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Abschiebehaft in Sachsen Broschüre

Flucht und Asyl, Nr. 3, Januar 1996

Das Leben von Abschiebehäftlingen in Leipzig

Erste Erfahrungen der "Abschiebehaft-Gruppe"

Mit dem Besuch von Abschiebehäftlingen in den Gefängnissen in der Alfred-Kästner-Straße und der Beethoverstra-ße in Leipzig hat sich der FIüchtlingsrat einer für ihn neuen Aufgabe zugewandt. Wir haben eine Gruppe gebildet, die zur Zeit aus ca. 10 Mitgliedern besteht und in der auch Leute mitarbeiten, die nicht Mitglieder im Flüchtlingsrat sind.
Der Flüchtlingsrat hatte sich an die Leitung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig gewandt, und diese stand unserem Anliegen positiv gegenüber. Nach Rücksprache mit dem Freistaat wurden wir als ehrenamtliche soziale Betreuer zugelassen. Nachdem wir ein polizeiliches Führungszeugnis abgegeben und eine Belehrung in der JVA über uns ergehen hatten lassen, konnte es Mitte September losgehen. Seitdem besuchen wir regelmäßig montags für 2 Stunden in 2 Räumen Abschiebehäftlinge.

Wer sind Abschiebehäftlinge?

Abschiebehäftlinge sitzen nicht wegen krimineller Delikte ein; die Haft dient lediglich der Sicherung einer Verwal-tungsmaBnahme: der Abschiebung. Einige werden nach wenigen Tagen abgeschoben, die meisten sitzen mehrere Monate, in Einzelfällen bis zu 18 Monaten. Die Abschiebehäftlinge, die wir bisher besucht haben, kommen u.a. aus Algerien, Ghana. Indien und Pakistan.

Das Gefängnis

In der JVA Leipzig sind etwa 400 Gefangene inhaftiert, davon sind im Durchschnitt zwischen 30 und 40 Abschie-behäftlinge. Neben einigen wenigen Strafgefangenen, die als Arbeitskräfte eingesetzt u erden, sind alle anderen Untersuchungsgefangene. In der JVA sind 205 Bedienstete beschäftigt, wovon 165 "Uniformierte" sind. Demgegen-über sind dort lediglich 3 Sozialarbeiter und 2 Psychologen tätig.

Unsere Funktion aus Sicht der JVA und unserer Sicht

Während einer Einweisung in die Gefängnisordnung wurde uns mitgeteilt, was sich die JVA von uns erhofft wir sollen eine Art "Ventil" sein. Das halten wir für problematisch. Wir können und wollen kein Lückenbüßer für unzureichend besetzte Sozialarbeiterstellen sein, um danach möglicherweise auch noch als Argument herhalten zu müssen, daß kein weiterer Bedarf an ihnen besteht. Außerdem wollen wir nicht eine Praxis unterstützen, die wir für menschenunwürdig und daher ablehnen.
Andererseits sind die Möglichkeiten des Abschiebehäftlings, seine Interessen geltend zu machen, eingeschränkt. Wir können versuchen, sie zu stärken. Außerdem können wir die Erfahrungen, die wir dabei sammeln, nutzen, um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und so auch etwas für sie zu bewirken.
Wir haben bei der JVA die Position eines ehrenamtlichen sozialen Betreuers. Dadurch ist es uns möglich, mit den Häftlingen auf deren Wunsch zu sprechen, ohne daß dies auf deren Besuchszeit von einer Stunde pro Monat angerechnet wird und ohne daß ein Beamter bei den Gesprächen anwesend ist.

Wünsche der Abschiebehäftlinge, unsere Aufgaben und Ziele

Oft verstehen die Abschiebehäftlinge nicht, warum sie eigentlich in Haft sind, wo sie doch keine Straftat begangen haben. Außerdem woIlen sie wissen, wann sie wieder herauskommen. Dazu muß oft der Haftbeschluß erklärt werden; es sind Gespräche mit Ausländerbehörden und RechtsanwäIten nötig. Teilweise wird Kontakt zu Freunden oder Bekannten aufgenommen, um sie über die Lage des Abschiebehäftlings zu unterrichten.
Für viele Gefangene bedeutet es bereits viel zu merken, daß sich jemand für ihr Schicksal interessiert und daß sie jemanden haben, mit dem sie reden können. Viele bekommen keine Besuche und Kontaktmöglichkeiten in der JVA sind aufgrund der Sprachbarrieren oft stark eingeschränkt. Wir können Gespräche teilweise erst dadurch führen, daß wir Dolmetscher finden, die uns unentgeltlich ins Gefängnis begleiten.
Wir treffen uns regelmäßig, um Erfahrungen auszutauschen und Probleme zu diskutieren. Wir versuchen, uns in das komplizierte Ausländerrecht einzuarbeiten und einen Erfahrungsaustausch mit anderen Abschiebehaftgruppen aufzubauen. Wir wollen Offentlichkeitsarbeit betreiben und unsere Arbeit dokumentieren.
Deshalb wird das Thema Abschiebehaft in den nächsten Ausgaben sicherlich ein Dauerbrenner bleiben. Wir werden dann über Einzelheiten der Abschiebepraxis in Sachsen berichten können.

Petra Krüger, Peter Rauschenberg

Anhang I Seite 30
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