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[Grenzcamp 99 Reader]

Mittwoch 11.9. - Sonnenfinsternis

[Chronologie]

Zur Sonnenfinsternis werden für die Toten an der Grenze Holzkreuze auf dem Marktplatz aufgestellt
Filmvorführung über die Bedeutung der Sonnenfinsternis für Deutschland
Demo in Lückendorf
Demo und Zeitungsverteilung an der Jonsdorfer Sternwarte, mit Vorführung des Sonnenfinsternisfilms

aus dem Webjournal

Gedenkdemo und christliche Symbole

Den ZittauerInnen und ihren Behörden müßte es eigentlich recht sein: Am Mittwoch, während der Sonnenfinsternis, starteten die CampteilnehmerInnen eine völlig ruhige Aktion ohne den geringsten Ansatz der so beschrieenen Gewalttätigkeiten. Mit einem Trauermarsch und Holzkreuzen gedachten sie der Flüchtlinge, die seit 1990 der deutschen Grenz- und Abschiebepolitik zum Opfer gefallen sind. Demonstration zum Gedenken an die Toten an der GrenzeUrsprünglich war noch angekündigt, das in einer Zittauer Kirche als Touristenattraktion ausgestellte "Fastentuch" zu entführen, letztlich wurde aber eine Prozession mit den Holzkreuzen zum Marktplatz durchgeführt.

An -wieder einmal- ziemlich erstaunt zuschauenden MarktbesucherInnen vorbei, wurden die Kreuze schließlich vor dem Rathaus aufgestellt. Während die Sonne sich verdunkelte, wurden die Namen der gestorbenen Flüchtlinge verlesen und die Folgen des Grenzregimes angeprangert. Das war dem Ordnungsamtschef von Zittau, Wolf, dann wieder zuviel: Er tobte wegen der an den historischen Straßenlaternen aufgehängten Kreuze - Für ihn ein klarer Fall von Sachbeschädigung - und überhaupt gehöre auch eine Gedenkveranstaltung angemeldet.

Auch Bürgermeister Kloß hatte es wieder einmal satt und fuhr mit mit seinem teuren Auto wütend mitten in die Trauerkundgebung, um es dort zwischen des Leuten und ihren Aufklebervorräten abzuparken. Auch die Folgen dieser Handlung werden wohl in einer Anzeige wegen Sachbeschädigung enden...

Als die KundgebungsteilnehmerInnen den Marktplatz dann wieder den einkaufenden BürgerInnen überlassen hatten, sorgte das Ordnungsamt für den Einsatz der Multicar-Brigade "Wir halten Zittau sauber". Die Männer im Baustellenorange machten sich der Grabschändung schuldig und räumten die aufgestellten Kreuze wieder ab. Daß sie diese aber auch noch auf ihren Laster laden und klauen wollten, war den verbliebenen Kreuzwächtern denn doch zuviel und sie holten sie sich zurück. ...auch die Polizei beteiligte sich mit einem bescheidenen Beitrag an der Vernichtung von Steuergeldern, indem sie kurzfristig den Rathauseingang abriegelte und anwesende Fotografen bedrängte. Sonst hatte sie nix zu tun.

Der Sonnenfinsternisfilm...

Am Vortag hatten neutrale Plakate zu einer Fimvorführung über die Bedeutung der Sonnenfinsternis für Deutschland eingeladen; den ca. 50 BesucherInnen wurde darin wissenschaftlich erklärt, warum die Finsternis über Deutschland anhalte, wie es daraufhin kalt und kälter würde, so daß zunehmend mehr Deutsche in die Nachbarländer zu fliehen versuchten, doch diese machen ihre Grenzen dicht! Der Abspann erklärt alle Flucht- und Migrationsgründe für berechtigt und fordert "kein mensch ist illegal", anschließend kommt es zu kontroversen, doch offenen Diskussionen...

Einen Tag vor der Sonnenfinsternis, am Höhepunkt des öffentlichen Interesses, tauchen in Zittau diese Plakate und Flyer auf. Der Einladung eines ominösen Arbeitskreises "Welt und All" folgen immerhin ca. 50 Leute, die nach wenigen Minuten wissenschaftlicher Erklärungen zum astronomischen Phänomen, unfreiwillige Zeugen des unterganges Deutschlands werden. Der Mond bleibt vor der Sonne stehen, und bereits nach wenigen Wochen in Kälte und Dunkelheit ist Deutschland am Ende. Unter diesen Bedingungen entscheiden sich immer mehr Deutsche zur Flucht: Sammellager, hochgerüstete Grenzen, illegale Grenzübertritte werden auch für die deutschen Flüchtlinge zur Realität.

An dieser Stelle bricht der Film ab, und eine Stimme meldet sich aus dem Off. die Fiktion, auf welcher der Film beruht, wird zerstört.
Nicht nur vom naturwissenschaftlichem Standpunkt aus ist diese ewige Sonnenfinsternis völliger Schwachsinn (wobei es auch hier verunsicherte Nachfragen aus dem Publikum gab).
Auch aus politischer Sicht hat diese Naturkatastrophe, die schicksalhaft vom Himmel fällt, wenig mit den tatsächlichen Ursachen und Gründen für Flucht zu tun. Es muss nicht nur immer ums nackte Überleben gehen, es gibt auch viele gute andere Gründe, ein Land zu verlassen: Armut, Perspektivenlosigkeit, Diskriminierung und Verfolgung oder einfach der Wunsch, woanders unter besseren Bedingungen ein neues Leben anfangen zu wollen.

Der Spiess kann nicht einfach umgedreht werden; Deutschland wird nicht einfach vom Wohlstands- zum Armutsstaat. Es ist das Wesen einer Industrienation, sich die notwendigen Ressourcen und Rohstofef auf lange sicht zu sichern (nachzulesen in den Verteidigungspolitischen Richtlinien).

Dissonanzen

Soweit zu unserem Film, den wir auch noch am Tag der Sonnenfinsternis zum Fest an der Sternwarte in Jonsdorf zeigten. Wie reagierten die ZuschauerInnen darauf?

Wir waren durchaus darauf gefasst, dass sich Leute verarscht fühlen, verärgert reagieren und dass die Aussagen, die wir in dem Film treffen "Grenzen auf für alle - Kein mensch ist illegal" zu härteren Auseinandersetzungen führen.

Entgegen unseren Erwartungen gab es keine dumpfen Sprüche oder Störungen. Während des Films verliessen nur zwei Personen den Raum, die meisten ZuschauerInnen sassen danach relativ betroffen da und waren zu Gesprächen mit uns bereit. Zuerst waren wir erleichtert, dass es zu mehr oder weniger entspannten Diskussionen kam, die wohl auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut haben. Im Nachhinein wurde in unserer Gruppe hierüber kontrovers diskutiert: hat nicht bereits der Titel unserer Veranstaltung den Kreis der möglichen ZuschauerInnen eingeschränkte? Konnten vorhandene Meinungen a la "Ausländer raus" überhaupt in diesem Rahmen geäussert werden? oder hinkt unsere Vorstellung von einem "krassen" rassistischen Denken immer noch einem längst überholten Bild hinterher, allen Neo-Rassismus-Diskussionen zum Trotz?
Leute, die Ursachen für Flucht und Migration durchaus im ungerechten Welthandel sahen und auch die Rolle von Kolonialismus, Imperialismus und Kapitalismus erwähnten, betonten, dass vor allem die Zustände in den Herkunftsländern zu ändern seien. Dieses Argument benutzen sie gegen die Forderung nach offenen Grenzen, deren Berechtigung und Notwendigkeit sie vordergründig anerkannten, dann aber in Sachzwängen erstickten. Die üblichen salonfähigen Argumente, die auf ökonomischen und kulturellen Ängsten gründen, wurden angebracht. Insgesamt spiegelten die Meinungen die auch in den Medien geführte Debatte wieder, die die Einteilung in "wir" und "die anderen" als Kriterium nicht überwindet.

Eine Aktion Ihres Politbüros Schwäbisch Hall

Bestellen könnt ihr den Sonnenfinsternisfilm unter der folgenden email-Adresse:
politbuero@gmx.net

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