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[Grenzcamp 99 Reader]

Donnerstag 12.08 - Grenze-Wohlstand-Armut

[Chronologie]

15.00Uhr: Demo zum Landratsamt und zum Flüchtlingsheim
Flugblattaktion gegen Nazikader Torsten Hiekisch in Hirschfelde
Improvisierter Überfall auf die Schmalspurbimmelbahn nach dem Motto:"Zittau begrüßt den 10.000 Flüchtling"
18.00Uhr: Vorgärtenaktion in Eichgraben

aus dem Webjournal

zur Vorgarten-Perfomance der RaumschreiterInnen

Am Donnerstag sind ungefähr 40 Leute vom antirassistischen Grenzcamp nach Eichgraben gefahren, ein nicht gerade verarmtes Kaff nördlich von Zittau. Es wurde eine eher surrealistische Aktion. Der Donnerstag sollte Tag des Wohlstands sein, die Grenze als Wohlstandsgrenze gekennzeichnet werden. Natürlich ist Rassismus mehr als nationaler Sozialneid, aber unbestreitbar ist die Sorge um den eigenen Wohlstand/Reichtum/Besitz auch ein wesentlicher Bestandteil von rassistischem Denken und ein wichtiger Entschuldigungsmoment für RassistInnen.
Grenzziehungen als Einzirkelung des Eigentums. Bei der Aktion ging es darum, den BürgerInnen dabei möglichst nah auf die Pelle zu rücken, und ihre eigenen Wohlstands- und Eigentumsinteressen zu thematisieren. Die Camp-TeilnehmerInnen besuchten die EichgrabenerInnen also in ihrer Privatsphäre, im Vorgarten ihres Eigenheims- geradezu ein Symbol deutschen Wohlstands.
Das Spektakel dauerte nur gut zehn Minuten, aber das genügte, um die Bewoh-nerInnen einer ansonsten verschlafenen Strasse völlig zu verwirren. Aus heiterem Himmel tauchten plötzlich Fremde auf und begannen, in den (nicht umzäunten) Vorgärten der Menschen zu Picknicken. Rund um die Eigenheime der EichgrabenerInnen spielten junge Leute Federball, Frisbee und Fussball, auf dem Rasen sassen Leute und hörten Musik aus dem mitgebrachten Kasi oder assen auf ausgebreiteten Decken Obst. Die EigentümerInnen reagierten grösstenteils sehr verständnislos - will heissen: sie kapierten absolut nicht, was da gerade abging. Ob das Flugblatt, das es dazu gab, Licht in’s Dunkel gebracht hat, darf man bezweifeln. Da war - ziemlich abgedreht - von "virtuellen RaumschreiterInnen" die Rede, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Räume zu durchschreiten. Manche Anwohner behaupteten einfach, das Grundstück sei ihr "Eigentum" und sie hätten es selbst gekauft. Die PicknickerInnen sollten doch bitte schön arbeiten gehen. Absurd!!
Als nach zehn oder 15 Minuten die Bullen kamen, beendeten die AktivistInnen das Happening und düsten davon. Dass das Ganze irgendjemanden überzeugt hat, kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber auf jeden Fall hat diese auch für die TeilnehmerInnen unbekannte Aktionsform die BewohnerInnen der Eigenheime in ihrem beschaulichen Alltag gestört, sie verwirrt und mit hundertprozentiger Sicherheit zu zahlreichen Gesprächen in der Nachbarschaft geführt. Die BürgerInnen wurden als TäterInnen des Grenzregimes und des Kapitalismus wahrgenommen, nicht als Opfer, mit dem "wir" uns selbstverständlich zu verbünden hätten. Aus meiner Sicht, war die Aktion deshalb ein Erfolg. Schade nur, dass kein Raum war, darüber zusammen zu diskutieren.

einer, der dabei war

Strafcamp

Das Zittauer Asylbewerberheim

„Das Problem ist nicht allein, dass die Bedingungen im Asylbewerberheim beschis-sen sind, sondern dass es mittlerweile ganz bewusst als Strafe für unliebsame Asylbewerber genutzt wird", erklärt ein Sprecher der Gruppe voice of africa aus Jena. Rund dreissig CampteilnehmerInnen haben sich auf Initiative der afrikanischen Aktivisten zusammengefunden, um die Situation im Zittauer Asylbewerberheim zu thematisieren. Für Donnerstag planen sie einige Aktionen in Zittau. Unter anderem fordern sie die Schliessung des Heims. In der alten Kaserne der sowjetischen Armee tropft es von der Decke, der Gestank der sanitären Anlagen raubt einem den Atem. Eine Delegation, die vor einigen Wochen das Gebäude besichtigen wollte, brach ihre Exkursion wegen Anfällen von Übelkeit ab. Seitdem wurde einiges verbessert. Aber die Schikanen bleiben. Das fängt schon bei der Essenslieferung an. In Zittau gibt es keine Warengutscheine, die Flüchtlinge müssen auf Listen ankreuzen, was sie in den nächsten drei Tagen essen wollen. Aber was sie geliefert bekommen, ist nicht nur weniger als die ihnen zustehenden Rationen, sondern auch häufig für sie ungeniessbar. Muslime bekommen statt Hühnchen Schweinefleisch, das Haltbarkeitsdatum ist schon abgelaufen, bevor sie die Lebensmittel zubereiten koennen, erzählen Flüchtlinge dem Webjournal. Ein Hausmeister macht ihnen das Leben zur Hölle. Ohne ersichtlichen Grund hämmert er morgens um sechs an ihre Türen. „Wir denken jedesmal, die Polizei holt uns." Der Hausmeister, kurzhaarig und bullig, ganz der hiesigen Jugendmode angepasst beschimpft die Flüchtlinge, erzählt ihnen, wenn es ihnen nicht passt, sollten sie doch wieder nach Hause fahren. Anträge auf Verlassen des Bezirks Zittau werden in der Regel abgelehnt. Im Heim gibt es kaum Beschäftigungsmöglichkeiten: vier Menschen leben in einem Zimmer, es gibt keine Bücher, keine Spielräume für Kinder, nicht einmal einen Fernseher. Gegen die Langeweile bleiben den häufig schon seit Jahren in Zittau Lebenden nur Spaziergänge in die Stadt. Doch dort gehen die Schikanen weiter. Wenn sie die Polizei oder den BGS sehen, versuchen sie sich schnell in einen Hauseingang zu ducken. Trotzdem werden ihre Personalien pro Spaziergang vier bis fünf mal kontrolliert. In der 30 000 Seelen zählenden Gemeinde leben ca. 200 Ausländer, davon 50 Flüchtlinge. Die Polizei kennt jeden einzelnen. Aber Spaziergänge sind nicht nur nervig, sondern auch gefährlich. Die NPD kommt zwar in Zittau nicht ueber fünf Prozent, Jugendkultur ist hier aber trotzdem tendenziell deutsch national. Die Flüchtlinge erzählen von zahlreichen Überfällen der Nazis auf einzelne allein in den letzten drei Monaten. In den letzten sieben Monaten gab es drei Naziaufmärsche vor dem Heim. Die Polizei kam, wenn überhaupt, Stunden nachdem sie benachrichtigt wurde. Rassismus erleben Nichtdeutsche aber auch von ganz „normalen" Bürgern. Ein am Camp teilnehmender afrikanischer Aktivist wurde auf die Frage nach der Toilette in einem Restaurant auf die Hintertür verwiesen. Ansprechpartner haben die Heimbewohner fast keine. An die Ausländersorge können sie sich nur wenden, wenn sie selbst einen Übersetzer mitbringen. „Die Frustration, die sie hier tagtäglich erleben, verschlimmert die psychologischen Probleme der Flüchtlinge." erklärt der Sprecher von voice of africa. Aber vor allem gibt es Hinweise, dass bundesweit Behörden eine Versetzung in das Zittauer Heim bewusst als Strafe einsetzen. So kam ein Asylbewerber, nachdem er in einem Hamburger Heim zum Beschwerdeführer geworden war, nach Zittau. Die CampteilnehmerInnen wollen bei ihren Aktionen mit Flugblättern ganz konkret die Zittauer Bevölkerung aufklären und sie auffordern, den Rassismus zu stoppen und die Flüchtlinge vor Übergriffen zu schützen. Ausserdem richten sie einen breiten Forderungskatalog an die Behörden. Neben der Schliessung des Heims wollen sie, dass Repressionen gegen politische Betätigung eingestellt werden, die Polizei endlich anfängt auch diese Menschen zu schützen bis zu Detailforderungen wie die Klopapierrationen von zwei Rollen pro Monat zu erhöhen.

Hanna Wettig, Zittau

Demonstration zum Landratsamt

Auszug aus dem Aufruf
Angesichts dieser menschenverachtenden Zustände fordern wir:
Dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge gemäß ihrer jeweiligen Bedürfnisse in innerstädtischen Wohnbereichen und damit die Schliessung des jetzigen Flüchtlingsheims Zittau.
Schluß mit der Isolation!
Freie Wahl der Unterkunft. Flüchtlinge müssen, wie andere Menschen, selbst entscheiden können, wo und mit wem sie leben.
Bereitstellung ausreichender sanitärer Anlagen, Kochmöglichkeiten, Beheizung und hygienischer Wasserversorgung.
Angemessene und unbürokratische medizinische Versorgung.
Aufklärung der Flüchtlinge über ihre rechtliche Situation.
Bereitstellung von ÜbersetzerInnen für Behördengänge, mehr staatliche Initiative für den Deutschunterricht. Freie politische Betätigung für Flüchtlinge ohne Angst vor Repressalien.
Schluß mit der staatlichen Unterstützung und Duldung von Naziaktivitäten.
Schließung des BGS-Denunziationstelefones, Schluß mit rassistischer Propaganda!
Volle soziale und bürgerliche Rechte für Flüchtlinge, Barauszahlung des Existenzminimums.
Schluß mit der Sonderbehandlung!

Wir rufen alle, die sich dem rassistischen Klima nicht beugen wollen, auf, die Flüchtlinge zu unterstützen und gegen rassistische Angriffe einzuschreiten.

Stoppt die rassistische Politik!
Durchbrecht die Isolation!
Kein Mensch ist illegal!
Asyl ist Menschenrecht!

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