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Quiptic Ta Lecubtesel

»Das Land denen, die es bearbeiten.« Unter diesem Motto trafen sich 1974 zweitausend Tzotziles, Tzeltales, Choles, Tojolabales, Zoques und Mames zu einer großen Versammlung. Der Bischof von San Cristóbal Samuel Ruíz hatte die Repräsentanten von dreihundert Dorfgemeinschaften aus dem ganzen Bundesstaat eingeladen. Ein Drittel der Bevölkerung von Chiapas, eine Million Menschen, sind Angehörige indianischer Gruppen. Anlaß des Treffens war der 500. Geburtstag Bartolomé de las Casas. Während dreier Tage klagten die Delegierten die herrschenden Zustände an. Der Indígena-Kongreß von 1974 wurde zum Meilenstein einer selbstbewußten und kämpferischen LandarbeiterInnen-Bewegung in Chiapas. Er war Ausgangspunkt der Politisierung und Radikalisierung der indianischen Gemeinschaften, die ihre Geschicke nun in die eigenen Hände nehmen wollten.

Für die spanischen Konquistadoren waren die Indianer gerade gut genug, um als Lastenträger oder Landarbeiter zu dienen. Die Mentalität der Großgrundbesitzer und der Stadtbürger in Chiapas, die sich als Nachfahren der Eroberer betrachten, hat sich in fünf Jahrhunderten kaum verändert. Die Großgrundbesitzer waren und sind die Herren über Plantagen und Haciendas, die oft Tausende Hektar Land umfassen.

Trotz aller Ungerechtigkeiten: Von der steckengebliebenen Agrarreform der 30er Jahre bis zum Indígena-Kongreß von 1974 blieb die soziale Ordnung zumindest oberflächlich gewahrt. Die Campesinos wagten nicht, sich zu organisieren und zu rebellieren. Sie fürchteten die brutale Repression der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig wurde ihre Situation zumindest ein wenig erträglicher, weil die Regierung seit den 50er Jahren begann, Land an neue Ejidos zu verteilen. Meist war es schlechtes Land, aber immerhin besser als keines. Tausende Tzotziles, Tzeltales und Choles begannen, in das bis dahin fast unzugängliche Dschungelgebirge der Selva Lacandona zu ziehen. Sie gründeten dort unter harten Entbehrungen neue Dorfgemeinschaften. Und trotz der unmenschlichen Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne auf den Kaffeeplantagen zogen Tausende von Landlosen und Ejidatarios weiterhin auch jedes Jahr in den Soconusco oder die Frailesca zur Kaffeernte. Dort verdienten sie zumindest soviel, um sich und ihre Familien am Leben erhalten zu können.

Anfang der 70er Jahre veränderte sich die Situation. Die schnell wachsende Viehzucht, auf die viele der Grundbesitzer in den vorangegangenen Jahren umgestiegen waren, weil die Weltmarktpreise gute Profite erwarten ließen, verschlang immer neue Flächen von Ackerland. Die Ejidos/Dorfgemeinschaften wurde erneut und immer vehementer bedrängt. Gleichzeitig führte die Erosion der überstrapazierten Ackerböden zu immer kleineren Erträgen für eine immer schneller wachsende Bevölkerung in den Dörfern. Landkonflikte nahmen nun an Zahl und Intensität zu. Die Viehzüchter und Kaffee-barone setzten aber mit Unterstützung der Regierung die Vergrößerung ihres eigenen Besitzes durch.

Die erst vor wenigen Jahrzehnten gegründeten Dorfgemeinschaften in der unzugänglichen Selva Lacandona schlossen sich, unterstützt durch Katechisten der Diözese von San Cristóbal und maoistische Aktivisten, zusammen. Sie schufen sich Organisationen, um die Übergriffe der Viehzüchter abzuwehren und Forderungen nach Schulen, Hospitälern, besseren Vermarktungsmöglichkeiten für ihre Produkte und günstige Kredite zu erheben. Einen ihrer Zusammenschlüsse nannten sie auf tzeltal »Quiptic Ta Lecubtesel«, »Vereint durch unsere eigene Kraft«. Von den Ejidos der Selva Lacandona sollten zwanzig Jahre nach dem Indígena-Kongreß zweitausend bewaffnete und vermummte Zapatistas nach San Cristóbal aufbrechen, um der Regierung den Krieg zu erklären. In den Tälern des Dschungels war aus den Ejido-Zusammenschlüssen der 70er und 80er Jahre die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) entstanden.

Im Norden von Chiapas nahm der Kampf der Kleinbauern andere Formen an. In der Kaffeeregion um Simojovel existierten bereits seit den 30er Jahren Ejidos. Doch das fruchtbarste Ackerland besaßen auch hier die großen Plantagenbesitzer. Die Campesino-Familien organisierten sich nun seit den 70er Jahren und begannen mit Landbesetzungen. Gleichzeitig forderten die Tagelöhner auf den Plantagen bessere Arbeitsbedingungen. Diese Bewegungen mündeten im Aufbau einer starken regionalen Organisation der Landarbeitergewerkschaft Central Independiente de Obreros Agrícolas y Campesinos (CIOAC).

Ganz ähnlich verlief die Entwicklung im Zentrum des Bundesstaates. Bereits seit den 60er Jahren schwelte in dieser Zone ein Landkampf, der viele Todesopfer forderte. Ausgangspunkt der Landarbeiter- und Ejido-Bewegung war das Volkshaus »Casa del Pueblo« in Venustiano Carranza. Hier schlossen sich die Bauern in der Organización Campesina Emiliano Zapata (OCEZ) zusammen, die schnell zur radikalsten und größten der unabhängigen Organisationen in Chiapas werden sollte, bis die EZLN am 1. Januar 1994 die Waffen ergriff.

In der Küstenregion Soconusco, dem eigentlichen Herz der Kaffeeplantagenwirtschaft in Chiapas, war es seit Anfang der 80er Jahre zu Landbesetzungen gekommen. Doch die Bewegung konnte sich nicht voll entfalten. Zu stark war die Repression durch die Kaffeebarone, die mit der Aufstellung paramilitärischer Gruppen antworteten. In der Frailesca, in Angel Albino Corzo und den angrenzenden Distrikten waren schon Mitte der 70er Jahre offene Landkonflikte ausgebrochen. So ließ German Schimpf bereits 1977 die von Campesino-Familien besetzte Finca Liquidambar militärisch räumen.

In Nicaragua, El Salvador und dem benachbarten Guatemala befanden sich die revolutionären Befreiungsorganisationen auf dem bewaffneten Vormarsch, und die Kraft dieser Kämpfe strahlte nach Chiapas aus. Truppenverbände wurden in Chiapas stationiert und 1982 mit Absalón Castellano Domínguez ein General zum Gouverneur bestimmt. Er stammte aus einer der alten chiapanekischen Familien mit großem Landbesitz und regierte Chiapas wie seine Haciendas. 1987 wurde er von der Mexikanischen Menschenrechtsakademie als despotischster Gouverneur ganz Mexikos bezeichnet.

Auch die allgemeine wirtschaftliche Lage sollte sich weiter verschlechtern. 1989 verfielen nach dem Zusammenbruch des Welt-Kaffee-Abkommens die Preise für Rohkaffee um die Hälfte. Tausende von Kleinbauern standen plötzlich vor dem Ruin. Viele von ihnen waren von der Regierung ermuntert worden, auf ihren wenigen Hektar Ackerland neben den Grundnahrungsmitteln auch Kaffee anzubauen. Im Gegensatz zu den Großgrundbesitzern verfügten sie über keinerlei finanzielle Reserven und standen nun vor dem Bankrott.

Als der 1988 durch einen der offensichtlichsten und massivsten Wahlfälschungen in der mexikanischen Geschichte an die Macht gekommene Präsident Carlos Salinas de Gortari 1992 auch noch den Verfassungsartikel 27 über die Landgesetzgebung veränderte, radikaliserte sich die Bewegung der Campesinos und Indígenas. Bisher hatte der von 1917 stammende Artikel 27 der Mexikanischen Verfassung die kollektiven Besitzrechte des Landes von Dorfgemeinschaften formal-juristisch geschützt. Der Artikel war eine Erungenschaft, für die Zehntausende in den Jahren der Mexikanischen Revolution ihr Leben gegeben hatten. Jetzt reformierte ihn Salinas, um Mexikos Eintritt in die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA zu ermöglichen. Die kollektiven und unveräußerlichen Eigentumsrechte wurden aufgelöst. Gleichzeitig nahm die Reform den landfordernden Ejido-Bauern jede Perspektive auf neue Landzuteilungen. Der Konzentration von noch mehr Ackerland in den Händen von noch weniger Familien wurde Tür und Tor geöffnet, um Investoren nach Mexiko zu locken. Die Indígenas empfanden die Reform dagegen als ein »Todesurteil«.

Ebenfalls 1992 wurde der 500. Jahrestag der sogenannten »Entdeckung Amerikas« durch Christoph Kolumbus gefeiert. In Chiapas demonstrierten Tausende Indígenas. Während eines großen Protestmarsches in San Cristóbal wurde eine Schlinge um ein Denkmal gelegt und die Figur vom Sockel gestürzt. Es war die Statue von Diego de Mazariegos, dem spanischen Eroberer von Chiapas und Gründer von San Cristóbal. Diego de Mazariegos fiel unter den ungläubigen und bestürzten Blicken aus den Bürgerhäusern und dem Beifall der barfüßigen Indígenas. Bis vor wenigen Jahren mußte in den Straßen San Cristóbals ein Indianer demütig vom Bürgersteig treten, um dem entgegenkommenden Stadtbürger den Weg frei zu machen.



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