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Kaffee-Boom und Kommunismus | Von U-Booten und Nazis |
Auf den Kaffee-Boom der 20er Jahre folgte die Katastrophe der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Der Zusammenbruch des Weltmarktes traf die fast ausschließlich vom Export nur eines Konsumgutes abhängige Region mit ungeheurer Härte. In den fünf Jahren von 1928 bis 1933 verfielen die Weltmarktpreise für Kaffee um über 60%. Die Plantagenbesitzer versuchten, ihre Verluste auf die Schultern der Arbeiter abzuwälzen. Die in den letzten zehn Jahren von den Gewerkschaften hart erkämpften sozialen Errungenschaften wurden durch die Krise wieder zunichte gemacht. Auch kleinere deutsche Kaffee-pflanzer wurden jetzt Opfer der Krise und mußten ihre Plantagen verkaufen. Eine noch größere Konzentration von Land in den Händen der wenigen Großgrundbesitzer war die Folge.
Anfangs organisierten sich die Landarbeiter auf den Plantagen hauptsächlich, um gewerkschaftliche Forderungen wie Lohnerhöhungen, die Abschaffung der Tienda de Raya oder bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Zunehmend entwickelten sich aus der gewerkschaftlichen Organisierung aber auch die Forderung nach einer Agrarreform. Nicht bessere Arbeitsbedingungen auf den Plantagen der Großgrundbesitzer, sondern ein eigenes Stück Land, das sie selbständig bewirtschaften wollten, wurde zum Ziel vieler Landarbeiter. Schon in der mexikanischen Verfassung von 1917 war durch den Einfluß der Zapatistas im Artikel 27 die Möglichkeit geschaffen worden, kleinbäuerliche Agrarkooperativen auf vom Staat zur Verfügung gestellten Böden einzurichten. In den 30er Jahren breitete sich diese Bewegung für eine Landreform nun auch in den Kaffee-anbauregionen in Chiapas aus. Als 1934 der ehemalige Revolutionsgeneral Lázaro Cárdenas mit einem linksgerichteten Programm die Macht in Mexiko-Stadt übernahm, erhielt die Landarbeiterbewegung zunehmend Unterstützung auch durch die Regierung. Cárdenas war der erste Präsident seit der Revolution, der mit den Versprechungen einer Landreform zumindest ansatzweise Ernst machte. Während seiner Regierungszeit 1934-1940 nahm der Staat den Großgrundbesitzern zahlreiche Ländereien ab und richtete auf diesem Land Ejidos ein. Mit dieser Politik der Landreform von oben versuchte Cárdenas, die sozialen Spannungen auf dem Land zu entschärfen und gleichzeitig der 1929 gegründeten Staatspartei, der später in PRI umgetauften PRM, eine breitere soziale Basis zu schaffen. Die fortschrittliche Agrarpolitik ergänzte Cárdenas außerdem durch die Unterstützung der Forderungen der Arbeiterbewegung bei vielen Streiks sowie durch die Sozialisierung der Erdölindustrie 1938, die sich bis dahin in den Händen britischer und US-amerikanischer Konzerne befunden hatte. Cárdenas schuf damit einerseits die Grundlagen für das System der Staatspartei, das Mexiko bis heute nicht überwunden hat, aber verbesserte andererseits mit seiner Politik auch die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse und großer Teile der Bauernschaft. Davon ist bis heute freilich nichts geblieben.
Auch in den Kaffeeregionen von Chiapas unternahm die Regierung Cárdenas, die den neuen reformfreudigen Gouverneur Efraín Gutiérrez entgegen den Interessen der regionalen Oligarchie eingesetzt hatte, den Vorstoß für eine Agrarreform. Die Gewerkschaften und Agrarkomitees bekamen in ihrem Kampf gegen die Kaffee-barone Rückenwind aus Mexiko-Stadt und Tuxtla Gutiérrez, wo die jeweiligen Regierungen versprachen, die Forderungen der Revolution endlich einzulösen. Der permanente Kleinkrieg in den Kaffeeregionen nahm dadurch an Schärfe zu. Die Finqueros verteidigten ihre Macht und ihre Besitztümer. Noch im Februar 1938 löste beispielsweise Hermann Schimpf die Gewerkschaft der Arbeiter auf der Finca Liquidambar gewalttätig auf. Nur zwei Monate später besuchte Präsident Cárdenas persönlich den Küstenstreifen am Pazifik und warf das Ruder zugunsten der Landarbeiter herum, wenn auch nur vorübergehend, wie sich zeigen sollte. Am 16. März 1939 wurden 8119 Hektar besten Kaffeelandes an 1636 Familienoberhäupter verteilt. Zum ersten Mal konnten sich die Plantagenherren nicht mehr vollständig durchsetzen: Die Familien Braun, Kahle und Lüttmann mußten den neugegründeten Ejidos Land abtreten. Allerdings blieben die Kaffeebarone im Besitz der Kernstücke ihrer Plantagen. Die Quelle ihrer Macht wurde zwar durch die begrenzte Agrarreform am Ende der 30er Jahre nicht angetastet. Die Kräfteverhältnisse hatten sich jedoch verändert. Sie waren nicht mehr die uneingeschränkten Alleinherrscher im Soconusco und der Frailesca.
Viele der neugegründeten Ejidos produzierten jetzt selbständig Kaffee. Doch bald entstanden neue Formen der Abhängigkeit, die bis heute währen. Der Veredelungsprozeß und die Vermarktung des Kaffees im Ausland blieben in den Händen der alten Großgrundbesitzerfamilien, die jetzt durch Agenten die Kaffeeproduktion der Kleinbauern aufkauften. Die Coyotes genannten Zwischenhändler zogen nun zur Erntezeit durch das Land und spielten die Ejidos und Kleinbauern gegeneinander aus, um möglichst geringe Preise für die Kaffee-Ernte zu bezahlen. So blieben auch nach der Landreform von 1939 die grundlegenden Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse im Soconusco erhalten, wenn sie auch neue Formen annahmen. Ab 1940 verlor sich zudem zusehends der Impuls der Agrarreform. Der Historiker Antonio García de León beschreibt die Entwicklung nach dem Ende der Präsidentschaft von Cárdenas: »Verminderte im übrigen Mexiko die Agrarreform ihre Geschwindigkeit, so wechselte sie in Chiapas von einer zaghaften Landverteilung in die Bewegung einer in Zeitlupe gefilmten Schildkröte.«
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