Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten | ||
Einleitung (von Anselm Jappe)Auf den folgenden Seiten wird etwas mehr als ein Drittel des Pamphlets »Remarques sur l'agriculture génétiquement modifiée et la dégradation des espèces« (»Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten«) wiedergegeben. Es hält sich weniger bei den wissenschaftlichen Einzelheiten der Biotechnologien auf als bei der Frage, welche Art von Gesellschaft sie hervorgebracht hat. Herausgegeben wurde es vor etwa einem Jahr von der Pariser Encyclopédie des Nuisances (in etwa: »Enzyklopädie der Schädlichkeiten«) in ihrem eigenen Verlag. Diese Gruppe besteht seit 1984 und gab anfänglich eine gleichnamige Zeitschrift ganz eigener Art heraus: In alfabetischer Reihenfolge erschienen zu praktisch jedem Stichwort, das man in einer Enzyklopädie finden kann, Aufsätze, die aufzeigen wollten, dass von welchem Punkt man auch immer ausgeht, sei es »Abandon« (»Verlassen«) oder »Abondance« (»Überfluss«) oder »Aborigène«, man stets zu den zentralen Punkten der heutigen Gesellschaftskritik gelangt. Nach 15 Nummern (die Buchstabenkombination »Ab« war noch nicht erschöpft) wurde die Zeitschrift 1992 eingestellt und in ein kleines Verlagshaus umgewandelt. Dort erscheinen seitdem einerseits die Schriften der Enzyklopädisten, darunter Texte zum französischen Dezemberstreik 1995, zur nachträglichen Aufklärung des spanischen Giftölskandals der frühen achtziger Jahre, zur neuen hochtechnologischen Pariser Nationalbibliothek, zu den Hochgeschwindigkeitszügen und zur allgemeinen Einschätzung der gesellschaftlichen Entwicklung. Aber auch Texte von George Orwell, von William Morris, Freund von Marx und Begründer der Kunst- und Handwerksbewegung, des in den USA eingekerkerten »Unabombers« und demnächst »Die Antiquiertheit des Menschen« von Günther Anders werden dort verlegt [Anm. der Hg.: Anders ist inzwischen erschienen].
Die Encyclopédie ging ursprünglich von der situationistischen Theorie aus und widmete sich der radikalen Kritik sowohl des Bestehenden als auch fast aller oppositionellen Ansätze. Sie unterschied sich aber im allgemeinen von der sterilen Rhetorik anderer Gruppen, weil ihre Schriften auf einer gründlichen empirischen Kenntnis der behandelten, sehr unterschiedlichen Themen beruhen, in einem brillanten, klassischen Französisch verfasst sind und mit einer eleganten und nüchternen Grafik präsentiert werden. In Lauf der Zeit trat die Kritik des Fortschritts und der von Industrie und Wissenschaft betriebenen Verwüstung des Lebens immer mehr in den Vordergrund. Die vereitelten Entwicklungsmöglichkeiten vor- und frühbürgerlicher Gesellschaften wurden dabei genauso aufgewertet wie die Hellsichtigkeit mancher Autoren, die von der fortschrittsgläubigen Linken unter dem Stichwort »Kulturlinke« abgefertigt werden. Vor allem das Interesse für die gesellschaftliche Rolle der Landwirtschaft führte eine französische Tradition weiter, die noch weniger als in anderen Ländern einfach als »reaktionär« abqualifizieren kann. Bereits in der ersten Nummer der Encyclopédie wurde unterstrichen, dass zum ersten Mal in der Geschichte das revolutionäre Projekt den Selbsterhaltungstrieb für sich mobilisieren kann. Die »ökologischen« Probleme sind kein Sonderbereich der Krise des Kapitalismus, sondern ihr konzentriertester Ausdruck; die Encyclopédie des Nuisances bekämpfte deshalb mit besonderer Energie die von ihr so genannten »Ökolokraten« oder »Staatsökologisten«, die verhindern wollen, dass die überall aufflammenden Kämpfe gegen einzelne »Schädlichkeiten« zu einer Infragestellung der sie erzeugenden Logik führen. Und diese Logik macht die Encyclopédie des Nuisances nicht nur im Kapitalismus, sondern in der ganzen wissenschaftlich-technischen Entwicklung ab der Renaissance aus. Je weiter diese fortschreitet, desto unvereinbarer ist sie mit jeder gesellschaftlichen Befreiung. Sie hat im Gegenteil heute einen Menschentypus hervorgebracht, der nie etwas anderes als die Gesellschaft des Spektakels kennengelernt hat, aber dem man eingeredet hat, alle vorhergehenden Gesellschaften seien abscheulich und barbarisch gewesen im Vergleich zur heutigen. Diese Beschreibung des zeitgenössischen Individuums, das sich mit dem modernen Leben zufrieden gibt, weil es so bequem ist, brachte die Encyclopédie des Nuisances auch dazu, ihre ursprünglich noch vorhandenen Illusionen über das klassische Proletariat aufzugeben. Vor der Gefahr einer bloß »darüberstehenden« Zeitgeistkritik ist sie aber dadurch gefeit, dass sie immer wieder versucht aufzuzeigen, dass die Verarmung des menschlichen Lebens - z.B. der Erfahrung des Reisens durch die TGVs oder des Essens durch die moderne Ernährung - nicht durch die so beliebten Menschenrechte, demokratischen Debatten, kritischen Verbraucher und den allgemeinen Zugang für alle zu den Segnungen der Marktwirtschaft (auf den sich die Thematiken des Feminismus und Antirassismus oft beschränken) überwunden werden kann, sondern nur durch den Bruch mit der »freiwilligen Knechtschaft« (La Boétie). Was der Encyclopédie des Nuisances dabei vielleicht hinsichtlich einer gesellschaftlichen Vertiefung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie fehlt, wird aufgewogen durch die Gabe zur beißenden Formulierung und die Kompromisslosigkeit ihrer Kritik, die sie ohne Zugeständnisse an den Medienzirkus verbreitet. Vor allem Jaime Semprun weist in seinem 1998 veröffentlichten Pamphlet »L'Abîme se repeuple« (»Der Abgrund bevölkert sich erneut«) darauf hin, wie sehr die Linke, auch die radikalste, oft nur die Speerspitze der Modernisierung des Kapitalismus ist und diesem beim Kampf gegen »alles alte« und noch nicht völlig von der Warengesellschaft Durchdrungene hilft. Trotz aller Unterschiedlichkeit der Ausgangspunkte zeigen sich hier manche Parallelen zu Analysen wie der in Robert Kurz »Schwarzbuch Kapitalismus«. Nach und nach entstehen so vielleicht, von verschiedenen Seiten, die theoretischen Grundlagen eines sozialen Emanzipationsprojekts, das nicht mehr ein Ableger der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit der »schönen Maschine« ist. Anselm Jappe, Ende 2000.
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Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten |