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Mon Jun 11 11:31:36 2001
 

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Die Zeit ist reif

Abbildung 1.1: Strassensperre der UCPFV in Nueva Palestina
Strassensperre der UCPFV in Nueva Palestina, 18.74k

Abbildung 1.2: Villista in verlassener Wohnbaracke auf Liquidambar
Villista in verlassener Wohnbaracke auf Liquidambar, 16.61k

Nueva Palestina ist ein kleines Dorf in Chiapas, dem südlichsten der 32 Bundesstaaten Mexikos. Ein Rinnsal schlängelt sich durch den Ort und sorgt an seinem Ufer für spärliches Grün durch Sträucher und Bäume. Hühner gackern umher, und im Schatten dösen abgemagerte Hunde. Widerwillig trotten mit Säcken voller Maiskolben bepackte Maulesel des Weges, angetrieben von Campesinos in abgetragenen Baumwollhemden. Mit müden Gesichtern unter den Sombreros streben sie ihrem Zuhause zu, um der Mittagshitze zu entfliehen und sich von der Feldarbeit auf ausgemergelten Böden zu erholen. Entlang der staubigen Hauptstraße stehen dicht an dicht kleine Häuschen, einige aus Stein, die meisten jedoch aus Holz gebaut. Die weiße Farbe der Häuserwände ist abgeblättert, hier und da hängen vergilbte Werbetafeln: Coca Cola, Bayer, Zigaretten- und Biermarken.

In den Häusern stehen Frauen an den Feuerstellen. Holzscheite glimmen, und der Geruch von Bohnen und Tortillas erfüllt die Räume. Die Inneneinrichtung ist schlicht: Ein Tisch, Stühle, Hängematten, Nachtlager aus Stroh oder selten auch Matratzen, an den Wänden Bilderrahmen mit Familienfotos und Heiligenbilder der Jungfrau von Guadalupe. Aus Transistorradios scheppern mexikanische Corridos und mit Werbung durchsetzte Nachrichten. Auf den festgetretenen Lehmböden spielen Kinder.

Die Familien in Nueva Palestina sind arm. Das Dorf unterscheidet sich kaum von Tausenden anderen in Mexiko. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, daß in Nueva Palestina Krieg geführt wird. Eigentlich muß es heißen, daß gegen Nueva Palestina Krieg geführt wird. Das Dorf liegt nur wenige Kilometer von den Kaffeeplantagen Liquidambar und Prusia entfernt, Eigentum der Familien Schimpf-Hudler und von Knoop aus dem fernen Deutschland. Der Krieg gegen Nueva Palestina sorgt für keine großen Schlagzeilen. Er wird leise und verdeckt geführt, ist aber umso brutaler und zermürbender für die Menschen im Dorf und der Umgebung.

Seitdem sich die BewohnerInnen Nueva Palestinas in der Unión Campesina Popular Francisco Villa (UCPFV) zusammengeschlossen haben, um Land für die Erweiterung ihrer landwirtschaftlichen Kooperative, ihres Ejidos, zu erstreiten, lasten Angst und Unsicherheit auf ihnen. Fast täglich kommen bewaffnete Einheiten ins Dorf. Wenn die Jeeps aus dem Tal heraufdröhnen und am Horizont eine weit sichtbare Staubwolke aufwirbeln, wird es plötzlich still in der Siedlung. Meistens passiert die Kolonne Nueva Palestina ohne anzuhalten. Dann atmen die Menschen, die sich in ihren Häusern versteckt halten, erleichtert auf. Manchmal jedoch kommen die Fahrzeuge mitten in der Ortschaft zum Stehen und vermummte Gestalten mit Maschinenpistolen in den Händen springen von den Ladeflächen der Jeeps. Dann schließen die Menschen in Nueva Palestina vor Furcht die Augen: Heute treten sie vielleicht meine Haustür ein und rauben alles, was ich besitze. Heute verschleppen sie vielleicht mich und verbrennen mir die Augenlider. Heute tauchen sie vielleicht meinen Kopf in Dreckwasser und vergewaltigen mich, wie vor kurzem Julieta Flores. Oder ich kehre als verstümmelter Leichnam zurück, wie Reyes Penagos Martínez.

Nur kurz währte die Zeit, als die Hoffnung auf ein besseres, menschenwürdiges Leben ihre Herzen mit Optimismus erfüllte.

Begonnen hat alles am 4. August 1994.



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