Die Woche, September 1997
Wie ein Paket verschnürt
Klagen gegen Bundesgrenzschützer wegen Gewalttaten an Flüchtlingen häufen sich. Doch den Beamten ist nichts nachzuweisen.
von Marion Mück-Raab
Die Aussagen des Kurden T. über den Abschiebeversuch Anfang Juni am Frankfurter Flughafen lesen sich wie ein Folterbericht: Mit Fäusten hätten ihm Bundesgrenzschützer ins Gesicht geschlagen, ihn an Händen und Füßen gefesselt, gewürgt und ihm in die Geschlechtsteile getreten. Schließlich seien ihm Arme und Beine mit Bändern auf dem Rücken zusammengebunden worden. Auf dem Bauch habe er so mehr als fünf Stunden in der Zelle gelegen. Immer wieder seien die Beamten in die Zelle gekommen, hätten ihn bedroht, an den Bändern hochgehoben und fallen gelassen. T., inzwischen in die Türkei abgeschoben, hat Strafanzeige gegen die Grenzschützer erstattet.
Der Frankfurter Sprecher des Bundesgrenzschutzes (BGS) Klaus Ludwig weist die Vorwürfe entschieden zurück. Misshandlungen seien bei Abschiebungen ausgeschlossen. Der Wiesbadener Rechtsanwalt Eberhard Kunz aber hält die Aussagen von T. für glaubwürdig. Einige Tage nach dem Vorfall habe er noch Verletzungen bei seinem Mandanten gesehen, auch seien Blutspuren in der BGS-Zelle gefunden worden. Ob die tatsächlich von dem Kurden stammen, klärt nun die Staatsanwaltschaft.
T. selbst wird nichts beweisen können. Seine Aussagen stehen denen mehrerer BGS-Leute gegenüber. Diese konterten wie gewohnt: Als Journalisten in Frankfurt anriefen und eine Stellungnahme zu dem Fall erbaten, zeigten die Beamten ihrerseits den Kurden an - wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.
D., türkischer Staatsbürger, erstattete keine fünf Wochen nach T. Strafanzeige. Er sei bei einem Abschiebeversuch im Juli gefesselt, geschlagen und getreten worden. D. wurde mit Blutergüssen und Verletzungen am Bein ins Krankenhaus gebracht. Auch er kassierte eine Gegenanzeige.
Erst Ende vergangenen Jahres kritisierte der UN-Menschenrechtsausschuss das Fehlen "eines wirklich unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung derartiger Beschwerden". Doch die Bundesregierung wies die UN-Empfehlung, unabhängige Gremien zur Untersuchung von Misshandlungsbeschwerden einzurichten, zurück. So haben mutmaßlich misshandelte Ausländer nach wie vor keine Chance gegen Polizeikumpanei. Die Beweisnot, so Heiko Kauffmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl, sei unerträglich. Die Arbeit des BGS spiele sich in einer rechtlichen Grauzone ab, kein Mensch wisse, was in den Gewahrsamszellen vor sich gehe.
Insgesamt 100 Ermittlungsverfahren wurden 1996 gegen BGS-Beamte eingeleitet, fast alle wegen Körperverletzung im Amt. Die meisten wurden bereits eingestellt. Auch der Aufsehen erregende Fall des Nigerianers Kola Bankole, der bei einem Abschiebeversuch im Sommer 1994 an einem von BGS-Beamten gebastelten Knebel erstickte, blieb für die beteiligten Beamten folgenlos. Nur gegen den Arzt, der Bankole ein Beruhigungsmittel spritzte, wurde Anklage erhoben.
Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) untersagte darauf strikt, bei Abschiebungen zuknebeln. Doch das hat sich beim BGS offenbar noch nicht herumgesprochen, Im Mai dieses Jahres wurde die Geschäftsfrau Angela F. auf einem Flug nach Prag Augenzeugin einer Abschiebung: Verschnürt wie ein Paket trugen Bundesgrenzschützer einen Mann neben ihr her. Sein Kopf war von der Nase abwärts bis zum Hals mit Klebeband umwickelt. Auch die Hände und Beine waren so gefesselt. Erschüttert wandte sich die Frau an Pro Asyl. Die Organisation bat das Innenministerium um Stellungnahme. Die Renitenz des zurückzuführenden Ausländers, antwortete die Behörde, habe die Fesselung erforderlich gemacht, das Verhalten der Beamten sei nicht zu beanstanden. Nicht weisungskonform sei aber das "behauptete Verkleben des Mundes". Hier werde nun intern ermittelt.
Ermittlungen wären auch in Frankfurt angebracht. Im Bankole-Prozess, der Anfang des Jahres zu Ende ging, sagte ein BGS-Mann aus, dass bei Abschiebungen ein ganzes Arsenal dienstlich nicht zugelassener Fesselungs- und Knebelungshilfsmittel angewandt werde. Rolladen- und Autogurte, Absperrband, Socken.
Warum überhaupt geknebelt wird, macht der Fall von Tina T. deutlich. Der jungen Frau, die im Herbst 1996 in die Elfenbeinküste abgeschoben werden sollte, ist nach eigener Aussage im Flugzeug ein Kissen ins Gesicht gedrückt worden. Das Innenministerium stellt den Vorfall so dar: Die begleitenden BGS-Leute hätten Frau T., als sie um Hilfe schrie, in einem Abstand von 10 bis 20 Zentimetern ein Kissen vors Gesicht gehalten, um den Blickkontakt mit anderen Passagieren zu unterbinden. Der Flugkapitän habe den Abschiebeversuch beendet, als sie nicht zu schreien aufhörte. "Schüblinge", wie die Abzuschiebenden im Beamtenjargon heißen, die schreien und sich wehren, werden von den Fluggesellschaften mit Hinweis auf die Flugsicherheit nicht befördert. BGS- Sprecher Ludwig: "Wenn's gar nicht geht, probieren wir's halt noch mal." Der Vorwurf, bei Abschiebungen heilige der Zweck die Mittel, ist nur schwer zu entkräften. Tina T. wurde der Mittelhandknochen gebrochen - ein ärztliches Attest bestätigt das. Eine afghanische Familie soll von Beamten mit Tritten und Schlägen daran gehindert worden sein, das Flugzeug zu verlassen - Mitarbeiter des Flughafen-Sozialdienstes Frankfurt sahen später Wunden und zerrissene Kleidung bei den Afghanen. Der Wiesbadener Rechtsanwalt Uwe Remus sagt, er habe von einem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Offenbach erfahren, dass die Fälle, in denen Abschiebehäftlinge unversehrt zum Flughafen gebracht werden und verletzt zurückkommen, sich häuften.
Rund 9000 Abschiebungen finden pro Jahr allein am Frankfurter Flughafen statt. Die meisten verlaufen friedlich. Doch da, wo Beamten Widerstand enttgegenschlägt, zeigen sie Härte. Die Anwendung von Zwang aber muss im Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen, so will es das Gesetz. Die Menschenwürde darf nicht verletzt werden. Doch wie kann jemand, der sich verzweifelt wehrt, menschenwürdig abgeschoben werden? Pro Asyl fordert klare Weisungen des Innenministeriums an den BGS, die jede Form von bedrohlicher Gewaltanwendung untersagen. Zudem sollen nichtstaatliche Organisationen wie der Flughafensozialdienst und die Kirchen freien Zugang zu den Gewahrsamszellen erhalten, um endlich dem Beweisnotstand abzuhelfen.
Für das Bundesinnenministerium besteht nach wie vor kein Grund aktiv zu werden. Sprecher Detlef Dauke weist die Vorwürfe von Pro Asyl mit einem Zirkelschluss zurück: Nichts werde vertuscht, von Beweisnotstand könne keine Rede sein. Denn: Ihm sei kein einziger Fall bekannt, in dem es zur Verurteilung von Bundesgrenzschützern kam.
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