nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Mon Jun 11 11:31:55 2001
 

Inhaltsverzeichnis Inhalt Die Zeit ist reif Aufwärts

Voherige Seite Die Zeit ist reif Liquidambar wird besetzt Nächste Seite

Unruhige Zeiten brechen an

Anfang August 1994 in Chiapas: Die Regenzeit hat das Gesicht dieses Bundesstaates verändert. Aus trockenen Tälern sind grüne Oasen geworden und aus den Schotterstraßen Schlammpisten. Im Lakandonischen Urwald stehen sich in Schußweite Regierungstruppen und Einheiten der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) gegenüber, nur getrennt durch einen entmilitarisierten Korridor, der unter Vermittlung des Bischofs von San Cristóbal Samuel Ruíz und des Roten Kreuzes geschaffen wurde. Am 1. Januar des Jahres haben die zapatistischen Rebellen mehrere Städte besetzt und mit der Losung »Freiheit - Demokratie - Gerechtigkeit« den Machthabern der seit über 60 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) den Krieg erklärt.

Tausende Soldaten der mexikanischen Armee sind nach Chiapas abkommandiert und haben den Bundesstaat in ein Heerlager verwandelt. Tag und Nacht landen auf dem Flughafen der chiapanekischen Hauptstadt Tuxtla Gutiérrez Militärmaschinen, um die Regierungstruppen mit Nachschub zu versorgen: Proviant, Waffen, Munition und immer mehr Soldaten. Auf den Landstraßen patrouillieren Armeeinheiten und an den Ausfallstraßen der Ortschaften versperren Kontrollposten hinter aufgeschichteten Sandsäcken stehend den Weg.

Zu größeren bewaffneten Zusammenstößen kommt es nach den heftigen Kämpfen Anfang Januar jedoch nicht mehr. Der ausgehandelte Waffenstillstand wird nicht gebrochen und die Vorbereitungen der am 21. August stattfindenden Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen laufen auf Hochtouren. In der Selva Lacandona, nahe der Ortschaft Guadalupe Tepeyac, herrscht ebenso hektische Betriebsamkeit wie in den Amtsstuben der Parteien. Doch nicht die Wahlen sind der Grund. Die Frauen und Männer, die sich in der EZLN zusammengeschlossen haben, arbeiten emsig an der Fertigstellung eines Versammlungsortes aus Holzstämmen in Form einer Schnecke. Die einem riesigen Freilufttheater ähnelnde Anlage nennen die Zapatistas Aguascalientes, so wie die Stadt, in der sich 1914 die Anhänger der Revolutionsgeneräle Emiliano Zapata und Pancho Villa vereinigten. Dort werden auf Einladung der EZLN vom 6. bis 9. August 6000 Delegierte aus ganz Mexiko zusammentreffen, um mit der Gründung des Nationalen Demokratischen Konvents (CND) Wege zu einer friedlichen Demokratisierung des Landes zu suchen.

Nur 150 Kilometer weiter südlich in der Frailesca, einer von insgesamt acht Regionen des Bundesstaates Chiapas, wissen die Menschen von alldem kaum etwas. Zeitungen gelangen nur selten in die kleinen Städte und weit verstreuten Dörfer. Nur ein kleiner Teil der Bäuerinnen und Bauern hat jemals eine Schule besuchen können und die mühsam erarbeiteten Pesos werden für andere Dinge dringender gebraucht. Dies ist auch im Landkreis Angel Albino Corzo, wo sich nur 22000 Menschen auf immerhin 148 Siedlungen verteilen, nicht anders. Die Armut ist ebenso groß wie das Mißtrauen gegenüber staatlichen Instanzen.

Die Zone um die Kreishauptstadt Jaltenango bildet einen Ausläufer der Sierra Madre von Chiapas, jener Gebirgskette, die durch die Verfilmung »Der Schatz der Sierra Madre« mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle weltbekannt wurde. Doch davon wissen die Menschen hier nichts. Nur zu gut kennen sie dafür die holprigen Pfade, die von Jaltenango bis in die entlegensten Winkel vordringen und nur ein Ziel haben: die Kaffeeplantagen. Seit Generationen machen sich zur Erntezeit Hunderte von Familien auf den Weg, um sich auf den Fincas zu verdingen. So auch nach Liquidambar, der größten und reichsten Kaffeeplantage weit und breit.

Abbildung 1.3: Laurenz (vorn links) und Marianne Schimpf-Hudler (hinten rechts) im Kreis der Familie
Laurenz (vorn links) und Marianne Schimpf-Hudler (hinten rechts) im Kreis der Familie, 20.39k

In einer Höhe zwischen 900 und 1500 Meter gelegen, reifen dort an Tausenden und Abertausenden Bäumen die Kaffeekirschen einer der edelsten Kaffeesorten der Welt. Von der 1923 gegründeten Kaffeegesellschaft »Mohr y Schimpf« rührt noch der Name des Produktes her, das im Hamburger Hafen stolze 220 US-$ pro Sack einbringt: M.S. Liquidambar.

70 Jahre lang hat der Kaffeeanbau der Familie Schimpf beträchtliche Gewinne beschert. Daran teilzuhaben und nicht nur als billige Peones den Reichtum der Schimpfs zu mehren ist ein Traum, den die BewohnerInnen von Nueva Palestina nie aufgegeben haben. Petitionen zur Erweiterung ihres Ejidos mit Landparzellen von Liquidambar wurden jedoch mit Schweigen oder heftigen Repressalien beantwortet. Nun, im August 1994, erwacht auch hier im entlegensten Teil der Sierra Madre, wo die EZLN militärisch nie präsent war, Widerstand.

Die Zeit ist reif, das müssen auch die Großgrundbesitzer Marianne Schimpf und ihr Ehemann Laurenz Hudler ahnen. An Vorzeichen hat es nicht gefehlt. Am 1.und 2.August werden in den Zeitungen LA JORNADA und TIEMPO Artikel über 33 Fälle von illegalem Großgrundbesitz in Chiapas publiziert. So wird der deutschstämmigen Familie Bernstorff angelastet, ihren Besitz von 5000 Hektar Anbaufläche pro forma in zehn Parzellen unter Verwandten aufgeteilt zu haben, um das gesetzliche Verbot von Latifundien zu umgehen. Zwar wird Liquidambar in diesem Bericht nicht extra erwähnt, Unruhe scheint die Schimpf-Hudlers jedoch trotzdem erfaßt zu haben. Schließlich sind die Vorwürfe der BewohnerInnen von Nueva Palestina gegen sie gleichlautend. Bevor die Rebellion der Habenichtse beginnt, verläßt das Ehepaar Schimpf-Hudler mit ihrem Sohn die Finca.



Voherige Seite Die Zeit ist reif Liquidambar wird besetzt Nächste Seite

Inhaltsverzeichnis Inhalt Die Zeit ist reif Aufwärts

Kontakt: nadir@mail.nadir.org