithooligans" geprägt, bevor sich international der "black block" als Synonym für alles durchsetzte, wovon sich "GlobalisierungsgegnerInnen" zu distanzieren hätten, um überhaupt in der politischen Öffentlichkeit auftreten zu dürfen.
Der Begriff wurde sicherlich nicht ohne Absicht aus dem Vokabular der militanten Linken übernommen. Doch der schwarze Block ist keine politische Gruppe und hat auch keine Anführer. Schon deshalb ist die Anklage gegen die in Italien Inhaftierten absurd. Bei Demonstrationen z.B. in der BRD, in Österreich oder in England ist es üblich, daß Menschen aus verschiedenen politischen Gruppen, die außer dem Mitlaufen in der Demo weitere gemeinsame Aktionen durchführen wollen, sich in einem Block zusammenschließen. Die einheitliche schwarze Kleidung ist (ebenso wie z.B. Vermummung oder die Verwendung von Armschützern) vor allem Selbstschutz. Das heißt, auch viele von uns sind schon einmal der schwarze Block gewesen. Auf die von den Medien und Herrschenden aufgezwungene Gewaltdefinition wollen wir uns nicht einlassen. Ebenso wenig auf alle anderen Spaltungsversuche. Die Kugel, mit der Carlo Giuliani gezielt getötet wurde, galt uns allen.
Am 19. Juli protestierten in Genua 50.000 Menschen gegen Rassismus und die europäische Abschottungspolitik. Auch hier in Frankfurt/Main haben sich vom 27. Juli bis zum 4. August 2001 mehr als tausend Menschen versammelt, um gegen den strukturellen Rassismus der kapitalistischen Staaten zu kämpfen. Wir, die Leute vom Grenzcamp, sind keine homogene Gruppe, sondern Menschen mit unterschiedlichen politischen und sozialen Hintergründen. Doch für viele von uns ist klar, daß die sogenannte Globalisierung ein Ausdruck des sich verschärfenden Kapitalismus ist, der nicht verbessert oder nationalstaatlich gezähmt werden kann, sondern abgeschafft werden muß. Auch eine Kapitalismuskritik, die sich auf die internationalen Finanzmärkte beschränkt, halten wir für falsch - und außerdem für gefährlich, da sie nicht selten antisemitische Ressentiments bedient. Konsens ist bei uns außerdem, daß wir in unserem Kampf gegen das herrschende System unsere Mittel selbst bestimmen. Das kann vom Plakatekleben über die Teilnahme an einer Demo bis hin zu militanten Aktionen gegen Abschiebeknäste, Konzerne, Bullen oder Faschisten gehen. Wir legen aber Wert darauf, daß die Aktionen zielgerichtet und politisch vermittelbar sind und keine Unbeteiligten dabei zu Schaden kommen. Wenn das in der Praxis bisweilen nicht gelingt, muß das unbedingt diskutiert werden. Aber wir wehren uns entschieden gegen alle Spaltungsversuche und fordern hiermit alle auf, die in Genua protestiert haben bzw. gern dort gewesen wären, dies ebenfalls zu tun. Die Erfahrungen der sozialen Bewegungen in verschiedenen Ländern hat gezeigt, daß sie nur dann ihre Anliegen durchsetzen können, wenn sie sich nicht spalten lassen, sondern ihre Vielfalt als Stärke begreifen. Wenn es ein gemeinsames Ziel gibt, können und sollten unserer Meinung nach die diversen Menschen und Gruppen nebeneinander agieren, möglichst ohne sich gegenseitig zu behindern. Eine Koordination setzt gemeinsame Diskussionen der Gruppen voraus. Dieses Papier versteht sich auch als Anregung, das zu ermöglichen - und zwar schon vor dem nächsten Gipfel.
Der erste konkrete Anlaß für gemeinsame Aktionen sollte sein, daß es in Genua immer noch 49 Gefangene gibt, für die wir uns einsetzen müssen!! Außerdem werden noch viele Menschen vermißt.
Macht mit bei den weltweiten Aktionen zur Unterstützung der Gefangenen am 20. August!
Kapitalismus abschaffen!
Für eine Welt ohne Rassismus, Nationalismus, Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung!
Dieser Brief wurde von einer Diskussionsgruppe des Grenzcamps verfasst und im Abschlußplenum mehrheitlich unterstützt.
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