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Abschiebehaft in Sachsen Broschüre

Pulver, SchülerInnenzeitung aus Görlitz, Nr. 6

Interview zur Situation im Görlitzer Abschiebeknast

Diedrich Immer ist evangelischer Pastor in Görlitz und seit sechs Jahren im Görlitzer Knast für die Gefangenenseelsorge tätig. Er betreut die Abschiebehäftlinge, die in Görlitz inhaftiert sind.

Wie sieht ihre Arbeit im Knast konkret aus?

Zunächst muß ich sagen, daß ich nicht der einzige bin, der ehrenamtlich Gefangene betreut. Es gibt andere, die Gesprächsrunden abhalten oder Sport mit den Gefangenen treiben. Der CVJM geht schon seit Jahren regelmäßig in den Knast und macht dort Volleyballturniere, spielt Tischtennis.
Meine Arbeit sieht so aus, daß ich Sprechstunden anbiete für ausländische, auch für deutsche Gefangene, zu denen diese auf Antrag kommen können. Einmal in der Woche haben wir einen Bibeltreff und einmal im Monat einen Gottesdienst. Mit den deutschen Gefangenen gebe ich eine Knastzeitung heraus.

Unter welchen Umständen gelangen Ausländer in den Görlitzer Knast?

Von insgesamt rund 300 Häftlingen, etwa ein Drittel davon sind Ausländer, befinden sich etwa 10-20 in Abschiebehaft. In Abschiebehaft kommen ausländische Straftäier, die hier ihre Haftstrafe verbüßt haben und keine Aufenthaltsgenehmigung mehr besitzen Aber es sind nicht nur Straftäter, die meistenteils Eigentumsdelikte begangen haben, sondern auch Ausländer, die hier wegen illegalen Aufenthalts aufgegriffen worden sind.

Auf wieviele der Abschiebehäftlinge trifft das zu?

Das schwankt. Ich schätze etwa fünf. Wenn diese Menschen bereits mehrmaIs wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland inhaftiert worden sind, dann erwartet sie eine Verhandlung. Die Strafe ist in der Regel mit der Untersuchungshaft abgegolten und es wird Abschiebehaft angeordnet.

Aus welchen Ländern kommt der Hauptteil der in Görlitz inhaftierten Abschiebehäfttinge?

Aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien. Auch ein Nigerianer befindet sich zur Zeit in Görlitz in Abschiebehaft, der bereits acht Mal in der BRD Asyl beantragt hat, aber oftmals nicht den Ausgang des Asylverfahrens abgewartet hat, sondern untergetaucht ist. Mit geringer Wahrscheinlichkeit bekommt er ein Bleiberecht, weil seine Frau noch in einem Asylverfahren ist.

Es gibt unter anderem eine Einschätzung von Flüchtlingsräten aus sechs Bundesländern sowie von Organisationen wie Amnesty International, die zu dem Schluß kommt, daß Sachsen in der Behandlung Asylsuchender das Schlußlicht bildet. Stimmen Sie dem zu?

In Görlitz werden diese Menschen behandelt wie die anderen Häftlinge auch. Aber hinzukommt, daß der Görlitzer Knast renovierungsbedürftig ist. Es gibt drei Flügel. Der C-Flügel ist schon renoviert, die beiden anderen sollten schon vor geraumer Zeit modernisiert werden, aber das ist nicht geschehen.
In diesen beiden Flügeln sind die Bedingungen schlecht. Das geht bis dahin, daß die Toiletten in den Hafträumen nicht mit Blenden versehen sind. Alles ist heruntergekommen. Wer aIso nicht im C-Flügel untergebracht ist, hat schlechte Bedingungen zu ertragen.

Wie ist es um den Rechtsbeistand für Abschiebehäftlinge bestellt?

Wenn der betreffende kein Geld hat, bekommt er auch keinen Rechtsanwalt. Wenn ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, wird allerdings ein Pflichtverteidiger zur Verfügung gestellt.

Werden Flüchtlinge, die ja zumeist vom Bundesgrenzschutz festgenommen werden, ausreichend über die ihnen zustehenden Rechte informiert?

Die Information der Flüchtlinge ist teilweise sehr mangelhaft. Das ist nicht die Regel, aber es gibt immer wieder Flüchtlinge, die ins Gefängnis kommen. ohne daß sie über das Asylverfahren informiert worden sind. Das sind Einzelfälle, aber auch hinter einem Einzel fall steht ein menschliches Schicksal.

Stehen für die lnformation beziehungsweise Kommunikation ausreichend Dolmetscherlnnen zur Verfügung?

Nein. Dolmetscher müssen von außen hereingeholt werden und sind teuer kosten also etwa 100 DM die Stunde. Das bedeutet, daß Dolmetscher nur bei Anhörungen, Haftprüfungsterminen oder Gerichtsverhandlungen dabei sind. Die Kommunikation zwischen dem Gefängnispersonal und den Häftlingen ist dadurch behindert.

Stehen Sozialarbeiterlnnen zur Betreuung der Ahschiebehäftlinge beziehungsweise der ausländischen Inhaftierten zur Verfügung?

Es gibt zwei Sozialarbeiterinnen. Die Frage ist natürlich, ob das ausreicht. Eine Sozialarbeiterin war bis vor kurzem über mehrere Monate krank, das bedeutete also, daß die verbliebene 300 Häftlinge betreuen mußte. Natürlich ist es dann unmöglich für sie, auf einzelne einzugehen und sich deren oft sehr komplizierten Problemen anzunehmen.

Wie werden Flüchtlingsfamiiien behandelt - werden die Familienmitglieder getrennt?

Ja.

Werden die Häftlinge über den Verbleib ihrer Angehörigen informiert?

In der Regel ist es so, daß Frauen und Kinder sofort über die Grenze zurückgebracht werden. Die verbleibenden Angehörigen wissen dann nicht, wo sich ihre Familie befindet beziehungsweise die bereits abgeschobenen Frauen und Kinder wissen nichts über den Verbleib ihrer Ehemänner oder Väter.

Welche Mögiichkeiten bestehen für Außenstehende, Abschiebehäftlingen im Knast zu helfen?

Es gibt die Möglichkeit, dort als ehrenamtlicher Vollzugshelfer zu arbeiten. Man hat dann mehr Rechte als nur ein Besucher, der hin und wieder mal rein kommt. Da sehe ich besonders für Leute, die eine Fremdsprache sprechen, eine Möglichkeit Häftlinge zu sprechen und ihnen zu helfen, möglicherweise auch zur Bezugsperson für Häftlinge zu werden, die so etwas ist wie ein Tor nach draußen.

Wie erleben Flüchtlinge die Haft? Ist ihnen bewußt, daß der einzige Grund für ihre Haft die illegale Einreise ist, die mit dem Wunsch verbunden ist, in Deutschland zu leben?

Sie wissen, warum sie inhaftiert sind, der Haftgrund muß ihnen bekanntgemacht werden. Wenn sie das nicht verstehen, muß ihnen ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden. Aber warum sie wie Verbrecher behandelt werden, obwohl sie niemanden verletzt, niemanden geschadet haben, daß ist für die Häftlinge schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu begreifen.

Interview: Jens Förster

Anhang II Seite 54
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