Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten | ||
[p. 93 - 99] Jetzt, wo die vorletzten Ergebnisse der genetistischen Verdinglichung vorliegen, kann jeder die Solidität der »ethischen Barrieren« beurteilen, die am Vorabend oder am Vorvorabend gegen die Gefahr einer »eugenetischen Verirrung« oder »erniedrigende Verletzungen der menschlichen Würde« errichtet worden sind. Aber statt sich bei den bioethischen Verrenkungen eines Axel Kahn aufzuhalten (Kantianer »in vitro« beim Inserm), bei Rhône-Poulenc (alias Aventis) oder bei der Unredlichkeit eines Testard, der, nachdem er 1986 überall laut verkündet hatte, er werde seine Aktivitäten als »Forscher der künstlichen Fortpflanzung« einstellen, an der Fortentwicklung der ICSI-Befruchtung mitwirkte, scheint es zugleich lehrreicher und weniger zeitraubend, sich einen Leitartikel von Le Monde vorzunehmen, der jüngst anläßlich eines Gesetzesentwurfs erschien, der in Belgien die Herstellung menschlichen Embryonen zu Forschungs- und Versuchszwecken erlauben, das heisst offiziell erlauben, soll. Diese Zeitung, in der die Ohnmacht des Staatsbürgers sich täglich spiegeln kann (»Es bleibt nichts anderes übrig, denn als Zuschauer den nächsten Akt abzuwarten«, konnte man acht Tage später an gleicher Stelle lesen, diesmal aber mit Bezug auf die sogenannte Finanzkrise), legte in der Tat bei dieser Gelegenheit unter dem Vorwand einer ethischen Fragestellung eine Auflösung der Urteilskraft an den Tag, die voll und ganz die Verachtung rechtfertigt, mit der die Genetiker all die Einwände behandeln, die so zaghaft im Namen der »großen Prinzipien« und der vermeintlichen »menschlichen Würde« formuliert werden. (Welche Würde? Sie brauchen diese Hypothese nicht.) So sorgte sich dieser Leitartikel um den »rechtlichen Status« des Embryos: »Was auch immer man von diesem Big Bang in Reagenzgläsern denken mag - der Mensch ist heute imstande das herzustellen, was zu produzieren die Natur erst nach vielen Jahrtausenden in der Lage war - man kann nicht umhin festzustellen, dass die spektakulären Fortschritte der Molekularbiologie und -genetik eine entscheidende ethische Frage unumgänglich machen: soll man es den Wissenschaftlern erlauben, Forschungen am menschlichen Embryo durchzuführen? Kann man, anders gesagt, diesen Embryo als eine reine Zellmasse auffassen, einen Untersuchungsgegenstand unter vielen? [...] Die Herstellung menschlicher Embryos, deren einziger Zweck wissenschaftliche Forschung und Patentierung ist, kann als die letzte Stufe der Verdinglichung des menschlichen Embryos angesehen werden. Man kann auch den Befürworter dieses Projekts Gehör schenken. Diese machen geltend, dass sich bis jetzt niemand wirklich darüber aufgeregt hat, dass über den Erdball verteilt mehrere zehntausend, der medizinisch gestützten Reproduktion entstammende, sogenannte überzählige Embryos tiefgefroren aufbewahrt werden. Wenn solche Embryos, statt vernichtet zu werden, zu Forschungszwecken benutzt werden, so sagen im Grunde die belgischen Gesetzgeber, warum sollte man dann die Logik nicht weitertreiben und die maßgerechte Embryoherstellung gestatten? Und wie wäre es dann möglich, es den Biologen zu verbieten, die menschlichen Eizellen und Spermien zu benutzen, um ihre eigenen Forschungsobjekte zu schaffen?« (»Das Embryo und das Gesetz«, Le Monde, 7. Januar 1999). Wenn die Wissenschaft der Entmenschlichung ihre Vervollkommnung soweit treibt, dass sie in völliger Unabhängigkeit ihr Experimentiermaterial herstellt, wägt der Moralist und Gesetzgeber das Pro und Contra ab; und das Pro muss aller Logik nach obliegen, denn um dem Zwang der Logik zu widerstehen, müßte man auf jene anderen Geisteskräfte zurückgreifen, die man soweit hat herunterkommen lassen, dass sie bloß noch eine vage ethische Problematik darstellen. Und dabei wäre es doch sehr einfach, diese endlose Problematik zu lösen, indem man die Frage so umformuliert, dass sie verständlicher und der Vorstellungskraft zugänglicher wird: »Soll man es den Wissenschaftlern erlauben, Forschungen am Juden durchzuführen? Kann man, anders gesagt, diesen Juden als eine reine Zellmasse auffassen, einen Untersuchungsgegenstand wie viele andere?« Die Deportierten waren de facto nichts anderes mehr: statt vergast oder durch Arbeit getötet zu werden, konnten auch diese Überzähligen bisweilen dem Fortschritt der medizinischen Forschung dienen, sowohl, gleich, ob diese nun im Namen uneigennützigster Erkenntnis als Grundlagenforschung betrieben wurde (zum Beispiel die in Auschwitz vom Genetiker Mengele durchgeführte, der dort über zahlreiche echte Zwillingspaare und in beliebiger Menge durch Abtreibung erzeugte Embryos verfügte), oder aber auch zu kommerziellen Zwecken, besonders im Auftrag des I.G. Farben-Konzerns. Und was auch immer man denken mag von der Erfahrung der totalen Herrschaft, die sich in den Konzentrationslagern abgespielt hat und die als die letzte Stufe der Verdinglichung des Menschen erscheinen konnte, so kann man nicht umhin festzustellen, dass niemand sich wirklich entsetzt hatte, als ein französischer Medizinnobelpreisträger etwas früher eine mit Gaskammern ausgerüstete eugenistische Politik empfohlen hatte, um die Menschheit von der Last ihrer Entarteten, Monstren, Schwachsinnigen und Kriminellen zu befreien: warum sollte man die Logik nicht ein wenig weiter treiben und die Wissenschaft von diesem reichlichen Material profitieren lassen, das ihren Untersuchungen passenderweise zur Verfügung steht? Was wunder also, wenn eine Gesellschaft, die mit so vielen Ethikkommissionen ihre Verwirrung auf diesem Feld ausdrückt, es schwer hat, eine Grenze zu ziehen, jenseits von der eindeutig eine »erniedrigende Verletzung des menschlichen Lebens« stattfindet: sich Fragen über die »menschliche Würde« eines tiefgefrorenen Embryos zu stellen ähnelt tatsächlich einem metaphysischen Rätsel (oder einem vertrackten »ontologischen Problem«, wie der Leitartikelschreiber von Le Monde sagt), wenn, um eine solche Sache zu produzieren, es zuerst nötig war, dass die Würde ein völlig abstrakter Begriff wird (und die Menschlichkeit genauso). Die Unwürdigkeit des tiefgefrorenen und in Erwartung eines »neuen Elternprojekts« gelagerten Embryos ist das Ergebnis - und darin wirklich das Kind - der Unwürdigkeit seiner »Eltern« (man übergeht zum Beispiel schamhaft das triviale, aber bezeichnende Detail, dass die Befruchtung »in vitro« notwendigerweise mit der Masturbation des »Erzeugers« im Labor beginnt). Wenn die Fortpflanzung immer technisierter wird, um die menschliche Ware mit den besten Garantien zu erzeugen, greift sie logischerweise auf alles zurück, was »Null-Fehler« sicherstellt: natürlich auf die Echographie, dank der die Eltern gewissermaßen Schaufensterbummel betreiben, auf Amniozentese, pränatale Gen-Tests, usw.; von da kommt man dann ebenso rational, im Falle der Befruchtungen »in vitro« (die dazu bestimmt sind, notwendigerweise immer zahlreicher zu werden), zur Diagnose vor der Einpflanzung, welche die Embryoauslese ermöglicht. Schließlich, logisch wie die keinesfalls zufällige Begegnung der »überzähligen« eingefrorenen Embryos und der Forschungen, deren Rohstoff sie darstellen, bereitet der Übergang zur Kultur der »embryonalen Stammzellen« nun die »Keimbahntherapien« vor, die nur dem Namen nach Therapien sind, denn es handelt sich in Wirklichkeit um übertragbare Veränderungen, also um positive Eugenetik; und es sind die Anhänger eines solchen Eingriffs »ab ovo«, die nunmehr die völlige Unwirksamkeit der vorgeblichen Gentherapien verkündigen. So dass am Ende, wenn niemand mehr wirklich weiß, was man der heute »objektiv« so notwendigen Embryoklonierung entgegensetzen könnte, man gezwungen ist festzustellen, dass all diese Fortschritte der rationalen Eugenetik mit einer unerbittlich strengen Logik aufeinander gefolgt sind, der zu widerstehen übrigens weder den Technikern der medikalisierten Fortpflanzung noch ihren »Benutzer« je eingefallen ist, die im Gegenteil alle danach streben, sie »weiterzutreiben«.
Auch noch markantere Weise als bei der alten Eugenetik (der Nazis, aber auch der amerikanischen oder schwedischen), stellen sich die Biologietechniker gewissermaßen als gesellschaftlich prädestiniert dazu heraus, um ohne Skrupel oder Zynismus, sondern mit bestem Gewissen, die Ideologie der »guten« und der »schlechten« Gene zu entwickeln. Gewiss werden sie dafür bezahlt zu wissen, dass die kapitalistische Gesellschaft das als »gut« definiert, was ihre Fortdauer erleichtert, aber sie befolgen mit einem solchen Vertrauen die Regeln der funktionellen Wirksamkeit (und in ihrer Tätigkeitssphäre, mit ihren Computern, klappts ), ihre Interessen haben sich so natürlich, wie Sedimentschichten, in ihrem »Denken« abgelagert, das zu einer bloßen Funktion des Produktionsprozesses geworden ist, dass sie ganz spontan und sogar mit den denkbar besten Absichten in anormalen Verhaltensweisen und »sozial unangepaßten Benehmen« bloß biologische Störungen sehen, die man mit chemischen und heute genetischen Eingriffen korrigieren kann und soll.
Wenn Watson sich fragt: »Wenn man die Mittel hat, die Menschen zu verbessern, warum tut man es nicht?« (Science et vie, Januar 1999), drückt er sozusagen naiv die Auffassung aus, dass es die Menschen sind, die »schlecht«, unangepasst und nicht auf der Höhe sind angesichts der makellosen Rationalität des Systems und der jener Modelle von Angepasstheit, die die Forscher selber sind.
Die Eltern, für die, in einem gesellschaftlichen Milieu immer härterer Konkurrenz, die Herstellung eines Kindes eine immer größere finanzielle Investition darstellt, neigen ihrerseits um so mehr dazu, der von den Medien verkündeten Entdeckung des Genes der Schizophrenie, der Depression, des Alkoholismus, der Neurose, des Ehebruchs, der Homosexualität, der Aggressivität, der manisch-depressiven Psychose usw. Glauben zu schenken; diese Entdeckungen sind falsch, erschlichen, absurd, aber ihre Publizität erlaubt es, gemäß dem Modell der »Erbkrankheiten«, die Vorstellung von einer genetischen Bestimmtheit der gesellschaftlichen Leistungen zu verbreiten und so, außer der medizinischen Fürsorge ab der Schwangerschaft, die genetischen Tests zu rechtfertigen, welche die völlige Verdinglichung der Kinder in Objekte zur Befriedigung ihrer Eltern, in zu »optimisierende« Produkte, vollendet, mit dem Rattenschwanz der entsprechenden Ernährungszusätzen, chemischen Behandlungen, Lernsoftwares, usw.
Für die Kinder, so wie sie heute sind, war es schon erdrückend genug, nicht »Kinder der Leidenschaft, des Augenblicks, des Zufalls, des Sakraments, der Dunkelheit und der Nacht zu sein«, was ihnen letztlich die Freiheit ließ, sie selbst zu sein, sondern vorgeplante Kinder der Kaltblütigkeit, gewollte Kinder des »Kinderwunsches«, absichtlich gezeugt, um zu einem bequemen Zeitpunkt mittels eingeleiteter Entbindung zur Welt zu kommen zu werden: man kann sich vorstellen, wie groß das Verlangen nach sozialem Erfolg und die Dressur zur Leistung sein wird, wenn auf den Genotyp der Prokreatur gesetzt werden wird. (Wenn man auf die Weltgeschichte verzichten und sie durch die Pensionsfonds ersetzen kann, kann man dann im Grunde nicht auf die individuelle Geschichte verzichten und sie durch die genetische Fatalität ersetzen?)
|
||
Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten |