Deutsche Richter-Zeitung, April 1994
Abschiebungshaft - Rechtsstaat ade?
Anmerkungen zu »Kollaps droht« - DRiZ 1994, 33
Es gibt Rechtsgebiete, in denen auch der erfahrene Jurist regelmäßig passen muß. Das Ausländerrecht gehört dazu. Wer kennt sich schon in den verwalrungsgerichtlichen Verfahren über Asylanträge, Aufenthaltsrechte, Ausweisungen und Abschiebungen oder gar im Abschiebungshaftrecht aus, das in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört?
Im Abschiebungshaftverfahren ist der Ausländer ganz auf sich allein gestellt. Von den Ausländerbehörden hat er kaum was zu erwarten. Ihr - wenn auch vom Gesetz so nicht vorgesehenes - Ziel ist es regelmäßig, den Ausländer in Haft zu halten, um ihn jederzeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis hin zur Durchführung der zwangsweisen Ausreise (Abschiebung) zur Verfügung zu haben. Anwaltliche Vertretung wird dem Ausländer nur selten zuteil. Von Amts wegen bekommt er keinen Rechtsbeistand. Auf dem freien Markt lähmen die gesetzlich vorgesehenen Vergütungen, die in keinem akzeptablen Verhältnis zum Arbeitsaufwand stehen, sowie die Regeln über die Erstattung außergerichtlicher Kosten bereits im Ansatz die Bereitschaft Anwälte, sich ernsthaft mit Abschiebungshaft zu befassen.
Die Verantwortung des Richters
Die Verantwortung des Abschiebungshaftrichters ist daher besonders groß. Er ist oft der einzige Strohhalm, an den sich der Ausländer - oft vergebens - klammert, wenn es um seine Rechte auf persönliche Freiheit vor seiner Abschiebung geht. Die Gesamtumstände bei der Umsetzung des Abschiebungshaftrechts erweisen sich zu häufig als nicht mehr rechtsstaatlich.
Das Dilemma beginnt oft schon im Präsidium des Amtsgerichts. Das richterliche Selbstverwaltungsorgan teilt in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens die richterlichen Amtsgeschäfte zu. Da gibt es jede Menge Spezialabteilungen und Spezialisten, wenn es um vermögensrechtliche Fragen - etwa den Ersatz für angeblich erlittene Urlaubspein - geht. Spezialisten für Abschiebungshaft sind dagegen ganz selten. Regelmäßig müssen die Strafrichter ran. Warum? Weil dies schon immer so war! Außerdem geht es um »Haft« und die wird in den meisten Bundesländern in Justizvollzugsanstalten vollzogen. Abschiebungshaftverfahren sind lästige Anhängsel für Strafdezernate, eine Nebensache, als ob sie der Richter im 10-Minuten-Takt »erledigen« kann! Es hat sich jedenfalls immer noch nicht überall herumgesprochen, daß Abschiebungshaft von Gesetzes wegen eine Form der zivilrechtlichen Freiheitsentziehung ist und daß das Abschiebungshaftverfahren zu den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) gehört und darüber hinaus einer besonderen Verfahrensordnung, dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG), unterliegt.
Die Vermengung von Straf- und Abschiebungshaftdezernaten führt immer wieder zu dem Verdacht des Mißbrauchs der Abschiebungshaft als eine Art Ersatzfreiheitsstrafe. Es kommt vor, daß ein Ausländer auf der Grundlage einer richterlichen Vernehmung von demselben Richter zwar nicht in Untersuchungshaft, dafür aber in Abschiebungshaft genommen wird. Der Staatsanwalt tritt dann schon mal als vollmachtloser Vertreter der Ausländerbehörde auf.
Unzureichende Vorermittlungen
Nicht selten sind die Ermittlungen der Ausländerbehörden völlig unzureichend. Die Ermittlungen werden auf den Richter verlagert, der oft unter dem Druck der Zeitvorgabe des Art. 104 Abs. 2.GG steht. Das geht voll zu Lasten des Ausländers, insbesondere wenn mehrere Abschiebungshaftverfahren gleichzeitig anfallen. Nicht selten wird der Ausländer nur mangelhaft über die Art des gerichtlichen Abschiebungshaftverfahrens aufgeklärt. Ihm wird - oft unter Verwendung der herkömmlichen Formulare der Strafprozeßabteilung über die Beschuldigtenvernehmung - rechtliches Gehört gewährt, mehr nicht, obwohl das Verfahren durch den über die Gewährung rechtlichen Gehörs weit hinausgehenden Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 FGG) bestimmt wird. Oft wird der Ausländer zwar über ein - nicht bestehendes - Aussageverweigerungsrecht belehrt, eine Belehrung über seine Aussage- und Mitwirkungspflichten fehlt dagegen. Eine echte Chance, sich sachgerecht auf das Abschiebungshaftverfahren vorzubereiten, einzustellen und sich angemessen zu verteidigen, bekommt er oft nicht.
Nicht selten unterbleiben die gesetzlich vorgesehenen vorherigen Anhörungen von Ehepartnern, Eltern, gesetzlichen Vertretern (§ 5 Abs. 3 FEVG).
Nicht selten betreibt der Abschiebungshaftrichter auch noch von sich aus die Aufnahme des Ausländers in der Justizvollzugsanstalt, obwohl der Vollzug der Abschiebungshaft allein Sache der Ausländerbehörde ist (§ 8 Abs. 1 Satz 3 FEVG).
Die Widrigkeiten für den Ausländer gehen auch im Instanzenzug weiter. Die Geschwindigkeit des Aktentransports in Abschiebungshaftverfahren läßt Visionen vom Postkutschenzeitalter aufkommen. Die auf FGG-Verfahren spezialisierten Zivilbeschwerdekammern der Landgerichte und die Zivilbeschwerdesenate der Oberlandesgerichte sind häufig auch bei Haftanordnungen von zwei oder drei Monaten wegen Zeitablaufs einer Entscheidung in der Sache und damit einer Prüfung der Abschiebungshaftvoraussetzungcn enthoben und müssen die sofortige Beschwerde oder die sofortige weitere Beschwerde als unzulässig verwerfen. Erledigung der Hauptsache durch Ablauf der Dauer der Abschiebungshaft lautet die rechtliche Beschreibung. Da Verlängerungsentscheidungen der Amtsgerichte durchaus an der Tagesordnung sind, kommt es vor, daß sich die Hauptsachen mehrmals erledigen und die Höchstdauer der vom Gesetz vorgesehenen Abschiebungshaft erreicht ist, bevor auch nur eine Haftanordnung den Instanzenzug abschließend durchlaufen hat, immer vorausgesetzt, daß der Ausländer es überhaupt wagt oder Gelegenheit erhält, Rechtsmittel einzulegen, z. B. durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eines der zuständigen Gerichte.
Es steht nicht gut um das Abschiebungshaftverfahren. Wer ausreisen muß, hat bei uns zum Teil weniger Rechte als ein Straftäter.
Karl Friedrich Piorreck, Frankfurt/M.
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